Martin Walser - Ein fliehendes Pferd

  • Martin Walser: Ein fliehendes Pferd



    Inhalt: In der 150seitigen Novelle treffen mit Helmut Halm (aus dessen Perspektive erzählt wird) und Klaus Buch zwei scheinbar sehr unterschiedliche Charaktere aufeinander. Beide machen mit ihren Frauen Urlaub am Bodensee, zufällig treffen sich die Jugendfreunde dort nach über 20 Jahren wieder. Helmut, Studienrat, möchte sich von der Welt abschotten, Kierkegaard lesen, während der Journalist Klaus, seglt, wandert usw. Auch der Lebensstil der beiden unterscheidet sich gravierend: Während die Halms Essen, Zigaretten und Alkhol geniessen, achten die Buchs auf ihre Ernährung. Die Begegnung ist von Anfang an konfliktreich: Helmut fühlt sich durch das einnehmende Wesen Klaus überfordert, ärgert sich, das seine Frau, Klaus' zu bewundern scheint, begehrt seinerseits die viel jüngere Frau Buch. Die Handlung spitzt sich bei einem gemeinsamen Segelausflug der beiden Männer dramatisch zu ...


    Meine Meinung: Das Buch gilt, sicher nicht zu unrecht, als eines der besten von Martin Walser. Als Leser ist man durch die Erzählweise im Präsenz aus Helmuts Sicht sehr nahe am Geschehen, die letzten Kapitel sind überaus spannend. Die beiden Männer verkörpern scheinbar sehr unterschiedliche Ansätze mit dem gesellschaftlichen Druck umzugehen: Helmut indem er sich weitestgehend entzieht, Klaus, indem er sich anzupassen scheint. Das Buch blieb mir vielleicht deshalb ein bißchen fremd, da es stark die Probleme von Männern in der Midlifecrisis thematisiert. Sehr, sehr gut: Aufbau der Novelle, das Ende, das zumindest mich überrascht hat


    Ein sehr gutes Buch, das mich allerdings nicht ganz fesseln konnte. Trotzdem: eine warme Empfehlung! :thumleft:


    Katia

  • @ Katia, gerade als ich einige zustimmende Sätze zu Deiner Rezension schreiben wollte, erinnerte ich mich vage, dass ich schon einmal etwas zu "Ein fliehendes Pferd" gesagt habe und bin fündig geworden.


    Auch wenn es im "Ich lese gerade"-Forum ist, enthält Martin Walser "Ein fliehendes Pferd" etliche abschließende Meinungen.


    Marie

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



    Einmal editiert, zuletzt von Marie ()

  • Danke, Marie, ich hatte eigentlich auch im Hinterkopf, dass es im Forum schon etwas zu dem Buch gibt, aber leider habe ich nur im Rezi-Index gesucht und es nicht gefunden.


    Übrigens wird die Novelle auch in der Spiegel Edition erscheinen!


    Katia

  • Dann wird es ja wohl Zeit, diesen Fred nach über sechs Jahren mal wieder hochzuholen und an dieses Buch zu erinnern, selbst wenn ich nicht viel Bedeutendes hinzufügen kann...


    Nach vielen Lesejahren war dies doch tatsächlich (erst) mein erstes Buch von Martin Walser, dessen Namen man natürlich schon gehört hatte. Und ich war durch « Ein fliehende Pferd » sehr positiv überrascht und beeindruckt.


    1980 erschienen, gelingt es Walser in einer kurzen Novelle und neun Kapiteln nicht nur eine meines Erachtens interessante « Vierecksgeschichte » zu erzählen, sondern – was mich hier fast noch mehr anzog – er beschreibt auch überaus überzeugend die innere Seelenlandschaften besonders der beiden männlichen Hauptpersonen : anfangs insbesondere von Helmut, am Ende ebenso hervorragend, durch das Erzählen seiner Lebensgefährtin Hel, jene von Klaus (dabei, liebe Katia, oute ich mich nicht einfach nur als Endvierziger, sondern als Liebhaber von psychologischen Betrachtungen?!).


    Dabei verbindet der Autor auf gute Weise Humor, Tiefe und auch eine hervorragende Sprache, die mich sehr beeindruckte. « Schade », wenn dies denn sein bestes Buch war, ich werde aber früher oder später noch andere versuchen !


    (...), erinnerte ich mich vage, dass ich schon einmal etwas zu "Ein fliehendes Pferd" gesagt habe und bin fündig geworden. Auch wenn es im "Ich lese gerade"-Forum ist, enthält Martin Walser "Ein fliehendes Pferd" etliche abschließende Meinungen.


    Ja, das stimmt. Und ich frage mich, ob man jene Beiträge nicht auch hier einschieben sollte?

  • Heute nun versuche ich mal hier einen Leseeindruck zu diesem Buch zu schreiben. Wenn einen ein Autor hier im BT immer mal wieder im positiven Sinne über den Weg läuft, muss man ja zwangsläufig ihn mal für sich ausprobieren. Dank @Marie (die mir das Buch leihweise zur Buchmesse mitgebracht hat) auch nun möglich.
    Was soll ich sagen, ich habe es absolut nicht bereut. Herr M. Walser hat mich mit seiner Novelle schwer beeindruckt. Diese Stimmgewalt mit dem er seine Geschichte erzählt. Wie er seinen Protagonisten Leben einhaucht, ist einfach unglaublich. Da passt jedes Wort, da ist jeder Charakterzug punktgenau gesetzt. Während der ersten Seiten des lesens, war ich noch weit davon entfernt zu glauben das man zwei so gegensätzliche Charaktere in so wenig Seiten gegenüberzustellen, ohne das man genervt das Buch zur Seite legen möchte. Da man als Leser ja vom "Langweiler" zum "Selbstdarsteller" hin und her geschickt wird.
    Einen halben Stern Abzug gebe ich, da mir gerade diese Stimmgewalt auf den 156 Seiten manchmal etwas zu gewaltig wurde. Ein kleinwenig die Geschichte gezogen, so das ich als Leser auchmal wieder ein kleines Stückchen *runtergekommen* wäre, die Eindrücke besser/leichter verarbeiten könnte.
    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb: für diese wunderbare Novelle, die sicher nicht mein letzter M. Walser bleiben wird.

    Sobald wir lernen, uns selbst zu vertrauen, fangen wir an zu leben. ( Johann Wolfgang Goethe )


    Jede Begegnung , die unsere Seele berührt hinterlässt eine Spur die nie ganz verweht. ( Lore-Lillian Boden )

  • Ich stimme dem Beitrag von TomLeo fast hunertprozentig zu, nur dass ich mich als "Anfangsechziger" outen muss. Und dass ich anschließend wirklich auch von Walser gelesen habe. - Und furchtbar enttäuscht war.

    Also ich mag Walser nicht, gar nicht, dröge und intellektualistisch (Gibt es dieses Wort?). Aber das Fliehende Pferd ist für mich ein nahezu perfektes Buch. Warum, das wurde von Maiglöckchen und TomLeo wunderbar dargestellt. Aufgrund dieses einen Buches sollte ihm Weltruhm vergönnt sein und alles andere verziehen.


    Was ich allerdings glaube ist, dass es doch recht eigentlich ein Männerbuch ist. Aber ein Mann nennt sich doch nicht Maiglöckchen, oder?

  • Also ich mag Walser nicht,

    Das geht mir genau so. Ich habe allerdings nur "Finks Krieg" gelesen und fand das Buch fad.


    Aber ich habe einen wunderwunderschönen Abend im Coburger Landestheater mit Walser erlebt (mal abgesehen davon, dass

    Walser ungeputzte Schuhe hatte).

    Und zwar hat er als Auftragsarbeit Tiecks "Die schöne Magelone" mit Zwischentexten ergänzt und kräftig

    zurückgeschnitten, initiiert von der Bayerischen Akademie der Schönen Künste und mit dem Ziel, die

    Magelonen-Lieder von Brahms zu einem Zyklus zusammenzuschweißen.

    Christian Gerhaher hat gesungen, begleitet von Gerold Huber - ein Erlebnis...!!!


    Ich sollte Walser wieder eine Chance geben.

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • "Ein fliehendes Pferd" hat mir damals - vor langer, langer Zeit - so gut gefallen, dass ich unbedingt gleich noch einen Walser lesen wollte, habs mit "Das Schwanenhaus" probiert und fand es so schrecklich, dass ich seitdem nie wieder ein Buch dieses Autors angerührt habe.


    Es muss wohl so sein, dass "Ein fliehendes Pferd" sein Ausnahmeroman ist.

  • Es muss wohl so sein, dass "Ein fliehendes Pferd" sein Ausnahmeroman ist.

    Sehe ich auch so, obwohl ich viel von Walser gelesen habe. Doch an das Pferd kommt m.E. keins seiner weiteren Bücher heran.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Aber es ist schon ein Ding, dass dieser Mann als einer der ganz großen Ausnahmeschriftsteller gesehen wird, andererseits aber seine Werke doch in großem Maße recht kritisch gesehen werden. Mir jedenfalls ist nicht klar, worauf sich sein Ruhm gründet. Weil nur das Pferd kann es ja nicht sein.

  • Naja, ich kenne schon Leute, die alle seine Bücher lieben. Mich hat z. B. eine ehemalige Arbeitskollegin auf ihn gebracht und sie hat überhaupt nicht verstanden, dass man ihn und seine Bücher kritisieren kann. Allerdings hat sie mir auch das "fliehende Pferd" als erstes gegeben. Es muss also auch ihr am besten gefallen haben.

  • Walsers Bücher haben mich schon manche Stunden beschäftigt. Sie lesen sich nicht einfach, denn auf ihn trifft das Wort "sprachmächtig" genau zu. In seinen Büchern habe ich schon Sätze gefunden, von denen ich einfach geplättet war, heißt: Er hat etwas ausgedrückt, was ich so ähnlich empfunden / gedacht / erlebt habe. Ich saß dann da und schnappte nach Luft. Das sind für mich die Sternstunden des Lesens, denn es passiert nicht allzu oft.


    Aber manchmal habe ich das Gefühl, Walser produziere auch allerhand "Geschwurbel". Viel Licht = viel Schatten?


    Dennoch habe ich eine besondere Affinität zu ihm. U.a. habe ich hier beschrieben, warum.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


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