Die Kindheit Jesu

Buch von J. M. Coetzee, Reinhild Böhnke

Zusammenfassung

Inhaltsangabe zu Die Kindheit Jesu

J. M. Coetzees großer Roman »Die Kindheit Jesu« ist ein dunkler Meteor voller Überraschung, Schönheit und Intensität. Ein Mann und ein Kind kommen in ein fremdes Land. Sie haben keine genaue Erinnerung an ihr früheres Leben, erhalten neue Namen, müssen eine neue Sprache erlernen und sich seltsam unvertrauten Sitten anpassen. Und der Mann muss dem Kind die Mutter suchen, die es auf der Flucht verloren hat. Selbst als das zu gelingen scheint, werden sie wieder gezwungen, ihr Flüchtlingsdasein fortzusetzen und aufs Neue nach einer Heimat zu suchen. Emigration, Einsamkeit, die Rätsel einer Ankunft. In einem dunklen Glas spiegelt der Literaturnobelpreisträger J. M. Coetzee unsere Welt, so dass sich alles Nebensächliche unseres Umgangs verliert und die elementarsten Gesten sichtbar werden. »Die Kindheit Jesu« ist der Auftakt einer Trilogie, deren Fortsetzung 2017 unter dem Titel »Die Schulzeit Jesu« bei S. Fischer erschien. »Wundervoll und wunderlich.« Gregor Dotzauer, Der Tagesspiegel
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Serieninfos zu Die Kindheit Jesu

Die Kindheit Jesu ist der 1. Band der Jesus Reihe. Diese umfasst 3 Teile und startete im Jahr 2013. Der letzte bzw. neueste Teil der Serie stammt aus dem Jahr 2020.

Bewertungen

Die Kindheit Jesu wurde insgesamt 5 mal bewertet. Die durchschnittliche Bewertung liegt bei 3,8 Sternen.

