Philippe Claudel - Monsieur Linh und die Gabe der Hoffnung / La petite fille de Monsieur Linh

  • Klappentext:


    In seiner Heimat hat Monsieur Linh alles verloren. Er flieht mit seiner kleinen Enkeltochter in eine kalte, verregnete Stadt, wo er mit anderen Flüchtlingen in einem Heim wohnt. Auf einem seiner Spaziergänge durch die fremde Stadt lernt er den dicken, trurigen Monsieur Bark kennen, der unentwegt redet, obwohl ihn Monsieur Linh nicht verstehen kann - und eine wundervole Freundschaft beginnt, eine Freundschaft, in der ein Geheimnis gut aufgehoben ist.


    Eigene Beurteilung:


    Eine ruhig fließende Geschichte, deren logische Umstände man nicht zu genau hinterfragen sollte – sonst müsste man ernsthaft am Verstand von Immigrationshelfern zweifeln. Wenn man allerdings diese Gedanken ignorieren kann, dann liest man hier eine anrührende Geschichte über Freundschaft, die ohne Worte auskommt und menschliche Zuwendung, die über Worte weit hinausgeht. Das verlangt der Vorstellungskraft der Leserinnen und Leser ein wenig Anstrengung ab, da diese Effekte in erster Linie durch Auslassung erzielt werden, denn es handelt sich hier um eine personale Erzählung, die meist aus Monsieur Linhs Perspektive erzählt wird, der die Geschehnisse nur aus seiner sehr begrenzten Erfahrung des Lebens in einem sehr kleinen, sehr abgelegenen Dorfes beurteilen kann, aber wer sich darauf einlässt, diese Lücken für sich zu füllen, der wird mit einer kleinen, angenehmen, aber auch traurigen Geschichte belohnt, die ihn für einige Zeit nachdenklich machen wird. :study:

  • Vielen,vielen Dank für die Vorstellung! :thumright:
    Der einzige Claudel,der mir noch fehlt! Ich muss ihn einfach lesen! Nach Deiner Rezi natürlich noch dringender.Leider werde ich aus Geldmangel jedoch wahrscheinlich bis Weihnachten warten müssen,was mir kaum erträglich ist... :shock: :(

  • Nach "Die grauen Seelen" und "An meine Tochter" ist "Monsieur Linh und die Gabe der Hoffnung" nun der dritte, in Deutschland veröffentlichte, Roman von Philippe Claudel und, soviel sei verraten, er steht seinen Vorgängern in nichts nach.


    Monsieur Linh ist ein alter Mann, in dessen ferner Heimat, Krieg und Terror herrschen. Sein Dorf wird dem Erdboden gleichgemacht, alle seine Bewohner ermordet, nur er kann mit seiner kleinen, neugeborenen Enkelin flüchten.
    Um seine kleine Enkelin vor dem Krieg zu retten, besteigt der alte Mann schweren Herzens ein Flüchtlingsschiff in Richtung Frankreich, lässt seine geliebte, zerstörte Heimat hinter sich.
    In "der neuen Welt" angekommen, steht er vor dem Nichts. Er wird in einem Flüchtlingsheim, mit zwei anderen Familien aus seiner Heimat einquartiert, die den alten Monsieur Linh jedoch nur verachten und auslachen; und doch stellen sie für ihn eine letzte Verbindung zur Heimat dar. Er spricht kein Wort Französisch, ist völlig befremdet von der Kultur, von dieser "geruchslosen", hektischen Welt.
    Nur für seine kleine Enkelin scheint der alte Mann über sich selbst hinauszuwachsen. Für sie schafft er es auch nach draussen zu gehen und sich seiner Umgebung zu stellen.
    Auf einer Parkbank, gegenüber eines Vergnügngsparks, lernt er Monsieur Bark, einen dicken, kettenrauchenden Witwer kennen. Die beiden schliessen Freundschaft miteinander, kommen sich mit Mimik und kleinen Gesten, sehr nahe, ohne je ein Wort des anderen zu verstehen...


    Claudels hat mit "Monsieur Linh" wieder einmal ein Meisterwerk der Erzählkunst abgeliefert. Er benutzt eine leise, aber ergreifende Sprache, die unter die Haut geht und dort lange nachwirkt.
    Er führt den Leser durch Verlust, Schmerz und Angst, hin zur Hoffnung.
    Der Roman hat nur knapp über 100 Seiten, mit denen er allerdings mehr transportiert, als so mancher Wälzer. Ein ganz wundervolles kleines Buch.
    Und nun hoffe auch ich; nämlich auf viele weitere Romane von Philippe Claudel.

