Cordelia Edvardson - Gebranntes Kind sucht das Feuer / Bränt barn söker sig till elden

  • Über die Autorin:

    Cordelia Edvardson, 1929 in München geboren, lebte bis 1943 mit ihrer Mutter, der Schriftstellerin Elisabeth Langgässer, in Berlin. Mit vierzehn wurde sie über Theresienstadt nach Auschwitz deportiert. Nach Kriegsende arbeitete sie als Journalistin in Schweden. Während des Jom-Kippur-Krieges 1973 übersiedelte sie nach Israel. Für „Gebranntes Kind sucht das Feuer (Hanser, 1986) erhielt sie den Geschwister-Scholl-Preis. Sie starb 2012 in Stockholm. (Quelle: Verlag)


    Inhalt:

    Cordelia Edvardson wurde unehelich geboren und ist eine sogenannte „Dreivierteljüdin“. Ihre Mutter schützte im entscheidenden Moment nicht ihre Tochter, sondern rettet sich selbst. Mit gerade mal 14 Jahren wird Cordelia über Theresienstadt nach Ausschwitz deportiert. Das Buch ist in meinen Augen eine autobiografische Darstellung, kein Roman. Er beginnt mit ihrer Kindheit und endet als sie mit ca. 40 Jahren nach Israel als Journalistin an den Jom-Kippur-Krieg geriet.


    Meine Meinung:

    Das Buch beginnt mit den Sätzen: „Das Mädchen hatte schon immer gewusst, dass etwas mit ihm nicht stimmte. Sie war nicht wie andere. Mit ihr war ein Geheimnis verknüpft, ein sündiges, schamvolles, dunkles Geheimnis. Es war nicht ihre eigene Sünde und Scham; sie war hineingeboren worden, auserwählt für das, weshalb sie ausgesondert, ausgegrenzt und ausgeschlossen wurde.“


    Cordelia Edvardsson schreibt mit Distanz über sich. Diese Distanz braucht es aber, denn so kann sie, jedenfalls vermute ich es, mit den ganzen Erlebnissen besser zurechtzukommen. Sie unternimmt damit den Versuch den Verrat ihrer eigenen Mutter zu verarbeiten und all die anderen entsetzlichen Geschehnisse. Jedes Wort, jeder Satz in diesem Buch ist bewusst gewählt und gestaltet. Da ist eine Kraft enthalten, die mich sehr mitgenommen hatte. Ich hätte die 14-jährige Cordelia so gerne gerettet und sie vor den Erlebnissen des Konzentrationslagers bewahrt. Ihrer Mutter war es nicht gelungen.


    Sie beschreibt aber auch von ihrer Zeit nach dem KZ, dieser unfassbaren Tötungsmaschine. Als Leser wird es einem sehr bewusst was es bedeutet ein Trauma zu haben. Alles zu vergessen, wie ihr in Schweden geraten wurde, langt da nun mal nicht. Das Geschehene kann man nicht einfach vergessen und gut ist. Das muss aufgearbeitet werden. Man spürt immer wieder die Spätfolgen davon im Leben der Autorin. Da wird im wahrsten Sinne des Buchtitels das Feuer gesucht und nicht gemieden.


    Fazit:

    Ich kann dieses Buch nur jedem Interessierten empfehlen. Ich denke es ging auch darum mit dem Verrat durch die eigene Mutter zurecht zu kommen und die eigene Identität wieder zu finden. Ob es ihr gelungen ist, mag jeder Leser für sich herausfinden. Es beschreibt auch das Trauma, mit denen die Überlebenden zu kämpfen haben. Mich hat es sehr mitgenommen und über lange Zeit beschäftigt. Es ist kein Buch, das man mal eben so liest und wieder vergisst.

    Die Übersetzung aus dem Schwedischen kam von Ursel Allenstein.

    Zur Neuauflage des Buches gibt es ein Nachwort von Daniel Kehlmann, welches unbedingt lesenswert ist und weitere Denkanstöße gibt.

    Nimm dir Zeit für die Dinge, die dich glücklich machen.


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  • Sie unternimmt damit den Versuch den Verrat ihrer eigenen Mutter zu verarbeiten und all die anderen entsetzlichen Geschehnisse.

    Grundsätzlich gibt es ja dieses Urvertrauen, das ein Kind gegenüber den Eltern braucht, eine solide Basis sozusagen, auf der man aufbauen kann.

    Wie schwierig muss es sein, wenn man durch das Verlassenwerden der Mutter schon das Gefühl bekommt, man sei nichts wert und dann auch noch in ein KZ gesteckt wird, wo einem nochmals brutal eingetrichtert wird, dass man Abschaum sei.


    Eine verdammt harte Kost scheint dieses Buch zu sein, deswegen schwanke ich noch etwas, vermerke es mir aber mal auf der Wuli. Danke für die Rezi.

    :study: Audre Lorde: Sister Outsider (eBook)

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    :study: Thomas Chatterton Williams: Selbstportrait in Schwarz und Weiss - Unlearning Race



    „An allem Unrecht, das geschieht, ist nicht nur der Schuld, der es begeht, sondern auch der, der es nicht verhindert.“

    Erich Kästner

    "Das fliegende Klassenzimmer"


    Warnhinweis:
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    :study:

  • Grundsätzlich gibt es ja dieses Urvertrauen, das ein Kind gegenüber den Eltern braucht, eine solide Basis sozusagen, auf der man aufbauen kann.


    Das hatte mich auch sehr erschüttert. Dieses Urvertrauen war von Anfang an nicht gegeben. Cordelia musste sich immer wie ein Fremdkörper gefühlt haben. Grauenvoll, darüber darf man gar nicht zu lange nachdenken.


    Auch später, als ihre Mutter etwas in die Wege geleitet hatte, das Cordelia vielleicht geholfen hätte, hatte ihre Mutter letzten Endes gekniffen, als es darauf ankam. Als Mama würde ich alles für mein Kind tun, um es zu schützen. Da war es für mich völlig unverständlich, warum Edvardsons Mutter letzten Endes so handelt. Ich würde jetzt wohl zu viel verraten, wenn ich ausführlicher schreiben würde. Cordelia Edvardson stellt dem eine Szene aus Ausschwitz gegenüber, das einem tief schlucken lässt.


    Eine verdammt harte Kost scheint dieses Buch zu sein, deswegen schwanke ich noch etwas, vermerke es mir aber mal auf der Wuli.

    Das Buch war wirklich hart zu lesen, deshalb verstehe ich dein Schwanken sehr gut. Man sollte es sich gut überlegen, ob man zu so einer Lektüre greift. Meine Familie durfte sich einiges darüber anhören. Mein Gesprächsbedarf war sehr hoch.

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  • Das Buch ist in meinen Augen eine autobiografische Darstellung, kein Roman.

    Und sowas empfinde ich als eine Frechheit von Seiten des Verlags. Nach dem, was du schilderst, ist es eine spannende, bewegende Autobiografie und als solche absolut lesenswert - aber weil dieses Genre weniger gekauft wird, schreibt der Verlag "Roman" drauf. :roll: Eine sehr unschöne Modeerscheinung.

    :study: I. L. Callis - Doch das Messer sieht man nicht

    :study: Nadia Murad - Ich bin eure Stimme

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    :montag: Rita Mae Brown - Für eine Handvoll Mäuse (Mrs. Murphy Bd. 21)





  • Ich gebe dir absolut Recht Sarange Das ist völlig unverständlich. Nur, weil Edvardson mit meiner Meinung nach sehr verständlichen Distanz von sich nur als "das Mädchen" schreibt? Das wäre ja kein Grund. Es ist in meinen Augen eindeutig eine autobiografische Darstellung. Edvardson hat jedes Wort sehr sorgfältig gewählt. Auch der Stil gehört für mich dazu. Ein mindestens genau so großes Rätsel ist mir, dass es eine Zeitlang nicht mehr aufgelegt wurde. Obwohl es problemlos in der Riege von Primo Levi und anderen mithalten kann. Erst als Kehlmann in seiner Dankesrede für den Elisabeth-Langgässer-Preis an dieses Werk erinnert, kam es wieder in den Focus. Das muss vor 2 Jahren gewesen sein. Kehlmanns Nachwort im Buch ist wirklich sehr beeindruckend.


    Wirst du es auch lesen Sarange ? Bei NetGalley kann man es noch anfragen.

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  • Wirst du es auch lesen Sarange ? Bei NetGalley kann man es noch anfragen.

    Siehste mal, bei NetGalley ist es mir glatt durchgerutscht. Aber ich werde mir das sehr gut überlegen. Zum einen scheint es ja wirklich harte Kost zu sein :-? , und zum anderen habe ich bei NetGalley aktuell drei Bücher auf Halde liegen, das sind für meine Verhältnisse schon eindeutig zu viele. :lol:

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  • Das Buch ist in meinen Augen eine autobiografische Darstellung, kein Roman.

    Und sowas empfinde ich als eine Frechheit von Seiten des Verlags. Nach dem, was du schilderst, ist es eine spannende, bewegende Autobiografie und als solche absolut lesenswert - aber weil dieses Genre weniger gekauft wird, schreibt der Verlag "Roman" drauf. :roll: Eine sehr unschöne Modeerscheinung.

    Das ist wohl nicht eindeutig festzulegen. Die Ausgabe von 1986 wurde vom Hanser Verlag bereits als Roman bezeichnet, Fembio bezeichnet das Buch als autobiografischen Roman.

    https://www.fembio.org/biograp…aphie/cordelia-edvardson/

    Der Katalog der DB verzeichnet sowohl Roman, als auch Autobiografie.

    :study: -- Damasio - Gegenwind

    :study: -- Naylor - Die Stimme der Kraken

    :study: -- Landsteiner - Sorry, not sorry

    :musik: --


    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • Buchdoktor Das mag sein. Für mich ist aus den Schilderungen von Farast jedoch nicht ersichtlich, was an diesem Buch es zu einem "Roman" machen sollte. :-k

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  • Zitat

    „This is not reality as such, this is MY reality, this is a ‚Roman’“, schreibt Cordelia Edvardson über den wie immer autobiographischen Charakter ihres Werks (zitiert nach Anthony Riley. „ …and the dream took on a face… ” Cordelia Edvardsons Vorstudie zu ihrem Roman. In: Walter Schmitz (Hg.). Erinnerte Shoah. Die Literatur der Überlebenden. The Shoah Remembered, Literature of the Survivors. Dresden 2003

    https://www.vormbaum.net/index…cordelia-edvardson-1/file

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  • Zitat

    „[...] this is MY reality, this is a ‚Roman’ [...]“

    https://www.vormbaum.net/index…cordelia-edvardson-1/file

    Okay, offenbar konnte oder wollte sie sich selbst nicht entscheiden, denn darin steckt doch ein Widerspruch in sich? :-k Allein der Umstand, dass es immer verschiedene Perspektiven auf ein Geschehen gibt, verschiedene Wahrnehmungen / Wahrheiten / Realitäten, macht ihre persönliche Realität doch noch nicht zu einem "Roman", also zu Fiktion?! :-k

    Naja, ich muss nicht alles verstehen. :lol:

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  • Buchdoktor Interessante Links, die du rausgesucht hast. Danke dir!


    Okay, offenbar konnte oder wollte sie sich selbst nicht entscheiden, denn darin steckt doch ein Widerspruch in sich?

    Ich kann sie da auch nicht verstehen. Nachfragen geht ja leider nicht mehr. Vielleicht wurde es für sie so erträglicher? Vielleicht ein Teil ihrer Traumatisierung? Keine Ahnung. Ich habe gerade eben noch einmal in den Anfang des eBooks geschaut, als ob mir ihre Sätze eine Antwort geben könnten. Das Einzige was ich wieder sehr stark empfunden habe, war ihre Distanz zu sich selbst.

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  • "Wer ausgesondert, ausgegrenzt und ausgeschlossen wurde, der war auch auserwählt! Auserwählt — wozu?“

    „Das Mädchen hatte schon immer gewusst, dass etwas mit ihm nicht stimmte.Sie war nicht wie andere. Mit ihr war ein Geheimnis verknüpft, ein sündiges, schamvolles, dunkles Geheimnis. Es war nicht ihre eigene Sünde und Scham; sie war hineingeboren worden, auserwählt für das, weshalb sie ausgesondert, ausgegrenzt und ausgeschlossen wurde.Und darin fand sie ihren Stolz, um nicht zu sagen Hochmut. Wer ausgesondert, ausgegrenzt und ausgeschlossen wurde, der war auch auserwählt! Auserwählt — wozu?“


    Mit diesen Worten beginnt die Lebensgeschichte von Cordelia Edvardson (1926-2012), die 1986 erstmals erschienen. Darin erzählt die Autorin in drei Teilen über ihre Kindheit als unehelich Geborene in Deutschland bis zu ihrer Deportation zuerst nach Theresienstadt und anschließend nach Auschwitz, dem Überleben dort und der Befreiung sowie ihres weiteren Lebens in Schweden.

    Das Buch wirkt seltsam distanziert, spricht die Autorin doch von sich als in der dritten Person, als „das Mädchen“. Das beginnt schon vor der Deportation, dieses in die Anonymität abgleiten, dieses Unsichtbarmachen, denn sie will alles, nur nicht auffallen. Daher fällt es ihr nicht allzu schwer in Auschwitz als „Schutzhäftling A 3709“ jeder Würde und Persönlichkeit beraubt zu sein. Nur als man ihr die Haare schert, fühlt sie sich verloren.


    Die Zeit im KZ ist durch zahlreiche andere Bücher schon hinreichend beschrieben worden, daher stören die sparsamen Einblicke in den grausamen Lageralltag nicht. Über Selektionen, Menschenversuche von Mengele und Ähnliches ist schon mehrfach berichtet worden.


    Was dieses Buch so besonders und so besonders bedrückend macht, ist das toxische Verhältnis von Mutter und Tochter. Cordelias Mutter ist die Schriftstellerin Elisabeth Langgässer (1899-1950), den Nürnberger Gesetzen nach selbst eine halbe Jüdin, die sich schon recht früh zu einer fast besessenen Katholikin entwickelt. Langgässers Versuche, ihre Tochter durch eine Adoption zur spanischen Staatsbürgerschaft zu verhelfen und damit retten zu wollen, erscheinen halbherzig.


    Letztlich werden sich Mutter und Tochter 1949 das einzige und letzte Mal nach der Befreiung Cordelias sehen.


    Sehr einfühlsam und gut gelungen ist Daniel Kehlmanns Nachwort.


    Fazit:


    Diese Lebenserinnerungen der Cordela Edvardson sind keine leichte Kost. 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

    "Ein Tag ohne Buch ist ein verlorener Tag"


    "Nur ein Lesender kann auch ein Schreibender sein oder werden" (Maria Lassnig/1919-2014)