Dolores Redondo - Alles was ich dir geben will / Todo esto te daré

  • Spanische Charlotte Link...?



    Ein Schriftsteller begibt sich nach dem plötzlichen Unfalltod seines Ehemannes auf Spurensuche nach Galicien – was nur hatte der Ehemann dort gewollt? Angeblich hatte er in Barcelona bei einem Meeting geweilt. Es stellt sich heraus, dass er einen Teil seiner komplexen und düsteren Familiengeschichte verheimlicht hat. Um Manuel zu schützen? Oder um etwas zu vertuschen?


    Hombre, was für ein Roman! Prallvoll, drall, erzähllustig, detailreich. Und von all dem beinah ein wenig zu viel. Und außerdem noch schwer einzuordnen. Denn - als was soll ich dieses Buch nur bezeichnen? Ein Roman, sicherlich. Aber was überwiegt? Ist es Familiensaga, Liebesgeschichte, oder Krimi? Von allem etwas, würde ich sagen. Dabei ist eine höchst ungewöhnliche Mischung herausgekommen – und das kann man durchaus mögen.


    In der Werbung wurde Dolores Redondo vorab als die „spanische Charlotte Link“ bezeichnet. Das trifft es meiner Meinung nach nicht ganz. Eines ist sicher unstrittig – das Buch wurde erkennbar von einer Frau geschrieben. Es ist in weiten Strecken äußerst „sinnlich“. Die ersten gut 300-400 Seiten bestehen aus Reisen, gutem Essen, Landschaftsbeschreibungen, einer Weinlese, und schönen Gärten. Erst etwa ab der besagten Seite 400 wurde es für mich zum Krimi. Der sich zu einem – zugegeben – höchst unerwarteten Finale steigerte.


    Mich hat die Themenmischung aber auch irritiert. Dass es ein homosexuelles, ja gar verheiratetes Paar als Titelhelden gab – okay, gut und mutig. Auf der anderen Seite dann wieder diese verbissene Beschäftigung mit Adel und Klassenunterschieden. Ich wusste gar nicht, dass das in Spanien noch ein solches Thema ist! Mir war das jedenfalls fremd.


    Schön, ja sehr schön, waren die schon erwähnten „sinnlichen“ Anteile. Ich habe die Beschreibungen der Umgebung, des Weinberges, und des Gartens sehr genossen! Und oft hätte ich gerne mit den Figuren gespeist und getafelt. Sehr gut auch die Schilderung der Rolle eines Schriftstellers! Außerdem ist Manuel großer Fan von Edgar Allan Poe, und sinniert immer wieder über dessen Gedicht „The Raven“ (...“nevermore“… „nimmermehr“...)


    Einige Nebenhandlungen haben dann aber dazu geführt, dass das Buch für mich ansatzweise „überladen“ wirkte. Etliche verkorkste oder gescheiterte Beziehungen. Diverse familiäre Abhängigkeiten. Die Rolle des Anwalts der Familie. Des Gärtners. Der Haushälterin. Ganz zum Schluss auch noch mystische Anteile (wie in „Ghost – Nachricht von Sam“). Und und und… da schwirrte mir der Kopf.


    Ich pendele mich auf einer Bewertung von vier Sternen ein. Man muss bei diesem Buch schon bereit sein, Erwartungen an Genregrenzen fallen zu lassen. Das Familiendrama ist opulent – der Krimi an sich moderat bis ordentlich. Den Reiz des ganzen macht, wie gesagt, die Mischung aus, und die üppige Erzählweise.

    "Ein Mensch, der Ideale hat/
    Der hüte sich, sie zu erreichen!/
    Sonst wird er eines Tags anstatt/
    Sich selber andern Menschen gleichen."
    (Erich Kästner) :):)

  • Squirrel

    Hat den Titel des Themas von „Dolores Redondo - Alles was ich dir geben will“ zu „Dolores Redondo - Alles was ich dir geben will / Todo esto te daré“ geändert.
  • Zitat

    Das Klopfen an der Tür klang nachdrücklich. Achtmal schnell hintereinander, als hätte es jemand brandeilig. Kein Bekannter, kein Handwerker oder Postbote würde so klopfen. Später sollte Manuel denken, dass man es sich genau so vorstellte, wenn die Polizei vor der Tür stand.

