Christoph Ransmayr – Der fliegende Berg

  • Original : Deutsch, 2006


    INHALT :
    « Der fliegende Berg » ist die Geschichte zweier Brüder, die von der Südwestküste Irlands in den Transhimalaya, nach dem Land Kham und in die Gebirge Osttibets aufbrechen, um dort, wider besseres (durch Satelliten und Computernavigation gestütztes) Wissen, einen noch unbestiegenen namenlosen Berg zu suchen, vielleicht den letzten Weißen Fleck der Weltkarte. Auf ihrer Suche begegnen die Brüder nicht nur der archaischen, mit chinesischen Besatzern und den Zwängen der Gegenwart im Krieg liegenden Welt der Nomaden, sondern auf sehr unterschiedliche Weise auch dem Tod. Nur einer der beiden kehrt aus den Bergen ans Meer und in ein Leben zurück...
    (Quelle : Verlagsbeschreibung bei Fischer, gekürzt)


    BEMERKUNGEN :
    Inhaltlich handelt der Roman, in 18 Kapiteln von circa 13 bis 26 Seiten, von zwei irischen Brüdern, Söhnen eines IRA-Sympathisanten. Schnell und früh scheint das Wesentliche gesagt : während eines gemeinsamen Aufstieges im Himalaya « vor einem Jahr » wird der ältere von ihnen, Liam, von einer Schneelawine begraben.


    Nach diesem Eingangskapitel am auf Tibetisch genannten « fliegenden Berg » gibt es vonseiten des jüngeren Bruders Padraic (=Patrick) ein stetes Hin und Her : mal die Rückschau auf die Kindheit, Jugend, Erwachsenenzeit in Irland, dann die Erinnerung der Expeditionsvorbereitungen, des Vorankommens innerhalb einer Nomadenkarawane, die bestandenen, zu bestehenden Besteigungen...


    Liam ist der reinste Computerfreak, der dann auf einer vor Cork gelegenen Insel, Horse Island, einerseits Vieh züchtet, und andererseits im Netz alle möglichen Infos sammelt zu den « weißen Flecken » ( http://de.wikipedia.org/wiki/Wei%C3%9Fer_Fleck ) der Weltkarte. Er vermeint dann einen solchen im Himalaya auszumachen, « ein Gipfel, der noch nie erstiegen worden wäre ». Während er ganz besessen erscheint von diesem Projekt und als Organisator, Hauptinitiator, ja « Kaltherz » beschrieben wird ist Padraic (der Ich-Erzähler) anders beschaffen, läßt sich eher mitziehen. Und ihre Expedition führt sie dann quasi von der Meereshöhe hin in die Höhen der östlichen Berge Tibets. Der « fliegende Berg » ist nicht nur die lokale Ortsbezeichnung für den einen, gesuchten Gipfel, sondern bezeichnet auch darüber hinaus einen tibetischen Mythos.


    In einem gelesenen Kommentar wurde darauf hingewiesen, dass Ransmayr den Roman vielleicht in eine fiktive und ausgeweitete Beziehung zum Drama am Nanga Parbat stellt, zu dem die Brüder Messner (Georg und Reinhold) 1970 gemeinsam unterwegs waren... (siehe : http://de.wikipedia.org/wiki/S…pedition_zum_Nanga_Parbat )


    Einen großen Teil des Weges (wie weit?) ziehen die Brüder zusammen mit einer Nomadenkarawane. Und Padraic wird unweigerlich angezogen von der jungen Mutter und Witwe Nyema : es entwickelt sich eine Beziehung. Wird sie stärker als der Berg sein ? Wie weit gehen Entfremdung und Distanzierung vom Bruder ? Wann ist die Verbindung zwischen den Brüdern « wieder hergestellt » oder auch nicht ? Wie verläuft die stumme Unterschiedlichkeit oder auch Übereinstimmung der Brüder bei den Besteigungen ab ? Kann man den Weg und das Glück des anderen nicht mehr als Störung eigener Pläne empfinden, sich trotz allem nahe sein ?


    Obwohl der Ausgang (so wie einige diesen Roman lesen könnten) schon früh feststeht (oder festzustehen scheint) gibt es eine stetige Steigerung bis nahezu zur letzten Seite. Das Wesentliche liegt also woanders.


    Wie es in der Einleitung, den vorangestellten Bemerkungen, schon heißt und es beim ersten oberflächlichen Blick auf den Text erscheint, präsentiert sich dieser Roman in Flattersätzen, also nicht in offensichtlichen Reimen, wohl aber einer sehr dichterisch-lyrischen Sprache, die ihresgleichen sucht. Diese Ransmayr'sche Sprache kann man gar nicht genug loben und hervorheben : was er hier anstellt kommt so flüssig und glatt daher, ohne aber simpel oder gar dumm zu sein. Wir stehen vor einer Melodie, einem Rhythmus, den alleine zu lesen oder gar laut vorzutragen eine reine Freude ist. Das gehört sicherlich zum Besten der deutschen Sprachkunst der letzten Jahrzehnte!


    Ganz nebenbei erfahren wir in den Rückblicken einiges über die Gesellschaft in Irland, aber auch die Traditionen, Mythen, dem Weltverständnis Tibets. Ein überaus bereicherndes Buch, das dann auch noch zudem und vor allem durch die unvergleichliche Sprache besticht. Ganz minimale Abstriche für einige kleine Wiederholungen, bzw Längen.


    AUTOR :
    Christoph Ransmayr wurde 1954 in Wels/Oberösterreich geboren und wuchs in Roitham (Nähe von Gmunden am Traunsee) als Sohn eines Lehrers auf. Er studierte von 1972 bis 1978 Philosophie und Ethnologie in Wien und arbeitete danach als Kulturredakteur und Autor für verschiedene Zeitschriften („Extrablatt“, „Geo“, „Transatlantik“, „Merian“). Seit 1982 ist er freier Schriftsteller. Nach dem Erscheinen des Romans « Die letzte Welt » unternahm er ausgedehnte Reisen nach Asien sowie Nord- und Südamerika.

    Ransmayr verbindet in seiner Prosa historische Tatsachen mit Fiktionen.


    Für seine Bücher, die in mehr als dreißig Sprachen übersetzt wurden, erhielt er zahlreiche literarische Auszeichnungen, unter anderem die nach Friedrich Hölderlin, Franz Kafka und Bert Brecht benannten Literaturpreise, den Premio Mondello und, gemeinsam mit Salman Rushdie, den Prix Aristeion der Europäischen Union. (Angaben zum Autor, Klappentext ; http://de.wikipedia.org/wiki/Ransmayr )


    Siehe auch die Webseite des Autors : http://www.ransmayr.eu/leben/


    Produktinformation
    Taschenbuch: 368 Seiten
    Verlag: FISCHER Taschenbuch; Auflage: 5 (15. Oktober 2007)
    Sprache: Deutsch
    ISBN-10: 3596171954
    ISBN-13: 978-3596171958

  • Vielen Dank, @tom leo. Warum ich diese Buchvorstellung bisher noch nicht gesehen habe, ist mir genauso schleierhaft, wie, dass ich das Buch noch nicht gelesen habe.


    Meine Begeisterung für Christoph Ransmayr ist nach "Cox oder der Lauf der Zeit" grade wieder neu entfacht und so werde ich wohl demnächst dieses Buch vom SUB befreien. Eine Schande, dass es überhaupt dort gelandet ist! :pale:

  • Das gehört sicherlich zum Besten der deutschen Sprachkunst der letzten Jahrzehnte!

    Da gebe ich Dir uneingeschränkt Recht.

    Ich habe das Buch inzwischen gelesen und gehört und will nur kleine Anmerkungen machen.


    Dieser archaische Berg, von Dämonen bewacht, der Phur-Rhi, der Fliegende Berg, der sich dem Menschen bisher entzogen hat: dieses Motiv hatte für mich

    nicht nur einen mythisch-mystischen Zug, sondern auch etwas Religiöses und Transzendentes. Der Erzähler beschwört ja auch die Liebe zum Bruder, die sich von der bisherigen Hassliebe ("Master Kaltherz") verwandelt in reine Bruderliebe. Dieses Religiöse oder Hymnische wird durch das, was Ransmayr "Flattersatz" nennt, noch betont. Beim Hörbuch hört man es nicht, ich habe es auch nicht vermisst.


    Ich fand auch den Gegensatz Berg-Meer interessant. Beide Brüder werden von ihrer Biografie hier zugeordnet, und Padraic (Meer) kehrt zurück in seine

    Heimat und zum Bruder (Berg), und dort üben sie gemeinsam das Klettern an Klippen über dem Meer: Berg und Meer werden synchronisiert. Das Meer ist bei der Wanderung der Brüder immer gegenwärtig, bei ihren Berechnungen, aber auch in den sprachlichen Vergleichen. Und sehr sinnfällig in einem Bild: die Korallenketten der Nomadenfrauen.


    Und wie wunderbar der Autor Vergangenheit und Gegenwart miteinander verwebt! Wie die Geschichte des Vaters und die seiner Mutter in der

    Gegenwart immer wieder auftaucht, wie die Expedition selber fast assoziativ erzählt wird - und trotzdem hatte ich niemals den Eindruck, den

    Überblick bzw. den roten Faden aus der Hand zu verlieren.


    Es gäbe so viel zu diesem Buch zu sagen

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Danke für Deine Eindrücke!


    Ja, da gebe ich Dir Recht! Es gäbe so viel dazu zu sagen; schier unerschöpflich. Halt Zeichen eines Meisterwerkes. Mir war dieses Meer-Berg-Paar auch aufgefallen. Man kann garnicht alles betonen und hervorheben..., und trotzdem sind meine Anmerkungen für manche sicher "zu lang".

  • trotzdem sind meine Anmerkungen für manche sicher "zu lang".

    Ja, die Meinungen über Rezensionen sind ja sehr geteilt :)!


    Ich finde es schade, dass das Buch nicht in einer Leserunde gelesen wurde; ich hätte mich

    gerne über mehr ausgetauscht, wie z. B. über die biblischen-religiösen Anklänge das Kain-Abel-Motiv.

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • In einem gelesenen Kommentar wurde darauf hingewiesen, dass Ransmayr den Roman vielleicht in eine fiktive und ausgeweitete Beziehung zum Drama am Nanga Parbat stellt, zu dem die Brüder Messner (Georg und Reinhold) 1970 gemeinsam unterwegs waren...

    tom leo: Wenn du nicht im Cox-Rezensionsthread darauf hingewiesen hättest, wäre ich niemals hier gelandet. Was schade wäre, denn Der fliegende Berg war das erste Buch von Ransmayr, das ich gelesen habe. Ist allerdings Jahre her. Ich kann mich aber sehr lebhaft daran erinnern, wie herausfordernd die gebundene Sprache zunächst war. Bis ich mich so daran gewöhnt hatte, dass ich es überhaupt nicht mehr wahrgenommen habe.

    Ich habe dein Zitat hier eingefügt, weil während eines Vortrags, den ich gehört habe, Reinhold Messner genau das gesagt hat. Er und Ransmayr sind seit langer Zeit befreundet und Messner war damit einverstanden, dass die Geschichte erzählt wird.

    Nebenbei bemerkt finde ich, dass Messner und Ransmayr vom Typ her ganz schön viel Ähnlichkeit haben. Urgesteine, halt.

    signed/eigenmelody

    Dear Life,

    When I said "Can my day get any worse?" it was a rhetorical question, not a challenge.

    -Anonymous

  • Danke, eigenmelody , für diese Hinweise und Deine Bemerkungen!

    In einem gelesenen Kommentar wurde darauf hingewiesen, dass Ransmayr den Roman vielleicht in eine fiktive und ausgeweitete Beziehung zum Drama am Nanga Parbat stellt, zu dem die Brüder Messner (Georg und Reinhold) 1970 gemeinsam unterwegs waren...

    (...)

    Ich habe dein Zitat hier eingefügt, weil während eines Vortrags, den ich gehört habe, Reinhold Messner genau das gesagt hat. Er und Ransmayr sind seit langer Zeit befreundet und Messner war damit einverstanden, dass die Geschichte erzählt wird.

    Nebenbei bemerkt finde ich, dass Messner und Ransmayr vom Typ her ganz schön viel Ähnlichkeit haben. Urgesteine, halt.

    Als ich damals den Kommentar zum "Fliegenden Berg" geschrieben habe war es mir noch nicht weiter bekannt gewesen, dass die beiden sich gut, ja sehr gut kennen. Du hast aber Recht! Und es erinnert mich daran, dass ich vor zwei Wochen ungefähr - als ich zu "Die Schrecken des Eises und der Finsternis von Ransmayr auf youtube was suchte - auch plötzlich auf Begegnungen zwischen diesen Beiden stieß. Siehe zB hier:

    https://www.youtube.com/watch?v=Oi1M12UYyw4

  • Das Video habe ich mir gerade in Teilen angesehen. Ist es nicht faszinierend, dass so ein Mann so schreibt wie Ransmayr es tut? Wobei, Kraft und Wucht sind ja auch Kennzeichen seiner Sprache. Aber daneben auch das Sensible, Angedeutete, im Ansatz Veharrende.

    Ich glaube, mein Problem ist, dass ich oft glaube, Schriftsteller müssten so aussehen, wie sie schreiben. Kafka z. B.

    signed/eigenmelody

    Dear Life,

    When I said "Can my day get any worse?" it was a rhetorical question, not a challenge.

    -Anonymous

  • Und es erinnert mich daran, dass ich vor zwei Wochen ungefähr - als ich zu "Die Schrecken des Eises und der Finsternis von Ransmayr auf youtube was suchte - auch plötzlich auf Begegnungen zwischen diesen Beiden stieß. Siehe zB hier:

    https://www.youtube.com/watch?v=Oi1M12UYyw4

    Vielen Dank noch einmal für den Link zu YouTube tom leo Ich höre das Gespräch gerade, sehr beeindruckend was Messner und Ransmayr zu erzählen haben.

    Nimm dir Zeit für die Dinge, die dich glücklich machen.


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