Florian Illies - Zauber der Stille

  • Kurzmeinung

    Marie
    Interessant aufgebaut, glänzend recherchiert, lebendig geschrieben
  • Kurzmeinung

    Abroxas
    Fabelhaft kurzweilig und gescheit zugleich
  • Klappentext:


    Kein deutscher Maler löst solche Emotionen aus wie Caspar David Friedrich: Seine abendlichen Himmel sind bis heute Ikonen der Sehnsucht, er inspirierte Samuel Beckett zu "Warten auf Godot" und Walt Disney zu "Bambi" - Goethe jedoch machte die rätselhafte Melancholie seiner Bilder so wütend, dass er sie auf der Tischkante zerschlagen wollte.In seiner groß angelegten Reise durch die Zeiten erzählt Florian Illies erstmals die Geschichte der Bilder Friedrichs: Zahllose seiner schönsten Gemälde sind verbrannt, erst in seinem Geburtshaus und dann im Zweiten Weltkrieg, andere, wie der "Kreidefelsen auf Rügen" tauchen hundert Jahre nach Friedrichs Tod aus dem Nebel der Geschichte auf. Illies erzählt, wie Friedrichs Bilder am russischen Zarenhof landen, zwischen den Winterreifen in einer Autowerkstatt der Mafia und in der Küche einer hessischen Sozialwohnung. Von Hitler so verehrt wie von Heinrich von Kleist, von Stalin so gehasst wie von den 68ern - am Beispiel von Friedrich werden 250 Jahre deutsche Geschichte sichtbar.


    Mein Hör-Eindruck:


    „Auf dem Segler“: ein junges Paar auf einem Segler, der Wind bläht die Segel, das Paar hält sich an den Händen und schaut in die Fahrtrichtung, wo das Ziel dieser gemeinsamen Reise liegt: eine Stadtsilhouette zeigt sich in irrisierendem Licht. Mit diesem Bild des Covers führt der Autor seine Leser sofort mitten in die Malerei Caspar David Friedrichs ein.

    Ein liebendes Paar auf seiner Lebensreise, umgeben von den Elementen Wind und Wasser, das Element Erde als Ziel vor ihren Blicken: das ist der Maler mit seiner jungen Frau Caroline auf dem Weg von Greifswald, Friedrichs Heimatstadt, zurück nach Dresden. Das vierte Element, das des Feuers, verortet Illies in Friedrichs glühender Liebe zu seiner Frau. D a knirscht der Bezug zwar etwas, und solche kurzen Knirscher wird es immer wieder geben, aber immerhin: Illies hat ein Ordnungsprinzip für sein Buch gefunden, nämlich die vier Elemente.


    Das erste Kapitel „Feuer“ bricht unverhofft mit der Idylle des Coverbildes und beschreibt den Brand des Glaspalastes 1931 in München, dem unter anderem neun Werke von Friedrich zum Opfer fallen. Dieser gewaltige Brand ist nicht der einzige Brand, der Gemälde unrettbar vernichtet, es folgen kriegsbedingte und andere Brände, z. B. in der väterlichen Kerzenzieherei, der Brand im Dresdner Taschenberg.-Palais oder der Brand im Bunker Friedrichshain am Ende des II. Weltkriegs. Und allmählich versteht man als Leser, wieso C. D. Friedrich so lange Zeit in Vergessenheit geraten konnte: zu viele Bilder waren zerstört worden, und die erhaltenen waren wegen der fehlenden Signatur nicht zuzuordnen.


    Schon im 1. Kapitel zeigt sich Illies Vorgehen. Er verzichtet auf die Chronologie, sondern konzentriert sich auf durchgängige Erscheinungen. Er beschreibt z. B. einige Bilder, zunächst eher vordergründig, aber geht dann der Geschichte dieser Bilder durch die Jahrhunderte nach und erzählt von abenteuerlichen Diebstählen, von raffinierten Kunsthändlern und Museumsdirektoren, von Einflüssen und Querverbindungen.


    Die ungeheure Recherchearbeit des Autors ist nicht zu übersehen. Das Buch hat aber keinerlei Schwere. Illies bringt seine Kenntnisse und diese unglaublich vielen Zusammenhänge eher plaudernd und auch mit persönlichen Kommentaren an den Leser heran. Der Leser holpert also nicht schwerfällig in einem wissenschaftlichen Karren einen steinigen Weg entlang, sondern er unternimmt mit dem Autor eine, wie es der Untertitel schon sagt, eine temporeiche und kurzweilige Reise durch die Zeiten. Der Sprecher trägt das Seine zum leichten Grundton bei.


    Alles lernt der Leser schließlich kennen: den künstlerischen Werdegang, seine Traumatisierung durch den Tod des Bruders, der ihn vor dem Ertrinken rettete, seine lebenslange Schwermut, seine tief religiöse Grundhaltung, seine Familie, seinen Dresdner Freundeskreis, seine Ablehnung des klassischen Kunstideals („Erinnerungen, nichts als kalte, tote Erinnerungen“), sein schwieriges Verhältnis zu Goethe, sein Verhältnis zur Natur, seine Kunstauffassung, seine Montage-Technik, seine finanzielle Not, sein Wesen und so fort. Die Reise geht aber weiter z. B. zu Friedrichs Einfluss auf Walt Disney und dessen „Bambi“-Film, aber immer wieder stockt sie in der Zeit des Nationalsozialismus. Caspar David Friedrich war ein Mensch, der zutiefst seine Heimat liebte („Erde“) und der in der Zeit der napoleonischen Besatzung mit den Waffen kämpfte, die er zur Verfügung hatten nämlich seiner Kunst: er malte Hünengräber und Landschaften mit mächtigen Eichen, d. h. er beschwor die „Kräfte der Vergangenheit“, wie Illies es nennt. Und genau das dient den Nationalsozialisten zum Vorwand, diesen schwermütigen, traumverlorenen Maler zu einem germanischen Helden umzustilisieren.


    Sehr ausführlich widmet sich Illies besonders zwei Bildern. „Gescheiterte Hoffnung“ (1842) ist das eine, und Illies hebt deutlich den persönlichen Hintergrund des Malers hervor, dessen Hoffnung auf eine besser bezahlte Stelle eines Ordentlichen Professors in Dresden sich zerschlagen hatte. Seine Bilder seien „zu trübsinnig“. Das andere ist das radikalste und wohl modernste Bild: „Mönch am Meer“. Ein Bild, das einen Menschen in seiner Verlorenheit vor der mächtigen Natur zeigt und Kleist zu der Bemerkung veranlasste, es sei, als ob einem die Augenlider weggeschnitten seien. Kleist erschoss sich wenige Tage später.


    Illies‘ Begeisterung für den Maler springt auf den Leser über. Was mir aber über alle Maßen gut gefällt, ist die Tatsache, dass Illies den Maler aus seiner Vergangenheit herausholt und in unsere Zeit stellt. Vergangenheit und Gegenwart werden durch die vielen Bezüge miteinander verflochten.


    Illies lässt die Bilder Caspar David Friedrichs über die Jahrhunderte hinweg zu uns sprechen. Und eine solche Belebung der Geschichte finde ich in den aktuellen Zeiten von Geschichtsvergessenheit wichtiger denn je.


    Fazit: Lese-Empfehlung für dieses Hörbuch, das dezidiert für Laien geschrieben wurde, aber auch den Fachmann erfreut!


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    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • drawe

    Hat den Titel des Themas von „Florian Illies - Vom Zauber der Stille“ zu „Florian Illies - Zauber der Stille“ geändert.