    Der Einstieg in die Geschichte finde ich irgendwie sehr gelungen, obwohl man da noch gar nicht die Dimension erahnt, die das ganze noch nehmen wird. Vor allem das Ende hat mich in einer ganz eigenartigen Stimmung zurück gelassen, denn jetzt bin ich mir erst recht unsicher, wie ich die Geschichte rund um Manuel beschreiben soll.
    Auch, wenn die Geschichte sich um das Verschwinden von Álvaro, Manuels Mann dreht, so würde ich es nicht als Krimi bezeichnen. Denn, es ist so viel mehr! Es hat etwas von einer (tragischen ?) Liebesgeschichte, das der letzte Satz vor allem noch einmal unterstreicht.
    Vor allem hat mir in dem ersten Drittel die Atmosphäre gefallen mit den atemberaubenden Beschreibungen von Galicien. Es hat sich angefühlt wie ein kleiner Urlaub im Spätsommer. Das zweite Drittel bis hin zum Ende, wurde dann durch die wunderschöne Freundschaft zwischen den Männern dominiert. Das Trio, das sich gebildet hat, hat sich wunderbar ergänzt! Vor allem wegen diesen beiden Punkten ist für mich der "Krimi" in den Hintergrund gerückt und hat mich eher weniger interessiert. Viel mehr wollte ich Álvaro und seine Liebe zu Manuel nachträglich kennen lernen.
    Gegen Ende, als die Wahrheit immer mehr ans Licht rückte, hat sich der Fokus mehr darauf verschoben und die unterschiedlichen Beziehungen der Figuren sind in den Hintergrund gerückt. Dies ist sehr sanft geschehen, ebenso das Eintreten des wirklich dramatischen Finales. Es war in jeglicher Hinsicht episch, ohne zu gekünstelt zu wirken. Die Enthüllung, war für mich sogar ein wenig überraschend (obwohl, man durchaus darauf kommen kann), da ich auf die kleinen Hinweise gar nicht mehr geachtet hatte und einfach nur die gemeinsame Zeit mit den Figuren genossen habe.
    Im Nachhinein ist einzig auffällig (aber nicht unbedingt negativ), dass es nur sehr wenig Frauen gibt. Dafür sind die ("Haupt"-)Männer in ihren Charakteren umso verschiedener.
    Trotzdem ist Alles was ich dir geben will ein absolut intensives Leseerlebnis, das durch seine kleinen Aufmerksamkeiten und emotionalen Momenten punkten kann. Obwohl ich finde, dass es perfekt ist, so wie es ist, so hätte ich gerne noch mehr Zeit in der Geschichte und vor allem Galicien verbracht (deswegen habe ich mir am Ende mit dem Lesen auch ein wenig Zeit gelassen). Für Hundeliebhaber: es gibt einen wirklich herzensguten vierbeinigen Freund, den ich sehr in mein Herz geschlossen habe!
    Fazit: 5/5 ⭐

  • Dolores Redondo - Alles was ich dir geben will


    Familiengeheimnisse


    Ich habe in den letzten Tagen dieses spannende Buch von Dolores Redondo gelesen und ich bin weitestgehend begeistert. Der Schriftsteller Manuel Ortigosa erfährt in Madrid von der Polizei, dass sein Ehemann Alvaro Muniz de Davila einen Autounfall hatte und verstorben ist. Diese niederschmetternde Nachricht ist allein schon schrecklich, aber er muss sich dazu noch mit der Tatsache befassen, dass dieser Unfall nicht in Barcelona war, wo er seinen Mann verortete, sondern im fernen Galicien. Zu dem allein schon furchtbaren Verlust kommt nun noch der Verdacht eines Betrugs. Manuel ist vollkommen aufgelöst, verwirrt, schockiert und tieftraurig. Diese Darstellung der Gefühlswelt des Protagonisten gelingt Frau Redondo äußerst überzeugend, sehr intensiv und unglaublich berührend. Manuel macht sich auf den Weg nach Galicien, um herauszufinden was vor ihm geheim gehalten wurde. Und er erfährt, dass Alvaro Angehöriger einer alten Adelsfamilie war, und schon seit Jahren im intensiven Kontakt mit dieser Familie gestanden hatte und dies vor Manuel verheimlicht hat. Manuel ist verletzt und tief getroffen, zweifelt an ihrer gemeinsamen Liebe, zweifelt an ihrer tiefen Verbundenheit. Er wird mit der sehr unfreundlichen Familie Alvaros konfrontiert, den Muniz de Davilas, und muss mit einer tiefen Gefühlskälte klarkommen, die absolut nicht zum Charakter seines Alvaro passt. Gleichzeitig entdeckt er noch Ungereimtheiten im Unfallgeschehen, wird misstrauisch, erfährt aber Hilfe durch einen ehemaligen Polizisten und einen Pfarrer. Und alle drei fangen an zu ermitteln, versuchen Licht in das Dunkel alter Familiengeheimnisse zu bringen. Neben dieser sehr spannenden Kriminalgeschichte werden in ausgefeilter Weise die Charaktere geschildert und in literarischer Art wichtige Fragen des Lebens erörtert, es geht um Gedanken zu den Themen Liebe, Beziehungen, Ehrlichkeit, Verrat, familiäre Bindungen und Wichtigkeiten des Lebens. Und auch Manuel erfährt in der Geschichte einen gewissen Prozess der Veränderung. Und die ganze Schilderung der Ereignisse ist in einem so hohen Spannungsbogen gehalten und erzeugt einen sehr starken Sog, dass man das Buch kaum weglegen kann. Die Beschreibung der Landschaften und Örtlichkeiten Galiciens hat einen stark magnetischen und bildhaften Charakter, am liebsten möchte man den Koffer packen und hinfahren. Bei dem in meinen Augen sehr kleinen Manko, manchmal gerät die Geschichte etwas gefühlüberfrachtet, da spricht wahrscheinlich mein deutsches Herz, was mit dem spanischen Temperament etwas überfordert scheint, kann man getrost ein Auge zu drücken. Ganz oft beim Lesen habe ich mich an den Schatten des Windes erinnert gefühlt, obwohl nichts in der Geschichte daran erinnert, es ist wohl eher die Art des Schreibens, die da etwas in mir triggert. Auf jeden Fall haben wir hier ein tolles Buch, was mich in der letzten Zeit wunderbar unterhalten hat und was beim Lesen die reale Welt verschwinden lässt. Man möchte eigentlich gar nicht mehr auftauchen.



    Ich gebe eine Leseempfehlung!


  • Sehr schönes Leseerlebnis: Es geht um dunkle Geheimnisse einer adligen Familie, um das Leben eines Schriftstellers, der in der Geschichte die Hauptrolle spielt, um die Suche nach der Wahrheit und leider auch um schmerzliche Erkenntnisse. Eine bewegende und tragische Geschichte, die sich flüssig lesen lässt und äußerst spannend ist. Die Zuordnung zu einem Genre ist schwierig, manche bezeichnen den Roman als Krimi, was ich nicht sagen würde, für mich ist es eine Familiengeschichte, ein Familiendrama, ein Spannungsroman, hervorragend erzählt.

    Mit viel Sinn für die wunderschöne Natur der Galicien, und einem nicht unbedeutenden kleinen Hund, den man ins Herz schließt. :thumleft: Emotional und fesselnd.

    2024: Bücher: 100/Seiten: 43 976

    2023: Bücher: 189/Seiten: 73 404

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