Ich fand den Krimi spannend und habe ihn gern gelesen. Hundertprozentig begeistert bin ich aber auch nicht. Mich stört die große Unterschiedlichkeit der beiden Teile. Es ist fast so, als hätte man zwei verschiedene Bücher vor sich. Der erste Teil bildet eigentlich nur die Vorgeschichte zu der in der Toscana spielenden Haupthandlung, ist aber meiner Meinung nach erheblich gelungener und dem Thema angemessener als der zweite Teil. Thiesler beschreibt die schrecklichen Vorgänge realistisch, aber behutsam. Sie geht nicht unnötig ins Detail und macht vor allem den Leser nicht zum Voyeur, sondern zum Mitleidenden. Man fühlt die wachsende Panik und würgende Angst der Eltern, die schließlich in hoffnungslose, mit Schuldgefühlen gemischte Gewissheit münden, man kann sich die Qualen der Kinder und ihr Gefühl von abgrundtiefer Verlassenheit vorstellen, als sie begreifen müssen, dass Eltern doch nicht allmächtig sind und sie diesmal nicht beschützen können.
Der zweite Teil erinnert an die Filme, wie sie am Wochenende oft in der ARD oder im ZDF laufen, „Ferien in der Toscana“ oder so ähnlich. Man merkt, dass die Autorin Drehbuchschreiberin ist. Idyllische Landschaft, auf malerische Weise primitive Häuser, Chianti, Pecorino und Oliven, auch eine Liebesromanze darf nicht fehlen. Die Geschichte um die Kindermorde liefert hier eher den stimmungsvollen Suspense-Touch, der Roman verliert an Seriosität, zumal reichlich viele Zufälle und Ungereimtheiten vorkommen. Den Schluss finde ich ärgerlich und bin genau wie Marie der Meinung, dass
der Tod des Jungen unnötig ist, denn er ist nichts anderes als reine Effekthascherei, die die Autorin im ersten Teil so klug vermieden hat. Um die Toscana – Geschichte mit einem Paukenschlag abzuschließen, inszeniert sie schnell noch einmal einen Mord, und das auch noch schlecht: viel zu konstruiert, unglaubwürdig und überhastet. Hier mordet nicht der fiktive Mörder Enrico, sondern die Autorin selbst.
Trotzdem: Wegen des starken ersten und des zugegebenermaßen sehr unterhaltsamen zweiten Teils gebe ich eine 2 minus.
Gruß mofre