Max Frisch - Schweiz ohne Armee?

  • Autor: Max Frisch
    Titel: Schweiz ohne Armee? - Ein Palaver
    Widmung: Max Frisch widmete dieses Büchlein den beiden Aufklärern Denis Diderot und Ulrich Bräker
    Seiten: 67 Seiten, plus 28 Seiten Glossar
    Verlag: Limmatverlag
    ISBN: 9783857911538


    Der Autor:
    Max Rudolf Frisch, am 15. Mai 1911 in Zürich geboren und dort am 04. April 1991 gestorben, war ein Schweizer Schriftsteller und Architekt. Bekannt wurde er sowohl durch seine Theaterstücke (Andorra, Biedermann und die Brandstifter,...) als auch mit seinen Romanen (Homo Faber, Stiller,...), die häufig auch an Schulen zum Unterricht durchgenommen werden.


    Hintergrund:
    Im November 1989 wurde in der Schweiz eine Volksabstimmung zum Thema "Für eine Schweiz ohne Armee und eine umfassende Friedenspolitik" durchgeführt. Die entsprechende Initiative wurde von der GSoA (Gruppe für eine Schweiz ohne Armee) lanciert. Die Idee, dass ein Land gänzlich auf eine Armee verzichten wollte, war nicht nur 44 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs unerhört, auch heute noch klingt die Abschaffung einer fehlenden Landesverteidigung befremdlich oder gar beängstigend.
    Obwohl Max Frisch seit der Veröffentlichung seiner letzten Erzählung "Blaubart" im Jahre 1982 seine schriftstellerische Tätigkeit nahezu aufgegeben hatte, meldete er sich zu diesem Politikum doch noch mit vorliegendem Essay zu Wort.


    Inhalt:
    Jonas ist zu Besuch bei seinem namentlich nicht genannten Grossvater, der aber deutlich Frischs autobiographische Züge trägt (bspw. ist der Grossvater Schriftsteller, hat seit Jahren nichts mehr geschrieben und hatte seine Meinung zum Dienst in der Schweizer Armee bereits in seinem Buch "Dienstbüchlein" veröffentlicht). Gemeinsam sitzen sie vor dem Kamin bei einer Flasche Wein und diskutieren über die anstehende Volksabstimmung. Welche Erfahrungen hat der Ältere damals im Krieg gemacht, welche Rolle spielte die Armee im Krieg, war man überzeugt, die Landesgrenzen gegen Hitler-Deutschland verteidigen zu können! Oder wenigstens das Überleben in den Bergen (Reduit)? Weshalb sollte man die Armee überhaupt abschaffen, schliesslich kann sich die reiche Schweiz diesen Aufwand leisten, und den Frieden gefährdet sie ja auch nicht?
    Dabei dient das zuvor veröffentlichte "Dienstbüchlein" des Grossvaters, in dem er seine damalige Kritik an der Armee formulierte, als Grundlage. Trotz aller Kritik von damals kann sich der Alte nicht vorstellen, dass die Schweiz ohne eine Armee existieren könne, nicht so sehr zur Landesverteidigung, sondern sie wird benötigt als gesellschaftlicher Kit, als Brauchtum, und als Leibgarde der Plutokratie.


    Allgemeines:
    Inmitten der politischen Debatte vor der Volksabstimmung, stiess Frischs Beitrag auf grosses Interesse. Das Werk wurde rasch in alle vier Landessprachen übersetzt, war schnell ausverkauft und ein Theaterstück unter dem Titel "Jonas und sein Veteran" wurde noch im Oktober 1989, also vor der Abstimmung, in deutscher Sprache in Zürich, und in französischsprachiger Version in Lausanne aufgeführt.
    Die Initiative wurde übrigens nicht angenommen, die Schweiz unterhält auch heute noch eine Armee. Die GSoA gibt es weiterhin, sie lanciert in regelmässigen Abständen weitere Initiativen zum Thema (Aufhebung der Wehrpflicht, Gegen neue Kampfflugzeuge, Verbot von Kriegsmaterialexporten, etc)


    Meinung:
    Ein äusserst interessanter, politischer Beitrag zu einem zeitlosen Thema, nicht nur für Schweizer! Welche Aufgaben soll eine Armee übernehmen, kann sie überhaupt nehmen? Wem nutzt sie ? Politisch kann man stehen wo man will, einen interessanten Denkanstoss und Gelegenheit zur Reflektion bietet das kurze Palaver allemal!
    Ich hätte mir beim Lesen lediglich gewünscht, die zwischendrin referenzierten Werke "Dienstbüchlein" und "Blätter aus dem Brotsack" zu kennen, bzw vorher gelesen zu haben. Die Entwicklung Max Frischs anhand dieser drei Werke zu studieren, wäre zusätzlich noch sehr spannend.
    Das umfangreiche Glossar ist übrigens nicht einfach eine Liste mit Wörter und deren Erklärung. Hier nutzt Frisch die Möglichkeit, Hinweise, die er im Text gegeben hat, weiter zu erläutern. Diese Erklärungen würden den Haupttext, also den Dialog zwischen Enkel und Grossvater, in seinem Fluss unterbrechen, aber diese Erläuterungen sind auf jeden Fall wichtig, um zu verstehen, weshalb Max Frisch, bzw der Grossvater so argumentiert.
    Vokabeln, die dem Nicht-Schweizer vielleicht nicht so geläufig sind (aber in der Schweiz bereits im Kindergarten bekannt sind), werden jedenfalls in meiner Schweizer Ausgabe auch nicht erklärt (bspw Zürcher Knabenschiessen, Sechseläuten, Schwingfest, General Guisan, die Reduit-Strategie, etc). Frisch hat den Text für seine Eidgenossen geschrieben, alle anderen müssen bei Bedarf eben Internetrecherche betreiben.

  • @Nungesser Kindergarten ist da noch harmlos, das kennt bei uns jeder vom ersten Wort an, wenn der Papa im WK (Wiederholungskurs der Armee, dauer ca 2 - 3 Wochen) war und am Wochenende erzählte :lol: Du solltest dir mal die Anblicke der Nichtkenner vorstellen, wenn zwischen Mai und September die Schweizer Jungs und Männer mit der Flinte on Tour sind um ihr Obligatorisches (1x jährliche Pflichtschiessübung) zu schiessen :lol: Im Geschäft von meinem Mann herrschte bei der ersten solchen Übung bei Nichtwissern geradezu Panik (bei Ihnen gehen alle Wehrpflichtigen zusammen zum schiessen, da der Schiessstand praktisch neben dem Geschäft ist), das war ein Chaos in der Bude, inzwischen hängt der Chef Infoblätter hin :-, Wenn du mehr wissen willst, einfach Fragen, auch wir Schweizerfrauen bekommen sehr viel mit oder sitzen an der Quelle für Infos :lol:

    Bücher sind Schiffe, welche die weiten Meere der Zeit durcheilen. - Francis Bacon

  • Vokabeln, die dem Nicht-Schweizer vielleicht nicht so geläufig sind (aber in der Schweiz bereits im Kindergarten bekannt sind), werden jedenfalls in meiner Schweizer Ausgabe auch nicht erklärt (bspw Zürcher Knabenschiessen, Sechseläuten, Schwingfest, General Guisan, die Reduit-Strategie, etc). Frisch hat den Text für seine Eidgenossen geschrieben, alle anderen müssen bei Bedarf eben Internetrecherche betreiben.

    Wunderbar dieser letzte Absatz.
    Allerdings ist das Wort "Eidgenosse" heutzutage ein etwas zwiespältiger Begriff. Die Schweiz tut sich seit einiger Zeit sehr schwer damit, wie der schon 2013 in der NZZ erschienene Artikel aufzeigt.


    Zitat

    Dies nach dem Motto: «Ich bin Eidgenosse, kein Schweizer. Denn Schweizer kann jeder werden.» Aber auch in ländlichen Gebieten scheint diese Unterscheidung teilweise gebräuchlich zu sein. Sogar eine dreistufige Unterteilung in Secondo (eingebürgert), Schweizer (seit mindestens zwei Generationen eingebürgert und Dialekt sprechend) und Eidgenosse (auf Schweizer Boden seit Beginn der Familienchronik) wird vorgeschlagen.

    Also ich darf von mir niemals sagen ich bin ein "Eidgenosse" aber auch meine Söhne (welche wohlgemerkt ihren Militärdienst geleistet haben) sondern wir sind Schweizer
    :-,

    Gebt gerne das, was ihr gerne hättet: Höflichkeit, Freundlichkeit, Respekt. Wenn das alle tun würden, hätten wir alle zusammen ein bedeutend besseres Miteinander.

    Horst Lichter

  • Vielen Dank für Eure Hinweise @serjena und @vulkana78!
    Ja, die Unterteilung kenne ich auch...da kann man schnell ins Fettnäpfchen treten...auch wenn diese Abstufung politisch diskussionswürdig ist. Ich bin seit 13 Jahren in der Schweiz, mit einer echten Eidgenossin verheiratet (im selben Dorf seit 1462), aber bei solchen Feinheiten trample ich mit meiner deutschen Art gedankenlos drüber. :uups: In diesem Fall meinte ich mit dem Begriff einfach "alle wahlkampfberechtigten Landsleute".
    Max Frisch hat zum Thema "echter Schweizer" in seinem "Dienstbüchlein" übrigens folgendes geschrieben - und dieser Absatz wird auch im "Palaver" zitiert:

    Zitat von Max Frisch

    Was das ist, braucht man einem rechten Schweizer nicht zu erklären. Er selber erkennt sich als solcher. ... Wer nicht wissen sollte, was ein rechter Schweizer ist, lernt es spätestens beim Militär. ... Obschon es auch rechte Schweizerinnen gibt, fühlt der rechte Schweizer sich wohler unter Männern.

    Das klingt, als sei die Definition eines echten, aufrechten Schweizers noch etwas enger gefasst, wenn es auch wenig konkret bleibt :-k