Dokumente des Glaubens
Original : Alexandre Men : Un témoin pour la Russie de ce temps (Französisch, 1993)
Deutsch : 2000
Mit einer Widmung, einem Vorwort und einem (ergreifenden) Geleitwort von Kardinal Lustiger, Quellenangaben und vielen Bildern
INHALT :
Leben und Werk eines Propheten und Martyrs des XX.Jahrhunderts im Kontext der Zeitgeschichte.
Alexander Men wurde 1935 von einem jüdischen Vater und einer zur Orthodoxie bekehrten Mutter
in Moskau geboren. Er studierte Biologie, wurde zum Priester geweiht und rasch ein Dreh- und Angelpunkt für die Moskauer Intelligentsia wie auch für das einfache Kirchenvolk. Fest erankert in seiner Kirche und Tradition ist er offen für den Ökumenismus und den interreligiösen Dialog. Nachdem er jahrelang nahezu im Untergrund gewirkt und veröffentlicht hatte wurde er bei den Änderungen der sowjetischen Kirchenpolitik am Ende der 80iger Jahre auch der erste Priester, der plötzlich an einer Schule öffentlich unterrichten konnte und auf Konferenzen, Vorträgen, per Radio, gar im Fernsehen frei reden konnte. Dem KGB wie auch antisemitischen, ultrakonservativen Kreisen blieb er suspekt. Er wurde am 9.September 1990 auf dem Weg zur Kirche mit der Axt erschlagen.
(Quelle : Klappentext der französischen Ausgabe, Behelfsübersetzung von mir)
BEMERKUNGEN :
Elf Kapitel, beginnend quasi mit dem Ende : dem gewaltsamen Tode Vater Alexanders. Danach aber setzt die chronologische Erzählweise an, beginnend mit seiner Geburt 1935, dh auch : inmitten einer sehr harten Zeit, den stalinistischen Säuberungswellen. Im Gegensatz zu vielen, wurde er mitten in dieser Zeit von im Untergrund lebenden glaubhaften Menschen und Zeugen getauft und begleitet. Von nun ab wird seine Geschcihte stets eingebettet in erklärende Bemerkungen und Ausführungen zum zeitgeschichtlichen, politischen Kontext : Für alle Russlandliebende und Interessierte eine sehr informative und packende Art, Geschichte einer Gesellschaft und persönliche Entwicklung eines darin sich Freiheit schaffenden Menschen kennenzulernen.
Ergreifend, dass umgebende Menschen ihm das Grundvertrauen in den Glauben geben und durch ihr Leben Heimat sind mitten in einer Periode der Verdächtigungen und der Angst. Alik, der spätere Vater Alexander, zeigt sich als überdurchschnittlich begabter und vielseitiger Mensch, interessiert sich für Literatur, Poesie, Musik, Malerei, Biologie, Astronomie und Philosophie. Das Eigenstudium von Büchern prägt ihn von früh an. Er entdeckt die großen russischen religiös-philosophischen Denker wie Berdjajew, S.Bulgakow und vr allemWladimir Solowjew.
Der Weg zur Uni aber bleibt ihm später versperrt wegen seiner jüdischen Abstammung. So kommt es zur Wahl der Biologie, die ihn dann auch drei Jahre nach Irkutsk (Sibirien) bringt. 1956 Heirat einer Kommilitonin (sie werden zwei Kinder haben).
Schon lange hatte das in ihm gebrodelt und deutete sich an. 1958 läßt er sich zum Diakon weihen und erhält 1960 die Priesterweihe. Er bleibt eher in kleinen Gemeinden der Peripherie Moskaus. Was ihn auszeichnet ist die hohe Achtung vor den « Babuschkas » mit ihrem traditionellen Glauben UND seine unglaubliche Kapazität mit jungen Menschen auf der Suche zu kommunizieren. Jeden behandelt er wie seinen Einzigen.
Vermehrt mischen sich nun in den 60iger und kommenden Jahren auch Künstler, Schriftsteller etc unter diese Suchende. Vater Alexander wird das nie zum Ruhmesblatt machen, doch zu Menschen, die ihn schätzten, ihn aufsuchten gehörten auch Solschenizyn oder eine Nadeschda Mandelstam...
In den späteren Kapiteln werden einige Schlüsselpunkte des Denkens, des Glaubens von P.Men dargestellt : Kern ist wohl, dass der Glaube nicht zunächst eine mit Dogmen, Riten etc angefüllte Lehre ist, sondern eine lebendige Begegnung mit Christus. Wir sind, um es mit dem Evangelisten Johannes zu sagen, « in der Welt, aber nicht von der Welt ». Gleichzeitig gilt, nicht zu trennen zwischen profaner und Glaubenswelt : « alles ist auf seine Weise besonders und steht mit dem Höchsten in Verbindung ».
Er hatte viele Jahre nur versteckt schreiben, arbeiten, predigen d¨rfen, doch um die Auflockerung durch die Perestroika herum, insbesondere dem Jahre 1988 und der offiziell dann unterstützten Jahrtausendfeier der Taufe Russlands, ergabn sich plötzlich neue Möglichkeiten. Es blieb ihm aber – und er scheint es geahnt zu haben – nicht mehr viel Zeit. Diese aber war gefüllt von einer großen Dichte an Aktivitäten.
Über die hier kurz umrissenen Aspekte hinaus liegt aber das Wesentliche des Lebens von Vater Alexander in einer sprühenden Lebensfreude, die die Menschen um ihn ansteckten.
Wer bislang tatsächlich noch nie von Vater Alexander gehört hat mag sich fragen, was er mit solch einem Buch anfangen kann oder soll. Aufgrund einer sehr persönlichen Verbindung mit ihm durch « Schüler » Vater Alexanders kann ich nicht unvoreingenommen urteilen, doch hier handelt es sich zweifelsohne um eine der hellsten und einflußreichsten Gestalten der russischen Orthodoxie des XX. Jahrhunderts. Wenn man « sie an ihren Früchten erkennen kann, » dann sehe ich in jenen, die sich auf ihn berufen, beziehen eine solche Lebensfreude, eine solche Liebe und Dankbarkeit gegenüber einem einfach glaubwürdigen Menschen, dass auch ich mich nur interesieren kann für ihn. Davon abgesehen bietet dieses Buch nicht etwa eine Hagiographie, sondern stellt das Leben von Vater Alexander in seinen zeitgeschichtlichen Kontext : Es erscheint dann wie ein historisches Sachbuch insbesondere in der Beschreibung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche, den Freiräumen (oder eben nicht), den Versuchen, eine atheistische Weltanschauung gewaltsam durchzusetzen. Somit wird das Buch auch aus rein geschichtlichen Gründen interessant. Und für Russlandkenner und -liebhaber sowieso.
Ich glaube, dass sich in die deutsche Übersetzung leichte orthographische Fehler eingeschlichen haben. Der Offensichtlichste steht auf dem Titelblatt. Der Autor heiß « Yves », und ich halte jene komische Verdeutschung mit Ives für Unsinn.
AUTOR :
Yves Hamant, Franzose, ist Professor für Literatur und russische Zivilisation an der Universität von Paris-Nanterre. Er unterrichtete ebenso zeitgenössische russische Geschichte. Über mehrere Jahre hinweg lebte er in der Breschnjew-Periode mit seiner Familie in Moskau. « Er ist der russischen Kultur sehr verbunden und hat uns sehr viel geholfen », schrieb Alexander Solschenizyn von ihm. Hamant hat Vater Alexander Men persönlich und über einen langen Zeitraum gekannt.
Gebundene Ausgabe: 210 Seiten
Verlag: K.G. Saur (1. Januar 2000)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3598114508
ISBN-13: 978-3598114502