Franz Kafka - Die Erzählungen

  • Wieder ein an anderer Stelle verschwundenes Buch siehe hier


    Franz Kafka


    Kopie von Marie
    Die Erzählungen

    Auch wenn die Romane Kafkas als literarisch bedeutender gelten, möchte ich als erstes seine Erzählungen vorstellen. Es wird einem Kafka-Neuling oder -Skeptiker wohl eher gelingen, sich mit einem nur wenige Seiten langen Text zu befassen als direkt in einen dicken Roman einzusteigen.


    Wer noch gänzlich unberührt von Kafka ist (oder wem es gelingt, seinen alten Deutschunterricht zu vergessen), kann ich nur einen Rat geben: Lest die Texte ganz unbefangen. Stellt euch nicht vor, dass ihr "große Literatur" in der Hand habt, sondern Fantasy-Geschichten, die sich im Kopf und in der Seele abspielen. Überlegt euch, von welchen Alpträumen ihr geplagt seid, und schaut euch an, wie Kafka seine Alpträume aufschreibt.


    (Das angegeben Buch kenne ich nicht und weiss also nicht, welche Textauswahl getroffen wurde. Mein Buch kann ich empfehlen, denn es heißt "Sämtliche Erzählungen" und hat die ISBN 3103381050. Bei Amazon hat es aber kein Cover-Bild, daher habe ich das o.a. genommen.)
    Marie

    :study: Ich bin alt genug, um zu tun, was ich will und jung genug, um daran Spaß zu haben. :totlach: na ja schön langsam nicht mehr :puker:

  • In dieser Ausgabe findet man nicht nur die Geschichten aus dem Nachlass, sondern auch die zu Kafkas Lebzeiten veröffentlichten Texte, in der vermutlichen Reihenfolge ihrer Entstehung (bis auf eine, wo es unklar ist; die kommt direkt am Anfang). Die von Max Brod, der für die Verwaltung des Nachlasses zuständig war, gewählten Überschriften wurden größtenteils beibehalten. Da diese Ausgabe aber auch, wie gesagt, andere Werke enthält, die nicht betitelt waren, wurde da jeweils der Satzanfang als Überschrift gewählt. Das alles erfährt man aus dem Nachwort, das auch ein bisschen Licht ins Dunkel bringt, was das Verständnis der Texte und den Zusammenhang ihrer Entstehung anbelangt.


    Wie @Marie schon treffend geschrieben hat: Wenn man sich an die Geschichten setzt, sollte man sie so lesen, als hätte man Kafkas Alpträume vor sich. Ich habe zwar nur grob Ahnung von seiner Biografie, doch mir sind trotzdem extrem viele Parallelen aufgefallen, d.h. Motive, auf die er immer wieder zurückgreift, sei es "Künstler", "Arbeit" oder "Vater". Inwiefern die Texte Kafkas wirkliches Empfinden spiegeln, sei natürlich dahingestellt. Auch zwischen den Protagonisten seiner Geschichten fallen Übereinstimmungen in ihren Verhaltensweisen oder in dem, wie mit ihnen umgegangen wird, auf. Ähnlich wie in "Die Verwandlung" greift Kafka das Tiersein und das Hungern immer wieder auf. Es sind oft melancholische, fast düstere Geschichten, wobei es vermutlich nicht immer beabsichtigt ist, sondern sich einfach aus der Stimmung und aus der häufigen Hilflosigkeit der Protagonisten ergibt. Tragisch erschien mir daran, dass die Protagonisten oft das Gefühl haben, die Situation unter ihrer Kontrolle bzw. alles gründlich durchdacht zu haben (dazu passt der sachliche, präzise Schreibstil sehr gut), und dann zusehen müssen, wie sich die Umgebung gegen sie wendet.


    Insgesamt sind die Geschichten schon sehr speziell und eine gute Gelegenheit, sich mal in eine andere Gedankenwelt entführen zu lassen. Ich habe mir die Sammlung allerdings als Zweitlektüre gewählt, da ich die Texte als schwer verdaulich empfunden habe, was nur mit dem Inhalt, weniger mit dem Schreibstil zusammenhing. Schwer zu lesen sind sie nicht, aber sie drücken schon auf die Stimmung. Muss aber selbstverständlich jeder für sich selbst ausprobieren!

    :jocolor: Verschwundene Reiche: Die Geschichte des vergessenen Europa // Norman Davies (Projekt)



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