Verlagstext
Chase Andrews stirbt, und die Bewohner der ruhigen Küstenstadt Barkley Cove sind sich einig: Schuld ist das Marschmädchen. Kya Clark lebt isoliert im Marschland mit seinen Salzwiesen und Sandbänken. Sie kennt jeden Stein und Seevogel, jede Muschel und Pflanze. Als zwei junge Männer auf die wilde Schöne aufmerksam werden, öffnet Kya sich einem neuen Leben – mit dramatischen Folgen. Delia Owens erzählt intensiv und atmosphärisch davon, dass wir für immer die Kinder bleiben, die wir einmal waren. Und den Geheimnissen und der Gewalt der Natur nichts entgegensetzen können.
Die Autorin
Delia Owens, geboren 1949 in Georgia, ist vor Kurzem nach North Carolina gezogen. Über zwanzig Jahre erforschte die Zoologin in verschiedenen afrikanischen Ländern Elefanten, Löwen und Hyänen. Als Kind verlebte Owens die Sommerurlaube mit ihren Eltern in North Carolina, wo auch ihr Romandebüt spielt. Sie ist Verfasserin von "Der Ruf der Kalahari", "Das Auge des Elefanten" und "Secrets of the Savanna".
Inhalt
Die Leiche von Chase Andrews wäre auf Nimmerwiedersehen in der Salzmarsch an der Küste North Carolinas verschwunden, wenn nicht zwei Jungen eine Jacke in der Nähe eines Beobachtungsturms gegen Waldbrände entdeckt hätten. Dass auf dem Turm und um ihn herum keinerlei Spuren gefunden werden, macht den Fall noch sonderbarer. Im folgenden Jahr 1970 steht Catherine Clark (Kya) vor Gericht, weil sie eine Beziehung zu Chase gehabt haben soll.
Ein weiterer Handlungsfaden führt in die 50er Jahre zurück, als Kyas Mutter ihren gewalttätigen nichtsnutzigen Ehemann Jake endgültig satt hat und ihn und ihre Kinder in einer einfachen Hütte in der Marsch zurücklässt. Sie leben dort wie in den 20ern ohne Elektrizität und ohne fließendes Wasser. Bisher hat die Familie von Jakes Kriegsversehrtenrente aus dem Zweiten Weltkrieg gelebt und die Folgen seines Kriegstraumas hingenommen. Kya ist damals noch klein, ihr Bruder Jodie 13 Jahre alt. Das Marschgebiet, weit entfernt, „wo die Flusskrebse singen“, galt seit Jahrhunderten traditionell als Revier von Meuterern, Deserteuren, Schnapsbrennern und entflohenen Sklaven. Hier gibt es keinen abgesteckten Grundbesitz, man besetzt sein Territorium, jagt und fischt nach Nahrung und sieht zu, dass die Marsch weiterhin die Geheimnisse ihrer Bewohner bewahrt. Die Instinkte dafür werden von Generation zu Generation vererbt. Wer hier lebt, muss einen Bootsmotor von innen kennen, sich im Dschungel überwucherter Kanäle orientieren und mit einer Waffe umgehen können. Einziger Ort weit und breit ist Barkley Cove mit einem Laden und einer kleinen Tankstelle, das durch die Marsch vom Rest der Welt getrennt wird.
Als Jodie als letzter der Geschwister vor dem cholerischen Vater flieht, hat er Kya alles beigebracht, was er über die Marsch weiß, vor allem, dem Vater aus dem Weg zu gehen und die eigenen Spuren im Revier vor ihm zu verbergen. Auch Jake verschwindet; zurück bleibt ein 10-jähriges Kind, das außer seinem Vater nur drei andere Menschen kennt. Bereits in der ersten Schulwoche scheitert Kya an der Ablehnung des „Sumpfgesindels“ durch die Dorfbewohner. Es ist die Zeit der Rassentrennung, als Schwarze und Weiße getrennte Kirchen hatten und ein Schwarzer Weißen auf dem Fußweg gefälligst Platz zu machen hat. Dass ein Kind hier nicht nur unentdeckt überlebt, sondern sich jahrelang selbst versorgt, ist nur schwer zu glauben.
Fortan lebt Kya allein in der Hütte im Sumpf, verheimlicht sorgsam, dass ihr Vater verschwunden ist, und baut eine kluge Geschäftsbeziehung zu dem Schwarzen Jumpin‘ von der Tankstelle auf. Zu Tate Walker, dem Sohn eines Krabbenfischers, entspinnt sich allmählich eine zarte Freundschaft. Auch Tate kann nicht ohne die Marschlandschaft leben und nur er kann die scheue Kya wie ein Seelenverwandter „lesen“. Wie sensibel und fürsorglich Tate Kya die Natur und das Leben lehrt, das ist mit Abstand die berührendste Geschichte, die ich je gelesen habe. Kya liest fortan Bücher, liest und liest, immer auf der Suche danach, warum eine Mutter ihre Kinder verlässt. Als Tate fortgeht, um Biologie zu studieren, scheint ein gemeinsames Leben der beiden Naturliebhaber undenkbar zu sein. Und nun also der Prozess gegen Kya wegen des ungeklärten Todes von Chase Andrews, dem so mancher in der Marsch den Tod gewünscht hat. Um den Fall lösen zu können, muss man die Marsch wie seine Hosentasche kennen …
Fazit
„Die“ Delia Owens, Autorin populärer Bücher über Afrika, hat in ihrem ersten fiktiven Buch ein Ökosystem ihrer amerikanischen Heimat mitsamt seinen besonderen Bewohnern porträtiert. Mit wechselndem Focus auf Kyas Mutter, ihrem Bruder Jodie, dem tot aufgefundenen Chase, Tate Walker und dem herzensguten Jumpin' entfaltet die Autorin auf zwei Zweitebenen (beginnend 1952 und 1969) die berührende wie märchenhafte Geschichte einer Einzelgängerin, für die es außerhalb ihrer Hütte im Marschland keinen Lebensraum zu geben scheint.
Delia Owens Verbindung aus Entwicklungsgeschichte, Naturgeschichte und Krimihandlung ist ein berührender, unvergesslicher Roman.