Solange die Nachtigall singt

Buch von Antonia Michaelis, Kathrin Schüler

Zusammenfassung

Über Antonia Michaelis

Die Autorin Antonia Michaelis wurde im Jahr 1979 in Kiel geboren. Schon als Kind hatte sie das Schreiben von Geschichten für sich entdeckt. Gleich nach dem Abitur ist die Autorin nach Indien ausgewandert und unterrichtete an einer Schule in Madras Kunsterziehung, Schauspiel und Englisch und reiste später durch viele Länder Europas. Mehr zu Antonia Michaelis

Bewertungen

Solange die Nachtigall singt wurde insgesamt 33 mal bewertet. Die durchschnittliche Bewertung liegt bei 3,7 Sternen.

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Rezensionen zum Buch

  • Rezension zu Solange die Nachtigall singt

    Eine Antonia Michaelis ist eine Antonia Michaelis ist eine Antonia Michaelis...
    Die Werke von ihr kann man gar nicht so richtig in Worte fassen, die muss man alle einfach selbst erleben. Das Tolle ist nur: Man erkennt, dass die Bücher von ihr sind. Sie hat einfach so einen unverwechselbaren Schreibstil, der aus der Masse heraussticht.
    "Solange die Nachtigall singt" ist ein sehr stimmungsvolles, irgendwie düsteres, aber gleichzeitig auch anspruchsvolles Buch, das sich nicht mal eben so nebenbei weglesen lässt. Der Stil der Autorin ist sehr poetisch und man muss sehr genau aufpassen, was sie mit ihren Bildern sagen will. Vieles liegt zwischen den Zeilen und lässt sich nur erahnen. Aber es liegt durchweg eine sehr tolle und vor allem spannende Stimmung über dem Buch, die zum Weiterlesen animiert. Denn die Handlung an sich ist eher ruhig, bis auf einige Ausnahmen. Aber dennoch fragt man sich als Leser ständig, was hinter dem Ganzen steckt und wie das Buch wohl enden wird.
    Während des Lesens hatte ich tausende Fragezeichen im Kopf. Es gibt so viele mysteriöse Kleinigkeiten, zu denen ich gerne Erklärungen gehabt hätte. Aber diebekommt man einfach nicht. Stattdessen passieren erneut merkwürdige Sachen. Die Autorin lässt die Figuren und vor allem den Leser ziemlich allein. Die wirkliche Auflösung bekommt man erst am Ende. Bis dahin muss man mit der Ungewissheit leben. Ich muss sagen, dass ich die Auflösung toll fand. Ich hätte damit nun wirklich nicht gerechnet und meine Fragen wurde am Ende auch beantwortet.
    Das Verrückte an dem Buch ist nämlich, dass man überhaupt nicht weiß, was real ist und was nicht. Ein bisschen verwirrend ist es schon, aber gleichzeitig auch einfach total spannend.
    Irgendwie fand ich das Buch auch ziemlich gruselig. Es gab so viele Kleinigkeiten, die mir einen Schauer über den Rücken gejagt haben. Das Weinen eines Kindes, das nachts zu hören ist. Oder die Tatsache, dass die weibliche Hauptperson in Windeseile von einem Ort zum
    Anderen wechselt und dann vorgibt, schon die ganze Zeit dagewesen zu sein. Oder ein in einen Felsen geritztes Kreuz, dessen Geschichte nicht verraten wird. Oder ein Raum voller Schneiderpuppen. Oder ein Raum voller ausgestopfter Füchse, von denen einer auf ein mal zur Tür raus rennt. Oder die Tatsache, dass die weibliche Hauptperson Sachen vergisst, die sie noch einen Tag vorher getan oder gesagt hat. Es sind viele Kleinigkeiten, die beim Lesen stutzig machen und für die man so gerne eine Erklärung hätte.
    Die weibliche Hauptperson, die Auslöser dieser komischen Sachen zu sein scheint, hat zwarIMMER eine Erklärung, die alles ganz normal aussehen lässt. Aber im Hintergrund ist immer der Gedanke, dass man nicht weiß, ob man ihr überhaupt glauben kann. Deswegen hat mich das Buch teilweise etwas verzweifeln lassen.
    Zwischendurch gab es bei mir immer ein paar Seiten, die mich nicht so mitreißen konnten und bei denen dann eine kleine Flaute aufgetreten ist. Und es gab Dinge, die ich jetzt gar nicht konkret beim Namen nennen könnte, die mich irgendwie gestört haben. Als Beispiel fällt mir jetzt nur
    Insgesamt fand ich aber vor allem die Stimmung und den Stil der Autorin einfach toll und von mir gibt es für dieses Buch.
    […]
    Der Verlag empfiehlt das Buch ab 16 Jahren, jüngeren Lesern würde ich es auch auf keinen Fall raten, das Buch zu lesen. Es ist stellenweise doch wirklich sehr brutal und grausam, da stimme ich dir zu.
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  • Rezension zu Solange die Nachtigall singt

    Puuuh, geschafft. NIcht das Lesen, sondern das rezensieren Ich glaube so lange habe ich noch nie dafür gebraucht, meine Meinung zu einem Buch aufzuschreiben. Es war so anders, als alles was ich kannte, dass mir erstmal eine Weile die Worte gefehlt haben. Aber besser spät als nie, mir hat das Buch nämlich insgesamt sehr gut gefallen.
    Meine Meinung:
    Frau Michaelis Art zu schreiben, das ist kein Stil, das ist Kunst: einzigartig, unbeschreiblich! Sie webt ein Netz aus Worten, aus dem ich nur ganz, ganz schwer wieder herausgefunden habe, weil ich eigentlich überhaupt nicht auftauchen wollte. Der Klapptext verspricht Schönheit, er verheißt einen Rausch und genau das bietet die Autorin nicht nur Jari, sondern auch dem Leser. Die Meisterin der Worte spielt mit Bildern, mit Andeutungen und Metaphern und das auf eine derart intensive Art, dass es dem Wort "atmosphärisch" eine ganz neue Bedeutung gibt. Das einsame Setting im Wald tut sein Übriges dazu, dass man der Realität ganz leicht entgleiten und völlig in der trügerischen Idylle des Buches versinken kann.
    Hauptcharaktere sind in erster Linie der junge und eher unbedarfte Jari auf seiner Reise und die in seinen Augen fast schon überirdisch schöne Jascha, die in einem einsamen Haus im Wald lebt. Der "Zeisig", wie sie ihn nennt, war für mich definitiv ein Charakter zum lieb haben, aber leider auch einer, den ich zunehmend gerne geschüttelt hätte. Von seinen Eltern behütet aufgewachsen, hat er alles, was einen etwas naiven, aber durchweg sympathischen jungen Mann ausmacht: Er ist hilfsbereit und fast schon aufopferungsvoll, ein bisschen naiv und er sehnt sich nach Freiheit und Abenteuer, nach mehr im Leben. Aber was er bekommt, darauf hat ihn kein Sonntagsessen bei gestärkten Leinentüchern und Tischgebet vorbereitet und Jari verliert sich zunehmend in Jaschas Welt von Wald, Wein und Nebel. Jascha auf der anderen Seite ist nur so greifbar, wie sie es sein will. Schwarze Spinne oder einsame Nachtigall? Jari meint Letzteres, der Leser kann sich da nie so sicher sein. Die beiden sind auf alle Fälle eine interessante Kombination, auch wenn es teilweise fast schon anstrengend war, hinter Jaschas Tausend und eine Facette blicken zu wollen. Denn Frau Michaelis hat hier etwas eingebaut, das ich sonst nur aus Filmen kannte und mich meisterhaft hinters Licht geführt hat.
    Die Handlung lässt sich denn auch kurz und knapp mit "Schein und Sein" beschreiben. Der Wald ist eine Bühne und Jari und Jascha sind die Hauptdarsteller in einem Stück, das mit jedem Akt ein bisschen näher am Abgrund zu spielen scheint. Jari ignoriert die Warnung der Dorfbewohner, in den Wald gehe man nur hinein und nicht mehr hinaus, und nimmt Jaschas Angebot an, gegen Handwerksarbeiten eine Weile bei ihr zu wohnen. Dass er damit alle Fäden aus der Hand gibt, ahnt zu diesem Zeitpunkt auch der Leser noch nicht. Aber tatsächlich begibt er sich in einen Irrgarten voller Geheimnisse, aus dem es keinen Ausgang zu geben scheint und bald schon stößt er scheinbar durch Zufall auf die ersten Gebeine... Was verbirgt sich hinter der Idylle aus Schönheit und Frieden? Darauf ist der Leser genau so gespannt wie Jari, doch auf einen Hinweis kommen zahlreiche Irrungen und Wirrungen und es ist nahezu unmöglich zu sagen, wessen Sichtweise die Glaubwürdigste ist. Verwirrend und anstrengend? Ein bisschen- aber auch faszinierend und fesselnd. Diese Art von Geschichte wird sicher nicht jedem gefallen und wo mancher, wie ich, ein ganz zauberhaftes Labyrinth erkunden wird, da wird ein anderer vielleicht nur eine Hecke sehen, die dringend gestutzt werden müsste. Mich persönlich hat nur leider auch hier das Ende gestört, das meiner Meinung nach wieder zu viel des Guten und zu wenig der Logik war. Außerdem hatte ich mir vergeblich mehr Parallelen zu Andersens Märchen erhofft gehabt. Insgesamt aber ein ungewöhnliches und einzigartiges Leseerlebnis.
    Fazit:
    Ein Buch, auf das man sich einlassen können und wollen muss. Worte machen die Geschichte zum Märchenwald, betreiben aber auch ein psychologisches Fallenstellen auf hohem Niveau.
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  • Rezension zu Solange die Nachtigall singt

    Jari, ein junger Tischlergeselle geht auf Wanderschaft. Er lernt Jascha kennen, ein ungewöhnliches Mädchen. Irgendetwas ist anders an Jascha und so begleitet er sie. Tief in den Wald hinein führt ihre Wanderung. Bis sie zu Jaschas Haus gelangen. Und Jari bleibt. Länger als er will, länger als ihm überhaupt bewußt ist. Er gerät in ihren Bann aus Schönheit und Grausamkeit und verliert jegliches Gefühl für Zeit, Raum und auch irgendwann die Realität.
    Düster und unheimlich wirkt das Cover. Ein dunkler Wald mit dicken Wurzeln am Waldboden. Ebenso das Bild auf der ersten Seite. Irgendwie angsteinflößend und die Gewissheit, irgendetwas wird passieren. Die einzelnen Kapitelnamen sind pure Poesie, geradezu malerisch schön, z.B. oder Rosentau.
    Wer die Autorin schon kennt, weiß, dass ihr Schreibstil unverwechselbar ANDERS ist. „Solange die Nachtigall singt“ ist das ungewöhnlichste Buch, das ich bisher je gelesen habe. Die bildhafte Sprache ist aus dem erst vor kurzem gelesenen Märchenerzähler noch bekannt; die Autorin präsentiert dem Leser in diesem Buch jedoch die geballte Ladung. Ich konnte jede einzelne Szene vor mir sehen. Die Kulisse eines dunklen Waldes war so greifbar nah. Die Schönheit und auch die Grausamkeit so spürbar. Ein Buch, das sehr gut in den Winter passt. Abends im Bett, wenn es ganz „still“ ist. Und genau dort habe ich es auch nur gelesen. Vor allem die „Stille“ ist bedeutend. Die Atmosphäre, die dieses Buch verströmt, würde niemals zu „30 Grad im Schatten – Strandliege“ passen. Dieses Buch lässt sich jedoch nicht einfach mal so eben weglesen, auf keinen Fall eine locker leichte Lektüre, sondern schon auf seine Art anspruchsvoll. Ich würde es auch nicht unbedingt als Jugendbuch bezeichnen.
    Der Leser darf keinen realistischen Roman erwarten. Die ersten Dialoge waren gewöhnungsbedürftig. Mein erster Gedanke war, dass kein Mensch „so“ redet. Aber lässt man sich erst einmal darauf ein, dann ist das ein Leseerlebnis der ganz anderen Art. So ist es mir zumindest ergangen.
    Einen Kritikpunkt habe ich allerdings. Das Ende hat mir nicht gefallen. Die Geschichte hätte einfach nur ein paar Seiten vorher enden sollen. Dann wäre es für mich fast perfekt gewesen. Mehr kann ich dazu natürlich nicht sagen.
    Die Nachtigall hat mich ein paar Abende begleitet, und mir einen für mich ganz neue Art Leseerlebnis geboten. Eine Geschichte, die hängen bleibt und die ich nicht so schnell vergesse. Ein paar kleinere Längen und das Ende der Geschichte sind der Grund, weshalb ich keine fünf Sterne vergebe.
    Liebhaber ungewöhnlicher Schreib- und Sprachstile kann ich das Buch empfehlen. Man kann die Geschichte auch nicht in ein Genre einordnen. Jugendbuch, Drama, Krimi, Märchen – irgendwie eine Mischung aus allem.
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  • Rezension zu Solange die Nachtigall singt

    Dieses Buch braucht Zeit und zündet nur ,wenn der Leser sich darauf einlässt.
    Eine Tiefe mit gewaltiger Kraft von Worten und Sätzen zieht den Leser mit in die Geschichte . Märchen,Fantasy oder Realität? Der Leser wird immer wieder in den Irrglauben getrieben und wenn er einen Verdacht hegt, wird dieser sofort wieder entkräftet.
    Antonia Michaelis zeigt auch mit „Solange die Nachtigall singt“ wieder ihr Können, was sie schon mit „Der Märchenerzähler bewiesen hat. Ihre Art ,ihre Worte zu wählen, das ganze so zu verpacken, dass man sich wie in einem Märchen fühlt, ist einfach überwältigend.
    Poesie pur, denn mit ihrer bildgewaltigen Sprache fühlt man mit und verliert sich in den Sätzen und Beschreibungen, man vergisst alles um sich herum und taucht in die Charaktere ein, denn sie sind so facettenhaft, real geschrieben, ihre Geschichte ist so dicht gewebt, dass man gar nicht mehr auftauchen möchte.
    Die Kapitalüberschriften, z.B. Fuchspelz, Herbstbronze,Nebelmilch oder Flammseide spiegeln so wunderbar die Farben des Waldes wieder. Die Autorin schafft es ,den Wald, das Setting in solch wunderbare Farben zu tauchen, dass dem Leser nichts anderes übrig bleibt als vor Phantasie zu sprühen. Es entstehen wunderbare Gemälde im Kopf des Lesers, und dazu muss man nicht einmal phantasiebegabt sein, es passiert einfach so, durch die Sprache von Antonia Michaelis.
    Da dieses Buch so viel Tiefe besitzt, langsam und genau gelesen werden muss ,denn jedes Wort, jeder einzelne Satz hat eine Bedeutung und verbirgt Hinweise, sehe ich es nicht als Jugendbuch, sondern als Buch für junge Erwachsene, denn hier muss man wirklich intensiv lesen und gelesenes verknüpfen um nicht völlig den Faden der Realität zu verlieren und die Worte zwischen en Zeilen zu verstehen.
    Wichtig ist, zu wissen, dass das Buch nicht von Spannung lebt, es lebt von einzigartigen Beschreibungen, Verknüpfungen der Phantasien des Lesers. Es ist ein ruhiges Buch mit einer intensiven Geschichte, die sich erst am Ende zusammenfügt. Man muss geduldig sein, sich auf alles einlassen und sich führen lassen, dann erfährt man die Realität in Gewändern von Märchen und Fantasie gehüllt.
    Das Cover ist einfach phantastisch, nach dem Lesen des Buches findet man es einfach nur passend und wunderschön gestaltet. Man beachte den Unterschied zwischen Schutzumschlag und Buchcover.
    „Solange die Nachtigall singt“ ist keine leichte Kost, dafür aber eine wunderbar märchenhaft verpackte Geschichte von Liebe, Krankheit und Tragödien in der Schönheit des winterlichen Naturschauspiels.
    Sterne
    Wieder einmal begeistert von ihrem Stil, werde ich mir bald mit „Die Worte der weißen Königin“ meine Lesezeit versüßen.
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  • Rezension zu Solange die Nachtigall singt

    Jari Cizek, der 18- jährige Tischlergeselle, braucht eine Auszeit - von seiner Ausbildung im elterlichen Betrieb, von seiner fürsorglichen Mutter. Und so begibt er sich auf dreiwöchige Wanderschaft im deutsch- polnisch- tschechischen Dreiländereck.
    Er will die Natur genießen, die Einsamkeit, seine Freiheit und am Ende seiner Reise ein Mädchen - oder auch in umgekehrter Reihenfolge.
    Denn in einem kleinen Dorf trifft er zufällig auf die junge Jascha, die ihn in ihr Haus mitten im Wald "entführt".
    Ein riesiges, unwirkliches Haus mit tausend Spiegeln, einer Vielzahl an Zimmern und Gängen, voller labyrinthartiger Gemütlichkeit und Schönheit, abgeschnitten von der Außenwelt.
    Doch Jari will nur eine Nacht bleiben, eine Nacht mit der bezaubernden und geheimnisvollen, vielleicht auch gefährlichen Jascha verbringen, doch aus einer Nacht werden Tage.
    Tage voller Arbeit im Obstgarten oder auf dem Feld, unergründlicher Geheimnisse, Stunden aus Ängsten und Zweifeln, süßen Gesängen, verführerischen Celloklängen, traurigem Wimmern aus abgeschlossenen Zimmern.
    Die Zeit fliegt an Jari nur so vorbei, er verliert jegliches Gefühl, was wahrhaftig und echt ist, was richtig und falsch ist, wer Jascha ist, was er überhaupt im Wald bei ihr macht. Dennoch schafft er es nie, sie zu verlassen. Denn sie zieht ihn immer wieder in ihren Bann, lockt ihn mit ihrer betörenden Schönheit, mit ihren süßen Küssen, ihrer vermeintlichen Unbeschwertheit, ihrem glockenhellen Gesang, ihrem zarten Musikspiel, ihrem frechen Verwirrspiel und Jari verliert darüber jeglichen Bezug zur Wirklichkeit.
    Der Wald wird von Tag zu Tag bedrohlicher, dunkler, unberechenbarer, eine namenlose Gefahr lauert in den Schatten der alten Bäume. Und Jascha wird immer undurchsichtiger und ausweichender.
    Und Jari bleibt...
    Jari will mit dem Mädchen im Wald bleiben, aber auch wieder mit seinem besten Freund Matti ein Bierchen auf der Fensterbank trinken, zu seiner Mutter mit den gestärkten Hemden, in die verhasste Werkstatt mit Brettern, Dübeln und Sägespänen zurück.
    Er will Antworten, was im Wald und mit Jascha vor sich geht, will aber gleichzeitig nicht die Wahrheit hören.
    Und dann verwandelt sich der eigentlich schüchterne und sensible Jari mehr und mehr, er verliert sich in sich selbst und in den Gesetzen der Natur, anstatt sich zu finden.
    Aus dem Tischler, aus dem Wanderer wird ein Jäger... erbarmunglos, gnadenlos...
    ... wird er sein Herz bewahren?
    Eine Geschichte, nein, ein dunkles, geheimnisvolles, bedrohliches Märchen voller betörender und grausamer Schönheit, welches die riesigen und undurchdringlichen Grenzwälder selbst erzählen könnten.
    Die forsche Füchsin ihren Jungen, die alte Eiche ihren Setzlingen, der milchige Nebel vorbeiziehenden Wanderern, die freche Amsel in den Wind hinaus.
    Sie würden die Geschichte von Jascha mit dem Haar aus schwarzer Seide, dem Lachen eines silbernen Glöckchens und der Stimme einer Nachtigall allen zuflüstern, die sie hören möchten. Wie sie den unbedarften und abenteuerlustigen Wanderer Jari Cizek, den jungen Zeisig, in den dunklen Wald, in ihr verlassenes Zuhause, in ihre einsamen Arme, in ihre eigene Welt gelockt hat.
