Tana French - Totengleich/ The Likeness

  • Klappentext (verändert):
    Als die junge Polizistin Cassie Maddox in ein verfallenes Cottage außerhalb von Dublin gerufen wird, schaut sie ins Gesicht des Todes wie in einen Spiegel: Die Ermordete gleicht ihr bis aufs Haar. Wer ist diese Frau? Wer hat sie niedergestochen? Und hätte eigentlich Cassie selbst sterben sollen? Die Tote wohnte mit vier anderen Studenten in einem abgelegenen Herrenhaus namens Whitethorn, wo sich die Freunde ein verschworenes Universum geschaffen haben, misstrauisch beäugt von den Dorfbewohnern. Keine Spuren und Hinweise sind zu finden, und bald bleibt nur eine Möglichkeit: Cassie Maddox muss in die Haut der Toten schlüpfen, um den Mörder zu finden. Ein ungeheuerliches Spiel beginnt.


    Über die Autorin:
    Tana French wurde in den USA geboren, wuchs in Irland, Italien und Malawi auf und lebt seit 1990 in Dublin. Sie machte eine Schauspielausbildung am Trinity College und arbeitet für Theater, Film und Fernsehen. Ihr erstes Buch "Grabesgrün" wurde mit dem Edgar Allan Poe Award für das beste Debut ausgezeichnet.


    Allgemeines:
    Originaltitel "The Likeness"
    26 Kapitel in 778 Seiten + Danksagung


    Inhalt:
    Cassie Maddox' ehemaliger Chef aus ihrer Undercover-Zeit, Frank Mackey, hat die Idee, sie in die Wohngemeinschaft zu schleusen, weil er glaubt, dort den Mörder des Mädchens zu finden. Gegen des Widerstand ihres Freundes Sam geht sie das Risiko ein. Ihre anfängliche Angst, von den Freunden enttarnt zu werden, verfliegt rasch, aber es geschieht, was keiner für möglich hält: Cassie verliert ihre professionelle Distanz und lässt sich von der Gruppe vereinnahmen.


    Eigene Meinung:
    Bisher bestätigten Krimiautoren wie Elizabeth George meine Ansicht, dass es unmöglich ist, in einem 700-800 Seiten dicken Krimi eine konstante Spannung zu halten. Dann kommt Tana French und beweist meinen Irrtum. Man muss allerdings die Art der Spannung mögen, die nicht aus Actionszenen oder dem Aufdecken verzwickter Spuren resultiert, sondern aus einem Geflecht von Beziehungen einzelner Charaktere - das auch die Erklärung für die extreme Dialoglastigkeit des Buches. Gelegentlich möchte man sowohl den Polizisten auf der einen, als auch den Hausbewohnern auf der anderen Seite zurufen: Kommt mal auf den Punkt! Welcher Leser will wirklich kurz bevor entscheidende Details zutage treten mit seitenlangen Theorien zum sozialen Miteinander unterhalten werden?
    Die endgültige Lösung ist einerseits höchst unglaubwürdig und beweist andererseits das unnötige Konstrukt des ganzen Falls: Ein paar harte Einzelverhören hätten Cassies Doppelgängerspiel überflüssig gemacht,


    Ähnlich wie im ersten Band "Grabesgrün":

    Der Knocknaree-Fall des ersten Bandes schwelt im Hintergrund, in Cassies Psyche, weiter, ebenso ihr ehemaliger Partner Rob; inhaltlich wird zwar nicht Bezug genommen (auch die offenen Fragen von Band 1 bleiben ungelöst), dennoch wäre vorheriges Lesen hilfreich.
    "Manchmal nachts, wenn ich allein schlafe, träume ich noch immer von Whitethorn House", beginnt das Buch. Derjenige, dem dieser Satz im Kopf "klingelt", ahnt eins der Endszenarien.


    Zuzugeben ist allerdings, dass mich keiner dieser Kritikpunkte, abgesehen von der erwähnten weitschweifigen Herumrederei während des Lesens gestört hat, im Gegenteil. Die Spannung packte mich und entließ mich erst mit der letzten Seite aus ihrer Fessel. (Für meine anschließende Lektüre durchforstete ich meinen SuB nach einem Buch, das weder Nerven noch Emotionen beanspruchen würde.)


    Fazit:
    Spannend - spannend - spannend, aber hyperkonstruiert und daher Abzüge in puncto Glaubwürdigkeit.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Danke für die Rezi!


    Ich habe das Buch verschlungen. Ich habe nicht Grabes Grün vorab gelesen.
    Fasziniert war ich, dass eigenlich nichts passiert, es ist also kein Grusel oder Schauer der einem über den Rücken läuft, sondern die Spannung wird allein dadurch gehalten, durch die Beziehungen der Hauptakteure untereinander. Ich war richtig mit bei der undercoverarbeit, als wäre ich einehiemliche Beobachterin des ganzen, d.h. die Autorin beschreibt sehr gut. Es ist einmal ein Spannungsbogen a) dass die Ermittlerin nicht auffliegt und b) wie im Lauf der Zeit diese feste Gemeinschaft bröckelt.


    Ich kann das Buch empfehlen!


    LG Ranke
    :study: Foul am Bosporus Celil Oker


    :flower: "Wenn Du einen Umweg gehst, findet Dein Leben trotzdem statt. Keine Zeit ist verloren!" Frank Schätzing `Der Schwarm´

  • Nachdem eine Ermittlung ein schlechtes Ende genommen hat, arbeitet Cassie Maddox nicht mehr bei der Mordkommission der Dubliner Polizei, sondern im Dezernat für häusliche Gewalt. Sie vermisst zwar ihren alten Job, hat sich aber so einigermaßen in ihrem neuen Aufgabengebiet eingelebt, als ihr Kollege Frank Mackey sie anruft und zu einem abgelegenen Cottage bestellt. Dort gab es einen grausigen Fund, die Leiche einer jungen Frau, die haargenauso aussieht wie Cassie, und Indizien, die nicht so recht zusammenpassen wollen.


    Lexie Madison hieß die Tote, soviel ist klar, und wohnte nicht weit vom Cottage in einem altehrwürdigen, wenn auch heruntergekommenen Herrenhaus, zusammen mit vier anderen Studenten, von denen einer das Haus von seinem Onkel geerbt hat.


    Frank hat die wahnwitzige Idee, Lexies Mitbewohnern weiszumachen, sie habe schwerverletzt überlebt, und Cassie als ihre Doppelgängerin in die Wohngemeinschaft von Whitethorn House einzuschleusen, um der mysteriösen Bluttat auf den Grund zu gehen.


    Cassie, die bereits Erfahrung mit Undercover-Ermittlungen hat, lässt sich nach anfänglichem Zögern auf das riskante Unterfangen ein und merkt sehr bald, dass das keine gewöhnliche WG ist, in die sie da hineingerät. Was die fünf verbindet, scheint wesentlich mehr zu sein als nur eine Zweckgemeinschaft.


    Eigentlich sind solche Doppelgänger-Verwechslungsspielchen ja immer eine blöde Idee, weil sich der "Hochstapler" früher oder später zwangsläufig verraten muss. Allerdings hat Cassie als ehemalige Undercoverpolizistin die besten Voraussetzungen, mit ihren Nachforschungen möglichst weit zu kommen, bis sie auffliegt, und Frank ist genau der Typ unkonventioneller Cop, der solch risikoreiche Experimente machen würde. Als sein Gegenpol fungiert Sam, der nicht nur Cassies Freund, sondern im Fall Lexie Madison auch Franks Ermittlungspartner ist und eher vorsichtig zu Werke geht. Von Cassies Einsatz als falsche Lexie ist er auch so gar nicht angetan.


    Die Art und Weise, wie die Bewohner von Whitethorn House zusammenleben und miteinander umgehen, ihre etwas weltfremde Art und ihre ungewöhnlich enge Bindung zueinander sind so faszinierend für Cassie, dass sie bald aufpassen muss, nicht zu vergessen, warum sie eigentlich hier ist. Dieses Hin- und Hergerissensein zwischen ihrem Ermittlungsauftrag und der sich entwickelnden Freundschaft zu den vier Studenten hat Tana French wirklich gut dargestellt. Ein bisschen haben mich die vier an "Die geheime Geschichte" erinnert.


    So richtig realistisch ist die Geschichte ja nicht, was mich normalerweise massiv stören würde, aber hier hat es für mich einfach gepasst - das alte Haus, an dem alle Bewohner so unglaublich hängen, die Bewohner des nahegelegen Dorfes, die die Studenten äußerst merkwürdig finden und feindselig behandeln, die liebevollen, detaillierten Schilderungen von Menschen und Orten, all das hat mich großzügig darüber hinwegsehen lassen.


    Lobend erwähnen möchte ich noch die ausgezeichnete Übersetzung. Gerade bei Krimis ja keine Selbstverständlichkeit.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

  • Mir hat das Buch wahnsinnig gut gefallen! Ich mag Tana Frenchs Erzählstil wirklich sehr gerne.
    Bei anderen Büchern hätten mich sicherlich auch einige sehr unwahrscheinliche Details gestört und ich hätte dem Autor Nachlässigkeit vorgeworfen. Bei der Spannung, die French versteht aufzubauen, kann ich das aber sehr gut akzeptieren.
    Sicherlich kann man diesen Band auch lesen, ohne Teil 1 zu kennen, aber einige Anspielungen entgehen einem dann schon.


    Ich habe das Buch Samstag angefangen, habe gestern gelesen, bis ich fast geschielt habe und konnte es heute kaum erwarten, das Buch nach der Arbeit zu beenden -obwohl es eines von denen ist, die eigentlich unendlich lang sein müssten, weil sie so toll sind :wink: Gestern Abend im Bett ging es mir anscheinend ähnlich wie @Ranke, beim Einschlafen ich hatte eher das Gefühl, mit den Freunden auf dem Boden vor dem Kamin zu liegen als im eigenen Bett :sleep: Ich konnte mich einfach nicht von der Geschichte trennen.
    Jetzt muss ich mal in mich gehen, ob ich den 3. Band auch noch hinterher lese oder zur Erholung erstmal etwas leichtere Kost lesen muss... :wink:

  • Eine Frau wird tot aufgefunden - und sie gleicht der Ermittlerin Cassie Maddox wie eine Zwillingsschwester. Obwohl Cassie nach ihrer Zeit im Morddezernat nun im Dezernat für Häusliche Gewalt tätig ist, wird sie in diesen Fall im wahrsten Sinne des Wortes hineingezogen. Und zwar so tief, wie sie es sich wohl nie hätte träumen lassen...
    Dieses Buch nur einen Krimi zu nennen, würde ihm einerseits ungerecht, zum Anderen wären passionierte KrimiliebhaberInnen eventuell von der Lektüre enttäuscht. Denn die Aufklärung eines Mordes ist nur ein Teil der Geschichte; mindestens ebensoviel Raum nimmt die Beziehung der FreundInnen der Getöteten untereinander ein, die auf eine besondere Weise einmalig war. Was für die meisten Menschen die Familie bedeutet, das waren sie sich als Freunde. Gemeinsam studierten sie an der selben Uni und lebten im selben Haus, gegenüber ihrer Umwelt waren sie eine verschworene Gemeinschaft. Cassie wird im Zuge der Ermittlungen unter besonderen Umständen Teil dieser Gemeinschaft und der Autorin gelingt es, diese intensive Zusammengehörigkeit so deutlich zu machen, dass ich beim Lesen Cassies Hin- und Hergerissensein zwischen Pflicht und dem Zauber dieser Verbundenheit voll und ganz nachvollziehen konnte. Ich konnte nicht anders als diese Gruppe zu beneiden und litt buchstäblich mit, als dieses Verbrechen einen Keil in diese Einheit trieb. Auch ist diese Geschichte nicht nur die Suche nach der Lösung eines Falles, sondern wirft auch Fragen auf wie: Sind Freunde das Wichtigste im Leben? Was macht das Leben schön? Die Autorin gibt keine Antworten darauf, aber es regt zum Nachdenken an. Mich zumindest ;-)
    Und nicht zuletzt sind diese 770 Seiten in einen wunderbaren Stil geschrieben, der mich beim Lesen manchmal weniger an einen Krimi denken ließ als an schöne, zum Teil sogar poetische Literatur. Wer glaubt, so etwas passe nicht zusammen: Einfach mal lesen!

    :study: Das Eis von Laline Paul

    :study: Der Zauberberg von Thomas Mann
    :musik: QUALITYLAND von Marc-Uwe Kling