George Simenon - Der Mann, der den Zügen nachsah / L’homme qui regardait passer les trains

  • 1938 ist dieser Roman das erste Mal erschienen und beschreibt die Geschichte eines einfachen Mannes, der nach eine einschneidenden Veränderung in seinem Leben mit allen gesellschaftlichen Konventionen bricht und sich außerhalb der Gesellschaft wiederfindet - wo es ihm gar nicht so schlecht gefällt.
    1938 war der Begriff "Psychopath" noch nicht geläufig, aber genau dies ist es, was Simenon mit großer Akribie hier von innen beschreibt. Überaus lesenswert.

  • Ich habe mittlerweile eigentlich keine Ahnung mehr warum, aber Krimis von George Simenon fand ich einfach schrecklich. Wie gesagt - ich habe seit Ewigkeiten nichts mehr von ihm gelesen und weiß nicht mehr, durch welches Buch/welche Bücher ich zu diesem vernichtendem Urteil gelangte.


    grüße von missmarple

  • Ich habe von George Simenon nur die ganzen alten Filme gesehen und die haben mir immer sehr gut gefallen.

    Liebe Grüße
    Helga :winken:


    :study: [b]???


    Lesen ist ernten, was andere gesät haben (unbekannt)

  • Miss Marple


    Ich glaube, das Besondere an seinen Geschichten ist, dass hier anscheinend "normale" Menschen immer wieder in anormales Verhalten überwechseln und dabei überaus grausam vorgehen und immer wieder Rechtfertigungen vor sich selbst finden. Bei seinen Geschichten kann man schnell den Glauben an das Gute im Menschen verlieren.

  • Ich habe gestern begonnen, dieses Buch zu lesen, und bisher gefällt es mir recht gut. Zwar ist der Stil äußerst gewöhnungsbedürftig, aber ich finde es immer interessant, wenn ein/e Autor/in etwas aus der Reihe tanzt.


    Was ich allerdings nicht verstehe, ist, warum sich die beiden Eheleute siezen. Das wird 1938, als das Buch erschien, doch wohl nicht mehr üblich gewesen sein? K.-G. Beck-Ewe, hast du eine Ahnung? Oder sonst jemand? :?: :scratch:


    Lg
    Susannah

  • Zitat

    Original von Susannah
    Ich habe gestern begonnen, dieses Buch zu lesen, und bisher gefällt es mir recht gut. Zwar ist der Stil äußerst gewöhnungsbedürftig, aber ich finde es immer interessant, wenn ein/e Autor/in etwas aus der Reihe tanzt.


    Was ich allerdings nicht verstehe, ist, warum sich die beiden Eheleute siezen. Das wird 1938, als das Buch erschien, doch wohl nicht mehr üblich gewesen sein? K.-G. Beck-Ewe, hast du eine Ahnung? Oder sonst jemand? :?: :scratch:


    Lg
    Susannah


    Das habe ioch in enem Forum gefunden: n Frankreich gab es vor nicht allzulanger Zeit sogar Ehepaare, die sich nach 50 Jahren Ehe noch siezten. Mänchmal könnte das komisch wirken: "Jaa, machen Sie weiter! Das machen Sie gut! :mrgreen:

  • Tatsächlich war das gegenseitige Siezen - je nach Präferenz - sogar in den 60er Jahren unter Eheleuten auch in Deutschland noch stellenweise üblich - etwas, was wir uns heute kaum noch vorstellen können. Es wurde damit oft versucht, einen weitergehenden Respekt vor der Person des Ehepartners zu unterstreichen.

  • Ui, vielen Dank! Das hätte ich allerdings wirklich nicht gedacht. Das Siezen unter Ehepartnern hätte ich wohl im 19. oder spätestens im sehr frühen 20. Jahrhundert vermutet. Wahrscheinlicher wäre es mir noch vorgekommen, wenn die Kinder die Eltern gesiezt hätten, die jedoch sagen "du".


    Wie auch immer - ich glaube ohnehin nicht, dass zwischen Herrn und Frau Popinga noch besonders reger Gedankenaustausch stattfinden wird. :mrgreen:


    Lg
    Susannah

  • Zitat

    Original von Susannah
    Wie auch immer - ich glaube ohnehin nicht, dass zwischen Herrn und Frau Popinga noch besonders reger Gedankenaustausch stattfinden wird.


    Vor ca. zehn Jahren hatte ich eine Simenon-Phase, in der ich eine Anzahl Bücher von ihm hintereinander weggelesen habe. Mir ist damals aufgefallen, dass er sehr oft kinderlose Ehepaare darstellt oder Paare, deren Kinder schon aus dem Haus sind, und zwischen denen das Schweigen regiert.


    (Haben sich nicht auch Kommissar und Madame Maigret gesiezt? Zumindest in den älteren Übersetzungen?)


    Marie

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Zitat

    Original von Marie
    [
    Vor ca. zehn Jahren hatte ich eine Simenon-Phase, in der ich eine Anzahl Bücher von ihm hintereinander weggelesen habe. Mir ist damals aufgefallen, dass er sehr oft kinderlose Ehepaare darstellt oder Paare, deren Kinder schon aus dem Haus sind, und zwischen denen das Schweigen regiert.


    (Haben sich nicht auch Kommissar und Madame Maigret gesiezt? Zumindest in den älteren Übersetzungen?)


    Marie


    Da gibt es auch einen tollen Film "Die Katze" nach einer Romanvorlage von Simenon, mir Jean Gabin und Simon Signoret, als alterndes Ehepaar, die sich nichts mehr zu sagen haben

  • Ein genialer Film. Kein Krimi, sondern eine bitterböse und gleichzeitig ans Herz gehende Beziehungsgeschichte.


    Jean Gabin gilt ja auch als der beste Maigret-Darsteller (wenn mir auch Bruno Cremer mindestens ebenso gut gefallen hat).


    Marie

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  • Ich bin mit "Der Mann, der den Zügen nachsah" fertig, und es hat mich wirklich sehr beeindruckt. Die Entwicklung, die Popinga durchmacht, der Verlauf der Geschichte und vor allem die Art, in der sie erzählt wird, ist wirklich außergewöhnlich und regt zum Nachdenken an. Ich werde mir wohl schnellstmöglich weitere Bücher von Georges Simenon zulegen.


    Könnt ihr mir eines besonders empfehlen?


    Lg
    Susannah

  • @ Susannah, schwer zu sagen, denn Simenon hat ca. 400 Romane geschrieben.


    Magst Du gerne Krimis? Dann würde ich es mit "Die Phantome des Hutmachers" versuchen (das übrigens von Claude Chabrol verfilmt wurde) - kein klassischer Krimi mit spannender Tätersuche; es geht eher um den psychologischen Hintergrund.


    Oder "Die grünen Fensterläden": Ein Art Lebensresümee einer alternden Schauspielers.


    Oder "Die Komplizen": Ein Mann verursacht einen Unfall und begeht Fahrerflucht. Gelingt es ihm, den Unfall zu vertuschen, zumal seine Geliebte auf dem Beifahrersitz saß?


    Ich habe jetzt eine Zeitlang herumgesucht, um Romane zu finden, die mir selbst gefallen haben, aber es ist schwierig, weil viele seiner Bücher vergriffen sind und nur noch gebraucht zu bekommen.
    http://de.wikipedia.org/wiki/Georges_Simenon hat eine Aufstellung.


    Marie

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  • Zitat

    Original von Marie
    @ Susannah, schwer zu sagen, denn Simenon hat ca. 400 Romane geschrieben.


    :shock: Tatsächlich? Ich habe bei meinem Buchversand gesucht, dort gibt es 160 Treffer. Deshalb dachte ich, ich frage hier, weil eine Auswahl für mich praktisch unmöglich ist.


    Zitat

    Original von Marie
    Magst Du gerne Krimis?


    Ja sehr. Ich werde deine Tipps mal näher betrachten. Vielen Dank für die Antwort!!


    Lg
    Susannah

  • Jean Gabin gilt ja auch als der beste Maigret-Darsteller (wenn mir auch Bruno Cremer mindestens ebenso gut gefallen hat).

    Da stimme ich Dir absolut zu – umso entsetzter bin ich vom aktuellen Maigretdarsteller Rowan Atkinson. Nicht nur, weil ich bei seinem Anblick ständig an Mr. Bean denken muss, er entspricht auch gar nicht den Beschreibungen aus den Büchern.

    Könnt ihr mir eines besonders empfehlen?

    Hallo @Susannah, ich habe gerade in Dein Regal geschaut und mit Bedauern festgestellt, dass Du scheinbar nur noch den ersten Maigretband gelesen hast – Maigret und Pietr, der Lette – tatsächlich eines der schwächsten Bücher von Simenon überhaupt. Falls Du noch interessiert bist, dann empfehle ich Dir „Die Verlobung des Monsieur Hire“.

    Ich habe jetzt eine Zeitlang herumgesucht, um Romane zu finden, die mir selbst gefallen haben, aber es ist schwierig, weil viele seiner Bücher vergriffen sind und nur noch gebraucht zu bekommen.

    Mittlerweile sind recht viele Romane bei Diogenes neu erschienen. Leider wurden im Zuge einer Neuübersetzung häufig auch die Titel geändert, sodass tatsächlich einige Romane unter 2-3 verschiedenen Titeln im Umlauf sind. Ziemlich ärgerlich, wenn man scheinbar auf ein „neues“ Buch stösst, um dann festzustellen, dass man es bereits unter einem anderen Namen kennt.


    „Der Mann, der den Zügen nachsah“ ist für mich ein hervorragender, typischer Simenon-Roman. Kees Popinga, bislang ein biederer, gutbürgerlicher Angestellter, der im Alltag seines Kleinbürgertums bestenfalls verträumt den Zügen nachsah, bricht aus und versucht, endlich etwas Abenteuer in sein Leben zu bringen. Er geniesst das Pariser Rotlichtmilieu, klaut hemmungslos einen Wagen und möchte als reicher Lebemann anerkannt werden. Dumm nur, wenn man darüber lacht und ihm nicht das gibt, was ihm vermeintlich zusteht… Das allmähliche Scheitern seiner Träume, sein Wunsch, sein Verhalten den Zeitungen erklären zu müssen, das endgültige Aufgeben, „seine Wahrheit“ auf Papier zu bringen – das fand ich alles sehr stimmig und mitfühlend beschrieben. Falls man noch nichts von Simenon gelesen hat, dann bietet sich dieser Roman als guter Einstieg an.


    Der Originaltitel lautet übrigens «L’homme qui regardait passer les trains» und erschien erstmals 1938

  • Falls Du noch interessiert bist, dann empfehle ich Dir „Die Verlobung des Monsieur Hire“.

    Ja doch. Simenon reizt mich eigentlich schon immer wieder. "Die Verlobung" wandert mal auf meine Wunschliste. Danke für den Tipp!

  • Zitat von Nungesser

    Da stimme ich Dir absolut zu – umso entsetzter bin ich vom aktuellen Maigretdarsteller Rowan Atkinson. Nicht nur, weil ich bei seinem Anblick ständig an Mr. Bean denken muss, er entspricht auch gar nicht den Beschreibungen aus den Büchern.

    Da bin ich anderer Meinung. Sicher ist Jean Gabin der herausragende Darsteller von Maigret, obwohl auch Jean Richard (übrigens auch im Komödischen Fach tätig) hat diese Figur sehr geprägt. Jedoch mir gefällt Rowan Atkinson sehr gut, er schafft wirklich gut, weg von seiner "Etikette des Humorvollen Schauspielers" in eloquenter Manier in die Rolle des ernsthaften, grüblerischen Maigriet zu schlüpfen. Ich sehe ihn gerne. Aber wie immer ist das ein subjektives Empfinden eines jeden einzelnen :wink:
    Die Zeit wie ich diese Krimi las ist übrigens schon sehr lange her, das war wie mein Vater diese las und ich als junges Mädchen dann ebenfalls.

    Gebt gerne das, was ihr gerne hättet: Höflichkeit, Freundlichkeit, Respekt. Wenn das alle tun würden, hätten wir alle zusammen ein bedeutend besseres Miteinander.

    Horst Lichter