    Jari Cizek, der grau gefiederte, unscheinbare Vogel, der flügge geworden ist, sein gut behütetes Nest verlassen hat, der seine Flügel ausstrecken, sie kräftigen möchte, den rauen und wilden Wind zwischen seinen Federn spüren, sich über die düsteren Wälder gleiten lassen, seine kleinen Lungen mit frischer und abenteuerverheißender Luft füllen, seinen Schnabel wetzen möchte.
    Doch eines merkt man schnell:
    Irgendetwas oder irgendjemand im Wald will dem jungen Zeisig die zartgrauen Flügel stutzen - und Jascha spürt dies auch. Oder ist Jascha diejenige, die dem Wanderer die Flügel nehmen will, damit er nie mehr von ihr fortfliegen kann?
    Kann der kleine, graue Zugvogel den kalten und harten Winter im verwunschenen Märchenwald überleben?
    Muss er zum Raubvogel werden?
    Mich hat "Solange die Nachtigall" sofort in ihren Bann gezogen, denn Antonia Michaelis lockt mit ihren Worten den Leser ohne Atempause in die dunklen Nebelwälder ihrer Geschichte.
    Und so wechselt die Stimmung und die Sprache von poetisch, sanft und bezaubernd wie in einem Märchen bis zu brutal, direkt, unbehaglich und eiskalt wie sie nur die Realität sein kann.
    Von welkenden Blättern tropft bittere Einsamkeit, zerbrechliche Vögel singen von zitternder Melancholie, der schwere Nebel bringt Gefahr, der kalte Herbstwind kündet von Abenteuerlust, das weiche Moos verspricht Zärtlichkeit, im unergründlichen und schwarzen See im Wald lauert ein Albtraum, unter der Walderde liegen verlorene Hoffnungen und Sehnsüchte, Angst, Verzweiflung, Einsamkeit und Ausweglosigkeit begraben, in Brombeerranken verstricken sich Geheimnisse und Lügen, an denen man sich verletzt.
    Und trotz oder gerade wegen dieser Fülle an Worten und Umschreibungen konnte ich erst nach und nach in die Schatten zwischen den Zeilen schauen, aus den Nebeln aus Worten etwas herauslesen. Die Worte umkreisten mich wie aufgewirbeltes Herbstlaub, flüchteten vor mir wie aufgescheuchte Rehe, verflüchtigten sich wie Nebelschwaden an einem sonnigen Vormittag.
    In jedem einzelnen Kapitel passiert so wenig und gleichzeitig so viel, sodass meine Gedanken zunächst keinen Sinn erfassen konnten, in zig Spiegeln um sich selbst reflektierten, und ich die ganze Zeit gerätselt habe, was für eine Geschichte ich vor mir liegen habe, wie viel Realität noch in diesen märchenhaft gewebten Mantel gestickt werden wird oder ob es nur eine mystische Erklärung für Jascha und Jari geben wird.
    Doch irgendwie blieb immer die Gewissheit, dass irgendwann ein realistischer und grausamer Abgrund vor mir auftauchen wird, wenn ich endlich die Lichtung aus Wissen und Gewissheit erreicht habe. Denn der Herbstwind weht Ahnungen heran, lässt den Nebel aus Unwissenheit weichen, zerrt an fest vertauten Tragödien, die im Wind zitternden Blätter flüstern sich Geheimnisse zu, im gelben Herbstlaub am Boden rascheln Andeutungen, die zerstörte Kinderseele wird nach und nach freigelegt, ein Trauma aufgedeckt.
    Mir ging es beim Lesen ähnlich wie Jari im Wald:
    Jari sieht und hört Dinge, Menschen, Tiere und weiß am Ende dann doch nicht, was wahr ist und was nicht. Seine Umgebung ändert sich ständig:
    Gerade noch steht er im golden erleuchteten Wald, kurze Zeit später irrt er durch dichten Nebel. Gerade noch spielt Jascha das Cello im Haus, im nächsten Moment hilft sie Jari im Garten bei der Apfelernte. Gerade noch sieht er eine Narbe an ihrem Arm, Augenblicke später ist sie wieder makellos schön. Er sieht Risse in all der Schönheit um ihn herum aufplatzen, vergisst und verdrängt diese Gedanken gleich wieder, bevor er doch noch an seinem Verstand zu zweifeln beginnt.
    Genau wie Jari fing ich beim Lesen an, an meinem Verstand zu zweifeln, ich fragte mich, ob ich wie Jari das eine oder andere Becherchen Wildbeerensaft zu viel getrunken habe, zu viel an Fliegenpilzen geknabbert habe, da das Gelesene sich vor mir verschloss sobald ich das Buch zugeklappt habe. Ich hab das Meiste immer gleich vergessen...
    Wo hört die Wirklichkeit auf, wo fängt die Fantasie an, wann spielt der Verstand Streiche, was ist nur als Symbol zu sehen, wo platzt die Schönheit von Jascha und ihrer Umgebung auf und zeigt ihr wahres Ich?
    Jari verliert sich selbst und die Wirklichkeit aus den Augen, wenn er in die Schönheit des Mädchens und des Waldes blickt. Der Leser kann jedoch den realen Schrecken, der sich hinter der Schönheit der erzählenden Worte verbirgt, nicht vergessen.
    Denn nichts ist so, wie es scheint...
    Und genau deshalb muss man zwischen den Zeilen, unter den Worten lesen, hinter so wohlklingende Farben wie Mondsilber, Brandorange oder Heimlichweiß sehen, hinter die Fassade des Märchenwaldes blicken und die Schonungslosigkeit der Realität, die Hässlichkeit der Menschheit, eine zerbrochene Welt und die zerstörerische wie auch schützende Kraft der menschlichen Psyche erkennen.
    Das Ende beantwortet für mich dann auch alle Fragen, da es meine Vermutungen vollends bestätigt und dennoch viel Raum für eigene Interpretation und Gedanken übrig gelassen hat. Das Ende wird in mir nachklingen wie der "singende" Felsen... immer noch mystisch, aber auch schonungslos wirklich. Ein Ende, das noch lange keine Ende ist... nicht für mich, nicht für Jascha und Jari...
    Ein modernes Märchen, welches sich dunkel und düster in den Herbst schmiegt.
    "Solange die Nachtigall singt" beflügelt die Fantasie, sodass ich bei Spaziergängen im bunten Oktoberwald bestimmt zukünftig irgendwo eine Jascha auf einem prächtigen Hirsch davon galoppieren sehen werde oder wie sich ein frecher Fuchs an die nackten Beine eines Waldmädchens schmiegt.
    Aber dennoch lauert hinter diesem wunderschön geschriebenen, poetischen, symbolträchtigen, abstrakten Märchen ein ganz und gar reales Grauen, ein kalter Schrecken und genau deshalb ist es eine ziemlich anstrengende Geschichte, eingehüllt in ein reichlich verziertes und geschmücktes Gewand, welches ihre Protagonisten auf eigentümliche Art zu schützen und zu wärmen versucht.
    Eine Geschichte, auf die man sich einlassen und für die man sich Zeit und Muse nehmen muss, da sie weder leicht noch entspannend ist, sondern den Leser mit ihren bedeutungsschweren Metaphern und Worten wie einen Felsbrocken zu erdrücken droht, in einen schwarzen, tiefen See hinabziehen kann.
    Und wieder mal eines der Jugendbücher, dass aufgrund der Tiefgründigkeit und Doppelbödigkeit, Brutalität und der Schonungslosigkeit keines sein kann! Auch, wenn es ums Erwachsenwerden, um Selbstfindung, erste Liebe und Freundschaft geht - und wie weit man für all seine Hoffnungen und Sehnsüchte bereit ist zu gehen - einem Weg aus der Einsamkeit und Verzweiflung heraus...
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  • Rezension zu Solange die Nachtigall singt

    Kurzbeschreibung (von amazon):
    Ein Wald, der im Nebel ein Rätsel verbirgt. Ein Wanderer, der sich verirrt. Eine Geschichte, die dem Leser den Atem raubt. Nach Abschluss seiner Tischlerlehre begibt sich Jari auf Wanderschaft, um Freiheit und Natur zu genießen. Dabei trifft er auf Jascha, das bezauberndste Mädchen, dem er je begegnet ist, und folgt ihr zu ihrer Enklave mitten im Wald. Gefangen zwischen märchenhafter Schönheit und menschlichen Abgründen wird der harmlose Tischler zum unerbittlichen Jäger. Poetisch und fesselnd erzählt Erfolgsautorin Antonia Michaelis die Geschichte einer Liebe, der kein Geheimnis zu düster und kein Opfer zu groß ist.
    Das Meisterwerk einer Märchenerzählerin.
    Die Autorin (von amazon):
    Antonia Michaelis wurde 1979 in Kiel geboren. Fünf Jahre später begann sie, ihre Umwelt mit (damals noch unleserlichen) Büchern zu überschwemmen. Seitdem hat sie nicht mehr aufgehört zu schreiben. In England ließ sie sich inspirieren von der englischen Literaturgeschichte. Heute lebt die junge Autorin, die inzwischen auch ein Medizinstudium abgeschlossen hat, im Nordosten Deutschlands.
    Meine Meinung:
    Kennt Ihr das auch? Man liest ein Buch und wünscht sich nichts sehnlicher, als dabei zu sein, sich am Ort des Geschehens zu befinden. Genauso erging es mir mit dieser Geschichte. Mit einer unglaublich bildgewaltigen Sprache schafft es Antonia Michaelis, den geheimnisvollen Wald und das rätselhafte Haus vor den Augen des Lesers auferstehen zu lassen. Ich konnte beim Lesen den Herbstwald riechen und hatte die Bilder noch lange nach dem Lesen vor Augen.
    Die Hauptperson des Buches ist Jari, er ist gerade 18 Jahre alt geworden und hat seine Tischlerlehre abgeschlossen. Bevor der Ernst des Lebens beginnt, möchte er noch einmal seine Freiheit genießen und beschließt, für drei Wochen im Zittauer Gebirge wandern zu gehen. Eigentlich wollte sein Freund Matti ihn begleiten, aber da der gerade mal wieder frisch verliebt ist, hat er beschlossen, doch lieber daheim zu bleiben.
    Am Ausgangspunkt seiner Wanderung entdeckt Jari eine Galerie, im Schaufenster steht ein Bild, das ihn sofort in seinen Bann zieht. Irgendetwas scheint in diesem Bild verborgen zu sein, etwas, das man auf den ersten Blick gar nicht wahrnehmen kann. In der Galerie begegnet er einem Mädchen, das sich auf den zweiten Blick als das schönste Mädchen entpuppt, das er je gesehen hat. Sie lädt ihn ein, sie in ihr Haus im Wald zu begleiten, und natürlich geht Jari mit.
    Nach einer langen Wanderung durch den unwegsamen Wald gelangen sie schließlich zu einem alten Haus, das sich ganz abgelegen, fast unerreichbar, mitten im Wald befindet. Auch das Haus wirkt sehr geheimnisvoll, es scheint unendlich viele Türen zu geben, die alle abgeschlossen sind.
    Jari ist fasziniert - von dem Mädchen Jascha, von dem Haus und der Umgebung. Und so bleibt er länger, als er es eigentlich vorhatte. Je mehr Jari versucht, hinter das Geheimnis des Waldes zu kommen, umso mehr verliert er den Bezug zur Realität, das Gefühl für die Zeit.
    In Rückblenden liest man zwischen der eigentlichen Handlung immer wieder eine Geschichte von kleinen Mädchen. Und in gleichem Maße, wie die Haupthandlung voranschreitet, erfährt man auch hier immer wieder neue Details. Aber auch in dieser Nebengeschichte scheint es so einige Ungereimtheiten zu geben und man stellt sich immer wieder die Frage, was davon wahr oder unwahr ist.
    Mir hat das Buch sehr gut gefallen. Das Wort "atemberaubend", das ja schon in der Beschreibung des Buches auftaucht, trifft es sehr gut. Schon mit der Anfangsszene, in der Jari im Fenster der Galerie das Bild anschaut, hat mich die Autorin gefesselt. Die Betrachtung dieses Bildes ist wie eine Vorahnung auf das, was einem beim Lesen später begegnen wird. Und so habe ich mich voller Spannung mit Jari auf den Weg in den Wald gemacht. Dieser wirkt auf den ersten Blick wunderschön, aber immer wieder gibt es auch Momente, in denen ein Gefühl von Bedrohung und Gefahr aufkommt, z. B. wenn plötzlich wie aus dem Nichts tiefer Nebel auftaucht, in dem man sich zu verirren droht.
    Für mich war dieses Buch eine perfekte Mischung aus Momenten, in denen man das Gefühl hat, ein wunderschönes Bild vor Augen zu haben, und Momenten, die bedrohlich, teilweise auch brutal wirken. All dies fügt sich aber wunderbar zu einer sehr spannenden Handlung zusammen.
    Genauso, wie die Autorin es schafft, durch ihre Sprache die Bilder vor den Augen des Lesers erstehen zu lassen, gelingt es ihr auch, die handelnden Personen zum Leben zu erwecken. Jari mochte ich sehr gerne, auch wenn er mir in manchen Situationen doch recht naiv erschien. Aber er ist ja auch noch sehr jung und unerfahren. Und auch Jascha ist eine sehr interessante, liebenswerte Figur, alles an ihr ist irgendwie rätselhaft.
    Ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen und musste immer noch ein Kapitel, und dann noch eines lesen. Immer wieder habe ich gerätselt und versucht, hinter das Geheimnis dieses Waldes und hinter Jaschas Geheimnis zu kommen, aber immer wieder habe ich mit meinen Vermutungen daneben gelegen.
    Fazit:
    "Solange die Nachtigall singt" ist ein Buch mit einer unglaublich bildgewaltigen Sprache. Die Handlung läuft beim Lesen wie ein Film vor dem inneren Auge ab. Und auch nach dem Lesen konnte ich all die Bilder noch vor mir sehen. Die Geschichte selbst ist sehr spannend erzählt, dies wird noch verstärkt durch die in Rückblenden erzählte Nebengeschichte. Sehr geschickt lässt die Autorin die Grenzen zwischen Realität und Schein oder Einbildung verschwimmen und führt den Leser immer wieder in die Irre.
    Mir hat das Buch sehr gut gefallen und ich vergebe
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Ausgaben von Solange die Nachtigall singt

Hardcover

Seitenzahl: 448

Taschenbuch

Seitenzahl: 448

E-Book

Seitenzahl: 449

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