Beiträge von drawe

    Kapitel 14


    Mendel ist fertig mit Gott. Teilweise habe ich ja lachen müssen: da geht er ins italienische Viertel und isst Schweinefleisch, "um Gott zu ärgern". Also glaubt er immer noch, dass Gott ihn im Blick hat?

    Sein Unfromm-Sein schmerzt ihn allerdings, und er merkt, dass Gott sein Verhalten egal ist: ob er fromm war wie früher oder rebellisch wie jetzt, Gott ist es wurscht.


    Seine Nachbarn sehen in ihm eine Art Gottesbeweis: sie haben Mitleid, das auch, aber sie bewundern ihn auch als Auserkorenen für die Grausamkeit Gottes.

    Wahrscheinlich sind sie froh, dass der Zorn Gottes Mendel getroffen hat und nicht sie selber, nach dem Spruch: Heiliger St. Florian, verschon mein Haus, zünd's andere an!


    Mendel ist allerdings sehr tätig, er verdient sich etwas als eine Art Tagelöhner, aber Menuchim ist allgegenwärtig.

    Aber er bleibt einsam. Seine dunkle Stube wird umfunktioniert als Betsaal - wieso gingen die Junden nicht so gerne in die Synagoge? - , alle sind weiß gekleidet - und nur Mendel steht da "schwarz und stumm" wie eine Säule aus Basalt. Roth nutzt hier wieder den starken Schwarz-Weiß-Gegensatz. Er sondert sich ab von der Gemeinschaft der Betenden und verharrt in seinem Trotz.

    Roth vergleich ihn mit einem "alten abseitigen Haus", und kurz davon bezeichnet er ihn als "baufällig". Merkwürdige Vergleiche aus dem Bauwesen, aber sie treffen.


    Nur die Musik ist es, die ihn berührt. Er singt fremde Kinder mit Menuchims Kinderlied in den Schlaf, die Sehnsucht nach Menuchim scheint ihn aufzuzehren. Die Musik ist es dann auch, die sein verhärtetes Inneres etwas aufbricht und die auch wieder soziale Kontakte zu den Nachbarn herstellt. Und das Lied heißt tatsächlich "Menuchims Lied".

    Dieses Lied begleitet ihn nun ständig, und in der "blauen und silbernen Melodie" hört er das Wimmern seines zurückgelassenen Kindes.


    Wie Roth immer wieder die Sehnsucht des Vaters nach seinem kranken Kind beschreibt, das finde ich bemerkenswert. Niemals rutscht er ab ins Gefühlsduselige, ins Triviale, und trotzdem geht mir als Leser der Schmerz des Vaters an die Seele.

    Sein Verhalten bestimmt doch die Art des Kontaktes, er könnte dem Kind auch ein liebender Großvater sein.

    Also ich persönlich mache mich ja zum Affen für unsere Enkelliebchen. Sie sind mein Lebensrabatt, und ich würde sie niemals im Stich lassen.


    Deswegen habe ich über Deine und terry s Haltung nachgedacht. Wenn ich Mendels Haltung anders sehe, hat das nichts mit meiner persönlichen Auffassung zu tun; das vorweg.


    Ich sehe Mendel nicht als Menschen aus Fleisch und Blut, sondern als Typus, einfach und eindeutig geschnitzt, daher hölzern. Wie ein Typus in einer Legende. Und wie zum Beispiel in einer Fabel die jeweiligen Tiere immer nur für eine einzige menschliche Eigenart stehen und niemals die ganze Bandbreite abdecken, so kommt mir eben auch Mendel vor.


    Er ist für mich ein einfacher Mensch, der der Tradition und der Schriftgläubigkeit verhaftet ist und der nun erleben muss, dass der Glaube an die Buchstaben seine Grenzen hat und Gott etwas anderes ist als ein Buchhalter oder Verwalter.


    Und bei allem, was über dieses Thema hinausgeht, greift die Deutung nicht mehr, finde ich. Wie bei einer Fabel oder einer Legende eben auch. Und deswegen kann ich ihn nicht an meinem persönlichen Verständnis von Großvaterliebe messen.

    Ich denke, ich werde dieses Wochenende Hiob beenden, ich will jetzt endlich wissen wie es ausgeht.

    :thumleft:

    Mirjam hat wohl eine Form der Schizophrenie (Hebephrenie), die schon in jungem Alter beginnt.

    Ich habe - allerdings nur bei wikipedia - nachgelesen:

    Zitat

    Die hebephrene Schizophrenie führt zu einer Verarmung der Gemütserregungen (Affekte) und einer verminderten Fähigkeit, emotional zu interagieren.

    ... und mich erinnert, dass ich ihr in einem der ersten Kapitel einen Mangel an Empathie bescheinigt habe. Das würde ja passen!


    Ich werde ja auch nicht gleich alles hier posten.

    Von mir aus kannst Du das gerne machen. Ich würde das Buch gerne abschließen.


    Er ist starrsinnig und auch trotzig finde ich.

    Ja, finde ich auch. Wenn er vorher so brav und demutsvoll war, ist er jetzt wütend und trotzig. Glauben tut er trotzdem.

    Ich kenne den biblischen Hiob nicht wirklich, aber war der auch so passiv-leidend? Ich denke nicht, wenn er ein reicher Mann war, der Erfolg hatte.

    Ich habe das AT immer neben mir liegen, um nachzuschauen. Nein, Job (so heißt er in meiner Ausgabe) war reich: "7000 Schafe, 3000 Kamele, 500 Joch Rinder, 500 Eselinnen". Die Zahlen sagen natürlich wenig aus, außer eben, dass er reich war ("übertraf... alle Bewohner des Ostens"), und die Fallhöhe wird natürlich größer, wenn so gewaltige Zahlen angegeben werden.

    Jedenfalls kommt dieser ganze Besitz nicht vom Psalmensingen. Job war sicherlich tätig.


    Aber auch Mendel ist tätig, wenn er den Schülern die Thora-Sprüche vorsagt. Er ist - seiner Meinung nach - von Gott an diesen Platz gestellt worden und füllt ihn aus, so gut er kann.

    finde ich es sehr egoistisch, dass er seinem Enkel den einzigen Großvater nimmt, den dieser noch hatte.

    Hm. Das sehe ich etwas anders. Mendel sieht die junge Vega und das kleine Kind, und er will, dass Vega heiratet und ein neues und ihr eigenes Leben anfängt. Sie soll die schrecklichen Dinge ihrer Schwiegerfamilie hinter sich lassen, diese Erlebnisse sollen keine Last für sie sein. Sie soll sich ganz neu orientieren - und damit auch dem Kind die Chance geben, ohne die traumatisierenden Ereignisse der Vater-Familie aufzuwachsen.

    Ich finde nicht, dass er seinen Enkel verstößt, und ich finde auch nicht, dass er egoistisch handelt.

    Mendel will mit seinem Leid alleine sein und niemanden sonst hineinziehen.

    Der Kreis war auch bei alten

    Völkern wie z.b. den Kelten ein heiliges Symbol.

    Ja, das stimmt. Baumkreise, Steinkreise und so fort. Mir fällt dazu die Schlange ein, die sich zum Kreis ringelt und auch als Symbol der Erneuerung und Endlosigkeit aufgefasst wird, auch wegen der Häutung.


    Oder nimmt er hier die Religion als Metapher für die aufkommende Herrschaft der Nationalsozialisten?

    Du bist gedanklich noch bei Werfel, vermute ich! Was ja auch nicht ganz abwegig ist. "Hiob" erschien 1930, das würde durchaus passen.

    Da muss ich mal drüber nachdenken und vor allem das Ende des Romans abwarten. Ich habe ja noch meinen Glauben an das gute Ende und die Erlösung durch den wundersam geheilten Menuchim.

    Der "uneingeschränkte U-Boot-Krieg" hatte natürlich seine Ursachen, durch die Seeblockade starben Hunderttausende - es macht mich daher neugierig, wie die Zeitgeschichte in diesem Buch erscheint.

    Dieses leicht Schnulzige verzeihe ich den Autoren gerne,

    Ich auch, die Italiener haben gelegentlich einen Hang zum Pathos .

    Danke für Deine Besprechung!

    Es gab ja schon vor dem Attentat auf den Zaren Eine feindselige Einstellung gegenüber Juden in Rußland und er ist damit aufgewachsen.

    Ja genau so habe ich das auch verstanden.


    Zu Kapitel 13

    So bekommt Endlosigkeit ein Bild und der Brauch, runde Dinge zu bringen, gefällt mir irgendwie.

    Ich habe von diesem Brauch noch nie gehört, aber er gefällt mir auch. Der Kreis als Bild des Kreislauf des Lebens. Vielleicht hat dieser Brauch einen biblischen Grund?

    Das 7-tägige Beieinandersitzen ist sicher sehr tröstlich für die Angehörigen. Sie erleben die Anteilnahme ihrer Religionsgemeinschaft, ihrer Nachbarn. Das tut gut.


    Ist es erblich? Folge jahrhundertelanger Inzucht innerhalb der kleinen orthodoxen Gemeinden? Oder eine Folge des Kriegs und der Ungewissheit des Lebens? Ich tendiere zur ersten Ursache, denn Mirjam ist viel zu geerdet um sich vor Ungewissheiten zu fürchten.

    Die Ärzte wissen es auch nicht, sie sprechen von degenerativer Psychose. Das wäre eine Bestätigung für Deine Ansicht.

    Auf der anderen Seite: sie hat ihren Mac, und kaum ist der im Krieg, verbandelt sie sich mit dem Herrn Glück. Dieses Mal ist nomen aber leider nicht omen, das Doppelleben bringt ihr kein Glück. Der Tod des Bruders und vor allem der Tod der geliebten Mutter - das kann einen schon aus der Spur werfen.

    Mendel erklärt es sich auf seine Art: der Teufel ist in sie gefahren.


    Das Verrückte ist ja, dass die Ärzte ratlos sind und Mendel den Rat geben, Gott um Hilfe zu bitten. Ausgerechnet! Das ist der Gipfel der Ironie.

    gibt er nun Vega: den Schubs in die Welt, in die Arme eines guten Mannes gleich welcher Religion, damit sie ihr Leben lebt und nicht in Trauer versinkt.

    Mendel nimmt eine erstaunliche Entwicklung. Alles Passive fällt von ihm ab. Sehr klarsichtig sieht er seine Zukunft und macht auch den Weg frei für Vegas Zukunft: er will keine Last für sie sein. Er verschafft damit nicht nur Vega, sondern auch sich Freiheit.

    Und jetzt muss er "nur noch eine Beziehung... kündigen. Er machte sich an die Arbeit."

    sehnt er sich zunächst zurück in die vertraute Welt Russlands,

    Auf einmal ist nun Russland das Land des Glücks...


    Er schreit seinen Zorn hinaus und seine Wut auf den einen Gott, der nur straft - und nur die Schwachen straft, wie Mendel feststellt.

    ... und er will alles verbrennen, was mit seiner Religion zusammenhängt: damit hätte er die Beziehung zu Gott gekündigt. Eine Art Höllenfeuer will er veranstalten - aber er macht es doch nicht. Er bleibt noch an Gottes Seite.

    Zitat

    "Mendel hat den Tod, Mendel hat dem Wahnsinn, Mendel hat den Hunger, alle Gaben Gottes hat Mendel. Aus, aus, aus ist es mit Mendel Singer."

    Ein toller Satz.

    Das ist nun quasi sein neuer Psalm.


    Die Freunde: wie im AT sind es vier Freunde, die kommen und trösten wollen.

    Der eine sagt, dass alles einen verborgenen Sinn habe, den der Menschen aber nicht erkennen kann. Der Zweite sagt, dass das alles eine Prüfung Gottes sei. Der Dritte erinnert ihn daran, was für ein gutes Leben er gehabt habe. Und der Vierte (oder wer war es?) meint, das alles sei eine Strafe Gottes. Jedenfalls ist es der Letzte, der auf die Wunderkaft Gottes verweist: das ist die Gnade. Mendel müsse also dankbar sein und dürfe die Hoffnung nicht aufgeben. Sein Streit mit Gott sei unangemessen, weil er nicht Gottes Wohltaten einfodern könne, nur weil er immer "gerecht" war, also sich an die Gebote gehalten habe.


    Mendel widerspricht: Gott sei grausam, und der Teufel sei weniger grausam.


    Klappentext:

    s. o.

    Mein Lese-Eindruck:

    Jirka kehrt heim. Nach 5 Jahren im Internat kehrt Georg, genannt Jirka, in einem drückend heißen Sommer zurück auf das Gut seiner Eltern, um dort zu bleiben. Alles hat sich verändert. Das Gut ist heruntergekommen, die harte und lieblose Großmutter ist dement, der Vater abwesend, die ältere Schwester Malene unfreundlich und wortkarg. Leander, der Sohn des letzten Verwalters, hält zusammen mit Malene den Hof mehr schlecht als recht am Laufen. Die Rückkehr in die Kindheit ist für Jirka also alles andere als die Heimkehr des verlorenen Sohnes, die mit einem Fest gefeiert wurde.


    Es ist Jirkas Sicht, die dem Leser die Familiengeschichte näherbringt. Langsam und in vielen Zeitsprüngen entsteht im Leser das Bild von Jirkas Kindheit: vom frühen Tod der psychisch kranken Mutter, vom gewalttätigen Vater, von der harten und lieblosen Großmutter, aber auch vom Miteinander mit der Schwester und der Freundschaft zu Leander, mit dem ihm tröstliche Erlebnisse verbinden. Einige der Zeitebenen gehen nahtlos ineinander über, und einige Rückblenden stellen sich assoziativ bei Jirka ein. Manche Ereignisse werden nur angedeutet wie Schlaglichter, die in der Erinnerung Jirkas aufblitzen. Die Vergangenheiten der Personen, vor allem die des Vaters, vermischen sich mit der Gegenwart, oft gibt es keine festen Grenzen, die Zeiten vermischen sich und verwischen. Die Autorin hätte es ihrem Leser durchaus etwas leichter machen können, ohne in Geschwätzigkeit zu verfallen! Stück für Stück entsteht das Bild einer generationsbedingten traumatischen Kindheit, in der das Kind Jirka nur beim Verwalter und dessen Sohn Leander menschliche Wärme, Schutz und Geborgenheit erfuhr.


    Besonders klar sind die Figuren gestaltet. Die Autorin stellt ihrem Roman das bekannte Zitat Immanuel Kants über das krumme Holz des Menschen voran, und genau so sind ihre Personen: krummes Holz. Keine Figur ist eindeutig gut oder böse, keine lässt sich in eine Schablone pressen, alle sind sie lebensechte gemischte Charaktere.


    Der Roman ist auf der Gegenwarts-Ebene ausgesprochen handlungsarm, aber trotzdem von großer erzählerischer Dichte. Auf das einem Krimi entlehnte Ende hätte ich allerdings gerne verzichtet. Die Beschreibungen der sommerlichen Hitze sind plastisch, ebenso die ausführlichen Beschreibungen des Hausinneren, wenn der Leser mit Jirka zusammen die altbekannten Räume und die Veränderungen erkundet. Die junge Autorin zeigt ein enormes sprachliches Geschick. Ihr gelingen eindringlich schöne und poetische Sprachbilder, z. B. wenn sie die Depression der Mutter als „schwarzer Strom, der sie ins Tal spülte“ beschreibt. Gelegentlich übertreibt sie allerdings mit der Freude am Bild, wenn sie z. B. Jirka seine Jugend als „das verwachsene Unterholz aus Wut und Einsamkeit, aus dem mein Vater seine arthrosesteifen Finger häkelt“ resümieren lässt.


    Insgesamt ein erfreuliches Debut, das neugierig macht auf Kommendes!


    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:



    Mein Lese-Eindruck:


    Der Plot ist schnell erzählt: der Vater stirbt, die Familie streitet sich ums Erbe, und alte Konflikte und Verletzungen werden wieder lebendig. Eine bekannte Situation.


    Der Roman besteht aus einem einzigen Gedankenstrom, der verschiedene Zeitebenen und Lebensphasen in den Blick nimmt und der gelegentlich mit Reflexionen von psychologischer Fachliteratur unterfüttert wird. Als Leser sitzt man quasi im Kopf der Protagonistin und muss ihre ewig kreiselnden Gedanken aushalten, so wie sie selbst eben auch und auch ihre Kinder, ihre Freunde und Lebenspartner. Dieser Gedankenstrom wirkt auf den ersten Blick unstrukturiert, ist es aber nicht. Ganz im Gegenteil: sehr kunstvoll kreiselt sich die Erzählerin zu dem eigentlichen Thema hin, sie verdichtet die Anzeichen und stellt das üble Geschehen in der Mitte des Romans wie in einem Showdown vor.


    Dieser Blick in einer verstörte (gestörte?) Seele ist nicht leicht auszuhalten, und die Erzählerin erschwert ihn zusätzlich durch ständige, teilweise wortwörtliche Wiederholungen, durch ständigen Aufgriff bereits gesagter Inhalte, durch identische Motive und durch Rückgriffe auf Bekanntes. Diese Art zu erzählen macht das Lesen schwer; eine straffere und weniger wortreiche Erzählweise hätte der Aussage des Buches gutgetan.


    Die Erzählerin nimmt auch in immer kleinen Facetten die anderen Familienmitglieder in den Blick und zeigt auf, was ihr Vorwurf mit ihnen macht. Hier zeichnet sie sehr subtil die Zerstörung einer Familie nach. Im Fadenkreuz steht insbesondere die Mutter. Die Mutter ist wirtschaftlich vom Vater abhängig, und ihren Sozialstatus leitet sie ebenfalls von ihrem Mann ab. Sie stellt aus eigener Kraft nichts dar. Daher kämpft sie mit teilweise merkwürdigen Mitteln um Geltung. Sehr schön stellt die Autorin heraus, wie die Mutter ihre Schwäche zur Waffe macht und sich damit immer wieder in den Mittelpunkt schiebt. Zugleich ist die Mutter bestrebt, das öffentliche Ansehen der Familie zu wahren. Der äußere Schein ist ihr jede Lebenslüge wert und erklärt den Verrat an der Tochter. Auch die Geschwister werden in diese Lebenslüge verstrickt und werden zur Parteinahme gezwungen.


    Das grundlegende Problem besteht darin, dass das gesamte Geschehen aus Bergljots Sicht erzählt wird und der Leser den Wahrheitsgehalt nicht überprüfen kann. Was stimmt? Was wird imaginiert, ohne deswegen weniger leidvoll zu sein? Bergljot ist, bei allem Mitleid für ihr Leiden, keine sympathische Protagonistin. Es gelingt ihr im Laufe eines langen Familien- und Berufslebens nicht, ihre Verletzungen zu heilen. Immer wieder heizt sie den Konflikt mit ihren Geschwistern und ihrer Mutter aufs Neue an, ohne ihn einer Lösung zuführen zu wollen. Der Eindruck entsteht, dass sie in ihrem Leid verharren will.


    Und so entsteht Seite für Seite das Bild einer Familie, in der das öffentliche Ansehen und die harmonische Fassade wichtiger sind als die Probleme einzelner Familienmitglieder, die als Störfaktoren kurzerhand und dauerhaft unter den Teppich gekehrt werden.


    Eine nicht einfache, aber lohnende Lektüre!


    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertungHalb:

    In Sams Augen vermutlich nicht.

    Wir wissen es nicht. Eines aber kann ich mir gut vorstellen: dass er nicht gerne unter den Psalmengesängen seines Vaters gestorben wäre. Oder - wie man es nimmt: vielleicht wäre er dann schneller gestorben :shock: ? In dieser merkwürdigen Familie möchte ich persönlich weder tot noch lebendig sein.

    Sam war aber nicht unter Fremden, er war angekommen und zu Hause in Amerika

    Ja, das schon. Dennoch ist er in der Fremde gestorben und auch unter Fremden - nach Mendels Ansicht. Seine Soldaten-Kameraden ersetzen ihm nicht den Familienkreis.


    Es ist doch so, dass die Familie und die Ehe eigentlich nicht mehr existieren in dem Sinne, dass sie zusammenwohnen und zusammenhalten. Das Auseinanderdriften begann schon in Wolhynien, aber jetzt wird es ganz deutlich. Mendel sagt selber: Amerika ist tödlich.

    Zu Kapitel 12

    klagt ihn Mendel bereits an?

    Ja, ich finde schon. Auch wenn ich die Textstelle nicht mehr finde: er fragte sich schon in Wolhynien, womit er das verdient hat. In Kapitel 13 kommt dann die "Kündigung".

    So ganz glücklich empfinde ich Deborah nicht. Mir scheint es eher eine Art Ablenkung von den Gedanken und Schuldgefühlen an Menuchim, Ablenkung von Mendel, etc.

    Sehe ich auch so. Eine Art Aktionismus.


    Der Schmerz oder die Sorge um den verschollenen Sohn und Sam im Krieg eint Deborah und Mendel leider nicht. Sie bleiben jeder für sich isoliert. Sie verstehen sich nicht, die Kommunikation funktioniert nicht (mehr): "Das verstehst du nicht, Mendel." Mendel versteht das sehr wohl, aber auf einer anderen Ebene.

    Mendel macht sich Vorwürfe: er hätte Sam zum Hierbleiben überreden sollen.


    Wieder der Schwarz-Weiß-Kontrast (Schnee - schwarze Kleidung der Juden), das zieht sich durch.


    Die Nachricht von Sams Tod hat mir erzählerisch sehr gut gefallen. Wieder nur aus Mendels Sicht, wie ein deja-vu-Erlebnis, er hört die Nachricht wie durch Watte.

    Niemand scheint Anteil zu nehmen an Deborahs Tod.

    Eine merkwürdige Szene: "Mirjam steht dem Vater gegenüber." Auch Vater und Tochter finden nicht zusammen in dieser Situation.

    Und trotz Sams und Deborahs Tod denkt Mendel an Menuchim und dessen Tod: alleine und unter Fremden, so wie Sam, wie Jonas, wie Deborah und schließlich auch er.

    Er hätte es vielleicht schaffen können aus der Armut zu kommen, wenn er sich eine andere Arbeit gesucht hätte. Die nicht streng orthodox lebenden Juden haben auch handwerkliche Berufe ausgeübt(je nach gerade geltenden Gesetzen für Juden

    Ich habe das anders verstanden. Seine Krise bezieht sich nicht auf wirtschaftliche Dinge, sondern auf religiöse. Er hadert also nicht mit dem Beruf, den er von seinem Vater übernommen hat, sondern mit seinem Glauben und seiner Treue zu Gott.

    Er erkennt, dass Psalmensingen alleine den Menschen nicht vor Unglück schützt, aber er weiß nicht, was er hätte anders machen sollen.

    Zu den Berufen der Juden (betrifft nur Russland bzw. Wolhynien bzw. die spätere Ukraine; ich hatte nachgeschlagen) hatte ich oben schon etwas geschrieben. Im Zuge der Reformen Anfang des 19. Jhdts bekamen sie auch Land zugewiesen, sie wurden "kolonisiert".

    Mendel scheint es trotz seines antiquierten Frauenbildes nicht zu stören. War es für die orthodoxen Juden okay, wenn die Frauen in dieser Form arbeiteten?

    Da habe ich lachen müssen. Die Männer sind weg, also können die Frauen übernehmen, und siehe da, sie machen es recht gut. "Sie waren tüchtig". Ob Mendel seine Misogynie ändert?

    Welche Rolle spielte der erste Direktor Herr Glück? Welche Rolle hatte er im Geschäft, wenn die beiden Frauen es leiteten?

    Welche Rolle er gegenüber den beiden jungen Damen einnahm, fasst Mendel ja kurz in seinen Gedanken zusammen: "ein neuer Kosak"

    Die Frauen sind auch sonst recht lebenstüchtig - wie sie sich den Herrn Glück teilen :) . Ich weiß aber nicht, ob sie das einvernehmlich machen.

    Herr Glück wird die Vertretung nach außen übernehmen, vermute ich.

    hab ich das überlesen? Stand die Frage je tatsächlich im Raum? Also stand er ihnen aktiv im Weg?

    Das habe ich nicht ganz verstanden und habe es mir so erklärt, dass er sein Einverständnis geben müsste wegen dieser Misch-Ehe. Aber die beiden haben ihn nicht gefragt, wenn ich mich richtig erinnere. Das hätten sie tun können.

    Er ist der gnädige, der barmherzige.

    Genau. Er wird überhöht und kommt mir vor wie der Messias, der Rettung und Heilung bringen soll.

    Diese Verknüpfung? Fühlt er sich schuldig, weil er einmal gefühlt "sorgenfrei" war?

    Das ist möglich, soweit habe ich gar nicht gedacht... Du meinst, dass er der Auffassung ist, dass er das nicht verdient habe, ein sorgenfreies Leben?

    Ich habe es einfach als Lauf des Lebens aufgefasst: das eine kommt, das andere geht.