Helene Sommerfeld - Das Leben, ein großer Rausch

  • Berlin, 1922 - 1924

    Magda Fuchs musste nach einem schweren Schicksalsschlag Abstand gewinnen und hat eine Stelle als Polizeiärztin in Berlin angenommen. Mittlerweile ist sie gut eingearbeitet und erhält durch eine glückliche Fügung die Möglichkeit auch noch eine eigene Ordination als Frauen- und Kinderärztin zu betreiben. Privat läuft es für Magda mit dem sympathischen Kommissar Kuno Mehring ebenfalls gut.
    Die junge Frau könnte mit ihrem Schicksal also ganz zufrieden sein, wäre da nicht die unsichere politische und schwierige wirtschaftliche Lage, die immer mehr Menschen zu Verzweiflungstaten treibt. Zudem kann Magd ihre Augen nicht vor der Notlage vieler ihrer Patientinnen und dem Elend ungewollter und ungeliebter Kinder verschließen. Doch Hilfe zu leisten ist meist schwierig, oft sogar unmöglich.
    Kommissar Mehring hingegen hält ein Serienmörder in Atem, der scheinbar wahllos junge Frauen attackiert. Von einer ihrer Patientinnen erhält Magda schließlich einen Hinweis, der neuen Schwung in die Ermittlungsarbeit ihres Verlobten bringt.



    Der zweite Band der Trilogie um die junge Ärztin mit dem großen Herzen hat mir sogar noch besser gefallen als der erste Teil.
    Die bereits bekannten Protagonisten haben sich charakterlich weiterentwickelt. Magda wird vor allem mit den unsagbar hoffnungslosen Lebensumständen zahlreicher Frauen und Kinder aus den unteren Gesellschaftsschichten und ihrer eigenen Hilflosigkeit konfrontiert. Die angesprochene Doppelmoral – Abtreibungen sind verboten, Methoden der Empfängnisverhütung dürfen nicht öffentlich diskutiert werden, doch für die Notlage der Frauen und Kinder fühlt sich der Gesetzgeber nicht mehr verantwortlich – wird wohl das Nervenkostüm manchen Hörers strapazieren.
    Celia Fahrland (verwitwete von Liebenau) hingegen hat mit ganz anderen Problemen zu kämpfen. Sie muss sich nicht nur gegen ihre dominante Mutter zur Wehr setzen, sondern will ihr Medizinstudium auch ohne die Hilfe ihres reichen Verlobten schaffen.
    Aber auch Magdas bodenständige Freundin, die Fürsorgerin Ina, die auf ihren Durchbruch als Schauspielerin hoffende Doris, die Journalistin Erika, die exaltierte Anwältin Ruth und einige von Magdas Patientinnen sind in ihrer Unterschiedlichkeit sehr realistisch gezeichnete Persönlichkeiten. Sie alle repräsentieren individuelle Schicksale und Träume, die verwirklicht werden und nicht als Spielbälle der Geschichte geopfert werden wollen.
    Den Aufbau des Romans finde ich sehr gut durchdacht und den historischen Hintergrund mit akribischer Genauigkeit recherchiert. Immer wieder beleben überraschende Wendungen die Geschichte und sorgen so für einen abwechslungsreichen Handlungsverlauf.
    Sehr gut ist auch das große soziale Gefälle zwischen Arm und Reich herausgearbeitet. Trotz der rasanten Geldentwertung, der überall greifbaren Armut stürzen sich alle, denen es noch irgendwie möglich ist, ins Vergnügen. Der Besuch von Lichtspielhäusern, von Restaurants und Theatern erscheint wie der sprichwörtliche Tanz auf dem Vulkan. Immer lauter wird aber auch der Ruf nach einem starken Mann, der dem Chaos Einhalt gebietet und Sicherheit schafft für eine auf den Abgrund zutaumelnde Gesellschaft.
    Tanja Fornaro hat ihre Sache auch als Sprecherin des zweiten Hörbuchbandes wieder sehr gut gemacht. Sie verzichtet auf gewagte Stimmexperimente, um die verschiedenen Protagonisten darzustellen, und trägt mit ihrer ruhigen, angenehmen Vortragsweise souverän durch die Geschichte.
    Aufgrund der realistischen Darstellung sämtlicher Charaktere, des spannenden Handlungsverlaufs und der guten Recherche zum historischen Hintergrund vergebe ich gerne :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertungHalb:

    Liebe Grüße von Lorraine :)


    "Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen." (Karl Kraus) :study: