J.M.G. Le Clézio - Der Afrikaner / L'Africain

  • Selbstverständlich wollte ich den Literatur-Nobelpreisträger von 2008 kennen lernen. Le Clézio wurde 1940 in Nizza geboren, schrieb zahlreiche Romane und erhielt auch schon einige Auszeichnungen. Dennoch war mir dieser Autor bis jetzt völlig unbekannt, und das wollte ich ändern!


    Der Afrikaner ist ein sehr persönliches Werk, denn es handelt von der prekären Beziehung zwischen dem Autor und dessen Vater.
    Le Clézios Vater studierte in England Medizin mithilfe eines Stipendiums. Aus diesen Grund musste er nach dem Studium für das Königreich tätig werden, und man schickte ihn zu den englischen Kolonien nach Afrika. Zunächst nach Kamerun und später wurde er nach Nigeria versetzt.
    Bis zum Ausbruch des II. Weltkriegs war seine Frau, des Autos Mutter, mit dabei, und die Jahre in Afrika waren für dieses Paar eine Zeit der Glückseligkeit. Die Geburten ihrer Söhne wollte seine Mutter allerdings in Europa erleben, und so kam es zu dem Malheur, dass die Familie die Zeit des Krieges getrennt wurde. Erst 1948 mit acht Jahren lernte der Autor seinen Vater in Afrika kennen.
    Die Zeit und die Umstände hatten diesen Idealisten mürbe gemacht, wenn nicht gar zerstört. Viele Jahre später ist Le Clézio auf den Spuren seines Vaters gewesen, um dessen Gefühle und Lebensweise zu verstehen.


    Der beste Einstieg in die Lektüre von Le Clézio war dieses Buch eventuell nicht, allerdings lernt man den Autor direkt sehr persönlich kennen, und vielleicht ist es nicht die schlechteste Einstiegslektüre. Wer weiß das schon?


    Mich hat direkt diese ausgewogene Sprache fasziniert, sehr weich und fließend:


    “Jeder Mensch hat einen biologischen Vater und eine biologische Mutter. Man muß sie nicht unbedingt lieben oder anerkennen, man kann ihnen Mißtrauen. Aber sie existieren - mit ihrem Gesicht, ihrer Haltung, ihren Manieren und Manien, ihren Illusionen, ihren Hoffnungen, der Form ihrer Hände und Zehen, der Farbe ihrer Augen und ihres Haars, ihrer Art zu reden, ihren Gedanken und vermutlich dem Alter, in dem sie sterben, all das haben wir in uns aufgenommen.” Die ersten Sätze.


    Der Leser steigt in diese Lektüre ein mit der Gewissheit, hier schreibt jemand nicht nur an der Oberfläche, sondern menschlich und psychologisch sehr tief. Und so war ich direkt im Buch drin, und die ausgewogene Sprache hat mich wirklich durch die 130 Seiten getragen.

  • Inhaltsangabe:


    J.M.G. Le Clézio erzählt in diesem Büchlein die Geschichte von seinem britischen Vater, der jahrzehntelang in Afrika als Kolonialarzt ein aufregendes wie einfaches Leben führte. Im Alter von acht Jahren lernt Jean ihn kennen, als er mit seiner Mutter und seinem Bruder nach dem Krieg in Afrika einkehrt.


    Afrika bedeutete für ihn selbst ungebändigte Freiheit, für seinen Vater Schönheit von der reinen Natur. Im Laufe der Zeit jedoch kehrt Verbitterung bei dem Vater ein und der Autor versucht, dies mit seinen Worten zu begründen und zu durchleuchten.


    Mein Fazit:


    Ich muss gestehen, das ich anfangs Probleme hatte, in dieses Buch reinzukommen. Der Autor ist oft in der Zeit hin- und her gesprungen. Nur allmählich bekam ich ein Bild von dem Vater, der voller Respekt gegenüber Afrika war, aber dennoch eine ungeheure Strenge an den Tag legte, was die Erziehung seiner Söhne anging.


    Die Mutter, jahrelang von ihrem Mann getrennt, erzog ihre Söhne trotz ihres Trotzes mit Liebe und Sanftmut. Die Zeit in Afrika war für den Autor die prägendste Zeit seines Lebens und das wird mit jeder Zeile deutlich spürbar. Gegen Ende des dünnen Buches empfand ich schon etwas Wehmut, nun wollte ich den Herrn doch etwas näher kennen lernen.


    Das Buch bekommt 3,5 von 5 Punkte.


    Veröffentlicht am 15.03.09!

  • Das Buch hat mich enttäuscht, ich hatte mehr erwartet.


    Das Bild eines Menschen setzt sich zusammen aus konkreten Begebenheiten und Begegnungen. Davon lese ich in Le Clézios Buch wenig. Statt einzelne Ereignisse zu schildern, verwendet der Autor Aufzählungen und dreht sich immer wieder um dasselbe Geschehen: Seine Ankunft in Afrika nach dem 2. Weltkrieg, das Kennenlernen seines bis dahin unbekannten Vaters und der fremden afrikanischen Welt.
    Ohne Chronologie und roten Faden springt der Autor von Assoziation zu Assoziation und erreicht vor allem eines nicht: Die Anteilnahme des Lesers. Das Bild, das vom Vater und seinem Leben gezeichnet wird, bleibt außen vor und blass, das der Mutter noch mehr. Durch die spöde berichtende Sprache und die Vielzahl der Aufzählungen wirkt das Buch passagenweise eher wie ein Report als wie eine belletristische Erzählung.


    Ich hätte mir mehr Geschichten über einzelne Geschehnisse oder Menschen gewünscht.



    Marie

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Inhalt

    Für J.M.G le Clézio und seinen älteren Bruder wurde ihr abwesender Vater irgendwann zum Afrikaner. Wenn einem stets erzählt wird, der Vater arbeite in Nigeria als Arzt und könne wegen des Krieges nicht nach Frankreich zu Besuch kommen, kann man als Kind durchaus Zweifel an den Aussagen der Erwachsenen entwickeln. Le Clézios Vater stammte von der Insel Mauritius (das 1810–1968 zum britischen Weltreich zählte) und studierte in England Medizin. Aus einer momentanen Verärgerung über die britische Upper Class heraus meldet le Clézio senior sich spontan als Arzt für den Kolonialdienst in Guayana, später arbeitet er in Kamerun und Nigeria und verbringt sein gesamtes Berufsleben im Ausland. Seine Frau, die seine Cousine ist, lernt er in Kamerun kennen. Er wird nur zu seiner Hochzeit und zur Geburt seiner Kinder nach Frankreich kommen. 1948, als le Clézio 8 Jahre alt ist, reist die Mutter mit den Söhnen zu einem Besuch nach Nigeria. An diese Zeit pflegt der französische Autor eine in strahlendes Licht getauchte Erinnerung, was jedoch nicht für die übrige Biografie seiner Eltern gilt.


    Im Rückblick empfindet le Clézio die Ankunft in Afrika als seinen ersten Schritt ins Erwachsenenleben. Der Sohn erlebt seinen Vater schon bei diesem Besuch als verbrauchten und verbitterten Mann, der lebenslang Enttäuschungen eingesteckt und darüber geschwiegen hat. Vater le Clézio war als einziger Arzt für Tausende von Menschen zuständig, hat lebenslang gegen Amöbenruhr, Bilharziose und Pocken gekämpft und muss im Alter erleben, dass der Staat Nigeria ihn um seine Pension betrügen will.


    Im Rückblick des erwachsenen Autors überlagern sich die Erzählungen der Erwachsenen aus der Zeit vor dem Besuch mit seinen eigenen Bildern von Afrika. Heute kann er in bewundernswert versöhnlicher Art die Ereignisse seiner Kindheit aus der Perspektive seiner Eltern sehen. Für die Kinder unverständlich, folgt ihr Vater einer eisernen militärischen Disziplin, die ihm in Afrika Halt gibt und die er nun gegenüber den Söhnen durchsetzen will. Doch wenn der Vater sich auf den Weg zum Krankenhaus gemacht hat, werfen die Jungen die vom Vater vorgeschriebenen Wollstrümpfe und Schuhe weg, um gemeinsam mit den afrikanischen Kindern durch das Gras der Savanne zu rennen. Aus der Beengtheit einer winzigen Wohnung im sechsten Stock in Frankreich befreit und bisher nur von der Mutter und der sehr nachsichtigen Großmutter erzogen, löst das barfüßige Losrennen bei den Jungen ein überwältigendes Gefühl der Freiheit aus. Wenn man sich der Gefahren durch Krankheiten und giftige Tiere bewusst wird, deren Folgen der Vater als Arzt täglich zu behandeln hat, stellt sich das Beharren auf feste Schuhe natürlich ganz anders dar.


    Fazit

    Wenn le Clézio nicht den Nobelpreis für Literatur erhalten hätte, wäre ich vermutlich nie auf seine Bücher aufmerksam geworden – und das wäre ein Verlust gewesen. Auf knappen 124 Seiten schreibt le Clézio aus der Distanz des Erwachsenen eine Biografie seines bemerkenswerten Vaters und analysiert zugleich sein eigenes Verhältnis zu Afrika. Bewundernswert finde ich an diesem Buch das Maß an Selbstreflektion, mit dem der Autor seine Erinnerungen infrage zu stellen bereit ist; denn Erinnerungen können täuschen und mit den Augen eines Kindes sieht die Welt völlig anders aus.


    °°°°°

    Zitat

    Die Tage, an denen wir durchs hohe Gras in Ogoja rannten, waren die ersten einer neu gewonnenen Freiheit. Die Savanne, die Gewitter, die jeden Nachmittag ausbrachen, die sengende Sonne auf unseren Köpfen und diese zu starke, fast karikaturistische Präsenz der Tierwelt, all das erfüllte unsere kleine Brust und ließ uns auf die Termitenhügel losstürmen, diese Festungen die schwarz in den Himmel ragten. Ich glaube, dass ich seit jener Zeit nie wieder so einen starken Drang verspürt habe. Ein solches Bedürfnis, zu dominieren und mich zu messen. Es war nur ein kurzer Moment in unserem Leben, ein unerklärlicher, fast vergessener Moment, der keine Reue aufkommen ließ und kein Konsequenzen hatte.“ (Seite 32)


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  • Squirrel

    Hat den Titel des Themas von „Clézio, Le J.M.G. - Der Afrikaner“ zu „J.M.G. Le Clézio - Der Afrikaner / L'Africain“ geändert.