John Williams - Stoner

  • Kurzbeschreibung zur deutschen Ausgabe (Quelle: amazon)
    Stoner‹ ist einer der großen vergessenen Romane der amerikanischen Literatur. John Williams erzählt das Leben eines Mannes, der, als Sohn armer Farmer geboren, schließlich seine Leidenschaft für Literatur entdeckt und Professor wird – es ist die Geschichte eines genügsamen Lebens, das wenig Spuren hinterließ. Ein Roman über die Freundschaft, die Ehe, ein Campus-Roman, ein Gesellschaftsroman, schließlich ein Roman über die Arbeit. Über die harte, erbarmungslose Arbeit auf den Farmen; über die Arbeit, die einem eine zerstörerische Ehe aufbürdet, über die Mühe, in einem vergifteten Haushalt mit geduldiger Einfühlung eine Tochter großzuziehen und an der Universität oft teilnahmslosen Studenten die Literatur nahebringen zu wollen. ›Stoner‹ ist kein Liebesroman, aber doch und vor allem ein Roman über die Liebe: über die Liebe zur Poesie, zur Literatur, und auch über die romantische Liebe. Es ist ein Roman darüber, was es heißt, ein Mensch zu sein.


    Autor (Quelle: amazon)
    John Williams wurde 1922 in Texas geboren. Trotz seiner Begabung brach er sein Studium ab. Widerstrebend beteiligte er sich an den Kriegsvorbereitungen der Amerikaner und wurde Mitglied des Army Air Corps. Während dieser Zeit entstand die Erstfassung seines ersten Romans, der später von einem kleinen Verlag publiziert wurde. Williams erlangte an der University of Denver seinen Master. 1954 kehrte er als Dozent an diese Universität zurück und lehrte dort bis zu seiner Emeritierung 1985. Er veröffentlichte zwei Gedichtbände und vier Romane, von denen einer mit dem National Book Award ausgezeichnet wurde. John Williams starb 1994 in Fayetteville, Arkansas.


    Allgemeines
    Englische Ausgabe: erschienen am5.Juli 2012 (Vintage Classics) , TB 288 Seiten
    Deutsche Ausgabe: erschienen am 1.September 2013 (DTV Verlag), HC 352 Seiten
    Vorwort (englische Ausgabe) von John Mc Gahern, 17 Kapitel
    Erzählung in der dritten Person aus Stoners Perspektive


    Zum Inhalt
    Der Roman schildert das wenig spektakuläre Leben der Titelfigur William Stoner (1901 - 1956). Als Sohn einfacher Farmer geboren und dazu bestimmt, die Farm seiner Eltern zu bewirtschaften, ermöglichen ihm seine Eltern einen landwirtschaftlichen Studiengang an der University of Columbia. Gegen Mithilfe auf der in der Nähe der Universität gelegenen Farm seines Onkels erhält Stoner während seiner Studienzeit Kost und Logis.
    In einer der obligatorischen Literaturvorlesungen bei Archer Sloane hat Stoner ein Schlüsselerlebnis, er erkennt, dass sein Studiengang nicht seinen innersten Wünschen entspricht und sattelt auf Literaturgeschichte um , um selbst Dozent für Literatur zu werden. Seine Eltern nehmen seine Entscheidung gelassen hin. Zunächst gelingt es Stoner nicht, seine eigene Begeisterung für sein Fach den Studenten zu vermitteln, er ist irgendwie gehemmt. Seine Schüchternheit und Unbeholfenheit treten auch im Privatleben zutage. Er verliebt sich in Edith Bostwick, die oberflächliche Tochter eines Bankiers, die seine Gefühle offensichtlich nicht erwidert, ihn aber trotzdem heiratet. Warum sie das tut, bleibt eine der ungelösten Fragen des Romans. Die Ehe ist von Anfang an unglücklich, Edith weist jede körperliche wie seelische Annäherung ab und findet ihr Hauptvergnügen darin, ihrem Mann das Leben schwerzumachen. Etwas glücklicher wird Stoners Leben, als Edith beschließt, ein Kind zu haben. Nach der Geburt der Tochter Grace zieht sie sich in den "Krankenstand" zurück und ermöglicht damit ihrem Mann, der die Versorgung der Tochter größtenteils übernimmt, wenigstens eine liebevolle Beziehung in seinem Leben. In dieser Zeit gelingt es ihm auch, mehr aus sich herauszugehen und seinen Studenten etwas von seiner Begeisterung für Literatur zu vermitteln, wobei er pädagogisch neue Wege beschreiten möchte. Als seine Frau bemerkt, dass er sich jenseits seiner deprimierenden Ehe ein zufriedenstellendes Leben aufbaut, schreckt sie nicht davor zurück, ihre Tochter Grace rücksichtslos zum Objekt des kalten Ehekrieges zu machen. Doch auch an der Universität hat Stoner einen Widersacher, der ihn seit einem Konflikt wegen eines unfähigen Studenten mit unnachgiebiger Rachsucht verfolgt...


    Persönliche Beurteilung
    Stoners Lebensgeschichte ist nach außen hin nicht bemerkenswert und über weite Teile auch von einem melancholischen bis deprimierenden Grundton geprägt. Sie wird außerdem in einem ruhigen, sehr sachlichen und geradezu "unbeteiligtem" Sprachstil erzählt. Trotzdem hat mich dieses Buch total gefesselt und sehr stark berührt. Stoner ist eine interessante und widersprüchliche Figur: In seiner Ehe ist er eine Art Pantoffelheld, der sich von seiner Frau viel zuviel gefallen lässt. Als er merkt, dass er keine Beziehung zu Edith aufbauen kann, bleibt er passiv, resigniert und zieht sich in die Welt seiner Bücher zurück. Eine Liebesbeziehung zu einer Kollegin, die intellektuell auf seiner Wellenlänge liegt, ist ihm vergönnt, muss aber dem Druck der universitätspolitischen Gegebenheiten weichen.
    In seinem beruflichen Umfeld ist Stoner dagegen kein stummer Dulder, er steht als Student zu seiner Verweigerung des Kriegsdienstes im Ersten Weltkrieg, obwohl er moralisch unter Druck gesetzt wird, und er weiß sich als Dozent des verfeindeten Kollegen zu erwehren, wobei sein subtiles Vorgehen den Leser durchaus zum Schmunzeln verleitet.
    Es fällt mir schwer, in Worte zu fassen, warum mich dieser Roman so sehr bewegt hat. Vielleicht liegt es an der Widersprüchlichkeit in Stoners Wesen, der gleichzeitig passiv und schwach erscheint, aber doch innere Stärke beweist und trotz seines eher traurigen Lebens eine Art inneres Glück in seiner Liebe zur Literatur findet. Bleibt auch manches an seinem Charakter ebenso unverständlich wie der Charakter seiner (meiner Meinung nach) psychisch gestörten Frau, so hat er doch sein Leben seiner Lieblingsbeschäftigung gewidmet.
    Ein Roman, der mich gedanklich noch lange beschäftigen wird!
    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:


    Ich bin durch die Mini-Leserunde von Hypocritia und taliesin auf den Roman aufmerksam geworden. Die beiden haben schon viel Interessantes dazu geschrieben. Meiner Ansicht nach verdient es dieses großartige Buch, auch im Rezensionsbereich vorgestellt zu werden.

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • Dies ist der Link zur englischen Ausgabe, die ich gelesen habe. Bei amazon wird angegeben, dass die TB-Ausgabe 320 Seiten umfasst, es sind aber nur 288 Seiten. :-k

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    (Francis Bacon)
    :study:
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  • Worum es geht

    Den Inhalt hat €nigma bereits sehr gut wiedergegeben (nach meiner E-book-Ausgabe wurde William Stoner allerdings 1891 geboren und nicht 1901).


    Wie es mir gefallen hat

    Ein Roman, den ich in 2 Tagen ausgelesen habe, kann nur gut sein (hätte mich nicht Erwerbsarbeit aufgehalten, hätte ich das Buch wohl gar nicht mehr aus der Hand gelegt). Dabei war es vielleicht weniger der Inhalt, der mich in seinen Bann gezogen hat, mich hat der Stil dermaßen gefesselt, dass ich einfach immer weiterlesen wollte.

    William Stoner ist gerade in seiner Unbeholfenheit und Schüchternheit eine sehr liebenswerte Figur, in meinen Augen auch kein Pantoffelheld, eher ein Held im Hinblick auf das äußerst merkwürdige Benehmen seiner Gattin Edith, die ihn sogar im gemeinsamen Haus in eine unbequeme Ecke verbannt. Wie groß muss seine Liebe zur Literatur, zu seinem Beruf gewesen sein, der ihm wohl mehr Berufung war, um ihn alles häusliche Ungemach geduldig ertragen zu lassen.

    Aber auch Stoners universitäre Laufbahn verläuft nicht so glänzend, wie er es sicher verdient hätte. Ein Streit mit seinem Vorgesetzten führt dazu, dass er jahrelang weit unter seiner Qualifikation eingesetzt wird, bis er sich auf sehr originelle Weise zur Wehr setzt. Die Art, wie er gegen diese Schmach vorgeht, hat mir gut gefallen und auch das Verhältnis mit seiner Doktorandin habe ich William Stoner von Herzen gegönnt.

    Obwohl nichts Spektakuläres passiert, kann ein Autor dem "wirklichen" Leben kaum näher kommen als in diesem bemerkenswerten Roman, der dennoch alle Facetten eines Lebens mit all seinen Höhen und Tiefen berührt. Froh, endlich wieder eine kleine literarische Kostbarkeit entdeckt zu haben, gebe ich gerne die volle Punktezahl!

  • nach meiner E-book-Ausgabe wurde William Stoner allerdings 1891 geboren und nicht 1901).


    Du hast recht, Wikipedia sagt auch "1891". :pale: Wie es aussieht, bin ich heutzutage genausowenig ein Mathegenie wie zu Schulzeiten. Es freut mich, dass dem sympathischen Stoner auf diese Weise doch noch 10 Lebensjahre mehr vergönnt waren. :wink:

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  • Kann schon mal passieren, so ein Zahlensturz, €nigma!
    Trotzdem hätte ich dem armen William noch viele schöne Jahre in der Pension gewünscht; zu beschäftigen hätte er sich sicher gewusst.

  • Durch die schöne und interessante Leserunde, und dann den hier aufgemachten Rezensionsfred wurde das Buch schon ziemlich ausführlich vorgestellt ; von mir nur noch einige kleine Bemerkungen, vor allem aber eine uneingeschränkte Empfehlung. Ein bemerkenswerter Roman, der auf ganz eigene Weise den Leser fesselt und dabei das ganz Spektakuläre oder das große Rumfuchteln vermeidet. Ich werde nicht nochmals eine Inhaltsangabe geben.


    Zusatzbemerkung zur Ausgabe (siehe oben) : Der Roman wurde zwar neu herausgegeben und wieder entdeckt, doch handelt es sich um ein Buch, das erstmalig schon 1965 (im englischen Original) erschienen ist. Ich meinte, dass das srachmäßig ein wenig zu merken ist. Diese seltsame, schon angesprochene Mischung zwischen nüchternem Erzählstil und doch dahinter sehr treffenden Beschreibungen innerer und äußerer Umstände ist auf diese Art heute selten.


    Andere Bemerkung : Schaut man sich nur oberflächlich das Leben des Autors an und schaut auf « Stoner », so kann man nicht umhin anzunehmen, dass Williams hier vielleicht nicht sein eigenes Schicksal schildert, so aber doch sicherlich viele Überlegungen aus seinem Leben einspielen läßt : der Umgang mit Krieg und Verlust, Standfestigkeit ; die lange ortsansässige Treue zu einer Universität. Gleichzeitig wird er in der auch von mir gelesenen englischen Fassung in einer Art Vorwort den Leser darauf hinweisen, dass die beschriebene Uni von Missouri eben fiktiv wäre und sich seine Kollegen sicherlich nicht hinter beschriebenen Charakteren wiedererkennen könnten... ?!


    Die Frage vom « unscheinbaren oder gar vertanen Leben » ist irgendwie zentral, doch die dazu gegebenen Gedanken von Stoner selbst, am Ende des Buches und seines Weges (von Hypocritia hervorgehoben) geben unseren Urteilen eine andere Note : Wer sind wir über Sinn und Unsinn eines Lebens zu richten ? « He dimly recalled that he had been thinking of failure – as if it mattered. It seemed to him now that such thoughts were mean, unworthy of what his life had been. » Eine Weise mitleidigen Betrachtens auf sein Leben ginge am Wesentlichen vorbei : ich sehe in ihm auch nicht den klein beigebenden, nicht zu Entscheidungen fähigen Mann. Dafür hat er an einigen Wegstationen ganz klar seine Linie durchgezogen. Und da wo Entscheidungen wie klein Beigeben ausschauen könnten, gibt es noch andere, tiefere Motive, die eher Zeichen einer größeren Freiheit sind und eines Sinnes für das je Wichtigere. So ist Stoner meines Erachtens sicherlich kein Feigling, sondern hat in Situationen, wo andere sich zu Spontanreaktionen hinreißen liessen, einen eigenen Abstand zum Geschehen, eine eigene Weisheit angesichts gewisser Unausweichlichkeiten : ja, sicher, er hätte ganz große Wendungen setzen können, doch es hätte ihn zur selben Zeit vom eigenen, tiefsten Ich oder Selbst entfremdet.


    Ab einem gewissen Punkt kann man das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen und es überkam mich ein seltenes Gefühl von Übereinstimmung und Nähe zu diesem etwas holprigem Helden. Und der Eindruck, ein wirklich großes Werk in der Hand zu haben. Nun, normalerweise schmunzele ich in den englischsprachigen Ausgaben immer über die seitenlangen Lobeshymnen aus hundert verschiedenen Zeitschriften, doch hier findet man nun anerkennende Wort von solch großen Autoren wir Julian Barnes, Bret Easton Ellis, Ian McEwan, Column McCann, Nick Hornby... Dieses Buch zählt für manche Schriftsteller, steht hier doch auch ein anderer Darsteller in der Mitte : die Literatur und die Liebe zu den Büchern !


    Tolles Buch, eindeutige Empfehlung !

  • Diese seltsame, schon angesprochene Mischung zwischen nüchternem Erzählstil und doch dahinter sehr treffenden Beschreibungen innerer und äußerer Umstände ist auf diese Art heute selten.

    Ja, leider. Mir gefällt dieser Stil sehr gut, da kann ich mich besser auf das Wesentliche konzentrieren. In den Passagen zwischen Edith und Stoner finde ich das so viel angenehmer. "Moderne" Autoren hätten die Dialoge bestimmt mehr aufgebauscht und in den Vordergrund gestellt.
    Williams findet für mich das perfekte Mittelmaß. Man spürt z. B. wie krank Edith ist aber es ist für Leser nicht nervig.


    Über Edith musste ich dann aber doch schmunzeln als Sie ziemlich am Ende des Buches mit Gordon spricht. :lol: Es ist schade, ihre Gründe für die Heirat nicht zu kennen.


    Das Verhältnis zwischen Stoner und seinen Eltern finde ich etwas beklemmend. Ich frage mich warum sie sich so wenig zu sagen haben. Klar, er hat eine andere Lebensrichtung eingeschlagen wie erwartet und er wird sich während seines Studiums weiterentwickelt haben aber es gab zwischen ihnen doch keinen Streit. :-k


    Bemerkenswert finde ich, das im Prinzip alles im Buch "nicht weiter wichtig" ist.
    Egal ob es um die Änderung der Studienrichtung (hier für seine Eltern nicht wichtig, "irgendwie werden wir das schon schaffen"),
    Edith (für Stoner ihre gemeinen Angriffe, die "Krankheit" überhaupt),
    Grace (das wäre ein Spoiler)
    die Auseinandersetzungen mit Lomax oder schließlich Stoner's Leiden geht. Immer wieder wird betont, es ist nichts weiter wichtig.


    Ein Buch, welches seinen Preis auf jeden Fall wert ist. :thumleft:

  • Danke für Deinen Beitrag.


    Zitat second chance:


    Zitat

    Das Verhältnis zwischen Stoner und seinen Eltern finde ich etwas beklemmend. Ich frage mich warum sie sich so wenig zu sagen haben. Klar, er hat eine andere Lebensrichtung eingeschlagen wie erwartet und er wird sich während seines Studiums weiterentwickelt haben aber es gab zwischen ihnen doch keinen Streit. :-k


    Nein, ich sehe auch keinen Streit zwischen ihnen. Eigentlich sogar etwas Gegenteiliges... Was uns etwas desorientiert ist vielleicht unser Verständnis von Kommunikation und Zusammensein: da geht es rasch um das leichte Fließen von Worten und das große Bereden etc.


    Doch es gab und gibt Temperamente, in denen das anders abläuft. So wie anfangs die Landschaft um den elterlichen Hof als karg und - in meinen Bildassoziationen - wüst, windgepeitscht, fast öde daherkommt, so ist auch oft das Leben der Menschen untereinander von einer gewissen Kargheit geprägt.


    Als dann aber der Vater zu seiner "längsten Rede" ansetzt, und dem Sohne das Studium nahelegt, erkennt man, dass es eine andere Art der Sympathie, der Zuneigung gibt.


    Diese Temperamente passen zu den kargen Weiten gewisser Räume der USA. Ich denke aber auch an gewisse Menschen, in denen jedes Wort abgewogen wurde/wird. Vielleicht nicht unbedingt also als schlecht einzustufen?

  • So wie anfangs die Landschaft um den elterlichen Hof als karg und - in meinen Bildassoziationen - wüst, windgepeitscht, fast öde daherkommt, so ist auch oft das Leben der Menschen untereinander von einer gewissen Kargheit geprägt.

    Genauso habe ich mir das auch vorgestellt und diese Landschaft bringt wohl auch keine geschwätzigen Menschen mit überschwänglichen Gefühlen hervor. Karge Gegenden prägen ebensolche Charaktere, das findet sich in der Literatur doch immer wieder, in Gebirgstälern, Wüsten, überall dort, wo sich der Boden nur mühsam einen Ertrag abringen lässt. Deshalb war dieses Bild für mich auch sehr stimmig.


    Und dennoch habe ich als Leserin hier die tiefe und wortlose Verbundenheit zwischen William und seinen Eltern gespürt, die ganz anders ist als jene Sprachlosigkeit, die oft eine Verwahrlosung der Kinder - körperlich, geistig oder seelisch - nach sich zieht.


    Die zentrale Frage des Romans, die Unscheinbarkeit oder Bedeutungslosigkeit eines Lebens, konnte ich eigentlich nicht so richtig nachvollziehen, weil mir das Leben des William Stoner sogar sehr sinnvoll und ausgefüllt erscheint. Wer sein Herzblut für die Literatur gibt, die ihn über sein privates und berufliches Ungemach hinweg trägt, hat die große Aufgabe seines Lebens gewiss schon gefunden.

  • Zitat von Silly

    Die zentrale Frage des Romans, die Unscheinbarkeit oder Bedeutungslosigkeit eines Lebens, konnte ich eigentlich nicht so richtig nachvollziehen, weil mir das Leben des William Stoner sogar sehr sinnvoll und ausgefüllt erscheint. Wer sein Herzblut für die Literatur gibt, die ihn über sein privates und berufliches Ungemach hinweg trägt, hat die große Aufgabe seines Lebens gewiss schon gefunden.


    Ich stimme Dir natürlich zu. Deswegen habe ich für mich persönlich beim Auftauchen solcher Bezeichnungen immer hinzugefügt: die scheinbare Bedeutungslosigkeit. Wahrscheinlich werden es nämlich schon viele Leser (bzw jene, die solche Bücher nie lesen, weil sie in ihren Heldengeschichtchen versinken) als Niederlage beurteilen, was unserem Stoner so widerfährt. Einige würden ohne Weiteres die "Niederlage" gegen seinen Lehrerkollegen; das ständige Nachgeben in der Ehe: den Verlust nahezu der Tochter oder den Abbruch der Liebesbeziehung so alleine sehen.


    Es bedarf einer gewissen Weite - meines Erachtens - um mit Stoner am Ende des Buches jene andere Perspektive in seinem Leben zu unterscheiden. Dazu gibt es auf den letzten Seiten einfach tolle Gedanken, die mich sehr überzeugten. Hier hat einer durch die scheinbaren Niederlagen hindurch gewaltige Siege errungen - um es etwas pathetisch auszudrücken...

  • Unscheinbarkeit oder Bedeutungslosigkeit eines Lebens

    Sein Leben an sich ist in meinen Augen auch nicht bedeutungslos. Eher die vielen kleinen Punkte, wo man vielleicht mit einer anderen Reaktion gerechnet hätte. (Der Umzug in ein anderes Arbeitszimmer usw.)
    Stoner nimmt scheinbar vieles gelassen hin aber innerlich wühlen ihn manche Vorkommnisse offensichtlich doch auf. Gerade beruflich.

    Doch es gab und gibt Temperamente, in denen das anders abläuft. So wie anfangs die Landschaft um den elterlichen Hof als karg und - in meinen Bildassoziationen - wüst, windgepeitscht, fast öde daherkommt, so ist auch oft das Leben der Menschen untereinander von einer gewissen Kargheit geprägt.

    So etwas kann ich mir nur schlecht vorstellen. In meinen Bildern ist es allenfalls ausgedörrt und die Unterkunft schlicht, die Höfe weit von einander entfernt aber mehr nicht.

    Als dann aber der Vater zu seiner "längsten Rede" ansetzt, und dem Sohne das Studium nahelegt, erkennt man, dass es eine andere Art der Sympathie, der Zuneigung gibt.

    An die "Rede" habe ich gar nicht mehr gedacht.

    Vielleicht nicht unbedingt also als schlecht einzustufen?

    Nein, schlecht nicht. Nur befremdlich wenn man sich das mal vorstellt. Drei Leute sitzen in einem Raum in einem fremden Haus und haben sich nicht viel zu sagen. Jetzt sind das aber auch noch Eltern und Sohn. Der Sohn soll studieren um auf dem Hof einen frischen Wind reinzubringen. Er soll lernen, die Landwirtschaft besser zu verwalten/bearbeiten.
    Normal wäre doch hier ein Gespräch (zwischen Vater und Sohn) rund um die Erkenntnisse aus dem Studium.


    Eine Unterhaltung mit überschwänglichen Gefühlen wäre vom Stil schon unpassend gewesen und wie oft sitzen wir im richtigen Leben auch einfach nur neben Personen die uns wichtig sind und schweigen gemeinsam? Dieses Schweigen zwischen den Eltern und Stoner wirkt auf mich aber unangenehm und ich war froh, als der Besuch vorbei war.

  • Einige würden ohne Weiteres die "Niederlage" gegen seinen Lehrerkollegen; das ständige Nachgeben in der Ehe: den Verlust nahezu der Tochter oder den Abbruch der Liebesbeziehung so alleine sehen.

    Das alles müsste man streng genommen ja auch als solche werten und gewiss kann man es auch, wenn man karrieresüchtig ist, auf gesellschaftliche Anerkennung Wert legt oder familiäre Probleme als Niederlage betrachtet, aber ich habe mir während des Lesens auch oft gedacht, dass unter dieser Betrachtungsweise die meisten Leben "bedeutungslos" wären.


    Meine ganz persönliche Meinung zum Thema Lebenssinn ist ja die, das diesen jeder Einzelne nur für sich ganz alleine festlegen kann. In meinen Augen ist einer wie William Stoner trotz allen Ungemachs ein Glücklicher, der in der Literatur gefunden hat, was ihm das Leben in anderen Bereichen verwehrt.

  • Genauso habe ich mir das auch vorgestellt und diese Landschaft bringt wohl auch keine geschwätzigen Menschen mit überschwänglichen Gefühlen hervor. Karge Gegenden prägen ebensolche Charaktere, das findet sich in der Literatur doch immer wieder, in Gebirgstälern, Wüsten, überall dort, wo sich der Boden nur mühsam einen Ertrag abringen lässt. Deshalb war dieses Bild für mich auch sehr stimmig.

    So habe ich es auch empfunden. Außerdem könnte ich mir eine gewisse Gehemmtheit der Eltern im Umgang mit ihrem Akademiker-Sohn vorstellen, nachdem dieser die kleinbäuerliche Umgebung seiner Eltern verlassen hatte.


    Meine ganz persönliche Meinung zum Thema Lebenssinn ist ja die, das diesen jeder Einzelne nur für sich ganz alleine festlegen kann. In meinen Augen ist einer wie William Stoner trotz allen Ungemachs ein Glücklicher, der in der Literatur gefunden hat, was ihm das Leben in anderen Bereichen verwehrt.

    Auch hier möchte ich zustimmen. Stoners Leben mag nach außen hin unbedeutend erscheinen, zumal es ja frei von spektakulären Ereignissen ist. Dennoch hat er meiner Meinung nach innere Zufriedenheit und Erfüllung gefunden.
    Dass er seiner Frau nicht die Rote Karte gezeigt hat, kann ich allerdings nicht verstehen, da sich deren ex- und egozentrisches Verhalten auch auf sein geliebtes Kind auswirkte.

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    (Francis Bacon)
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  • Nur befremdlich wenn man sich das mal vorstellt. Drei Leute sitzen in einem Raum in einem fremden Haus und haben sich nicht viel zu sagen. Jetzt sind das aber auch noch Eltern und Sohn. Der Sohn soll studieren um auf dem Hof einen frischen Wind reinzubringen. Er soll lernen, die Landwirtschaft besser zu verwalten/bearbeiten.
    Normal wäre doch hier ein Gespräch (zwischen Vater und Sohn) rund um die Erkenntnisse aus dem Studium.


    Ich finde es immer sehr interessant, wie unterschiedlich wir Leser verschiedene Situationen empfinden und beurteilen. Für mich war diese Szene z. B. vollkommen authentisch. Ein hart arbeitendes, abgehärmtes Farmerehepaar, das dem Sohn eine bessere Ausbildung in der Landwirtschaft und dadurch auch eine Verbesserung seiner Lebensumstände ermöglichen will. Ich habe fast gespürt, wie schwer sie sich zu dieser Entscheidung durchgerungen haben, dass sie den Sohn lieber zu Hause als Unterstützer bei der Arbeit gesehen hätten, und doch wollen sie ihm diesen Weg nicht verwehren. Solche Situationen gibt es in vielen vor allem ärmeren Familien, wo die Eltern wissen, wie wichtig eine gute Ausbildung ist, aber was sollen sie, die sich dieses Leben an einer Universität ohnehin nicht vorstellen können, schon großartig dazu sagen?


    Und dann erst, als sie erfahren, dass William sich der Literatur verschrieben, dass er ein ganz anderes Leben gewählt hat. Vielleicht spüren sie ja auch, dass das der einzige für ihn mögliche Weg ist, obwohl sie es sich nicht vorstellen können, ihn dem einzigen Sohn aber auch nicht verbauen wollen. Also schweigen sie und akzeptieren seine Entscheidung. Dass der Vater nicht aufbegehrt, William zur Rede stellt, oder ihn von seiner Entscheidung abbringen will, zeigt mir seine tiefe Liebe zu ihm.

  • Dass er seiner Frau nicht die Rote Karte gezeigt hat, kann ich allerdings nicht verstehen, da sich deren ex- und egozentrisches Verhalten auch auf sein geliebtes Kind auswirkte.


    So sehen wir das heute, aber ich glaube, dass auch Männer vor rund 100 Jahren an einer einmal geschlossenen Ehe festgehalten haben. Ein Familientyrann hätte wahrscheinlich auch anders reagiert, aber William Stoner haben wir ja als ganz anderen Charakter kennengelernt.


    Und eine stille Rache in Form einer außerehelichen Liebesbeziehung hat er sich ja doch gegönnt.

  • Wie schön, dass hier noch einmal so intensiv über diesen wunderbaren Roman diskutiert wird.
    Ich habe mir nach dem lesen immer mal wieder Gedanken zu Stoner`s Tochter Grace gemacht und mich gefragt, ob Stoner nicht
    doch mehr Einfluss hätte nehmen sollen. Die Art wie Edith (da stimme ich Enigma zu, wenn sie die Dame als psychisch krank bezeichnet)
    Grace manipuliert, sie versucht dem Vater zu entfremden, ist schon beklemmend. Hinzu kommt, dass ich mir hier erhofft hätte, dass
    Stoner versucht seine Tochter zu schützen. Ist er da nicht viel zu passiv gewesen? Schaut er da nicht bewusst weg?


    lg taliesin

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Haruki Murakami - Die Stadt und ihre ungewisse Mauer

    :study: Joseph Roth - Hiob (MLR)

  • Solche Situationen gibt es in vielen vor allem ärmeren Familien, wo die Eltern wissen, wie wichtig eine gute Ausbildung ist, aber was sollen sie, die sich dieses Leben an einer Universität ohnehin nicht vorstellen können, schon großartig dazu sagen?

    :loool: Ja ich weiß auch doch nicht, aber die können wenigstens fragen was er gelernt hat. Vielleicht wäre ihnen das Wissen ja zugute gekommen. Sind seine Eltern denn gar nicht neugierig?
    Manchmal mache ich mir zu viele Gedanken um Leute die nur erfunden sind. 8-[

  • Manchmal mache ich mir zu viele Gedanken um Leute die nur erfunden sind.


    Nein, machst Du Dir nicht, weil viele davon auch im realen Leben vorkommen, aber ich glaube tatsächlich, dass es eine Art von Sprachlosigkeit sogar zwischen sehr engen Angehörigen gibt, die aber nicht bösartig ist. Das kam in der Welt vor 100 Jahren sicher oft vor und auch heute ist das Nicht-miteinander-reden-können keine Seltenheit. Ich wundere mich oft, wie wenig manche Eltern mit ihren Kindern sprechen, die dann weder zuhören noch argumentieren lernen, stattdessen agressiv fordern oder einfach schweigen - und das in Zeiten, in denen jeder der möchte, Zugang zu einer wahren Informationsflut hat.


    Vielleicht kannst Du unter Betrachtung dieser Gesichtspunkte auch Williams Eltern etwas besser verstehen.

  • ... dass ich mir hier erhofft hätte, dass Stoner versucht seine Tochter zu schützen. Ist er da nicht viel zu passiv gewesen? Schaut er da nicht bewusst weg?


    Ich denke, es ist einfach Stoners nachgiebiger Charakter, der ihm weitere Maßnahmen verbietet. Es ist ja auch nur schwer vorstellbar, dass sich ein Universitätsprofessor in eine Ecke seines Hauses verbannen lässt, in der es auch noch ziemlich ungemütlich zu sein scheint. Aber um des lieben Friedens willen, sagt er nichts und verbringt eben noch mehr Zeit auf der Universität.


    Mir persönlich ist diese Edith ja ein wenig - um es gelinde auszudrücken - überzeichnet vorgekommen und dadurch ist sie mir charakterlich auch etwas einseitig erschienen; nur boshaft und gehässig ist doch kaum jemand. Zumindest hätte ich ihr als Autor wenigstens einen liebenswerten Zug gelassen, wie ihn ja auch die meisten Menschen besitzen. - Oder bin ich da zu blauäugig?

  • aber die können wenigstens fragen was er gelernt hat. Vielleicht wäre ihnen das Wissen ja zugute gekommen. Sind seine Eltern denn gar nicht neugierig?

    Erstens meinten die Eltern vermutlich, dass sie ohnehin nichts davon verstehen würden: einfache Leute haben manchmal eine zu große Ehrfurcht vor "Studierten", man denke nur an das frühere Arzt-Patient-Verhältnis (Halbgott in Weiß etc.)
    Zweitens könnten Menschen, die für ihren Lebensunterhalt harte körperliche Arbeit verrichten, Beschäftigung mit Literatur überflüssig finden. :wink:


    Mir persönlich ist diese Edith ja ein wenig - um es gelinde auszudrücken - überzeichnet vorgekommen und dadurch ist sie mir charakterlich auch etwas einseitig erschienen; nur boshaft und gehässig ist doch kaum jemand.

    Vielleicht wäre sie an der Seite eines anderen Mannes anders gewesen. Ich habe nur nicht verstanden, warum sie Stoner geheiratet hat, wenn sie von ihm nicht besonders fasziniert war. :scratch:

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
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