Der Besucher

Buch von Sarah Waters, Ute Leibmann

Bewertungen

Der Besucher wurde insgesamt 29 mal bewertet. Die durchschnittliche Bewertung liegt bei 3,8 Sternen.

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Meinungen

  • Schauerroman nach alter Tradition

    Marie

  • düster, aber faszinierend subtil und "psycho"

    Smoke

Rezensionen zum Buch

  • Rezension zu Der Besucher

    Dr. Faraday ist praktischer Arzt im ländlichen Warwickshire kurz nach dem 2. Weltkrieg. Sein Leben ist äußerst unspektakulär und dreht sich hauptsächlich um die Versorgung seiner Patienten. Frau oder Freundin hat er nicht, und er ist mit seinem Dasein als Landarzt weder besonders glücklich noch besonders unglücklich.
    Einer seiner vielen Hausbesuche führt ihn nach Hundreds Hall, einem herrschaftlichen Landsitz, den er aus seiner Kindheit noch in ehrfürchtiger Erinnerung hat, weil seine Mutter dort als Hausmädchen arbeitete. Dreißig Jahre nach Faradays letztem (und einzigem) Besuch dort ist aus dem schönen Herrenhaus ein ziemlich heruntergekommener alter Kasten geworden, mit dessen Unterhalt sich die Familie Ayres zunehmend schwertut, obwohl die verwitwete Hausherrin und vor allem ihre beiden Kinder Caroline und Roderick sich alle Mühe geben. Das Geld reicht einfach hinten und vorne nicht, Roderick hat schwer mit den körperlichen und psychischen Nachwehen des Krieges zu tun, und irgendwann ist es, als finge das Haus höchstselbst an, sich gegen seine Besitzer zu wenden.
    Geisterhafte Vorkommnisse, mysteriöse Zeichen an den Wänden und das Gefühl, nicht alleine im Haus zu sein, lassen sich zunächst noch als Hirngespinst eines heimwehkranken Dienstmädchens abtun, doch dann wird Faraday mit eigenen Augen Zeuge eines fatalen, schwer zu erklärenden Ereignisses, und Roderick vertraut ihm unter dem Siegel der Verschwiegenheit noch Seltsameres an.
    Sarah Waters ist eine Meisterin der Atmosphäre. Wunderbar ihre Schilderung des alten Besitzes, dessen einstige Pracht nur noch zwischen abgesperrten Zimmern mit verhängten Möbeln und dem verwahrlosten Parkgarten zu erahnen ist, und der verzweifelten, vergeblichen Bemühungen der Familie, Haus und Grund zu erhalten. Auch ihre Figuren sind großartig gezeichnet, keine glattgebügelten Genreklischees, sondern Menschen mit Ecken und Kanten, die sich alle auf ihre Art durchs Leben zu kämpfen versuchen. Das Zwischenmenschliche fand ich fast noch spannender als den vermeintlichen Geist von Hundreds Hall, der Faraday und den Ayres' Rätsel aufgibt. Auch die Beschreibungen des ländlichen Lebens nach dem Krieg, noch geprägt von Warenknappheit, Lebensmittelmarken und Kriegsruinen in den Städten, oder Szenen aus Faradays ärztlicher Tätigkeit habe ich unglaublich gerne gelesen.
    Das soll nicht heißen, dass die "Geister"-Handlung mich nicht gepackt hätte, im Gegenteil, ich habe förmlich auf die Auflösung hingefiebert, die hinter den sich bewegenden Gegenständen und den Schriftzeichen an den Wänden und den anderen Kuriositäten steckte. Waters hat in ihren anderen Büchern ja erfreulicherweise auch für die seltsamsten übersinnlich erscheinenden Phänomene immer eine rationale Erklärung gefunden. Diesmal konnte ich mir so gar nicht vorstellen, wohin die Reise führt - und leider, leider ist das mein großer Kritikpunkt an dem Buch, was auch zu einer schlechteren Bewertung geführt hat: das Ende hat mich überhaupt nicht zufriedengestellt. Nachdem ich 500 Seiten lang gehofft, gebangt und mich gegruselt hatte, nachdem sich die Situation auf Hundreds Hall immer dramatischer zugespitzt hatte, war der Schluss für mich eine echte Enttäuschung. Sehr, sehr schade.
    @Fezzig: den Vergleich mit Ishiguro finde ich interessant. Witzigerweise lese ich gerade "The Remains of the Day". Die ruhige Erzählweise und das präzise Gesellschaftsporträt kann man durchaus vergleichen.
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  • Rezension zu Der Besucher

    Oh unter den historische Romanen hätte ich das Buch nun nicht erwartet.
    Inzwischen ist es auf deutsch erschienen. Schon als ich las klassische Grusel-und Schauergeschichte, wußte ich, dass ich nicht dran vorbei komme.
    Tja und man kann ja nicht sagen ich wäre nicht gewarnt worden. Meine Erwartungen waren hoch und wurden nur zum Teil erfüllt.
    Sarah Waters erzählt wunderbar. Ich sehe das Haus in seinen Glanzzeiten mit viel Personal und dann nach dem Krieg in den 40ziger Jahren. Immer noch imposant, mit einigen Kostbarkeiten im Innern, doch größtenteils total vernachlässigt - Risse im Mauerwerk, undichte Fenster, Feuchtigkeit, bröckelnder Stuck, leere Zimmer, weil viele wertvolle Gemälde, Teppiche und Mobiliar schon verkauft wurden, wenige Zimmer für Abgestelltes mit Leintüchern abgedeckt, der Park und die Gärten mit Unkraut überwuchert, die Kieswege ungepflegt. Eigentlich der ideale Hintergrund und Tatort für Unerklärliches, Geheimnisvolles.
    Doch zunächst sind die Probleme der Familie vordergründig. Der Dorfarzt Faraday erzählt und nach mehr als 160 Seiten tut sich endlich etwas. Der Haushund dreht durch, Roderick, der Sohn auch, es folgen Brände, veschlossene Türen, nächtliche Telefonanrufe, Stimmen, Gekritzele an den Wänden - alles ausgezeichnete Gruselfaktoren, nur gruselig ist es nicht. Vielleicht hätte man die Betroffenen mehr einbeziehen sollen, anstatt dem nüchternen Arzt das Heft in die Hand zu geben. Er sucht und findet für alles eine logische realistische Erklärung - Übermüdung, Erschöpfung, gereizte Nerven, Hysterie. So kommt bei mir nicht die Spur eines gruseligen Schauers rüber, stattdesssen sieht sich der Arzt schon als Mitglied der Familie, sanftes Liebesgeplänkel und das Hausmädchen Betty reicht zum tausendsten Mal Tee.
    Der Schluß ist in diesem Sinne und obwohl zusammengenommen eine Menge geschieht, würde ich es eher eine dramatische Familiengeschichte zu Zeiten des Umbruchs nennen. Tolle Charaktere, viel Atmosphäre, aber wenig Spannung und kein Grusel, schade.
    Ich vergebe trotz allem für gut geschriebene Tragik einer untergehenden Familie.
    Liebe Grüsse
    Wirbelwind
    Sabrina Janesch, Katzenberge
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  • Rezension zu Der Besucher

    In "Little Stranger" entführt Sarah Waters ihre Leser in die 1940er Jahre. Im Mittelpunkt der Geschichte scheint die Landadelsfamilie Ayres zu stehen, doch schaut man genauer hin, ist es ihr Haus "Hundreds Hall", das der alles dominierende Charakter ist.
    Erzählt aus der Sicht des Dorfarztes Faraday wird man in eine Vergangenheit aus Luxus, Prunk und Partys geschmissen, um schnell von der nachkriegsgeschüttelten Gegenwart eingeholt zu werden. Faradays Mutter arbeitete einst als Kindermädchen in dem Herrenhaus und seine Erinnerungen sind geprägt von dem Neid auf dessen Bewohner, einem gewissen Stolz, (zugegebenermassen lockere) Verbindungen zu ihnen zu haben und seinem Eifer, ihnen nun behilflich zu sein.
    Sowohl Haus als auch Bewohner haben unter den sozialen und politischen Umbrüchen des frühen 20. Jahrhunderts gelitten - das Haus zu gross, wenig Einkünfte, zunehmende Nivellierung der Klassengesellschaft, Lebensmittelrationierung und Identitätskrisen erschüttern das Wohlgefühl der gentry. Neben Caroline und Roderick Ayres leben nur noch ihre Mutter und ein Dienstmädchen unter dem verfallenden, zugigen und erdrückendem Dach. Gelegentlich schaut eine Putzfrau vorbei - aber man sollte sich nichts vormachen: die glorreichen Jahre sind vorbei. Roderick leidet zudem unter seinen Kriegserfahrungen und -verletzungen, die von Faraday behandelt werden und ihn bald zu einem Bestandteil des Haushalts machen. Wer "Was vom Tage uebrig blieb" von Kazuo Ishiguro gelesen hat, kennt einige dieser Themen bereits. Doch in dem Haus geschehen unheimliche Dinge, die Rodericks Geist letztendlich zerstören und ihm eingeben, dass ein Geist umgehe. Unerklärliche Brände, Stimmen, Schatten und Unfälle bestimmen bald das Dasein aller und beeinflussen Lebensentscheidungen.
    Sarah Waters überrascht in jedem ihrer Romane mit aussergewöhnlichen Erzählstilen, Details und Plots. Sie ist so vielseitig, dass ich mich jedes mal wieder darauf freue, etwas Neues von ihr zu entdecken. Hier ging es mir ähnlich und ich dachte anfangs, dass es brilliant würde (stellte bereits gedankliche Vergleiche zu meinen heissgeliebten Barbara Vine und Kazuo Ishiguro an), doch dann verlor der Roman leider kurz nach der Mitte an Fahrt. Ich habe weitergelesen, weil ich schon so weit gekommen war, habe aber teilweise Seiten nur noch überflogen und war leicht enttäuscht. Im letzten Viertel greift sie jedoch nochmal tief in die Trickkiste und endet das Buch mit grossem Furore.
    Alles in allem hat es sich für mich wirklich gelohnt. Die Geistergeschichte, über die viele Briten in ihren Blogs schwärmen, liess mich ziemlich kalt und überzeugte mich nicht wirklich, aber vielleicht hat gerade der Impuls den beschriebenen Aberglauben zu widerlegen, mehr zum Denken angeregt als ohne den Spuk. Da ich schon zweimal auf Ishiguro Bezug genommen habe, hier ein letzter Vergleich: beide Romane sind leise, scheinbar oberflächlich und für manche sicher langweilig. Das wahre Geschehen besteht in den nur angedeuteten Details, die in der Imagination wachsen und Beklemmung, Einsamkeit, Zerrissenheit und Hoffnungslosigkeit heraufbeschwören.
    Caroline Ayres ist für mich eine genauso spannende Figur wie Kay in "Die Frauen von London". Stark, entschlossen, pragmatisch und doch weich, wenn sie die Chance dazu hat, sind diese beiden Frauenfiguren ganz nach meinem Geschmack. Faradays Rolle ist jedoch auch nicht zu unterschätzen und seine Ambiguität wesentlich komplizierter als anfänglich zu ahnen ist. Einerseits stolz auf seine Verbindung zur "Upper Class" möchte er sie doch am Boden sehen. Gleichzeitig träumt er davon, ihr anzugehoeren und stellt so einen überaus unzuverlässigen Erzähler dar. Toll jedoch für potentielle Leserunden zu diesem Buch, die hier in den UK ueberall stattfinden zu scheinen. Spannend dazu zu googlen...
    Definitiv ein Roman, der verschiedene Meinungen heraufbeschwört, aber mein Fazit muss sein: ein Roman, den man nach der Erstlektüre sofort erneut unter die Lupe nehmen möchte, um auf Spurensuche zu gehen.
    (Noch nicht auf deutsch erschienen oder angekündigt)
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