Virginia Woolf - To the Lighthouse

  • Inhalt:


    Zehn Jahre dauert es, bis die geplante Bootsfahrt zum Leuchtturm unternommen wird. Zehn Sommer, die die Familie Ramsay mit ihren Kindern und Gästen in einem Ferienhaus in Schottland verbringt. Die Zeit verändert Menschen und Verhältnisse, und die Fahrt findet unter ganz neuen Voraussetzungen statt.
    [Kurzbeschreibung von amazon.de]




    Erzählweise:


    Das Herausstechendste an diesem Roman ist wohl der alles andere dominierende Gebrauch von stream of consciousness / Bewusstseinsstrom. Diese Technik, die als ein wichtiges Merkmal der Wende zur literarischen Moderne gilt, versucht die Vorgänge, die im Inneren einer Erzählfigur ablaufen, so wiederzugeben, dass dabei die strömende, fließende Struktur von Gedanken, Gefühlen usw. nachgeahmt wird.


    In To the Lighthouse wechselt dabei der Fokus kontinuierlich: Im Grunde wird der ganze Roman aus sich ständig wechselnden Perspektiven erzählt und der Leser erhält damit Einblick in die Innenwelt sämtlicher Romanfiguren. Zum einen ist dieses Vorgehen natürlich sehr interessant, weil dadurch ein abgerundetes Bild der Gesamtsituation entstehen kann. Zum anderen verlangt es dem Leser jedoch auch ein Höchstmaß an Konzentration ab, damit man weiß, durch welche Figur er eigentlich gerade hindurch sieht.


    Das vorherrschende Thema, das in den Bewusstseinsströmen der Figuren reflektiert wird, ist die Vergänglichkeit des Lebens und der Versuch des Menschen dagegen anzukämpfen. Außerdem gibt es auch interessante Beobachtung zum Verhältnis von Männern und Frauen und zur Rolle der Frau.




    Eigene Meinung:


    In diesem Roman steht die Handlung ganz klar hinter der Innenschau der Romanfiguren zurück. Man könnte auch sagen, eigentlich passiert fast nichts. Durch den Einblick ins Innere der Figuren entsteht aber eine ganz eigenartige, faszinierende Atmosphäre. Spannend wird es, wenn die Perspektive wieder plötzlich wechselt und damit auch die Einschätzung über eine dritte Figur, die Person A positiv, Person B jedoch als absolut negativ empfindet. Dadurch entsteht eine interessante Mehrdimensionalität, was ich gut finde, denn ich mag es gar nicht, wenn man die Meinung des Erzählers über bestimmte Romanfiguren so aufgedrückt bekommt.


    Den Schreibstil fand ich vor allem zu Beginn noch ziemlich anstrengend, allerdings habe ich mich im Verlauf des Buches eigentlich ganz gut daran gewöhnt und eben auch die Vorzüge entdeckt. Persönlich hatte ich mir auch erhofft, mehr von der Landschaft zu erfahren, der Roman konzentriert sich aber ganz stark auf die Psychologie der Charaktere.


    Gerade dieser psychologische Aspekt macht den Roman dann aber definitiv lesenswert, auch wenn man vielleicht mal die Zähne zusammen beißen muss.

  • Danke für die Rezi! :thumleft:


    Das war meine erste längere Begegnung mit Woolf und ich war zutiefst beeindruckt! Die von Dir angesprochene Mehrdimensionalität des Textes lässt sich vielleicht besonders auch an der Häufigkeit der Fragesätze festmachen! Woolf stellt (sich?) dauernd auch in Frage. Hat mich wirklich sehr fasziniert und es folgten dann ein paar kleine Texte. Nun wartet das Lesebuch aus dem Fischerverlag auf mich..., in dem aber leider die längeren Texte nur ausschnittsweise vorgestellt werden.

  • Louisa: Sehr treffende Rezension! :thumleft:


    Mir persönlich hat dieser Roman jetzt nicht so gut gefallen. Es war zwar in der Tat sehr eindrucksvoll, aber eben nicht so mein Geschmack. Es war mir meist zu anstrengend, genau aufzupassen, aus wessen Sicht gerade erzählt wird und an vielen Stellen habe ich es auch gar nicht verstanden (und nach dem 10. Mal den Satz lesen aufgegeben).


    Trotzdem war der Gesamteindruck, den das Buch bei mir hinterlassen hat nachdem ich es ausgelesen hatte, recht positiv. Dabei kann ich gar nicht genau sagen, warum das so ist oder den Gesamteindruck versuchen zu beschreiben. Und gerade das fand ich so gut.


    Ich finde Woolf sehr faszinierend (in jeder Hinsicht, also nicht nur als Autorin). Jedoch hat mir Mrs Dalloway besser gefallen als "To the lighthouse".

    Einfach das Wissen, dass einen am Ende eines Tages ein gutes Buch erwartet, verschönert den Tag!

  • Ich finde Woolf auch sehr interessant und werde auch sicher noch mehr von ihr lesen. Vor allem Mrs Dalloway steht schon länger auf meiner Liste. Das will ich, seit ich den tollen Film The Hours gesehen habe, lesen.


    Abgesehen von dem ständigen Perspektivenwechsel fand ich auch die Sprache recht anspruchsvoll. Die Satzstrukturen sind alles andere als herkömmlich und manchmal musste ich schon ein bisschen rumpuzzlen, bis ich einen Satz verstanden hatte.

  • @ Louisa, Du hast die Stilmittel Virginia Woolfs sehr schön beschrieben. Dieses Buch kenne ich noch nicht, habe aber mit großer Begeisterung den ebenfalls an einem einzigen Tag spielenden Roman „Mrs Dalloway“ gelesen. Trotz der Verwendung moderner Techniken wie den „stream of consciousness“, den häufige Perspektivenwechsel und das Zerlegen des Tages in lauter einzelne Momentaufnahmen, habe ich das Buch nicht nur als sehr faszinierend und interessant, sondern auch als richtig unterhaltsam empfunden, anders als die Bücher von James Joyce, dem Erfinder des Bewusstseinsstromes, die man nicht gerade als einen Lesegenuss bezeichnen kann. Ich habe gerade den ersten Roman Virginia Woolfs „Die Fahrt hinaus“ gelesen, der zwar noch ziemlich traditionell geschrieben ist, mir aber auch unglaublich gut gefallen hat. Rezi folgt demnächst.


    Gruß mofre

    :study: Zsuzsa Bánk - Die hellen Tage

    :study: Claire Keegan - Liebe im hohen Gras. Erzählungen

    :study: David Abulafia - Das Mittelmeer
















    2 Mal editiert, zuletzt von mofre ()

  • Ich fand das Buch anfangs durchaus zäh, wohl aufgrund der Satzstrukturen. Aber wie schon erwähnt: ab der Hälfte des Romans gewöhnt man sich daran.


    Bei diesem Buch von Virginia Woolf hatte ich, noch stärker als in den anderen beiden Titeln, die ich von ihr kenne (Mrs Dalloway und Orlando), wieder dieses Gefühl beim Lesen, als ob durch die Lektüre des Buches mein Wortschatz und die Art, wie ich mich ausdrücke, ungemein bereichert werden. Dieses Gefühl hatte ich bis jetzt immer bei Romanen dieser Autorin und deshalb gehört sie auch zu meinen Lieblingsautorinnen. Sie hat eine wundervolle Art Dinge auszudrücken.


    Was ich mir aber für diesen Roman gewünscht hätte, wäre tatsächlich etwas mehr Handlung. Auch wenn die Innenperspektiven der Figuren faszinierend sind.


    Ich fand "Zum Leuchtturm" nicht so gut wie "Mrs Dalloway" aber um Längen besser als "Orlando". 4 Sterne!

    Ich :study:
    J.M.Coetzee - Das Leben der Tiere
    Erzählungen von Franz Kafka
    Gedichte von Allen Ginsberg und Cummings

  • Nachdem ich drei mittelmäßige Bücher hintereinander gelesen habe, hat mich diese Lektüre vor einer bevorstehenden Lesekrise gerettet. Virginie Woolfs Art, zu schreiben, holt mich jedes Mal wieder ab. Sie schafft es, die Charaktere so beschreiben, dass sie direkt vor meinem inneren Auge lebendig werden, genauso wie ich mir das Ferienhaus sofort vorstellen konnte.


    Wie schon bei anderen Büchern der Autorin ist mir aufgefallen, wie wenig die Charaktere wirklich miteinander reden. Oft spielen sie mögliche Unterhaltungen nur im Kopf durch oder machen sich endlos viele Gedanken über einen Satz, eine Bemerkung oder vielleicht auch nur eine Geste. Aber gerade dadurch wurde mir die Dynamik in der Gruppe klarer, als sie es durch gesprochene Worte geworden wäre.


    Eine Handlung gibt es nicht, nur den Leuchtturm, der nicht nur für James eine besondere Bedeutung hat. Ich habe die Personen als unbeteiligter Zuschauer bei ihrem ganz normalen Tun beobachten können und der Einblick in ihre Gedankenwelt hat mir diese Normalität interessanter gemacht als eine komplizierte Handlung.

    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: