Alfred Andersch - Die Rote

  • Inhaltsangabe:


    Italien 50er Jahre: Die Fremdsprachen-Korrespondentin Franziska ist mit ihrem Mann Herbert auf Geschäftsreise in Mailand, als sie nach einem Disput beschließt, ihn zu verlassen. Ohne Papiere und mit wenig Geld reist sie ins winterliche Venedig und versucht sich ihrer Situation klar zu werden.


    Ein elementarer Teil ihrer Gedanken dreht sich um eine mögliche Schwangerschaft und um ihre Affäre mit Herberts Chef Joachim. Weil Joachim sie nicht geheiratet hat, willigte sie in die Ehe mit Herbert ein, ohne die Affäre zu Joachim zu beenden.


    In Venedig macht sie die Bekanntschaft mit Patrick, einem reichen irischen Segler. Ohne es zu ahnen reißt er sie in einen perfiden Plan um Rache und Schuld hinein.


    Mein Fazit:


    Dieses Buch habe ich gelesen, weil ich an einem Lese- und Diskussionskreis hier in unserer Nachbarschaft beteiligen wollte. Schließlich ist es auch eine angenehme Sache, auch mal über Bücher zu diskutieren.


    Ehrlich gestanden fand ich das Buch einfach nur grauenvoll. Es ist für mich überhaupt kein Problem, Bücher aus anderen Zeiten über andere Zeiten zu lesen. Doch der Autor hat hier einen höchst eigenwilligen Erzählstil gezeigt, mit dem ich bis zum Ende nicht klar gekommen bin. Und wäre dieses Buch eben nicht für die Diskussionsrunde gewesen, hätte ich es ganz sicher nach wenigen Seiten abgebrochen.


    Erzählt werden in abwechselnden Abschnitten die Geschichte um Franziska und Fabio. Während Franziska in der Inhaltsangabe ja schon beschrieben, komme ich jetzt auf Fabio zu sprechen. Fabio, knapp 50, ist Musiker und war früher im spanischen Bürgerkrieg als Soldat unterwegs. Seine Existenz ist bescheiden, doch scheint er hin und wieder zu bedauern, dass er keine Familie hat.


    Warum Fabio so genau beleuchtet wurde, wurde mir erst in der Diskussion gewahr. Aber beim Lesen stellte ich mir oft die Frage, warum er so eine große Rolle spielt, schließlich gab es nur zwei kleine Schnittstellen mit Franziska. Zwischendrin gibt es sogar noch kurze Passagen von Fabios Vater, die wohl auf seinen Kältetod auf See andeuten, aber teilweise auch so kryptisch sind, dass ich mich fragte, was das alles für einen Sinn hat. Die Beschreibungen der Stadt und den Menschen wirkte auf mich oft wie eine Aufzählung. Sehr lange Sätze und immer wieder Kommas beherrschen die vielen absatzlosen Seiten, so das mir eine Seite manchmal wie fünf vorkamen! Die Dialoge waren sparsam eingesetzt, was ich sehr bedauerlich finde, denn etwas mehr wäre in diesem Falle auch mehr gewesen.


    Franziska blieb mir die ganze Zeit fremd, ihre Gedankengänge konnte ich oftmals nicht nachvollziehen, zumal sie für die damalige Zeit ziemlich fortschrittlich war. Aber dann verlässt sie ihren Mann so Hals über Kopf, das man ratlos zusehen kann, wie sie um ihre Existenz bangt.


    Die Diskussion im Lesekreis dazu fand ich anregend und inspirierend, aber das Lesen dieses Buch war für mich verschenkte Lebenszeit. Daher gibt es auch nur die Mindestbewertung von zwei Sternen!


    Anmerkung: Ich habe es als eBook gelesen!

  • Die Dialoge waren sparsam eingesetzt,

    Mir gefällt das an und für sich sehr gut, weil ich die direkte Rede in meinem Lesefluss oft als sehr störend empfinde.
    Vielen Dank für Deine Vorstellung, die ich sehr informativ fand. Für mich kommt dieses Buch wohl eher auch nicht in Frage, weil ich Geschichten, in die ich selber so viel hineininterpretieren muss, auch nicht besonders mag.
    Super, dass Du es für die Diskussion trotzdem gelesen hast, :thumleft: und daraus für Dich auch noch Nutzen ziehen konntest.

  • Interessante Reflektionen. Danke für die Vorstellung dieses Romanes. Wie er zum erstenmal erschien 1960 wurde er als skandalös betitelt, eine Frau welche ihren Mann verlässt und über Abtreibung nachdenkt.
    Ich nehme an du hast somit die überarbeitete Fassung gelesen, welche 1972 erschien.
    Zwar wurde das Buch auch verfilmt jedoch mit mässigem Erfolg Die Rote
    @ElkeK du befindest dich übrigens in illustrer Gesellschaft was die Meinung des Romanes anbelangt denn schon

    Zitat von Marcel Reich-Ranicki

    Das Urteil über die „Rote“, die ich vor genau fünfzig Jahren ausführlich (leider!) besprochen habe, lautet auch bei mir (damals und heute) „grauenhaft und kitschig“. Dass der Roman „ein wichtiges Werk der deutschen Nachkriegsliteratur“ sei, ist Mumpitz und Humbug.
    FAZ

    Gebt gerne das, was ihr gerne hättet: Höflichkeit, Freundlichkeit, Respekt. Wenn das alle tun würden, hätten wir alle zusammen ein bedeutend besseres Miteinander.

    Horst Lichter

  • Interessante Reflektionen. Danke für die Vorstellung dieses Romanes. Wie er zum erstenmal erschien 1960 wurde er als skandalös betitelt, eine Frau welche ihren Mann verlässt und über Abtreibung nachdenkt.
    Ich nehme an du hast somit die überarbeitete Fassung gelesen, welche 1972 erschien.

    Ich finde solche Hintergrundinformationen relativ wichtig um solch ein Buch einordnen zu können. Vielleicht hätte es auch @ElkeK die Enttäuschung ersparen können. Bei dem Fredtitelnamen mit "Andersch" war mir schon bewusst, dass es kein Buch von heute ist. Doch wenn man sich anhand voneinigen Angaben eventuell auf einen reinen Beziehungsroman einstellt, ist vielleicht die Erwartung irreführend?

  • Nachdem mir Alfred Anderschs Debutroman "Sansibar oder Der letzte Grund" so gut gefallen hatte, habe ich mir kurzerhand seine anderen Romane besorgt, Gemäss Wikipedia schrieb Andersch ja "nur" vier Romane, dafür mehr Kurzgeschichten, Essays, etc


    Die Begeisterung hier im BT zu seinem zweiten Roman, den er drei Jahren nach Sansibar veröffentlichte, ist eher verhalten, aber gemäss Klappentext sei "Die Rote" Anderschs umstrittenstes und erfolgreichstes Buch.

    Danke für die Vorstellung dieses Romanes. Wie er zum erstenmal erschien 1960 wurde er als skandalös betitelt, eine Frau welche ihren Mann verlässt und über Abtreibung nachdenkt.

    Ich hatte noch nie zuvor von dem Buch gehört, sicherlich bin ich zu jung, um von dem Skandal und möglicher gesellschaftlicher Diskussionen etwas mitbekommen zu haben...


    Zunächst gefällt mir weiterhin sein Schreibstil.

    Sehr lange Sätze und immer wieder Kommas beherrschen die vielen absatzlosen Seiten, so das mir eine Seite manchmal wie fünf vorkamen! Die Dialoge waren sparsam eingesetzt, was ich sehr bedauerlich finde, denn etwas mehr wäre in diesem Falle auch mehr gewesen.

    Eine Frau haut ab, alleine, reflektiert ihre Situation, ist alleine in der fremden Stadt - da wären längere Dialoge, etwa mit einem einem anderen Passagier im Zug für mich störend gewesen. Im Gegenteil, ich fand die Beschreibung der Umgebung interessant, und etwas, dass mir bereits bei Sansibar so gut gefiel, hat Andersch wieder verwendet: der Leser erfährt auch von den Gedanken der anderen Menschen, denen die Frau begegnet. Welchen Eindruck hinterlässt sie bei ihren Mitmenschen?


    Mit Fortschreiten der Lektüre, wunderte ich mich dann aber auch über die verschiedenen Handlungsstränge. Was sollen die kurzen Passen über den alten Piero? Wirklich kryptisch und zu gekünstelt. Auch Fabio nimmt sehr viel Platz ein, dafür, dass er mit der Hauptfigur so wenig Interaktion hat. Was für eine Rolle hat er im Roman?


    Und überhaupt, die Handlung des Romans... geht es um "Die Rote", eine mögliche Schwangerschaft, Abtreibung, Selbstbestimmung, oder doch eher um kriminelle Aktivitäten, um Verrat und Rache, Schuld und Sühne,...?


    Die "Haupthandlung" wird immer verworrener, die Parallelstränge finden nicht (oder sehr spät) zusammen, aus dem Beziehungsroman wird eine (unglaubwürdige) Kriminalgeschichte...

    Irgendwie wird zuviel in den Roman hineingepackt und am Ende hat man "nichts Halbes und nichts Ganzes". Die Art des Schreibens gefiel mir sehr, aber inhaltlich war es sonderbar...

    Ich nehme an du hast somit die überarbeitete Fassung gelesen, welche 1972 erschien.

    Tatsächlich las ich die Fassung von 1972, die frühere Fassung scheint mir bestenfalls antiquarisch erhältlich zu sein. Im Nachwort zu meiner Ausgabe schreibt Andersch, dass er insbesondere das letzte Kapitel gestrichen hat, um dem Buch ein offenes Ende zu geben und nicht den weiteren Werdegang der Protagonisten zu verraten... - auch nicht immer Jedermanns Sache.

  • Nungesser - es sind schönen Überraschungen wenn man liest das fast vergessene Bücher, abseits des Mainstream interessierte Leser finden.

    Wenn du wissen möchtest wie der Autor den Roman in der ersten Fassung beendete, nebst einer sehr guten Besprechung des gesamten Geschehen.

    Dieter Wunderlich

    Gebt gerne das, was ihr gerne hättet: Höflichkeit, Freundlichkeit, Respekt. Wenn das alle tun würden, hätten wir alle zusammen ein bedeutend besseres Miteinander.

    Horst Lichter

  • Vielen Dank für den Link, serjena ! Doch noch interessant zu erfahren, wie es mit den Beiden weitergehen sollte…


    Tatsächlich scheint Alfred Andersch ein wenig in Vergessenheit zu geraten. Seine beiden späteren Romane „Efraim“ und „Winterspelt“ wurden hier im BT noch nicht mal gelesen oder bewertet.