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Meinungen

  • Beginnt rasant, verliert sich dann in philosophischen Betrachtungen

    Klarascha

Rezensionen zum Buch

  • Rezension zu Die Kindheit Jesu

    Inhalt
    Als Flüchtling erreicht Simón nach einer Schiffsreise ein fiktives, spanischsprachiges Land. In seinen neuen Wohnort Novilla bringt er aus dem Flüchtlingslager den elternlosen Jungen David mit, für den er sich nun verantwortlich fühlt. David trägt Stiefel, einen Wollmantel und Wollsocken und erzeugt damit bei mir Bilder Jahrzehnte zurückliegender Menschentransporte in Europa. Die Verwaltung von Novilla ist auf die eintreffenden Flüchtlinge vorbereitet, überlässt jedoch die Neuankömmlinge auf der Suche nach Unterkunft und Nahrung weitgehend sich selbst. Die Aufnahme der neuen Bewohner wirkt wie ein Schildbürgerstreich, wenn z. B. ein Zimmer zugeteilt wird, zu dem angeblich der Schlüssel verschwunden ist. Die Bewohner von Novilla lassen die Dinge auf sich zukommen und ergreifen selbst kaum Initiative. Alle Zuwanderer leben mit einer neuen Identität und ohne Vergangenheit. Alteingesessene vermitteln sogar den Eindruck, sie hätten körperliche Empfindungen wie Hunger längst hinter sich gelassen. Für überflüssige Dinge und nutzlose Sehnsüchte werden keine Wörter gebraucht, woraus für Simón trotz seiner guten Sprachkenntnisse Verständigungsprobleme entstehen. Trotz der sinnlos-schikanösen Verwaltungsroutine findet Simón Arbeit als Schauermann im Hafen, bekommt eine Wohnung zugewiesen und beschafft für David und sich "Brot und Wasser". Simón verfolgt die fixe Idee, für David eine Mutter suchen zu müssen; denn jedes Kind braucht seiner Meinung nach eine Mutter. Eine alternative Betreuungsmöglichkeit für den noch nicht schulpflichtigen David kommt Simón nicht in den Sinn. Inés, eine Zufallsbegegnung, wird von Simón zu Davids Mutter erklärt; sich selbst sieht Simón erst an zweiter Stelle in Davids Leben in einer Rolle als Pate. Simón hat bisher alles aufgegeben, seine Heimat, seine Muttersprache; David loszulassen fällt ihm erheblich schwerer. In die Empfindungen eines elternlosen Fünfjährigen auf der Flucht kann Simón sich nicht versetzen und laviert die Pate-Kind-Beziehung in Richtung Scheitern. David entwickelt sich unter Inés' Einfluss anders als Simón sich das für einen Jungen vorgestellt hat. Auf Davids für sein Alter nicht ungewöhnliche üppige Phantasie und seine kindlichen Allmachtsvorstellungen reagiert Simón autoritär und unflexibel. Er will den Jungen in kürzester Zeit möglichst viel lehren, ohne Rücksicht darauf, ob David für den Wertekanon aus Erwachsenenperspektive überhaupt bereit ist. Kurz nach Davids Einschulung kommt es zu Problemen in der Schule, weil er sich nicht in die Klasse einfügen will. Davids ungewöhnliche Pflegeeltern erleben zu ihrem Erstaunen, dass der in vielen Bereichen lässig wirkende Staat eine sehr effektive Schulbürokratie unterhält.
    Fazit
    Anders als von Coetzee evtl. beabsichtigt habe ich das Buch nicht als religiöse Parabel gelesen, sondern als utopische Fortschreibung der aktuellen politischen Lage mit ihren Flüchtlingsströmen. J. M. Coetzee hat ein fiktives Land mit sozialistischen Ansätzen erdacht, das jedem seiner Bürger einen bescheidenen Lebensstandard gewährt und kaum Leistungsanforderungen stellt. Simón ist im Hafen offenbar der erste Arbeiter, der über Sinn und Produktivität der Abläufe nachdenkt. In Coetzees schöner neuer Einheitswelt sprechen die Figuren zwar von Emotionen, ihre Gefühle sind für mich jedoch selten nachzuempfinden. Im Mittelpunkt der Handlung steht eine Figur, die ihre Vergangenheit und ihre Muttersprache zurückgelassen hat und die zentrale Beziehung zu einem Flüchtlingskind einem starren Idealbild opfert. Simóns beharrliche Suche nach einer Mutter für David wirkt allein durch behauptete - nicht durch gezeigte - Emotionen, seine Idealisierung der Mutterfigur befremdet mich. Coetzees nur knapp skizziertes Szenario muss vom Leser in dessen Phantasie erst zu einem Bild vervollständigt werden. Wer noch unvollständig wirkende "Landkarten" wie diese gern selbst weiterdenkt, findet in "Die Kindheit Jesu" ausreichend Gelegenheit dazu.
    (22.10.2013)
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  • Rezension zu Die Kindheit Jesu

    Mich hat dieser kryptische Roman ungemein fasziniert. Auch wenn er mich zum Ende etwas verloren hat, ist die "Auflösung" (haha!) stimmig. Und während des Lesens, das leicht und spannend von der Hand geht, rattert der Verstand, um die vielen Andeutungen unter einen Hut zu kriegen.
    "Die Kindheit Jesu" erzeugt ein schleichend unheimliches Gefühl! Viele Dinge sind leicht verschoben, aus der Wirklichkeit gekippt; alles ist nicht so, wie es scheint; die Menschen sind entweder zu nett oder zu unfreundlich für die jeweilige Situation; Dinge, die teures Geld kosten müssten, sind umsonst; andere scheinen völlig unbekannt. Die Leute des fremdartigen Landes scheinen keine Leidenschaft und keinen Zweifel zu kennen. Auch beschwichtigen sie viel. Ein ganz fremdes Moral- und Werteempfinden herrscht hier, das die Hauptfigur zu vielen Nachfragen anregt. Zwischenmenschliches soll zweckdienlich sein, Sexualität ist eher suspekt. Das höchste der Gefühle ist der Besuch von Volkshochschulkursen, wo die Arbeiter sich angeregt in philosophischen Diskussionen ergehen, unter anderem über die "Stuhlheit" eines Stuhls.
    Die Hauptfigur Simon, ein alter Mann (der gebrechlich scheint, wogegen sein Alter später überraschend mit 45 angegeben wird), betritt zusammen mit dem etwa fünfjährigen Jungen David das Land, das ihnen beiden fremd ist. Sie durchlaufen ein Aufnahmelager und werden mehr schlecht als recht vom Amt mit Wohnung und Arbeit versorgt. Simon und David sind nicht verwandt und kennen sich erst seit kurzem. Doch der Mann empfindet Fürsorge für den Jungen. Simon arbeitet als Scheuermann im Hafen, versucht aber stets (wenn auch halbherzig bzw. ohne große Aussicht auf Erfolg), die Mutter des Jungen zu finden, die sie an Bord des Schiffes, mit dem sie ins Land kamen, aus den Augen verloren haben. Irgendwie scheinen alle Einwohner des Landes (in dem übrigens spanisch gesprochen wird, das aber eher einer gleichgeschalteten Dystopie ähnelt; manche Kritiker bringen hier - vielleicht etwas leichtfertig - Nordkorea ins Spiel) als Flüchtende ins Land gekommen zu sein. Mir kommt es eher so vor, als wäre es ein normaler Schritt im Laufe des menschlichen Lebens, einmal irgendwo anders ganz neu anzufangen; ohne Erinnerungen; wie ein weißes Blatt Papier. Und das passiert hier in diesem Land.
    Durch den Zaun einer noblen Villen, in der Kinder nicht zugelassen sind, entdeckt Simon eine Frau, die offensichtlich nicht Davids Mutter ist, die er aber als seine Mutter auswählt und anspricht, der er den Jungen anvertraut, auf dass sie ihn wie eine Mutter aufnähme. Tatsächlich übernimmt Ines diese Aufgabe und zieht in Simons schäbige Wohnung, aus der Simon daraufhin auszieht, um heimlich in einem Schuppen im Hafen zu hausen. Schon bald entwickelt sie sehr übertriebene Muttergefühle. In diesem heimischen Klima wird aus David, der hochbegabt zu sein scheint, ein recht anstrengender, altkluger Junge, was sich zum Beispiel dadurch zeigt, dass er sich in der Schule von seinem Klassenlehrer nichts sagen lassen will. Er behauptet, perfekt rechnen zu können, dabei kann er nur sämtliche Zahlen in einer beliebigen Reihenfolge aufsagen. Er täuscht vor, nicht lesen zu können, dabei hat er es sich dank einer Kinderausgabe des "Don Quijote" sehr gut beigebracht. Als eine internatsähnliche Sonderschule für ihn vorgesehen wird, stimmt auch Simon in die protektionistischen Absichten von Ines ein. Sie schnappen sich David und hauen ab - mit ungewissem Ziel...
    Ich freue mich immer sehr, wenn mir etwas Außergewöhnliches zu lesen in die Finger kommt, selbst wenn ich es nicht völlig verstehen kann. Dieser Roman war sehr anregend und auch unterhaltsam zu lesen. In den Händen des Literaturnobelpreisträgers Coetzee habe ich mich - bei aller Verwirrung, die er hervorrufen will - sehr sicher geborgen gefühlt. Das Fehlen von auktorialer Festlegung, die @Winfried Stanzick in seiner Kritik störte, macht den Roman gerade zum Ende hin tatsächlich etwas schwergängig. Man droht als Leser aus diesem Vexierbild aus Andeutungen, Querverweisen und Bedeutungsmöglichkeiten auszusteigen. Dennoch erreicht der Roman vielleicht erst durch diese Uneindeutigkeit seine faszinierende Strahlkraft.
    Der Leser wird wahrlich ernst genommen, auch gefordert, auf dass er sich selbst ein Bild der Lage mache. Schon der Titel gibt zu denken, spielt mit einem: Welchen Bezug gibt es denn nu wirklich zu Jesus Christus, außer dass beide, der Junge des Romans und der Religionsstifter, dem Geschlecht Davids angehören, und der David des Romans ebenfalls sehr unangepasst daherkommt, ein fast prophetisches Charisma verströmt? Ich gebe zu bedenken, dass auch Ersatzmutter Ines "wie die Jungfrau zum Kinde kam". Ansonsten darf man keinesfalls den Bezug zu Don Quijote außer Acht lassen: Zwei Figuren, die gemeinsam durch die Welt tappen, die gegen die Hindernisse der Welt anrennen, Die beide ein richtiges Leben im falschen führen (oder andersrum). Ein Ideal befolgen in einer verkehrten Welt, dabei jedoch völlig unterschiedlicher Weltwahrnehmung folgen; einer von beiden fast blind für die Wirklichkeit. (David wird übrigens, durch eine satanische Figur zum Spiel mit Gefahrgut verleitet, zumindest Augenprobleme bekommen, weswegen er eine dunkle Sonnenbrille tragen muss, wie man auf dem Cover sehen kann.) Nur welche Dame (und da gibt es einige) ist bei Coetzee die Dulcinea, die das ganze Tun antreibt? Wer weiß! Ein Pferd wie Rosinante gibt es jedenfalls, einen alten Klepper namens El Rey, also: der König.
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  • Rezension zu Die Kindheit Jesu

    Da kommen ein Mann ( später wird deutlich, er ist in den fünfzigern) und ein Kind mit einem Schiff in einem neuen Land an. So wie viele andere Flüchtlinge, die über den Ozean kommen. Das neue Land ist karg, erinnert in seinen ärmlichen Lebensbedingungen eher an Nordkorea als an irgendein europäisches Land. Ein für die Neuankömmlinge zuständiges Amt vermittelt den beiden eine bescheidene Wohnung und neue Namen. Der Mann heißt nun Simon und findet schnell eine Arbeit in Hafen als Schauermann, der Junge wird fortan David genannt. Simon hat sich schon auf der Überfahrt des Jungen angenommen und ihm versprochen, seine Mutter wiederzufinden. Denn ein Brief, in dem wichtige Informationen enthalten waren, ist auf der Fahrt über den Ozean verloren gegangen.
    So wie alle anderen Flüchtlinge, von denen es in dem neuen Land, in dem Spanisch gesprochen wird, viele gibt, sind auch Simon und David durch die Überfahrt von allen Erinnerungen „reingewaschen“ worden, was Coetzee immer wieder betont.
    Es liegt so etwas wie Neuanfang in der Luft. Coetzee experimentiert mit der Vorstellung einer Neukombination wesentlicher Dinge und Elemente des Lebens und der Moral. Auch das Land, in dem der irritierende Roman spielt, existiert in der realen Welt nicht. Es gibt dort keine Vergangenheit, deshalb scheint die Zukunft offen. In der neuen Welt gibt es schon eine Moral und sie scheint auch nach einem bestimmten Sinn geordnet, nur auf eine solch andere Weise, dass sie mir jedenfalls als Leser fremd geblieben ist.
    Es ist das Fehlen jeder Art von Festlegung oder auch nur Andeutung von richtig und falsch, die verwirrt, es ist die Tatsache, dass es keine wirklich sympathische Figur in diesem Roman gibt, und der vollständige Verzicht auf auch nur eine Andeutung von moralischer Eindeutigkeit, die bei aller sprachlicher Brillanz diesen neuen Roman des südafrikanischen Literaturnobelpreisträgers zu einer ernüchternden Lektüre macht, die den Leser mit den entscheidenden Fragen des Lebens allein lässt.
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Ausgaben von Die Kindheit Jesu

Hardcover

Seitenzahl: 352

E-Book

Seitenzahl: 352

Besitzer des Buches 9

Update: