J.K. Rowling: Ein Plötzlicher Todesfall / The Casual Vacancy

  • Ich habe in der Bibliothek spontan zu dem Buch gegriffen, vor allem wegen der Autorin. Auf Grund des Titels vermutete ich zunächst einen Krimi, was es ja aber definitiv nicht ist. Eher ein gesellschaftskritisches Drama, würde ich sagen. Am beeindruckendsten fand ich dann auch die Szenen, wo es um Armut, Ausgrenzung und Mobbing ging. Sehr gestört hat mich am Anfang das ständige Vorstellen neuer Charaktere inklusive Perspektivwechsel. Mit der Zeit hatte ich mich einigermaßen dran gewöhnt, musste aber doch bei manchen Personen immer wieder kurz innehalten, nach dem Motto: wer was das nun nochmal? Langweilig fand ich das Buch nicht, wenn es mir zum Schluss hin auch etwas arg dramatisch wurde. Insgesamt 3,5 Sterne mit Tendenz nach oben.

  • Bei diesem Buch gilt m.E. vor allem eine Maxime: Autorin ausblenden. Denn wer beginnt, dieses Werk mit Harry Potter zu vergleichen, hat im Grunde schon verloren. Hier ist nicht nur nichts magisch, die Figuren sind auch aus einer gewissen Distanz und mit schonungsloser Härte beschrieben. Das gesellschaftskritische Thema ist einerseits universell, insofern, als dass es sich nicht nur auf England anwenden lässt, andererseits wieder so speziell, dass ich das Buch niemandem, den die Handlung nicht auch ohne J. K. Rowling interessiert hätte, ans Herz legen würde.


    Nichts desto trotz hat sie es geschafft, einen durchaus packenden Roman über eine durchschnittliche Kleinstadt zu schreiben, in der jeder glaubt, er wär's und dennoch etwas zu verbergen hat, auf dass die Mitbürger ja nicht an der (scheinbar) makellosen Fassade zweifeln mögen. Mitunter greift sie für meinen Geschmack ein bisschen zu weit in die Klischeekiste, aber solange das Buch als Ganzes funktioniert, kann ich damit leben.
    Meines Erachtens benötigt der Roman allerdings eine relativ lange "Aufwärmphase". So viele verschiedene Charaktere einzuführen und dabei die Aufmerksamkeit des Lesers zu behalten können nur ganz wenige Autoren - Rowling zählt in meinen Augen nicht dazu. Als nach knapp 100 Seiten die Fäden beginnen, zusammen zu laufen, war das Problem für mich aber schnell vergessen und ich konnte das Buch nur noch schwerlich aus der Hand legen.
    Solide erarbeitete :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: wobei ich mich bei der häufigen Nutzung des Wortes "fuck" immer noch frage: "Ist das Kunst, oder kann das weg?" :wink: Will heißen: war es nun nötig, die Leute sehr frei heraus reden zu lassen, um die Realitätsnähe zu schaffen, oder wollte die Autorin damit nur möglichst weit weg vom Kinderbuch? Ich weiß es nicht.

  • Das Meiste wurde ja bereits gesagt zu dem Buch. Es ist ein dicker Schmöcker, mit fast zu vielen Protagonisten und deshalb stellenweise sehr langatmig. Was mich aber am Allermeisten störte, war die extrem derbe Sprache im Buch und der befremdliche Umgang mit den Kindern von gewissen Charakteren. Auch wenn die Autorin möglichst glaubwürdig schreiben wollte, weniger Derbheit in der Sprache hätte es auch getan um das Milieu zu schildern.

  • Ich finde auch, dass ich nicht mehr viel zum Inhalt sagen muss. :wink:
    Mein Eindruck des Buches war durchweg positiv. Natürlich ist es schwer an den Erfolg von Harry Potter anzuknüpfen. Aber etwas so ganz anderes wie "Ein plötzlicher Todesfall" hätte ich Frau Rowling ehrlich gesagt gar nicht zugetraut.
    Mit genauem Blick deckt sie die offenen und versteckten Mechanismen im Kleinstadtleben auf, wobei es in meinen Augen unrelavant ist, in welchem westlichen / europäischem Land es spielt. Dass sie England gewählt hat, liegt vermutlich daran, dass sie sich auf vertrautem Boden befindet, es hätte sicherlich auch genauso gut Deutschland, Italien, Spanien etc. sein können.
    Sie zeichnet gekonnt interessante Charaktere, die eben nicht nur schwarz und weiß symbolisieren, sondern allesamt eher Schattierungen von grau aufweisen. So gut wie niemand (weder Barry Fairbrother noch Shirley und Howard) ist nur gut oder böse, sondern jeder hat sicherlich gute und schlechte Seiten, vor allem aucgh je nachdem aus wessen Perspektive man sie beurteilt. Die Ausprägungen sind deutlich unterschiedlich, ja, aber auf diese Art entstehen vielschichtige und spannende Charaktere, die auf absolut dramatische, peinliche, geschickte und naive Weise miteinander interagieren.
    Rowlings Stil mag ich, sie besticht über weite Phasen des Buches durch treffende und stimmungsvolle Formulierungen, sie greift viele soziale Themen auf. Hier liegt, wenn überhaupt, mein einziger Kritikpunkt: Es kann sein, dass die Geschichte stellenweise überfrachtet ist - sie lässt wirklich kaum ein Thema von gesellschaftlicher Brisanz aus. Hier könnte man sagen, dass eventuell weniger mehr gewesen wäre. Mich persönlich hat es aber nicht weiter gestört, denn wie schon jemand vor mir sagte, sie schafft es, alle Fäden wieder aufzunehmen und zu einem schlüssigen Ende zu verknüpfen.
    Natürlich ist es ein Roman, und niemand würde erwarten, dass es in dieser Massivität alles in einer Kleinstadt vereint vorkommen würde. Aber das Buch hat mir sehr gut gefallen und mich darin bestärkt, auch fernab von Harry Potter weitere Werke von Rowling zu lesen. :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb: von mir. :thumleft:

    "Imagination, rather than mere intelligence, is the truly human quality."


    "Chaos is found in greatest abundance wherever order is being sought. It always defeats order, because it is better organized."

    Terry Pratchett

    "The person, be it gentleman or lady, who has not pleasure in a good novel, must be intolerably stupid."

    Jane Austen


    :study:

    Alex Haley - Roots

    Andrew Jefford - Whisky Island

    Randale Munroe - What if 2


    :bewertung1von5: 2024: 5 :bewertung1von5:

  • Der erste Satz:


    Barry Fairbrother wäre lieber Zuhause geblieben.


    Meine Meinung:

    Zu viel des "Guten"!


    England. Zwischen dem kleinen, beschaulichen Örtchen Pagford und der Nahe gelegenen Stadt
    Yarvil herrscht sozusagen Krieg. Die Pagforder hassen die Stadt und schimpfen darüber, was das
    Zeug hält. Aber auch die meisten Einwohner Pagfords selbst können einander nicht leiden.
    Es ist zum Beispiel so, dass "Probleme" zwischen verschiedenen Gemeindemitgliedern, durch
    den plötzlich verstorbenen und anscheinend bei den meisten beliebten und Barry Fairbrother,
    ans Tageslicht kommen. Aber nicht nur das, auch in den Familien selbst, zwischen Schülern und
    Schülern, zwischen Lehrern und Schülern und zwischen Eltern und Kindern fallen kaum gute,
    schöne Worte.
    Ganz im Gegenteil, es werden ständig Ausdrücke benutzt, dass einem das Gruseln kommt...


    Und das ist auch schon mein erster, großer Kritikpunkt: diese permanenten Schimpfereien sind
    mir teilweise schon so auf die Nerven gegangen, dass ich die Augen verdrehen wollte.
    Obszönitäten ohne Ende, aber ebenso Erotisches geben sich hier die Hand.
    Man könnte fast meinen, dass die Autorin all dem "Erwachsenenzeugs", das sie in den Harry
    Potter
    - Büchern nicht unterbringen konnte/durfte, nun hier extrem konzentriert einen Platz
    gegeben hat. Auf mich hat das Ganze den Eindruck gemacht, als würde jedes dritte Wort
    Schlampe oder Scheiße lauten. Und das war mir persönlich einfach zu viel des "Guten"...


    Und was ist noch erwähnenswert? Namen über Namen. Schon am Anfang bin ich von allerlei,
    teils recht exotischen, Namen regelrecht erschlagen worden, die es sich zu merken galt. Sie
    wurden zwar doch immer wieder wiederholt, damit man sie sich merken konnte, was ich auch
    getan habe, aber beim schnellen Lesen nicht durcheinander zu kommen, ist mir leider trotzdem
    nicht immer gelungen, was meine Lesefreunde zusätzlich etwas geschmälert hat.


    Die Geschichte selbst hat mich auch nicht besonders fesseln können, weil mich diese
    "Kriegszustände", irgendwann und irgendwie, schon angeödet haben.


    Ein in meinen Augen äußerst negatives Buch mit viel zu vielen Namen und unterschwellige
    Gehässigkeit. Auch vor Obszönem und Schimpfwörtern ist man nicht gefeit. (Das Buch ist
    definitiv NUR für Erwachsene geeignet!) Lediglich das tragische Ende war lesenswerter und
    konnte das Ruder wieder ein bisschen herumreißen, weshalb bei meiner Bewertung doch noch
    3 Sterne heraus gesprungen sind.

  • Die Verfilmung habe ich mir mit meiner Frau gestern abend gegönnt und wir waren überaus zufrieden damit.

    Mir hat sie auch sehr gut gefallen. Alles Wesentliche aus dem Buch war drin, und die Besetzung fand ich klasse. Die BBC macht schon gute Arbeit bei Literaturverfilmungen.

  • Was ist das Buch? Eine Kleinstadtstudie, wo durch den Tod eines geachteten und sozialen Gemeinderatsmitglieds die Konflikte und der unehrliche Umgang miteinander zu Tage treten? Oder eine Soap, in der eine Familie schlimmer und hintertriebener als die andere ist, dabei sich selbst für besser als die anderen hält und auf sie herunterblickt mit Personen, die für jeden Tag ein neues Problem(chen) konstruieren?


    Ich bin noch nicht ganz einig mit mir selbst in meiner Einschätzung. :scratch:
    Denn auf der einen Seite kenne ich den Kleinstadtmief mit seinem Klatsch und Tratsch, mit Fehden, deren Ursachen niemand kennt, die aber von Generation zu Generation weiter vererbt werden als wärs ein Stück vom Familienbesitz. Wo die Großväter noch mit Mistgabeln aufeinander losgegangen sind, loggen sich die Enkel bei Facebook ein. :|
    Auf der anderen Seite sind in dem Roman ALLE so, Erwachsene und Jugendliche. Mies drauf, neidisch, gewalttätig, dumm schwätzend, eingebildet, oberflächlich, hochnäsig, …, erträglich sind eigentlich nur die Kranken wie Pingel oder Terri. Wenn aber sämtliche die Handlung tragenden Personen in die unsympathische Ecke gestellt werden, fehlt eine Art Ausgleich, vor allem in Büchern mit diesem Umfang.


    Was mir schon an den Bänden der Cormoran-Krimireihe nicht gefiel und hier ebenso, ist Rowlings Erzähltempo. Außer einer stets gleichbleibenden gemächlichen Erzählweise scheint es für sie weder Schnelligkeit noch Verzögerung zu geben, auch wenn eine Passage Zeitraffung erfordern würde, um die Spannung voranzutreiben.


    Unterm Strich also kein Buch, dem ich applaudiere. Aber auch keins, das ich in die Tonne kloppen würde (um es mal wie Denis Scheck auszudrücken).

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Klappentext


    Als Barry Fairbrother plötzlich stirbt, sind die Einwohner von Pagford geschockt. Denn auf den ersten Blick ist die englische Kleinstadt mit ihrem hübschen Marktplatz und der alten Kirche ein verträumtes und friedliches Idyll, dem Aufregung fremd ist. Doch der Schein trügt. Hinter der malerischen Fassade liegt die Stadt im Krieg. Und dass Barrys Sitz im Gemeinderat nun frei wird, schafft den Nährboden für den größten Krieg, den die Stadt je erlebt hat.

    Wer wird als Sieger aus der Wahl hervorgehen – einer Wahl, die voller Leidenschaft, Doppelzüngigkeit und unerwarteter Offenbarungen steckt?


    Meine Meinung

    Jeder kennt den Namen der Autorin und verbindet damit natürlich die Harry Potter Reihe, von der ich ein riesengroßer Fan bin. Natürlich wollte ich, als der neue Roman rauskam, sofort loslegen und wissen, wie Joanne K. Rowling sich in einem völlig anderen Genre macht. Leider ein Genre, mit dem ich mich an sich wenig beschäftige, weshalb ich es damals auch nach wenigen Seiten recht schnell beiseite gelegt hatte.


    Endlich hatte jetzt aber ich Lust, es nochmal damit zu versuchen und ich bin schockiert! Begeistert und schockiert von der schonungslosen Offenheit und den genialen Charakterstudien, die hier brillant und ohne jede Scheu ans Licht gebracht wurden. Die dunkelsten Abgründe sämtlicher Schichten und Ebenen der Menschlichkeit treffen hier in einer Kleinstadt nahe London zusammen, wie es sie wahrscheinlich überall auf der Welt gibt. Leider!

    Wenn man mal Mäuschen spielen und hinter die Fassaden menschlicher Katastrophen blicken will, dann hat man hier die Gelegenheit dazu, denn wirklich nichts wird hier ausgelassen. Es geht um Frustration, Einsamkeit und Trauer, geplatzte Träume, Scham und Heuchelei, um erste Liebe, ersten Sex, Vorurteile, Ausgrenzung und Gesellschaftsschichten, die einfach keinen Weg zueinander finden.


    Der Tod von Barry Fairbrother hat in der Kleinstadt Pagford hat eine große Lücke hinterlassen, doch sie füllt sich nicht mit liebevoller Wehmut und verbindender Erinnerung; in den Vordergrund rückt hier der leere Platz, den er im Gemeinderat hinterlassen hat. Genau die Chance für seine Gegner, um das verhasste Ghetto der "Fields" endlich loszuwerden, genauso wie die Entzugsklinik, die einen ebenso großen Makel auf das idyllische Städtchen wirft.

    Dieser Rahmen alleine hat mich natürlich noch nicht so wirklich neugierig gemacht, aber die Familien, die alle hier mit drin hängen und die durch Barrys Ableben sozusagen in "Mitleidenschaft" gezogen werden, sind ein perfektes Abbild, ein Ausschnitt aus unserer Gesellschaft, wie er deutlicher kaum sein kann. Schamlos und offen zeigt die Autorin, was die Menschen tatsächlich denken, natürlich fast schon in einer Art Karikatur mag man meinen, einer Übertreibung, um die Wirkung hervorzuheben, aber solche Menschen gibt es tatsächlich!


    Es geht hier nämlich nicht nur um den Gemeinderat und die Wahl, die für einige nur Prestige und Ansehen bedeutet, es gibt auch die Kinder, die Jugendlichen, mit ihren eigenen Ängsten und Sorgen, Probleme mit Drogen und Mobbing, falsche Hoffnungen die immer wieder enttäuscht werden und die Hilflosigkeit und Ohnmacht, die viele zu unüberlegten Handlungen zwingen.


    Es sind viele kleine Steinchen, die der Tod von Barry Fairbrother ins Rollen bringt, und sie lösen eine wahrhafte Lawine aus, die von einer Tragödie zur nächsten führt.


    Erzählt wird aus immer wieder wechselnden Perspektiven und man kann ganz genau in die zerrütteten Gedanken der einzelnen Figuren schlüpfen - ich kam mir ständig vor wie ein Voyeur, der durchs Schlüsselloch schaut - und trotz der vielen Charaktere hatte ich einen perfekten Überblick über das perfide Zusammenspiel der Beziehungen aller Beteiligten, das in einer unerwarteten Katastrophe endet.


    Ich war dieses Mal von Anfang an in der Geschichte und man bekommt auch recht bald einen Überblick über die Personen, da jeder sehr gut und prägnant eingeführt wird. Die Entwicklungen nehmen rasant Form an und ich konnte das Buch tatsächlich kaum aus der Hand legen.

    Eine großartige Charakterstudie aus verschiedensten Schichten und verschiedensten Ebenen menschlicher Verderbtheit aber eben auch der vielen Hoffnungen und Träume, die jeder von uns in sich trägt. Die zum Teil auch amüsant war, aber eben auch bestürzend ehrlich. Wirklich großartig und mit viel Finesse aufgebaut, ineinander verstrickt und zu einem rundem Abschluss gebracht. Hat mir super gut gefallen!


    Fazit: 5 Sterne


    © Aleshanee

    Weltenwanderer

  • Ich hänge mal meine Meinung hier an, die ich mir bgzl. Hörbuch notiert hatte:


    Das Buch und die Charaktere sind detailliert ausgearbeitet, es gibt viele durchaus interessante Entwicklungen! Aber die Handlung ist zum Teil äußerst brutal. Auch muss man sich bei dieser "Milieustudie" auf viele frustrierende Momente einstellen.


    Ich glaube, dass ein gewisser abmildernder schwarzer Humor es (wohl wegen zu wenig Zeit vor der Veröffentlichung) nicht in die Übersetzung geschafft hat. (Ich hatte irgendwo einen Vergleich zwischen englischen Beschreibungen mit - von JKR bekannten - Anspielungen und Wortspielen und der langweiligen deutschen Übersetzung gesehen.)


    Aufgrund expliziter Schilderungen sexueller Gewalt definitiv nicht für Kinder und auch nicht für Jugendliche geeignet.


    Ich würde hier vom Hörbuch ABRATEN. Habe es selbst gehört und fand es schrecklich, vor brutalen Entwicklungen nicht rechtzeitig gewarnt zu sein bzw. sie nicht gezielt überspringen zu können (wie ja beim Überblättern zumindest möglich).