Raymund Queneau - Stilübungen
Ein Büchlein, das keine Geschichte schreibt. Aber eben doch und zwar so kurz, dass ich sie hier kurz erzählen kann. An einer Bushaltestelle wird jemand angerempelt. Im Bus sucht der Rempler sich einen leeren Platz und bekommt einen Hinweis.
Das war’s. Ich sehe die Grübelfalte über der Nasenwurzel.
Wird noch besser.
Diese Episode ist gleich 99-mal in dem Büchlein festgehalten.
Nicht viel Inhalt?
Ja und nein.
Was hat denn dieser Unfug nun zu bedeuten?
Die Buseinsteigegeschichte wird stilistisch in eben diesen 99 Varianten angeboten. Es geht offensichtlich nicht um die „Story“, sondern um deren Form, den Stil eben. Von wie vielen Seiten ist ein Geschehen zu betrachten? Wie aber auch zu bewerten? Wie weit kann man es in der Entfremdung treiben? Welche Alternativen stellen sich für einen schlichten Sachverhalt? Was ist vermeintliche Objektivität wert, wenn man sie ernsthaft auf die Probe stellt. Wie viele stilistische Mittel stehen einem allein für so einen Minimaltext zur Verfügung? Selbst Prosa und Dada lassen grüßen.
Ein Experiment, das erstaunt, überrascht, begeistert, irritiert und ablehnen lässt. In jedem Fall ist es sehr unterhaltsam. Ein außergewöhnliches Büchlein, das man sich sozusagen zum Spaß gönnen sollte. Wer es nicht tut, hat was verpasst. Behaupte ich einfach, aber mit felsenfester Überzeugung.
Klingt ja nun nicht sooooo umwerfend originell?
Ich habe es jedoch so erlebt und bewundere die Chuzpe, so ein Ding einfach durchzuziehen.
Abschließend ein Satz aus dem Klappentext: „Virtuoser Umgang mit der Sprache mit ihren nahezu unerschöpflichen Möglichkeiten kennzeichnen die 1947 entstandenen Texte.“
Beim Herauskramen bin ich darauf gestoßen, dass es das Büchlein in einer neuen Übersetzung (978-3518224953) von 2017 gibt. Werde ich mir zu allem Überfluss auch besorgen, denn nie konnte ich sicherer sein, ein gutes Buch zu bekommen.
Wer es nicht kauft, bestraft sich, ohne es zu wissen.