Ulla-Lena Lundberg - Eis / Is

  • Ich lese zur Zeit neben dem Dostojewski auch das Buch "Eis" zusammen mit meinem Lesekreis. Ich mag das Buch, die stille Geschichte, das ruhige Inselleben, den unaufgeregten Schreibstill der Autorin. Sie gibt einen schönen Einblick in die besonderen Eigenheiten einer Inselgemeinschaft weit draußen vor dem Festland, oben vor der Küste Finnlands, Wind und Wetter ausgeliefert. Aber ich bin bisher (nach knapp der Hälfte der Geschichte) über zwei für mich seltsame Dinge gestolpert, bei denen ich grad nicht weiß, ob es am Original oder am Übersetzer liegt….


    Zum einen gibt es eine Szene, bei der zwei junge Inselpfarrer zusammensitzen und sich über ihre Kriegserlebnisse unterhalten - die Geschichte spielt ja kurz nach dem II. Weltkrieg, in Finnland Winterkrieg und Fortsetzungskrieg genannt. Dabei sinniert der eine über die Kluft zwischen dem, was er beten und hoffen sollte damals und dem, was ihn selbst beschäftigte. Dabei fällt die Bemerkung, er denke nach "über die Loyalität zum Kaiser" - Kaiser???? ?( Finnland gehörte zwar mal zum Russischen Reich und den Zaren konnte man auch als Kaiser bezeichnen - aber seit 1917 war Finnland souverän und eine Republik. Die beiden Männer, die sich hier unterhalten, sind aber zu jung, um diese Zeit selbst erlebt zu haben und zur Zeit des II. Weltkriegs gab es keinen Kaiser mehr….. jetzt müsste man das Original kennen und wissen,was dort steht. :scratch:


    Zum anderen gibt es später eine Stelle, an der von den "Zitzen" einer Mutter die Rede ist - ja, rein technisch könnte man das so bezeichnen, aber noch nennt man das bei Menschen Brustwarzen. Selbst wenn es im Schwedischen / Finnischen dafür nur einen einzigen Begriff geben sollte, so sollte ein guter Übersetzer das doch in die bei uns gebräuchlichen Wörter übertragen. Solche Dinge stören mich - und geben mir zu denken, was denn evtl. noch an kleinen, aber vielleicht entscheidenden Fehlern sich eingeschlichen hat. :-?

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • Zum anderen gibt es später eine Stelle, an der von den "Zitzen" einer Mutter die Rede ist - ja, rein technisch könnte man das so bezeichnen, aber noch nennt man das bei Menschen Brustwarzen. Selbst wenn es im Schwedischen / Finnischen dafür nur einen einzigen Begriff geben sollte, so sollte ein guter Übersetzer das doch in die bei uns gebräuchlichen Wörter übertragen.


    Ich habe mal gerade nachgeschlagen sowohl im schwedischen wie auch im finnischen gibt es für Brustwarzen und Zitzen unterschiedliche Wörter. Selbst wenn sie es wörtlich übersetzt hat, ist die Übersetzung nicht gerade glücklich gewählt.


    Mit Kaiser muss auf jeden Fall ein Fehler sein, denn Finnland war da schon lange Republik. Auch wenn 1917 mal kurz die Monarchie in Erwägung gesetzt wurde und auch tatsächlich zumindest auf dem Papier eine für kurze Zeit wurde.

    Zitat

    Die monarchistische Richtung war unter den Parlamentsparteien jedoch nicht unumstritten. Insbesondere der Landbund unter Santeri Alkio und Teile der Jungfinnischen Partei, führend unter ihnen Kaarlo Juho Ståhlberg, zählten zum republikanischen Lager. Der Senat legte dem Parlament im Juni den Entwurf für eine monarchistische Verfassung vor, die starke republikanische Opposition verhinderte aber in drei Wahlgängen bis zum
    August das Zustandekommen der notwendigen Fünfsechstelmehrheit. Daraufhin berief sich der Senat auf die weiterhin gültige Verfassung von
    1772 und ließ auf deren Grundlage eine Königswahl durchführen. So wurde Friedrich Karl am 9. Oktober 1918 zum König Finnlands gewählt.
    Quelle hier


    Allerdings wurde aus Finnland später dann doch eine Republik und zwar 1919.

    Liebe Grüße von der buechereule :winken:


    Im Lesesessel


    Kein Schiff trägt uns besser in ferne Länder als ein Buch!
    (Emily Dickinson)



    2024: 010/03.045 SuB: 4.302

    (P/E/H: 2.267/1.957/78)

  • Ich hab eben extra noch mal nachgeschaut:
    Seite 128:

    Zitat

    Man setzt sich wohl nie so heftig mit seinem Gewissen auseinander wie im Feld. Trägt das, was man gelernt hat? Was wissen wir eigentlich von Gottes Plan mit uns Menschen? Wie weit reicht unsere Loyalität zum Kaiser? Für mich war es etwas schrecklich Verhängnisvolles, bei der Offensive von 1941 die alte Grenze zu überschreiten.


