Leo Tolstoi: Die Kreutzersonate

  • Kurzmeinung

    towonder
    In Ansichten über Ehe, Frauen und Verhütung schlecht gealtert. Plot ansonsten recht spannend!
  • "Leo N. Tolstois Erzählung die Kreutzersonate (1891) gibt die
    Geschichte einer tragisch mißglückenden Ehe. Nach Junggesellenjahren
    zügellosen, insgeheim bereuten Genusses beschließt der adlige
    Grundbesitzer Posdnyschew, zu heiraten und fortan ein
    bürgerlich-sittliches Leben zu fuhren. Doch bald nach der Eheschließung
    empfindet er Gleichgültigkeit, Gereiztheit, ja Haß und Abscheu
    gegenüber seiner Frau, die er zugleich mit einem Verlangen, das er für
    »tierisch« hält, wider Willen begehrt. »Der Geschlechtstrieb ist ein
    Übel, ein schreckliches übel, das man bekämpfen und nicht, wie es bei
    uns geschieht, fördern soll«, meint er, unfähig, die sexuelle Liebe
    zwischen Mann und Frau als etwas Positives zu begreifen. Als
    Dreißigjährige ist seine Gattin eine Schönheit; sie widmet sich nun,
    nachdem sie fünf Kinder geboren hat, ihren persönlichen Neigungen,
    besonders dem Klavierspiel. Posdnyschew vermutet, daß sie nach einer
    neuen Liebe Ausschau hält, und er vergeht vor Eifersucht, wenn sie in
    dem gemeinsamen Haus mit einem Geiger, einem schönen, eleganten Mann,
    musiziert. So kommt es zur äußersten Zuspitzung des Ehekonflikts, dem
    Racheakt Posdnyschews, der keinen anderen Ausweg sieht, als die
    vermeintliche Ehebrecherin umzubringen." (amazon)


    Die Geschichte fängt im Zug an: sich zufällig begegnende Personen diskutieren darüber, wie eine perfekte Ehe zu schließen und zu führen sei. So gibt es eine Person, die die Liebe als Vorraussetzung für eine lebenslang glückliche Beziehung sieht - und eine andere, die vehement traditionellen Werte vertritt, in denen die Frau "an die Kandarre genommen wird". Schließlich öffnet sich ein verschlossener Mitreisender und erzählt, welche Erkenntnis ihm die Ehe gebracht hat.
    Tolstoi verstand es hervorragend, den Verfall innerhalb der Beziehung des Paares darzustellen. Ich kann viele der Sichtweisen, die die Hauptperson vertritt, nicht teilen - so verteufelt er die körperliche Liebe und negiert das Gefühl der echten Liebe, die seines Erachtens nur mit sexueller Leidenschaft verwechselt wird.
    Von der glücklichen Hochzeit über die Kinder und dem "Entlieben" bis hin zum dramatischen Scheitern der Ehe - auch, wenn die Hauptfigur potential für einen psychopathischen Serienkiller hätte, wird der Prozess innerhalb der Beziehung doch real dargestellt und so manches geschiedene Ehepaar dürfte sich in den Problemen wiederfinden: die Leidenschaft, die nachlässt, immer mehr Streitigkeiten, die Kinder, die alle Aufmerksamkeit erhalten und aufgrund derer die Beziehung der Eltern in den Hintergrund tritt.
    Es gibt keine großen Höhepunkte oder Spannungsbögen, doch gerade die gerade Art des Erzählens macht diesen Roman (der übrigens mit 200 Seiten kurz und gut zu lesen ist) aus.

  • Danke syldine, für deine Rezension.


    Ich habe schon vor sehr langer Zeit "Die Kreutzersonate" gelesen, und mir hat diese Erzählung sehr gut gefallen, wegen der Leidenschaft, die Tolstoj hervorragend versteht zu vermitteln.
    Ein sehr eindrucksvolles und lebendiges Bild einer zerrütteten Ehe. Offen gelegte Abgründe der menschlichen Seele, die Leo Tolstoj, wie gewonnt , meisterhaft darstellt.


    Auch wenn man sich aus der heutiger Sicht, vielleicht auch aus der damaligen, über die moralische Fragen, die aufgeworfen werden, aufregen kann. Auf jeden Fall mir ging es so. Der Protagonist ist mir extrem unsympathisch gewesen, was allerdings verständlich ist. :-)
    Mir hat das Buch gut gefallen.

    2024: Bücher: 100/Seiten: 43 976

    2023: Bücher: 189/Seiten: 73 404

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    Mein Blog: Zauberwelt des Lesens
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    Dalai Lama

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  • Danke Syldine, und auch Danke an Dich, Emili,


    dass Ihr beide die Kreutzersonate als gut bewertet, obwohl Euch der Protagonist eigentlich unsympathisch vorkommt und seine Überzeugungen überhaupt nicht teilen könnt, macht mich sehr neugierig auf dieses Buch.


    Ich werde es auf meine Wunschliste setzen und versuchen, es demnächst auch zu lesen.

    » Unexpected intrusions of beauty. This is what life is. «


    Saul Bellow, (1915-2005 ), U.S. author,
    in Herzog

  • Womit deutlich wird, dass man nicht einverstanden sein muss mit gewissen Charakteren, jedoch ein Buch durchaus schätzen kann. Der Widerwille zur körperlichen Leidenschaft, die die Hauptperson ausdrüuckt, ist so nicht "akzeptierbar", wie natürlich dann auch seine Eifersucht etc., dennoch gibt es eine interne Logik und eine toll dargestellte Entwicklung, wie Syldine es ausführte :thumleft: .
    Sozusagen aus der Sicht der Frau schrieb Lew Tolstois Frau Sofja eine Reaktion, die hier besprochen wurde und mir sehr gut gefiel:


    Tolstaja, Sofja - Eine Frage der Schuld

  • Womit deutlich wird, dass man nicht einverstanden sein muss mit gewissen Charakteren, jedoch ein Buch durchaus schätzen kann. Der Widerwille zur körperlichen Leidenschaft, die die Hauptperson ausdrüuckt, ist so nicht "akzeptierbar", wie natürlich dann auch seine Eifersucht etc., dennoch gibt es eine interne Logik und eine toll dargestellte Entwicklung, wie Syldine es ausführte :thumleft: .
    Sozusagen aus der Sicht der Frau schrieb Lew Tolstois Frau Sofja eine Reaktion, die hier besprochen wurde und mir sehr gut gefiel:


    Tolstaja, Sofja - Eine Frage der Schuld

    Ja - das Buch ist auch direkt auf meinem Wunschzettel gelandet :loool:

  • Zwei Reisende in einem Zugabteil und die Lebensbeichte einer dramatisch gescheiterten Ehe – dies ist das Gerüst der 1889 geschriebenen, aber erst 1891 nach einer erregt geführten öffentlichen Diskussion in Russland erschienenen Erzählung des großen Lew Tolstoi.


    Es ist die Figur des Posdnyschew, eines ketterauchenden, nervösen Gutsbesitzers, welcher dem Erzähler rückblickend Bericht erstattet über die Geschichte seiner Ehe – und es ist Tolstoi selbst, welcher seiner Hauptperson eine umfassende Kritik an der gesellschaftlichen Stellung von Mann und Frau in der russischen Aristokratie in den Mund legt.


    Die Geschichte Posdnyschews liest sich wie ein Abziehbild der seinerzeitigen Verhältnisse: Schon in Jugendjahren wird diesem durch sein Umfeld vermittelt, daß der Wert der Frauen vor allem in ihrem Äußeren, ihrem Körper liege und es deshalb nur natürlich und „gesund“ sei, sich vor einer Heirat der zügellosen Promiskuität hinzugeben. Zugleich bestehe das alleinige Streben der jungen, unverheirateten Mädchen samt ihrer Mütter darin, durch das schamlose Zuschaustellen der weiblichen Reize einen Ehemann zu finden und diesen zwecks Finanzierung eines durch Müßiggang gekennzeichneten Lebens an sich zu binden.


    So schlägt auch Posdnyschew den vorgezeichneten Weg ein und verheiratet sich nach Jahren der sexuellen Ausschweifungen mit einer jungen Frau, welche er zwar kaum kennt, sich aber ihrer Sinnlichkeit und körperlichen Reize kaum zu entziehen weiß – er meint sich schwer verliebt. Doch die Ernüchterung folgt schnell: die beiden Frischvermählten wissen sich nichts zu sagen und sind ihrem Wesen nach grundverschieden. Es kommt zu Streitereien aus nichtigen Anlässen, man geht sich gegenseitig auf die Nerven und die Abstände, in denen es den Beiden gelingt, durch ihre gegenseitige körperliche Anziehungskraft im Geschlechtsakt wieder zueinander zu finden, werden immer größer. Auch die Geburt von 5 Kindern in schneller Folge bringt es nicht fertig, die in Trümmern liegende Ehe zu heilen. Als es der Mutter und Ehefrau schließlich aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr gestattet sein darf, Kinder in die Welt zu setzen, fällt für die beiden Ehepartner der letzte Anlaß weg, von Zeit zu Zeit wenigstens die geschlechtliche Ehe zu vollziehen. Während sich Posdnyschew in seine Arbeit stürzt, widmet sich seine Frau dem Klavierspiel und beginnt eine freundschaftliche Beziehung zu dem Geiger Truchatschewskij. Obwohl es nicht zu körperlichen Annäherungen zwischen den Beiden kommt, steigert sich Posdnyschew zunehmend in eine Eifersucht hinein, die bald sein gesamtes Denken einnimmt und rückblickend meint er bereits in der ersten Begegnung seiner Frau mit dem Geiger die wollüstigen Blicke und sinnlichen Ermunterungen seiner untreuen Frau gesehen zu haben. In einem finalen Akt von wahnhaft eingebildeter Eifersucht tötet Posdnyschew schließlich seine Frau mit einem gezielten Messerstich, wird aber aufgrund mildernder Umstände durch ein ( vermutlich männlich besetztes ) Gericht freigesprochen.


    Für Posdnyschew ergibt sich rückblickend auf seine Lebensgeschichte die Schlußfolgerung, daß Mann und Frau allein glücklich und dauerhaft die Ehe bestehen können, indem sie auf jegliche triebhafte Annäherung verzichten und ein Leben in Keuschheit, Entsagung und körperlicher Arbeit führen. Allein so könne der Geist und der Charakter des Ehepartners unverstellt und durch Begierde und Wollust unverschleiert erkannt werden. Er widerspricht damit seinen zu Beginn der Erzählung noch anwesenden Mitreisenden, die zum Einen die Gleichstellung der Frau in Bildung und Mitbestimmung in der Gesellschaft, zum Anderen die bedingungslose Unterwerfung der Frau durch den Mann als Schlüssel für eine funktionierende Ehe sehen.

    Zwar bieten sich heute, knapp 120 Jahre nach Erscheinen der Novelle, Interpretierungsansätze an, welche nahelegen, daß es Tolstoi auch um Fragen der Gleichberechtigung von Mann und Frau ging, denn wie anders hätte es der auf ihren Körper reduzierten Frau sonst möglich sein sollen, sich in einer Gesellschaft der Männer zu behaupten, als gerade durch den Gebrauch ihres Körpers als Mittel, diese zu ihren Gunsten zu beeinflussen.


    Vieles spricht jedoch dafür, daß es Tolstoi genau um das ging, was Posdnyschew am Ende seiner langen Zugfahrt und damit am Ende seiner Geschichte als erstrebenswertes Lebensziel von sich gibt: Ein Dasein in Enthaltsamkeit und Keuschheit, mit harter Arbeit, ohne Alkohol oder dem übermäßigen Verzehr von Fleisch. Genau dies propagierte Tolstoi wenige Jahre nach Erscheinen der Kreutzersonate in seinem Nachwort, welches er als Erklärungsschrift seiner Erzählung nachreichte und damit die Deutungshoheit zurückzuerlangen suchte.


    Im Gegensatz zu seinen großen Romanen wirkt deshalb die Kreutzersonate heute antiquiert und ohne aktuellen Bezug, vermutlich nur eine verschwindend geringe Anzahl von Personen würde sich heute noch den Ausführungen Posdnyschews übereinstimmend anschließen.


    Trotzdem bleibt „Die Kreutzersonate“ auch heute noch eine lohnenswerte Lektüre, denn allein die Darstellung der gegenseitigen Entfremdung der Ehepartner oder der sich allmählich in wahnhafte Eifersuchtsanfälle steigernden Gemütsverfassung des Hauptdarstellers zeigen einmal mehr die ganze Könnerschaft Tolstois, psychologisch komplizierte Entwicklungen in große Literatur zu verwandeln.

  • Tolstois Frau hat später einen Gegenentwurf zur "Kreutzer-Sonate" geschrieben, im Prinzip die gleiche Geschichte aber aus Sicht der Ehefrau erzählt. Sehr lesenswert im Vergleich, v.a. wenn man die Ehe der Tolstois und ihr Leben dabei im Hinterkopf behält :wink: anbei der Link zu den bereits bestehenden Rezensionen


    Tolstaja, Sofja - Eine Frage der Schuld

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • Tolstois Frau hat später einen Gegenentwurf zur "Kreutzer-Sonate" geschrieben,


    Schau mal drei Posts ober deinen, darauf hat Tom schon hingewiesen und den Link zur Rezension gesetzt. :lol:

    :study: Ich bin alt genug, um zu tun, was ich will und jung genug, um daran Spaß zu haben. :totlach: na ja schön langsam nicht mehr :puker:


  • Schau mal drei Posts ober deinen, darauf hat Tom schon hingewiesen und den Link zur Rezension gesetzt. :lol:

    upps :pale: wer lesen kann ist klar im Vorteil :pale:

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • Es ist auch wirklich beeindruckend, dass diese Geschichte in zwei Perspektiven existiert. Leider kam die Veröffentlichung für Sofia zu spät. Die Geschichte hinter den Büchern ist so schön wie das Buch selbst.