312 Seiten in 50 durchnummerierten Kapiteln mit Rezeptanhang, Literaturliste und Danksagung
erschienen im Diogenes-Verlag im Januar 2010
Inhalt (Klappentext):
Maravan, 33, tamilischer Asylbewerber, arbeitet als Hilfskraft in einem Zürcher Sternelokal, tief unter seinem Niveau. Denn Maravan ist ein begnadeter, leidenschaftlicher Koch. In Sri Lanka hatte ihn seine Großtante in die Kochkunst eingeweiht, nicht zuletzt in die Geheimnisse der aphrodisischen Küche.
Als er gefeuert wird, ermutigt ihn seine Kollegin Andrea zu einem Deal der besonderen Art: einem gemeinsamen Catering für Liebespaare. Anfangs kochen sie für Paare, die eine Sexualtherapeutin vermittelt. Doch der Erfolg von Love Food spricht sich herum, und eine viel zahlungskräftigere Klientel bekundet Interesse: Männer aus Politik und Wirtschaft - und deren Grauzonen. Maravan hat Sorge, das Geschäft könne "unanständig" werden. Und das wird es.
Doch er benötigt das Geld dringend, um seine Familie in Sri Lanka am Leben zu erhalten.
Maravan hat in seiner Heimat von seiner Großtante Nangay, die ihn als Kind an ihrem Arbeitsplatz als Köchin hütete, kochen gelernt. Inzwischen hat er ihre Rezepte perfektioniert durch molekulare Techniken und stellt die verwegensten Kreationen her. Obwohl er schon einige Jahre in der Schweiz lebt und glänzend Deutsch spricht, hängt er an den Gebräuchen und der Religion seiner Heimat. Solange er sein Love Food für verheiratete Paare kocht, ist er im Einklang mit seiner Tätigkeit, nicht aber als er von Männern für Schäferstündchen mit deren Geliebten geordert wird. Dazu kommen sein Status als arbeitsloser Asylbewerber und seine Landsleute, die Spenden für eine tamilische Befreiungsbewegung erpressen.
Das erste Drittel des Buches verspricht eine lebendige, originelle, leicht lesbare Geschichte; besonders gelungen: Die Darstellung des Essens, das Maravan für Andrea zubereitet, des ersten Probelaufs seines Love Foods. Auch wenn man den Geschmack vieler exotischer Zutaten nicht kennt, so ist allein schon die Vostellung des Mundgefühls ein sinnliches Vergnügen, wenn die Zähne eine knusprige Hülle aufbeißen und sich anschließend eine cremige Masse über die Zunge ergießt, wenn Süßes und Scharfes sich zu einer einzigartigen Komposition vereinen, wenn Gewürzkombinationen auf den Geschmacksknospen explodieren und ... und ...(Während dieser Passage lief ich dreimal zum Kühlschrank, aber ein kaltes Wiener Würstchen, eine Handvoll Oliven und eine Rippe Schokolade waren ein unbefriedigender Ersatz für Maravans Tafel. )
Auf dem Hintergrund zweier politischer Geschehen baut der Autor seine Handlung weiter aus: Die Finanzkrise, die an den Grundfesten der Schweizer Geldwirtschaft sägt - Stichwort Bankgeheimnis, und dem niedergeknüppelten Aufstand tamilischer Rebellen um die Freiheit in Sri Lanka. Normalerweise begrüße ich die Verankerung einer fiktiven Geschichte in einer gesellschaftlichen oder politischen Realität, aber er hat ein literarisches Gesetz außer Acht gelassen: Ein Toter macht betroffen, Tausende von Toten sind eine Zahl. Bei allem Respekt für Suters Engagement für Sri Lanka: Dem Spannungsbogen des Romans schadet es. Zumal sich die entsprechenden Passagen wie Zeitungsartikel lesen.
Was für mich auch nicht nachvollziehbar ist: Dass es die molekulare Technik ist, mit der Maravan die heimatlichen Rezepte verbessert. Die molekulare Küche wurde v.a. in Spanien entwickelt, wo Suter lebt. Ob es ein Treffer ist, das Konzept auf einen traditionsverbundenen Tamilen zu übertragen, sei dahingestellt.
Die angehängten Rezepte, auf deren Studium ich mich während des Lesens freute, schrecken mich ab."Alle Zutaten bei 55° C ca. 1 Stunde rotationsverdampfen" (S. 294) oder "Mit einem semisphärischen Löffel (HÄÄÄ??? ) aus der Würzmasse ... Kugeln formen." (S. 300)
"Der Koch" ist insgesamt ein schönes, lesenswertes Buch, das leider in der zweiten Hälfte die Eindringlichkeit und Dichte der ersten vermissen lässt.