Glänzende Aussicht

Buch von Fang Fang, Michael Kahn-Ackermann

  • Kurzmeinung

    drawe
    Packende Familiengeschichte, die 20 Jahre chinesische Geschichte zeigt.

Zusammenfassung

Inhaltsangabe zu Glänzende Aussicht

Der Durchbruchs- und Supererfolgsroman der chinesischen Bestsellerautorin Dieser heute in China unterdrückte Roman machte Fang Fang bei seinem Erscheinen 1987 schlagartig berühmt: Glänzende Aussicht erzählt das Leben einer einfachen Arbeiterfamilie aus Wuhan aus Perspektive des verstorbenen jüngsten Sohnes. Es ist ein drastisches Porträt: Die Familienmitglieder hausen in Wuhan in einer winzigen Hütte und schlagen sich als Hafenarbeiter durchs Leben. Im Schatten ihres gewalttätigen Vaters, der dem Alkohol verfallen ist, versuchen neun Brüder und Schwestern auf jeweils eigene Weise, den Fesseln ihrer Herkunft sowie den Nachwehen der Kulturrevolution zu entkommen und eine Zukunft für sich zu finden.
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Bewertungen

Glänzende Aussicht wurde insgesamt 4 mal bewertet. Die durchschnittliche Bewertung liegt bei 4,8 Sternen.

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Meinungen

  • Packende Familiengeschichte, die 20 Jahre chinesische Geschichte zeigt.

    drawe

Rezensionen zum Buch

  • Rezension zu Glänzende Aussicht

    Ein außergewöhnlicher Roman, erzählt aus der auktorialen Perspektive des bereits kurz nach der Geburt verstorbenen achten Sohnes und jüngsten Kindes einer chinesischen Familie von Hafenarbeitern. Diese lebt unter ärmlichen Verhältnissen zu elft in einer 13qm kleinen Baracke. Das Leben ist hart, Gewalt in der Familie die Regel, Zuneigung und Liebe Fehlanzeige. Als Nachkommen einer Flüchtlingsfamilie aus Zentralchina werden eher ländliche Traditionen gepflegt: Harte körperliche Arbeit ist angesehener als Bildung, viele Söhne mehren das Ansehen, und es gibt strenge Hierarchien in der patriarchal geprägten Familie.
    Dieser Roman beschreibt klar, desillusioniert und ungeschönt die Härte des Lebens der sozial Schwächsten. Das Individuum zählt nichts, der Mensch und sein freudloses Leben sind Spielball der äußeren Umstände. In der Generation der Kinder hat der gesellschaftliche Aufstieg um jeden Preis Priorität. Wer nach persönlicher Integrität und Moral strebt, scheitert.
    Der tote achte Bruder hat ein schlechtes Gewissen, in Frieden ruhen zu dürfen, während sich die Lebenden täglich quälen müssen. Auch ist der Achte der einzige, der jemals Elternliebe erfahren hat. Und nur denjenigen, die taubstumm oder blind sind, ist ein glückliches Leben vergönnt. Dass derart deutliche Kritik im Zuge einer Phase des Aufbruchs im Erscheinungsjahr 1987 nicht nur möglich war, sondern auch mit einem nationalen Preis bedacht wurde, hat mich doch erstaunt. Heute wird das Buch in China jedoch nicht mehr verlegt.
    Um die Geschehnisse im Buch nachvollziehen zu können, ist ein Basiswissen über die Geschichte Chinas im letzten Jahrhundert hilfreich, insbesondere über die Machtübernahme durch die Kommunisten 1949, den "Großen Sprung nach vorn" (1958-1961) und die Kulturrevolution (1966-1976). Ich hatte mich zuvor noch nie mit der chinesischen Geschichte beschäftigt und habe mich erst parallel zu diesem Buch in die politischen und wirtschaftlichen Umstände eingelesen.
    Aufgrund häufiger Zeitsprünge im Buch ist es manchmal schwierig, die chronologischen Zusammenhänge und Lebenswege der einzelnen Familienmitglieder zu erfassen, und ich habe oft zurückgeblättert und Passagen nochmals nachgelesen. Dies lohnt jedoch in jedem Fall, und mir hat dieses Buch einen interessanten Einblick in eine turbulente Zeit in China ermöglicht. Ich kann dieses Buch nur wärmstens weiterempfehlen.
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  • Rezension zu Glänzende Aussicht

    Bruder sieben ist der jüngste noch lebende Sohn einer armen Familie aus Wuhan. Der Vater führt ein gewalttätiges Regiment, die Mutter flirtet mit anderen Männern und schreitet nicht ein. Die Söhne entwickeln sich sehr unterschiedlich, doch es ist der Jüngste, der von allen immer wieder gequält wird, weil er zu weich ist und zu wenig aufbegehrt. Nur der sanfte Bruder Drei spendet ihm hin und wieder etwas Trost. Die beiden Töchter der Familie haben ihrerseits nur wieder die Aufgabe, selbst Söhne zu gebären und versuchen durch ihr kaltes Verhalten ihren Stand zu festigen
    Fang Fangs neuster Roman „Glänzende Aussicht“ erschien in China bereits im Jahr 1987, die deutsche Übersetzung stammt von Michael Kahn-Ackermann. Man spürt deutlich, dass die Autorin es hier dabei belässt, das Schicksal einer armen Familie zu beschreiben, anstatt – wie in ihren späteren Werken – dies in eine Kritik des Systems einzubinden. Erzählt wird rückblickend aus der Gegenwart, wobei zwischen unterschiedlichen Zeiten gesprungen wird. Der Erzähler an sich ist dabei sehr besonders, wenn auch realistisch gesehen nicht ganz klar ist, woher er all diese Informationen eigentlich hat.
    Nach und nach erfahren wir das Schicksal jedes einzelnen Familienmitglieds und werfen dabei einen Blick in das China der 60er bis 80er Jahre und damit auf die Nachwehen der Kulturrevolution. Zu Beginn hausen alle in einem einzigen Raum in den Henan-Baracken, am Ende ist dem Vater nur noch der vor der Hütte begrabene Sohn Nummer acht geblieben. Jedes Kind versucht auf ganz eigene Weise, dem Schicksal zu entkommen und etwas aus sich zu machen. Sie schlagen zurück, tun sich zu zweit zusammen, träumen von eigenen Familien, Geschäften und Reichtum. Nur Bruder sieben bleibt dabei, wie üblich, außen vor – doch alles ändert sich, als er die Familie endlich verlässt.
    „Glänzende Aussicht“ ist ein schmaler Roman von gerade einmal 176 Seiten. Dahinter verbirgt sich jedoch ein starkes Familienporträt, in dessen Fokus ein Sohn steht, dem sein Leben lang mit Gewalt und Ablehnung begegnet wurde. Dennoch ist er, wie zum Trotz, am Ende der einzige, der es im Leben zu etwas gebracht hat.
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  • Rezension zu Glänzende Aussicht

    Zur Autorin (Quelle: Verlag):
    Fang Fang ist eine der bekanntesten Schriftstellerinnen Chinas. Sie wurde 1955 geboren und lebt seit ihrem zweiten Lebensjahr in Wuhan. In den letzten 35 Jahren hat sie eine Vielzahl von Romanen, Novellen, Kurzgeschichten und Essays veröffentlicht. Stets spielten die Armen und Entrechteten in ihren Werken eine große Rolle. 2016 veröffentlichte sie den von der Kritik gefeierten Roman Weiches Begräbnis, für den sie mit dem renommierten Lu-Yao-Preis ausgezeichnet wurde.
    Klappentext (Quelle: Verlag), gekürzt:
    Dieser heute in China unterdrückte Roman machte Fang Fang bei seinem Erscheinen 1987 schlagartig berühmt: Glänzende Aussicht erzählt das Leben einer einfachen Arbeiterfamilie aus Wuhan aus Sicht des verstorbenen jüngsten Sohnes. Es ist ein drastisches Porträt: Zu elft haust die Familie in einer dreizehn Quadratmeter kleinen Hütte. Schon die Jüngsten lernen stehlen, um ihren Beitrag zum Familienleben zu leisten. Im Schatten eines Vaters, der vor allem mit der Faust erzieht, versuchen die neun Brüder und Schwestern auf je eigene Weise, den Fesseln ihrer Herkunft zu entkommen und eine bessere Zukunft zu finden.
    Mein Lese-Eindruck:
    „Das Leben war ein Ameisendasein, der Tod wie ein Staubkorn“
    Der Roman beginnt sehr eindringlich mit drei identischen Satzanfängen: „Bruder Sieben sagt“. Und schon weiß der Leser: hier gibt nicht traditionell der älteste Bruder den Ton an, sondern ein nachgeborener Sohn. Wie es zu dieser Verschiebung kommt, erzählt der Roman.
    Wie in ihrem beeindruckenden Roman „Weiches Begräbnis“ nimmt uns die Autorin mit in ihre Heimatstadt Wuhan und entfaltet das Geschehen, indem sie die Geschichte einer Familie erzählt. Eine proletarische Familie, die mit 11 Personen in einem einzigen Raum, einem Bretterverschlag von 13 qm in dem Barackenviertel von Wuhan lebt. Hier lebt die Familie dicht an dicht mit anderen ehemaligen verarmten Kleinbauern, die in die neuen Städte zogen, um Arbeit zu finden. Alle behalten sie ihre gewohnten patriarchalischen Strukturen bei: Kinderreichtum ist erwünscht, die Familie ist der Bezugspunkt, der Vater hat das Sagen, Töchter zählen nichts, und die Durchnummerierung der Söhne zeigt die hierarchische Struktur der Familie.
    Gewalt ist an der Tagesordnung: Gewalt auf der Straße, am Arbeitsplatz, in organisierten Banden und vor allem in der Familie. Besonders Bruder Sieben ist der täglichen Gewalt des Vaters schutzlos ausgesetzt. Bruder Acht stirbt mit 2 Wochen und wird von seinen Brüdern beneidet um dieses glückliche Los; er ist es, der die Geschichte seiner Familie erzählt.
    Der Leser begleitet die Familie und erlebt mit ihnen die wesentlichen Etappen des chinesischen Wegs nach dem II. Weltkrieg, wobei der Fokus auf der Entwicklung des Bruders Sieben liegt, der sich nichts sehnlicher wünscht, als „dass Vater auch ihm eine Kiste zimmern würde, in der er schlafen konnte“. Landreform, Kollektivierung. der sog. Große Sprung mit der furchtbaren Hungersnot, die Kulturrevolution ab den 60er Jahren und die Landverschickung der städtischen Jugend – all das spiegelt sich in der Geschichte der Familie. Auch die damit einhergehende Änderung der Gesellschaft zeigt sich: Bruder Sieben gelingt es, in den Parteikadern Fuß zu fassen und nun „gehört er nicht mehr der Familie, sondern der Regierung“, er hat glänzende Aussichten, so wie einige seiner Brüder auch. Und wie auch der kleine Ich-Erzähler. Die Baracken werden abgerissen und durch Hochhäuser ersetzt – glänzende Aussichten für alle Bewohner – und er wird auf einem ordentlichen Friedhof neben einem seiner Brüder begraben, „dann können sie sich Gesellschaft leisten“.
    Auch das ist eine glänzende Aussicht.
    Es ist die Art und Weise, wie Fang Fang diese Geschichte erzählt, die den Roman so eindringlich macht. In ihrem Wuhan Diary schreibt sie: „Ich habe mich bemüht, mein Hirn Stück um Stück vom ganzen Müll und Gift zu säubern, die man in der Vergangenheit in mein Hirn gequetscht hat“. Statt vorgefertigte und erwünschte ideologische Überhöhungen zu übernehmen, will sie die Ereignisse festhalten und dem Vergessen entreißen.
    Sie vermeidet dabei jede politische Note. Sie verfällt weder in den erwünschten Lobgesang noch in eine Kritik. Es gibt kein Gut und Böse, kein Falsch und Richtig, es ist keine Rede von Klassenkampf und Klassenfeinden, sie klagt nicht an und nennt keinen Schuldigen, sondern sie hält sich an das, was sie gesehen und erkannt hat. Es ist möglich, dass sie aus Angst vor der Zensur keine Urteile abgibt, immerhin hat Fang Fang hinreichend Erfahrung mit der repressiven Kulturpolitik Chinas. Aber gerade dieser Rückzug auf Fakten und ihre ambivalente Literarisierung machen den Roman packend.
    Der Roman wurde übersetzt von Michael Kahn-Ackermann, dem ehemaligen Direktor des Pekinger Goethe-Instituts, der ein sehr hilfreiches Nachwort angefügt hat.
    Fazit: Ein ungemein packender Ausflug in 20 Jahre chinesische Geschichte.
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Ausgaben von Glänzende Aussicht

Hardcover

Seitenzahl: 176

Besitzer des Buches 6

Update: