James Ellroy - Ein amerikanischer Albtraum / The Cold Six Thousand

  • Autor: James Ellroy
    Titel: Ein amerikanischer Albtraum, aus dem Amerikanischen von Stephen Tree
    Originaltitel: The Cold Six Thousand, erschien erstmals 2001
    Seiten: 1.040 Seiten, unterteilt in 122 Kapitel
    Verlag: Ullstein Taschenbuch
    ISBN: 9783548062372


    Der Autor: (von der Ullstein-Verlags-Homepage)
    James Ellroy, Jahrgang 1948, begann seine Schriftstellerkarriere 1979 mit Browns Grabgesang. Mit Die Schwarze Dahlie gelang ihm der internationale Durchbruch. Unter anderem wurde Ellroy fünfmal mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet, zahlreiche Bücher wurden verfilmt, darunter L.A. Confidential.


    Inhalt: (Klappentext)
    Dallas, November 1963: Die Hintergründe des Attentats auf John F. Kennedy werden vertuscht. Ein junger Bulle kommt in Dallas an. Mit einem Überstellungsmandat und 6000 Dollar. Und gerät ins Epizentrum explodierender amerikanischer Träume. Eine Reise beginnt, die sich über fünf höllische Jahre erstreckt. Von Dallas nach Vegas. Wir schauen bei der Mafia und Howard Hughes vorbei. Machen beim Klan und bei J. Edgar Hoover mit. Gehen nach Vietnam und bringen weißes Puder heim. Planen Morde, während es 1968 wird ... James Ellroy nimmt die Geschichte auf, die er in Ein amerikanischer Thriller begann und treibt sie weiter durch eine wilde Zeit. Ikonen der Epoche mischen sich mit Bullen, Mördern, Gangstern und Provokateuren. Und leben gemeinsam den amerikanischen Albtraum aus.


    Meinung:
    Vom ersten Teil der Underworld-USA-Trilogie war ich ja sehr begeistert. Und im zweiten Teil geht es gleich so weiter: Das Attentat auf den amerikanischen Präsidenten ist soeben geschehen, eine große Schar Mitwisser aus dem ersten Band versucht nun die Spuren zu verwischen und auch die üblichen «Herrscher im Hintergrund» - die Kennedys, J. Edgar Hoover, Mafiabosse und Howard Hughes – sind noch voll dabei. Drogenhandel, Glücksspiel in Las Vegas, diverse Intrigen und viel Gewalt, alles ähnlich wie in Teil eins. Thematisch also wieder klasse, wie die historischen Personen in Ellroys Spekulationen einen neuen Platz einnehmen. Und auch die ganze Geschichte wird hier wieder aus Sicht von drei Protagonisten erzählt, und zahlreiche Einschübe in Protokollform bieten weiterführende Informationen, ohne Langeweile aufkommen zu lassen - der gleiche Aufbau wie im ersten Band.


    Aber ach du meine Güte – der Schreibstil hat sich geändert. Ungelogen, hier drei Passagen, soeben willkürlich aufgeschlagen:

    Zitat von Kapitel 6

    Er ging zu Fuß zum Club. Barb war nicht in Form. Barb sang für drei Transis. Sie blickte durch ihn hindurch. Er ging allein nach Hause.

    Er schlief allein. Barb schlief auf dem Klo.

    Pete streifte umher.

    Zitat von Kapitel 38

    Der Knilch blies in eine Trillerpfeife. Die Truppen gingen in den Schiessstand. Sie feuerten. Sie feuerten zu tief. Sie feuerten daneben. Carlos zuckte mit den Schultern. Carlos wirkte verstimmt. Carlos ging. Der Knilch zuckte mit den Schultern. Der Knilch wirkte verletzt. Der Knilch ging.

    Pete ging. Pete überprüfte den Schiessstand. Pete überprüfte das Waffenlager. Pete musterte die Bestände.

    Zitat von Kapitel 92

    Mr. Hoover war alt. Die Welt entglitt ihm. Er hatte die Zeit seiner Herrschaft überlebt. Sein Hass war zerflossen. Sein Hass hatte sich verdichtet. In Hass auf Dr. King.

    Littell begriff seinen eigenen Hass.

    Er war anmassend. Er wollte zuviel. Er hatte sich übernommen. Sein Hass war zerflossen. Sein Hass hatte sich verdichtet…

    Undsoweiter, undsoweiter… Hunderte von Seiten voll mit ganz kurzen Sätzen.


    Ich musste erst nochmals nachschauen, ob mir dieses Satzstakkato im ersten Band nur nicht auffiel, aber nein – es scheint eine «Weiterentwicklung» von Ellroys Erzählstil zu sein. Als Mittel, um Tempo in eine Geschichte zu bringen, kein Problem. Aber rund 1.000 Seiten Roman, in dem es nahezu ausschließlich (lediglich unterbrochen von Dialogen und Dokumenteneinschüben) solche Minisätze mit endlosen Wiederholungen gibt, das ist schwer auszuhalten.


    Übertriebene Gewalt konnte ich leicht ertragen, ebenso die Darstellung restlos sämtlicher Menschen als Lügner, Betrüger und Intriganten, die Lästereien und Pöbeleien auf jegliche Volksgruppen – nichts Neues bei Ellroy. Aber es war wirklich kein Vergnügen, sich durch diesen Wälzer zu lesen, bei dem man sich wegen des Erzählstils den Kopf an die Wand schlagen möchte. Keine Hoffnung auf längere, erklärende Sätze, eine eloquente Wortwahl oder sonstwas. Den dritten Band lege ich erstmal wieder ans untere Ende meines SUBs.

  • Hunderte von Seiten voll mit ganz kurzen Sätzen.

    Oh, du Tapferer!! Wie hältst du das bloß aus? Ich könnte das nicht lesen, so interessant könnte das Buch gar nicht sein. Oder wiegt es inhaltlich alles auf?

    War der 1. Teil stilistisch ganz ok? Und warum hat der Autor seine Schreibweise dann so verändert? Weißt du darüber etwas?

  • Naja, inhaltlich hatte mich das Thema schon interessiert und der erste Teil war stilistisch okay. Und ich habe auch noch den dritten Band im Regal. Daher habe ich dieses Buch tatsächlich durchgelesen, um später mal die Trilogie auch abzuschließen. Und die oben beschriebene Schreibweise wird von anderen Lesern tatsächlich als notwendige Weiterentwicklung gesehen.


    Im Feuilleton bspw gibt es begeisterte Stimmen:


    »Amerika als wilder Fiebertraum in Stakkato-Prosa - das kann nur der Höllenhund der Literatur.« Frankfurter Allgemeine Zeitung


    »Konsequent notiert er seine Beobachtungen in einem lapidaren pseudodokumentarischen Stil, Hauptsatz reiht sich an Hauptsatz, über Hunderte von Seiten. Dieser, im Albtraum gegenüber dem Thriller nochmals forcierte Bürokraten-Rap-Stil erzeugt eine halluzinogene Stimmung.«

    Die Zeit vom 14. Feb 2008


    Ich kam in keine halluzinogene Stimmung. Vielleicht hätte ich das Buch am Stück lesen müssen, aber mir kam es in dieser Häufung einfach blödsinnig vor. Der Lesespaß blieb auf der Strecke und wurde zur Pflicht - eben, weil ich Bücher nicht gerne abbreche und doch irgendwann noch den dritten Teil lesen möchte (dann entsprechend vorgewarnt, denn der dritte Teil kommt hier im BT auch nicht sonderlich gut weg)