Text kopiert; Copyright aus: Das Buch der tausend Bücher
Die Frau in Weiss
OT The Woman in White OA 1860 DE 1965Form Roman Epoche Viktorianisches Zeitalter
Von dunklen Familiengeheimnissen in einer nach außen heilen Gesellschaftsordnung, von Giftmischerei, Intrigen, Geheimbünden und vom sporadischen Einbruch des Übernatürlichen in Form erschreckender Visionen handelt dieser »viktorianische Bestseller«.
Entstehung: Der Legende zufolge basiert die Ausgangssituation – das nächtliche Zusammentreffen des Helden und hauptsächlichen Erzählers, Walter Hartright, mit der geheimnisvollen, aus einer Irrenanstalt entflohenen Frau in Weiß – auf einem wahren Erlebnis des Autors: In Begleitung seines Bruders Charles und des Malers John Millais (1829-96) sei Collins 1858 einer ganz in Weiß gekleideten Frau begegnet, die aus einer Villa im Regent’s Park gefüchtet war, wo sie unter dem Einfluss magnetischer Kräfte gefangen gehalten worden sei. Die Dame hieß im wirklichen Leben Caroline Graves und war ab 1858 für 30 Jahre die Lebensgefährtin von Collins.
Inhalt: Die Begegnung Walter Hartrights mit der geistig verwirrten Anne Catherick löst eine Kette schicksalhafter Ereignisse aus:
Als Walter kurze Zeit später als Zeichenlehrer auf das Gut Limmeridge in Cumberland kommt, erkennt er in seiner Schülerin Laura Fairlie eine Doppelgängerin der mysteriösen Fremden. Die beiden verlieben sich, doch Laura ist einem anderen versprochen. Obwohl er durch das erneute Erscheinen von Anne auf Limmerigde beunruhigt ist, reist Walter aus Taktgefühl ab. Die scheinbar zusammenhanglosen Warnungen der Frau in Weiß erfüllen sich: Die Ehe von Laura und Sir Percival Glyde entpuppt sich als reine Geldheirat. Glydes Busenfreund Conte Fosco schmiedet einen perfiden Plan, der die Identitäten von Laura und ihrer Doppelgängerin vertauscht: Die unter einem Vorwand nach London gelockte Anne stirbt im Haus des Conte an einem Herzleiden und wird in Limmeridge unter Lauras Namen beigesetzt, während die echte Lady Glyde – durch die Ereignisse psychisch und körperlich zerrüttet – im Irrenhaus landet. Lauras tatkräftiger Halbschwester Marian gelingt es, sie aus dem Sanatorium zu befreien. Indem er die Geschichte der Frau in Weiß – in Wirklichkeit Lauras illegitime Halbschwester väterlicherseits – rekonstruiert, gelingt es Walter Hartright, die Ehre und den guten Namen Lauras wiederherzustellen. Als seine Frau wird sie in ihre alten Rechte wieder eingesetzt, ihr neugeborener Sohn wird der Erbe von Limmerigde.
Aufbau: Collins bedient sich einer verschachtelten Erzählweise, die Augenzeugenberichte, Tagebuchaufzeichnungen und Briefe der beteiligten Personen kombiniert. Die verschiedenen Perspektiven gaben dem Autor Gelegenheit, in den Tonarten und Sprachrhythmen aller Gesellschaftsschichten zu brillieren. Ganz in der Tradition des Fortsetzungsromans »dosiert« Collins die Informationen und Andeutungen, legt falsche Fährten und lässt die Spannungskurve zum Ende der Kapitel rapide ansteigen.
Wirkung: Schon die dreibändige Erstausgabe wurde von Publikum und Kritik begeistert aufgenommen und erfuhr allein im Erscheinungsjahr sieben Auflagen. Alle Arten von Gebrauchsartikeln, Kleidungsstücke, sogar ein Walzer wurden nach der Frau in Weiß benannt. Der Stoff wurde mehrfach für Kino und Fernsehen verfilmt, u. a. in der Sowjetunion, wo das Buch große Popularität genoss. In Deutschland setzte eine verstärkte Collins-Rezeption erst Mitte der 1960er Jahre ein, nachdem Arno R Schmidt 1965 den hierzulande fast vergessenen Autor wieder entdeckt und seine brillante Übersetzung der Frau in Weiß vorgelegt hatte.
Ein, meiner Meinung nach, wunderbares Buch, das es verdient, wieder einmal erwähnt zu werden.
Die Älteren unter uns werden sich mit Sicherheit an die wundervolle Verfilmung mit Heidelinde Weiss erinnern.
Grüsse von Bonprix