  • Für mich ist dieses Buch eine zu Herzen gehende Geschichte der Menschlichkeit inmitten einer eiskalten Umgebung. Die Freundschaft zwischen Monsieur Linh und Monsieur Bark bedarf keiner Worte. Sie verstehen sich auf eine mitfühlende und eingehende Art, wie man es so nur noch selten kennt. Denn sie teilen beide eine tiefe Trauer. Und ihre Freundschaft gibt beiden wieder Kraft und Lebensfreude. Je weiter die Erzählung fortschreitet, umso klarer wird es was das Geheimnis von Monsieur Linh ist. Und so schreitet die Geschichte fort bis zum tragischen Ende.


    Claudel hat mit wenigen Worten mehr geschrieben und ausgedrückt, als manch anderer nur in hunderten von Seiten wiedergeben kann. Er schreibt eindringlich und aufwühlend. Das hat mich beim lesen schwer beeindruckt. Ein Buch für das ich mir viele Leser wünsche. Ein Autor, den ich mir merke.

  • Eigentlich liebe ich die dicken Wälzer. Aber ich muss wieder einmal zugeben, auch die dünnen Bücher sollte man nicht außer Acht lassen.


    Im Mittelpunkt des Buches steht die Freundschaft von zwei alten Männern, Monsieur Linh und Monsieur Bark. Sie können sich zwar nicht nicht verständigen, keiner versteht die Sprache des anderen. Aber sind trotzdem nicht sprachlos, Gesten und Mimik sagen oft mehr als viele Worte. Sie fühlen sich in Inneren verbunden, denn beide sind auf ihre Art wie entwurzelte Bäume.


    Monsieur Linh sorg sich ständig um das Wohlergehen von seiner Enkelin Sang diû. Sie gibt ihm Halt. Ihre Geschichte empfand ich schon als sehr speziell.


    Mit leisen, ganz gefühlvollen Tönen schildert Philippe Claudel diese Freundschaft. Es ist ein ganz warmherziges und intensives Buch. Mich hat es sehr berührt, zum Schluss liefen mir die Tränen über das Gesicht, ich war vom Ende ehrlich erschüttert.


    Ein bisschen haben mich die teilweise recht kurzen Kapitel in meinem Lesefluss gestört. Aber das ist eine Sache, die sicher jeder Leser anders empfindet.


    Philippe Claudel ist eine Entdeckung für mich. Auf seine anderen Bücher bin ich sehr gespannt.

  • Ich kann mich meinen Vorgängern nur von ganzen Herzen anschließen. Eine sehr berührende, ergreifende Geschichte! Sehr beeindruckend, mit welcher Intensität Claudel auf nur wenigen Seiten die Gefühle von Wehmut, Heimweh, Freundschaft, Dankbarkeit und - vor allem - Hoffnung transportieren kann.


    Ein Buch, das leider viel zu schnell gelesen ist, das aber noch lange nachhallt.

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
    Wenn das Schlachten vorbei ist - T.C. Boyle


    *Life is what happens to you while you are busy making other plans* (Henry Miller)

  • Philippe Claudel - für mich eine wahrlich außergewöhnliche Entdeckung.
    Bin jetzt noch beeindruckt wieviel Wärme und Gefühl er in so wenige Seiten verpacken konnte.
    Wen wundert es deshalb, dass ich mir gleich zwei weitere Bücher von ihm gekauft habe?! :)


    Gruß Wirbelwind


    :study: Martin Suter, Der letzte Weynfeldt

    :study: Naomi J. Williams, Die letzten Entdecker









    Bücher sind die Hüllen der Weisheit, bestickt mit den Perlen des Wortes.

  • Was für eine traurig-schöne Geschichte! In einer leisen, aber eindringlichen Sprache erzählt der Autor eine Geschichte über Verlust und Freundschaft, die keine Worte benötigt. Zum Ende hin fuhr es mir durch Mark und Bein, wobei das eigentliche Ende mich mit einem Lächeln zurückgelassen hat. Flüssig zu lesen, die kurzen Kapitel empfand ich als sehr angenehm!

    Das Missliche an neuen Büchern ist, dass sie uns hindern, die alten zu lesen.
    J.Joubert

  • "Brodecks Bericht" habe ich auch auf meinem Amazon-Wunschzettel. Ich warte auf das TB, es sei denn meine Bibliothek schafft es an, dann wird es eher.

  • "Die grauen Seelen" fand ich auch sehr gut.

    Das subbt bei mir noch - vermutlich nicht mehr sehr lange! :wink:


    so ein dünnes Buch und doch so berührend.

    Ja, das stimmt wirklich! Wenn ich genau aufgepasst hätte, hätte ich bestimmt gemerkt, dass

    . Aber diese Entdeckung zum Schluss machte die

    Da schauerts mir jetzt nochmal kalt durch.


    Und "Brodecks Bericht" ist auch toll :)

    Hm :-k , davon habe ich ja noch gar nichts gehört. Muss gleich mal nach schauen gehen :)

    Das Missliche an neuen Büchern ist, dass sie uns hindern, die alten zu lesen.
    J.Joubert

  • Hm :-k , davon habe ich ja noch gar nichts gehört. Muss gleich mal nach schauen gehen :)


    Ich hatte das Buch hier: Philippe Claudel - Le rapport de Brodeck [FR]/Brodecks Bericht vorgestellt. Inzwischen haben es einige BT'ler gelesen! Und anscheinend mit sehr guten Eindrücken!

  • Meine Meinung:
    Der Roman erzählt eine Flüchtlingsgeschichte in typischen Claudel Manier:
    elegant und gekonnt viel zu Sprache zu bringen ohne viele Wörter dazu zu gebrauchen. Claudel geht sparsam aber gezielt mit der Sprache um. Sein Stil ist nüchtern und einfach, und trotzdem von gewaltiger erzählerischer Kraft.


    Ein alter Mann verloren und einsam, der sich nur an seine "Enkelin" klammert, findet im Meer der Menschen, wo man leicht verloren geht - einen Freund.


    Auf den wenigen Seiten, die Claudel braucht um eine komplexe Geschichte zu erzählen, gelingt es ihm die Emotionen der Leser anzusprechen.


    Ihm geht es um große Gefühle: Freundschaft, Liebe, Fürsorge und Achtung anderen Menschen gegenüber, aber auch um tiefste Trauer, Einsamkeit, Tod und Verlust.
    Eine Geschichte, die den Leser berührt.

    2024: Bücher: 100/Seiten: 43 976

    2023: Bücher: 189/Seiten: 73 404

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    Mein Blog: Zauberwelt des Lesens
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    "Das Nicht-Wahrnehmen von Etwas beweist nicht dessen Nicht-Existenz "

    Dalai Lama

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    Lese gerade:

    Adrian, Lara - Hüterin der Ewigkeit

    Einmal editiert, zuletzt von Emili ()

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  • Eigentlich wollte ich das Buch nur mal kurz anlesen, um es evtl. in den nächsten Tagen richtig anzufangen. Doch ich blieb hängen und hatte zwei Stunden später eins der beeindruckendsten und berührendsten Bücher des Jahres gelesen mit einer Pointe, die ihresgleichen sucht. Mit dieser Pointe gehen allerdings der einzige Trost und der Anflug von Wärme, den man während des Lesens empfindet, verloren.


    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Philippe Claudel ist, nachdem ihm 2005 mit dem Roman "Die grauen Seelen" der literarische Durchbruch gelungen ist, mit seinem Roman "Monsieur Linh und die Gabe der Hoffnung" nicht weniger geglückt als ein kleines Kunstwerk. In der Art und im Umfang erinnert es zeitweise an die Romane von Eric-Emmanuel Schmitt, jedenfalls transportiert es ähnlich viel Lebenskraft und Hoffnungsstärke.


    Das Buch beginnt mit der Schilderung einer Szene auf einem Schiff. Es ist eines der zahllosen Flüchtlingsschiffe aus Vietnam und Indochina, die in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts nach Jahrzehnten fürchterlicher Kriege und unbeschreiblicher Verwüstungen und Zerstörungen Tausende und Abertausende von sogenannten boat-people" in den asiatischen Meeren aufgriffen und ihnen in den Ländern Westeuropas und in den USA eine neuen Heimat zu geben suchten.


    Monsieur Linh ist einer von ihnen. Er ist ein alter Mann, der bei einem fürchterlichen Napalm-Angriff nicht nur sein Dorf und seine Heimat, sondern seine ganze Familie verloren hat. Nur seine kleine Enkeltochter Sang-diu ist ihm geblieben. Sie hat er gerettet und hält sie nun an der Reling des Schiffes stehend im Arm, das sie nach Frankreich bringen wird.


    Dort lebt er zusammen mit anderen Flüchtlingsfamilien zunächst in einem kleinen Heim, wird mehr schlecht als recht versorgt, und wagt sich nach einiger Zeit nach draußen, wo er auf einer Parkbank einen Franzosen kennen lernt.


    Monsieur Bark, ein ebenfalls schon in die Jahre gekommener, traurig aussehender Mann setzt sich neben ihn, beginnt ein Gespräch über das Wetter und stellt sich mit seinem Namen vor. Linh, der fremden Sprache nicht mächtig, antwortet den Traditionen seines Landes entsprechend, indem er dem anderen einen guten Tag wünscht. "Tao-lai." Monsieur Bark hält das für dessen Namen und redet ihn fortan damit an, was Linh zu dem Gedanken veranlaßt, daß das aber ein höfliches Land sei, in dem man sich andauernd einen guten Tag wünscht.


    Sie kommen sich näher. Monsieur Bark fragt auch nach seiner Enkeltochter: "Ein hübsches kleines Püppchen haben Sie da. Wie heißt sie denn ?"
    Monsieur Linh fühlt sich zum ersten Mal in dem neuen Land wahrgenommen und taut sichtlich auf. Er zeigt dem anderen ein verwaschenes Bild mit seiner Frau, aufgenommen lange bevor der Krieg seine Familie auslöschte. Und Monsieur Bark, beginnt einfühlsam zu verstehen. Er erzählt Linh von seiner verstorbenen Frau, die ein Karussell betrieb und zieht ebenfalls ein altes Bild aus seiner Tasche. Aus seinem Tonfall und seiner Mimik kann Linh irgendwann den richtigen Schluß ziehen, daß Monsieur Bark ebenso seine Frau verloren hat wie er.


    Die Schilderung dieser Gespräche ist Claudel auf das Einfühlsamste gelungen. Es scheint etwas auf, ein kleiner Hoffnungsschimmer, wie es gehen könnte mit den Menschen und ihrem Fremdsein, wie es anfangen könnte, das gegenseitige Verständnis und die Anerkennung, dessen was anders ist.


    Monsieur Bark spürt das, und etwas, was lange in ihm vergraben war, bricht auf, eine alte Schuld muß ausgesprochen werden. Als er an einem schönen Tag Monsieur Linh ans Meer führt und dieser sich an seine Heimat erinnert, spürt das auch Bark und beginnt zu reden. Und Erschütterndes kommt heraus.


    Monsieur Linh weiß nicht, wovon der andere redet, aber er spürt, daß es ihm unendlich wichtig ist. Vielleicht trauert er genauso um seine Frau wie ich, denkt er. Sie besuchen auf Barks Einladung ein Restaurant. Sie sind einfach glücklich zusammen, und nehmen sich so wie sie sind.


    Doch das Unglück lauert schon. Monsieur Linh wird von der provisorischen Unterkunft in eine andere gebracht, ein Schloß mit hohen Mauern, in dem viele alte Menschen leben, die nur so vor sich hinstarren. Linh versucht sich auch hier zu arrangieren, doch er vermisst seinen Freund. Nach einem fehlgeschlagenen Versuch, das Schloß zu verlassen, gelingt es ihm beim zweiten Mal. Und ein auch dem Leser lange verborgenes Geheimnis wird gelüftet ...


    Philippe Claudels Buch ist eine bewegende Lektüre, die nachdenklich macht und noch lange im Inneren arbeitet. Es ist schon große Kunst, in einer solchen Kürze und Dichte schreiben zu können.

  • Eigentlich wollte ich das Buch nur mal kurz anlesen, um es evtl. in den nächsten Tagen richtig anzufangen.

    Das ging mir auch so! Erst wollte ich nur etwas reinlesen, und dann habe ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen können. Eine beeindruckende, emotionale Erzählung mit traurigem Ende. Eine empfehlenswerte kurze Geschichte über Flüchtlinge und deren Trauma, Freundschaft und Hoffnung!