Joseph Roth - Radetzkymarsch


  • Buchkrümel, ich sinne noch über das nach, was Du „kalt“ nennst. Meinst Du vielleicht, dass die resignative Stimmung des Romans Dir persönlich trostlos vorkommt? Dass Du diese Schicksalsergebenheit, diesen mangelnden Willen, nach vorne zu sehen, dieses Nachtrauern einer versunkenen Welt beklemmend findest? Denn dann könnte ich Dich in gewisser Weise verstehen. Allerdings erzeugt die sensible Sprache Roths, die melancholische, schwebende Stimmung des Romans (mit „warmherzig“ hat das nichts zu tun) in mir eher den Eindruck von verhangener, sanfter Trauer als von Trostlosigkeit. Wie Dr.Watson oben schon sagte, ist vieles aus der Vita und der labilen, an sich selbst zweifelnden Persönlichkeit Joseph Roths zu erklären. Er war schon ein Utopist, aber ein rückwärtsgewandter. Er zeichnete die Monarchie nicht wie sie tatsächlich war, sondern wie sie sein sollte, als einen idealisierten, mythisch-überhöhten Ort sozusagen. Für die Sache der Monarchisten setzte er sich konkret erst dann ein, als das Dritte Reich sich abzuzeichnen begann.


    Liebe Mofre,
    mittlerweile habe ich wirklich den Eindruck, dass du meine Rezi gar nicht gelesen hast.

  • @ Buchkrümel, gelesen schon, aber offenbar nicht begriffen. Bin wohl etwas schwer von kape!smile39.gif Aber sei's drum!Klassiker haben es heutzutage nicht leicht, Leser zu finden, und eine kontrovers geführte Diskussion weckt vielleicht wieder das Interesse an ihnen (Karthause und Marie haben wir ja schon im Sack).


    Gruß mofre

    :study: Zsuzsa Bánk - Die hellen Tage

    :study: Claire Keegan - Liebe im hohen Gras. Erzählungen

    :study: David Abulafia - Das Mittelmeer
















  • Eine kontrovers geführte Diskussion reizt mich immer sehr, ein Buch zu lesen. Also, ich warte auf weitere interssante Diskussionen. Allerdings glaube ich, Buchkrümel und mofre sind gar nich so weit mit ihrer Meinung auseinander, auch wenn es auf den ersten Blick so scheint. Buchkrümel bewertete "Radetzkymarsch" mit 4 Sternen und mofre mit 5 Sternen. Da liegen sicher keine Welten dazwischen, sondern nur persönliche Ansichten resultierend aus der Wirkung des Buches auf die Leser. Ich bin wirklich schon gespannt. Ein gutes Buch scheint es allemal zu sein.

  • (Karthause und Marie haben wir ja schon im Sack).


    Mich auch! :lol:
    Ich habe bisher noch kein Buch von Roth gelesen, aber ich schleiche schon seid einiger Zeit drumherum. Allerdings besteht mein SUB im Moment zum größten Teil aus Klassikern, von denen ich erst einige "weglesen" möchte. :wink:

  • Wow - ein Buch, an dem sich die Geister so scheiden, muss ich auch lesen!!!


    *schnell auf die Wunschliste schreib*

    Das Missliche an neuen Büchern ist, dass sie uns hindern, die alten zu lesen.
    J.Joubert


  • Mich auch! :lol:
    :wink:


    Mich übrigens auch! Habe das Buch zwar während meiner Schulzeit schon mal gelesen, leider ist die Erinnerung etwas verblasst. Ich weiß nur, dass es mir damals sehr gut gefallen hat und ich gleich im Anschluss daran die Fortsetzung " Die Kapuzinergruft" gelesen habe.

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
    Wenn das Schlachten vorbei ist - T.C. Boyle


    *Life is what happens to you while you are busy making other plans* (Henry Miller)

  • (Karthause und Marie haben wir ja schon im Sack).


    Mich auch :lol:


    Ich überlege schon, ob ich es mal in die nächste KLR-Abstimmung mit hinein nehme?. Das dürfte ja tolle Diskussionen geben. :D

    Narkose durch Bücher - Das Richtige ist: das intensive Buch.
    Das Buch, dessen Autor dem Leser sofort ein Lasso um den Hals wirft, ihn zerrt, zerrt und nicht mehr losläßt.


    :study: Sarah J. Mass - Throne of Glass / Die Erwählte :study:

  • „Radetzkymarsch“ habe ich als ein ganz wunderbares Buch empfunden. Joseph Roth ist ein wahrer Künstler des Wortes. Seine Beschreibungen haben mich tief beeindruckt. Er kann mit einfachen Worten eine Atmosphäre schaffen, die für den Leser spürbar und erlebbar wird. Ich habe lange kein Werk ähnlicher Brillanz gelesen. Die Charaktere sind hervorragend gezeichnet, die Handlungen dieser dazu stimmig. Joseph Roth vermag aber auch hintergründige Ironie, die stellenweise schon ins Satirische überging, gekonnt und bewusst einzusetzen.


    Die Protagonisten symbolisieren mit ihrem Stand in der Gesellschaft die Säulen der k.u.k. Monarchie. Der Großvater, Held von Solferino, steht für das noch „gesunde“ Militär, die funktionierende Stütze der Gesellschaft. Franz von Trotta als Bezirkshauptmann verkörpert das Beamtentum, er ist ein treuer Diener des Staates. Der weichliche Carl Joseph von Trotta fühlt sich in seiner Rolle bei der Armee nicht wohl. Er sehnt sich zurück zu den Wurzeln der Familie und repräsentiert so den Untergang des Systems. Roth zeichnet Bilder mit Symbolcharakter in dieses Buch, am meisten beeindruckten mich die Krähen als Prophetenvögel und die Stimmung am Vorabend des I. Weltkrieges. Und durch die ganz gesamte Handlung zieht sich unaufdringlich der Radetzkymarsch.


    Auffällig war auch, dass es in diesem Buch kaum Frauen gab, die in die Handlung eingriffen. Das empfand ich jedoch nicht als Mangel, sondern als direkte Folge der doch recht militärlastigen Handlung.


    Mein Fazit: „Radetzkymarsch“ ist ein äußerst gelungenes Werk, das den Niedergang der k.u.k. Monarchie auf sehr einprägsame Weise beschreibt. In meiner persönlichen Bestenliste wird es ganz weit oben einen Platz finden. „Kapuzinergruft“ werde ich in kürze lesen. Die Erwartungen daran sind entsprechend hoch.

  • Ich fand das Buch auch ganz großartig, beim Lesen fühlte ich mich direkt - soweit ich das beurteilen kann - um 100 Jahre zurückversetzt. Die auftretenden Personen verkörpern jeweils die politischen und gesellschaftlichen Strömungen der Zeit und machen das Buch für mich zu einem sehr anschaulichen Zeitdokument. Einzig die Person des Kaisers empfand ich persönlich ein wenig überzeichnet, etwas zu nostalgisch-verherrlichend. Zudem konnte ich auch feinen, subtilen Humor herauslesen.


    Auffällig war auch, dass es in diesem Buch kaum Frauen gab, die in die Handlung eingriffen. Das empfand ich jedoch nicht als Mangel, sondern als direkte Folge der doch recht militärlastigen Handlung.


    Das kann ich nicht ganz so stehen lassen. Frauen spielen durchaus eine sehr bedeutende Rolle und beeinflussen sie vor allem die Person des Carl Joseph von Trotta.

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
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    2 Mal editiert, zuletzt von Rosalita ()

  • Rosalita


    Ich meinte die Anzahl, nicht, dass es keine Frauen gab, die für die Protagonisten von Bedeutung waren. Die wenigen Frauen, die jeweils kurzzeitig in die Handlung einbezogen waren, hatten schon eine erhebliche Wirkung auf das Sein der Helden, insbesondere des Carl Joseph. Da gebe ich dir uneingeschränkt Recht.

  • Ich gebe Dir dahingehend Recht, dass auf das Leben und Los der Frauen allgemein in dieser Zeit nicht eingegangen wird, während das Dasein der Männer sehr ausführlich beschrieben wird (Militärlaufbahn, Beamtenlaufbahn, einfacher Bauer, etc.). Die drei erwähnten Frauen sind sicher nicht repräsentativ.

    Herzliche Grüße
    Rosalita


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  • Hallo Karthause,
    vielen Dank für deine einfühlsame und treffende Besprechung eines meiner liebsten Bücher.
    Genauso eingenommen von Joseph Roth war ich beim Lesen von Hotel Savoy.


    herzlichst: Alixe

    [i][color=#000066][font='Verdana, Helvetica, sans-serif']Der Umgang mit Büchern bringt die Leute um den Verstand. [size=8](Erasmus von Rotterdam)

  • Lange hat es gedauert, aber nun habe ich den Radetzkymarsch gelesen. Und ich bin absolut begeistert!
    Mir kam der Schreibstil einerseits sehr nüchtern und irgendwie militärisch vor, andererseits aber auch tragisch, melancholisch. "Man" ist sehr wichtig, das kleine Wörtchen kommt sehr oft vor - immer muss man daran denken, wie man dieses oder jenes handhaben muss:

    Zitat

    Es ist sehr angenehm, daß man nur einen Brief zu schreiben hat. Man ist keineswegs mutig, denkt der Leutnant zu gleicher Zeit. Fühlte man nicht ständig im Nacken den dunklen, rätselhaften Blick des Großvaters, wer weiß, wie jämmerlich man durch dieses schwere Leben torkeln müßte. Mutig wurde man nur, wenn man an den Helden von Solferino dachte. Immer mußte man beim Großvater einkehren, um sich ein bißchen zu stärken. (S.145)

    Mein Fazit: „Radetzkymarsch“ ist ein äußerst gelungenes Werk, das den Niedergang der k.u.k. Monarchie auf sehr einprägsame Weise beschreibt. In meiner persönlichen Bestenliste wird es ganz weit oben einen Platz finden. „Kapuzinergruft“ werde ich in kürze lesen. Die Erwartungen daran sind entsprechend hoch.

    Dem Fazit möchte ich mich anschließen. Ein Buch, das ich bestimmt irgendwann noch einmal lesen möchte. :thumleft:
    Ich habe nun meinen Kindle mit allen möglichen weiteren Büchern von Joseph Roth aufgefüllt - mal gucken, welches ich mir da dann spontan herauspicke.

  • HIER: http://www.zweitausendeins.de/joseph-roth-werke.html gabe es einen unglaublich günstigen Sammelband der Romane und Erzählungen von Joseph Roth. Im Moment ausverkauft, doch ich hoffe mal, dass das wieder reinkommt?!

  • Es gibt Bücher, die viel zu lange auf dem SuB warten, um gelesen zu werden und wenn sie dann auch noch in zweiter Reihe stehen, haben sie es besonders schwer in Erinnerung gerufen zu werden. Und ehrlicherweise hatte mich das Thema auch nicht so angesprochen. Hatte ich dann doch befürchtet, dass es in dem Buch sehr militärisch zugehen würde und bei dem Stichwort "Aufstieg und Untergang einer Familie" dachte ich fast schon an einen Aufguss der von mir so geliebten Buddenbrocks von Thomas Mann. Aber von wegen! Klar geht es hier auch um Militär, spielt es ja im entsprechenden Umfeld. Aber hier bekomme ich etwas ganz anderes. Carl Joseph von Trotta ist im Grunde nicht mehr Fisch und nicht Fleisch und profitiert noch sehr von der Heldentat seines Großvaters. Aber sich wirklich mit dem ganzen zu identifizieren, dazu langt es bei ihm nicht mehr.
    Beim 365-Tage-Thread habe ich dieses Buch erwähnt und @mofre hat mich ganz zu Recht darauf hingewiesen, es unbedingt vom SuB zu befreien. (Danke noch mal dafür :friends: ) Das habe ich getan und stehe nun vor dem Problem für ein wundervolles Buch entsprechende Worte zu finden, die dem Buch und meine Begeisterung über das gelesene gerecht wird.


    Über den Inhalt wurde schon geschrieben. Deshalb noch mein recht kurzer Leseeindruck:


    Selten hat man Bücher in der Hand bei denen man nichts zu meckern hat. Und das hier war eines davon. Es war ein wundervolles, warmherziges, wehmütiges und melancholisches Buch. Joseph Roth schreibt so fein, so genau und so poetisch. Er versteht sich darauf die unterschiedlichen Stimmungen wiederzugeben, die am Ende einer Ära und am Neuanfang stehen. Die Probleme in Worte zu fassen, die zwischen dem Gestern und dem Morgen stehen. Und gleichzeitig war es eine wunderbare Beschreibung vom Ende der Donaumonarchie.


    Der "Radetzkymarsch" gehört nun zu meinen Lieblingsbüchern und es gilt noch einiges mehr von dem Autor zu entdecken. Allerdings besitze ich nur noch "Hiob" in einer leserfreundliche Ausgabe. Ansonsten muss ich zur Zweitausendeins Ausgabe greifen, die viel zu kleine Buchstaben hat :wuetend: Gebundene Gesamtausgaben scheinen auch nicht mehr erhältlich zu sein. Was ich bei diesem Autor echt nicht verstehen kann. Gebraucht sind die Werkausgaben zZt nur noch zu horrenden Preisen erhältlich. Vielleicht ändert sich das ja noch. Es wäre wünschenswert.

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  • Beim 365-Tage-Thread habe ich dieses Buch erwähnt und @mofre hat mich ganz zu Recht darauf hingewiesen, es unbedingt vom SuB zu befreien. (Danke noch mal dafür )

    Schön, dass meine missionarische Tätigkeit hier im Forum ab und zu Früchte trägt (selten genug). :wink: Ich freue mich jedenfalls, dass Dir der Roman gefallen hat, ich habe aber auch nichts anderes erwartet.

    Selten hat man Bücher in der Hand bei denen man nichts zu meckern hat

    Ja, hier bleibe selbst ich stumm. :lol:

    Es war ein wundervolles, warmherziges, wehmütiges und melancholisches Buch. Joseph Roth schreibt so fein, so genau und so poetisch. Er versteht sich darauf die unterschiedlichen Stimmungen wiederzugeben, die am Ende einer Ära und am Neuanfang stehen. Die Probleme in Worte zu fassen, die zwischen dem Gestern und dem Morgen stehen. Und gleichzeitig war es eine wunderbare Beschreibung vom Ende der Donaumonarchie.

    Mein Reden: Ein Roman wird erst durch seine Sprache, durch die präzise, sensible Wiedergabe von Beobachtungen und Stimmungen zu einem wirklich guten Buch.

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  • Ich frage mich dafür gerade, ob wir das gleiche Buch gelesen haben. Denn mit dem Radetzkymarsch hatte ich stellenweise so meine liebe Not. Deshalb habe ich mich bisher auch noch nicht an die Kapuzinergruft gewagt. Andererseits mochte ich z.B. das Hotel Savoy sehr gerne. Mal sehen, vielleicht überrede ich mich eines Tages noch :wink:

  • @CKStreet weißt du noch was dir nicht gefallen hatte bzw. was du anders gelesen hast? Das würde mich interessieren. Ich habe mitterweile mal in die Kapuzinergruft reingeschnuppert und habe sie noch etwas zurückgestellt. Mir kam das Buch so ganz anders vor. Allerdings nach drei Seiten oder so überfliegen, ist das jetzt nicht gerade aussagekräftig :wink: Bei meiner Gesamtausgabe kommt "Hotel Savoy" als nächstes dran. Mal sehen wann ich zum lesen kommen werde.

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  • Den Radetzkymarsch habe ich leider in der Bücherei nicht gefunden. Dabei würde ich so gern mitreden. Bisher kenne ich von Roth nur "Hiob". Aber zwei andere liegen noch auf dem SuB. Z. B. das hier. Das andere ist "Tarabas" in mikroskopisch kleiner Schrift.


    Besitzt noch jemand "Die Geschichte von der 1002. Nacht"? Wäre das Buch nicht eine Minileserunde wert?

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)