    Das passt einfach irgendwie nicht. Falls es da irgendwelche Spitz-/Spottnamen für Politiker oder ähnliche Bezüge gab, dann hätte der Übersetzer das irgendwie erläutern müssen, denn so macht dieser Zusammenhang einfach keinen Sinn. Ich geb' zu, ich bin da pingelig durch mein Studium, aber solche Ungereimtheiten mag ich nicht [-(

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • ch geb' zu, ich bin da pingelig durch mein Studium, aber solche Ungereimtheiten mag ich nicht


    Ich mag so etwas auch nicht. Vor allem, da sie sich eindeutig in der Zeit dann vertan haben muss. Schlecht übersetzt oder Frau Lundberg hat schon einen Bock geschossen beim Schreiben. Was ich mir allerdings nicht vorstellen kann. Aus welcher Sprache ist das Buch denn übersetzt worden?

    Liebe Grüße von der buechereule :winken:


    Im Lesesessel


    Kein Schiff trägt uns besser in ferne Länder als ein Buch!
    (Emily Dickinson)



    2024: 010/03.045 SuB: 4.302

    (P/E/H: 2.267/1.957/78)

  • Aus welcher Sprache ist das Buch denn übersetzt worden?


    aus dem Schwedischen… aber die Autorin ist wohl auf den Aland-Inseln aufgewachsen, auf denen die Handlung spielt - also muss sie mit der Geschichte der Inseln und Finnlands vertraut sein.

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier



  • aus dem Schwedischen… aber die Autorin ist wohl auf den Aland-Inseln aufgewachsen, auf denen die Handlung spielt - also muss sie mit der Geschichte der Inseln und Finnlands vertraut sein.


    Hmmh, das macht eher den Eindruck, dass die Übersetzerin geschlampt hat. So etwas ist ärgerlich.

    Liebe Grüße von der buechereule :winken:


    Im Lesesessel


    Kein Schiff trägt uns besser in ferne Länder als ein Buch!
    (Emily Dickinson)



    2024: 010/03.045 SuB: 4.302

    (P/E/H: 2.267/1.957/78)

  • Hmmh, das macht eher den Eindruck, dass die Übersetzerin geschlampt hat. So etwas ist ärgerlich.


    ein unerfahrener Übersetzer ist er jedenfalls nicht, umso mehr wundere ich mich gerade. Schau mal hier

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • Das passt einfach irgendwie nicht. Falls es da irgendwelche Spitz-/Spottnamen für Politiker oder ähnliche Bezüge gab, dann hätte der Übersetzer das irgendwie erläutern müssen, denn so macht dieser Zusammenhang einfach keinen Sinn. Ich geb' zu, ich bin da pingelig durch mein Studium, aber solche Ungereimtheiten mag ich nicht

    Schreib den mare-Buchverlag doch einfach mal direkt an. Bei den Leserunden auf lovelybooks empfinde ich sie als sehr offen für solche Dinge.

    :study: Das Eis von Laline Paul

    :study: Der Zauberberg von Thomas Mann
    :musik: QUALITYLAND von Marc-Uwe Kling

  • Schreib den mare-Buchverlag doch einfach mal direkt an. Bei den Leserunden auf lovelybooks empfinde ich sie als sehr offen für solche Dinge.

    Ja. das hab ich mir heut nacht auch schon überlegt :wink:

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • Gehörst du auch zu denen, die nachts aufwachen, eine Idee haben, die aufschreiben und erst dann wieder schlafen können? :lol:


    nein, wenn ich schlafe, dann wie ein Stein - aber ich gehör zu denen, die nachts ganz schlecht ins Bett finden :loool:

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • Ich hab nachgefragt - und ich hab Antwort erhalten :wink:


    zu Punkt 1, der "Kaiser": ich muss zugeben, ich hab dem Setting zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt, bin dazu weder religiös noch bibelfest und hab' die Szene rein historisch interpretiert. Aber hier unterhalten sich zwei junge Pfarrer über gemeinsame Erlebnisse, da hätte man ja mal drüber nachdenken können.
    Jedenfalls gibt es in Matthäus 22, 21, Jesu Antwort an die Pharisäer bezüglich der Frage nach dem Gehorsam gegenüber der weltlichen Macht und Gott: "So gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!" Natürlich kennen Pfarrer und Theologen ihre Bibel und so muss der eine dem anderen nicht erklären, dass mit dem Kaiser hier stellvertretend der Staat gemeint ist. Und genau darum ging es ja in Fredriks Aussage ja - den Zwiespalt zwischen seinem Glauben und seiner Loyalität dem Staat gegenüber. :uups:


    zu Punkt 2, der "Zitze": der Übersetzer hat sich für diese Übersetzungsvariante entschieden mit Bezug auf den alten Postschiffer und seiner teils altertümlicher und auch dialektaler Ausdrucksweise. Das liegt auch an dem im Original von der Autorin benutzten Wort, das wohl so im Schwedischen heute nicht mehr gebraucht wird. :wink:

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • Das Buch hört sich sehr interessant an! Bei genauerem Hinlesen Deines Kommentares, bzw Deiner Bemerkung zum "Kaiser", ergibt sich für mich eine Lesart, die ich ziemlich passend finde, die wir aber heute eventuell nicht mehr erkennen mangels Bibelwissens:


    Zitat

    Man setzt sich wohl nie so heftig mit seinem Gewissen auseinander wie im Feld. Trägt das, was man gelernt hat? Was wissen wir eigentlich von Gottes Plan mit uns Menschen? Wie weit reicht unsere Loyalität zum Kaiser? Für mich war es etwas schrecklich Verhängnisvolles, bei der Offensive von 1941 die alte Grenze zu überschreiten.


    Wenn es sich hier um ein Gespräch zwischen zwei gläubigen Menschen handelt, zumal Pfarrern, scheint mir der Bezug offensichtlich:


    Gib dem Cäsar, was des Cäsars ist, und Gott, was Gottes ist. Lukas 20, 25


    Wir sind zwar eingeladen, uns einem gewissen Einflußbereich, einer Zugehörigkeit zu einem "Kaiser" nicht zu entziehen, doch die Treue zu Gott läßt uns "gewisse Grenzen nicht überschreiten". Das war hier der Fall, wie so oft im Kriege: die Loyalität zum Staat verdrängte Gewissensentscheid und Treue zu Gottes Liebes- und Lebensgebot.


    Sorry, sehe gerade, dass Du Dir die Antwort im letzten Post selber geben konntest. Meine Kommentare hörten eben noch bei findo auf?! Also lag ich richtig...

  • Das Buch hört sich sehr interessant an!


    Ich finde es sehr interessant: die Autorin (und auch der Übersetzer) schaffen es wunderbar, diese abgeschlossene, in sich zurückgezogene Inselwelt zum Leben zu erwecken - die Atmosphäre ist regelrecht greifbar. Sowohl die Aspekte des Mangels nach dem Krieg, das Ausgeliefertsein gegenüber den Elementen, aber auch die inneren Konflikte in solch abgeschlossenen Gemeinschaften und gleichzeitig der Zusammenhalt, weil man nur so überleben kann. Mir hat es sehr viel Spaß gemacht, das Buch zu lesen - und ich denke, ich werde es noch einmal lesen, aber dieses Mal dem Kontext mehr Aufmerksamkeit schenken. Allerdings ist es ein sehr stilles Buch, es passiert nicht viel Dramatisches, sondern es dreht sich um den Alltag. Wer also ein Buch mit Action lesen möchte, der sollte von "Eis" die Finger lassen. :wink:


    ei genauerem Hinlesen Deines Kommentares, bzw Deiner Bemerkung zum "Kaiser", ergibt sich für mich eine Lesart, die ich ziemlich passend finde, die wir aber heute eventuell nicht mehr erkennen mangels Bibelwissens:


    Ja, genau daran bin ich ja "gescheitert" - mir fehlt dieses Bibelwissen und ich hab tatsächlich viel zu wenig über den Kontext nachgedacht - mein Fehler :wink:

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • </p>


    <p>Ja, genau daran bin ich ja "gescheitert" - mir fehlt dieses Bibelwissen und ich hab tatsächlich viel zu wenig über den Kontext nachgedacht - mein Fehler:wink:

    </p>


    <p>Nun, ich weiß nicht, ob das Wort "Fehler" es trifft. Teils kann man ja nichts dafür...</p>


    <p>Allerdings ist dies ein treffendes Beispiel dafür, wie sehr biblische Bilder noch benützt werden (und immer benutzt wurden) und uns ein Grundwissen den Zugang zu Literatur erleichtert. Ob man dem nun innerlich zustimmt oder nicht (den Inhalten) sei dahingestellt. Doch unsere Kultur ist dort verankert und größtenteils nicht zugänglich ohne ein Mindestwissen. Dies sollte eigentlich Aufgabe der Schulen (auch der Kirchen) etc sein. Das passiert heute oft nicht mehr. Oder wird abgewertet.</p>

  • @tom leo ja, Fehler ist ein dehnbarer Begriff, aber ich hätte durchaus gleich mehr über den Kontext nachdenken sollen - ist ja nicht so, als ob mir die Verankerung unserer Gesellschaft in der christlichen Kultur unbekannt ist. Und immerhin ist es ein Gespräch zwischen Theologen, bei dem ich den Kontext so derart übergangen habe. :uups: Insofern ist dieses Missverständnis schon bei mir angesiedelt, ob man es nun Fehler nennt oder nicht :wink:

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier