Janne Teller, Alles worum es geht

  • Janne Teller, selbst als Kind von Flüchtlingen nach Dänemark gekommen, setzt sich 2001 unter dem Eindruck einer großen Zahl von Flüchtlingen die nach Dänemark gekommen und dort das innenpolitische Thema Nummer eins sind, an ihren Schreibtisch und schreibt einen Essay, "als eine Einladung, sich in das Leben als Flüchtling hineinzudenken. Nicht aus dem Blickwinkel der Flüchtlinge, die von weit her nach Dänemark kommen, sondern mit dem Blick der Dänen, deren eigenen sicheres Leben durch einen hoffentlich undenkbaren Krieg zwischen skandinavischen Ländern zerstört wird."


    Sie versteht ihr kleines Buch, das in Deutschland unter dem Titel „Krieg- stell dir vor er wäre hier“ erschient“, zwei Jahre nach ihrem verstörend-philosophischen Texte „Nichts,“ als "Einladung an die Vorstellungskraft" und hat es deshalb für die deutsche Übersetzung leicht verändert und ein Szenario gewählt, in dem die EU aus sozialen und nationalistischen Gründen auseinander bricht. Viele Menschen fliehen in den Nahen Osten. So auch oder 14 - jährige Protagonist der Geschichte, der aus Deutschland stammt und in Ägypten in einem Flüchtlingslager mit seinen Eltern um sein Überleben kämpft. Angesichts der vielen Flüchtlinge, die aus Nordafrika in den letzten Wochen nach Europa kommen, und dort eine bessere Zukunft sich erhoffen, ein fast prophetisches Szenario


    Sie will ihre jugendlichen Leser einladen, sich in die Migranten hineinzufühlen, "eine Einladung, das Leben der anderen nachzuvollziehen, ein Schicksal, das hoffentlich nie unser eigenes sein wird."


    Genau wie in ihren anderen Büchern auch sind die Texte des neuen Buches, für die deutsche Ausgabe exklusiv aus in früheren Jahren veröffentlichten Erzählungen und Originaltexten zusammengestellt, Parabeln, die zu eigenem Denken und zum Mitgefühl, zu politischem Bewusstsein und zur Menschlichkeit helfen sollen.


    In den insgesamt acht unterschiedlich langen Texten des neuen Buches „Alles worum es geht“ geht es um Anpassung und Ausgrenzung, um Integration und kulturelle Unterschiede, es geht um Identität und um geistige Behinderung, um Gewalt und Rache, Mord und Todesstrafe, aber auch um Zuwendung und Träume und immer wieder um Ausbeutung und um menschliche Irrtümer.


    Es sind Geschichten, die einen nicht unberührt lassen(sollen). Sie gehen unter die Haut und zwingen regelrecht den Leser zur Auseinandersetzung und zur Bildung einer eigenen Meinung und Haltung. Janne Teller hat mit ihren Büchern das Genre des politischen Jugendbuchs nachhaltig geprägt.

  • Wow, was für ein Buch.
    Obwohl es mit seinen 144 Seiten äußerst kurz ist, wird es unwahrscheinlich lange nachhallen und mich noch einige Zeit beschäftigen.
    "Alles - worum es geht" ist so vieles; es ist wütend, traurig, nachdenklich, aufrüttelnd, animierend, kämpferisch, anstrengend, aufregend, laut und leise, fragend und antwortend, verwirrend und ordnend, einfach und kompliziert. Das Buch ist ein großer Perspektivenwechsel in Leben, deren Erfahrungen man deutlicher und eindringlicher nicht machen könnte.
    Mit ihren kurzen Erzählungen bereitet Janne Teller nicht langsam ein Geschichte vor - sie platzt mitten herein und verlässt sie wieder, bevor sie zuende ist. Dabei streift sie so viele Themen und überlässt so vieles der Phantasie des Lesers - dieses Buch verlangt dem Leser einiges ab: Zwischen den Zeilen steht so viel mehr als die wenigen, genau richtig portionierten Worte sagen.
    Die Autorin sagt selbst an einer Stelle:

    Zitat

    „Es ist, als wären die Wörter nur der sichtbare Teil eines Eisbergs, der jedoch nur in dem Moment zu sehen ist, in dem ich die Worte zu einer Geschichte zusammensetze.“


    Das trifft es ziemlich genau: Bei diesem Buch arbeiten Auorin und Leser Hand in Hand und gestalten gemeinsam die Geschichte. Daher ist es einfach einzigartig und für jeden Leser unterschiedlich, da der entscheidende Teil die Dinge sind, die zwischen den Zeilen in der Phantasie des Lesers entstehen.
    Im letzten Kapitel "Alles was ich erzählen kann" beschäftigt sich Janne Teller mit ihrer Inspiration und schriftstellerischen Tätigkeit. Ein Höhepunkt in diesem äußerst lesenswerten Kapitel war für mich diese Aussage:

    Zitat

    „Gedanken kommen und gehen, für manche finde ich rechtzeitig Wörter, andere verschwinden, bevor ich zu ihnen vordringe, und dann kann ich bloß hoffen, dass sie zurückkommen. Um mich nicht zu ärgern, habe ich folgende Regel aufgestellt: Wenn sie wichtig genug sind, dann kommen sie wieder.“


    Ich kann einfach nicht anders als diesem wunderbaren Buch :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: zu geben.
    Man muss sich darauf einlassen, und geht sicherlich erschöpft aus der Lektüre hervor, aber dann wird man meiner Ansicht nach unendlich für die Anstrengung belohnt.

    "Imagination, rather than mere intelligence, is the truly human quality."


    "Chaos is found in greatest abundance wherever order is being sought. It always defeats order, because it is better organized."

    Terry Pratchett

    "The person, be it gentleman or lady, who has not pleasure in a good novel, must be intolerably stupid."

    Jane Austen


    :study:

    Alex Haley - Roots

    Andrew Jefford - Whisky Island

    Randale Munroe - What if 2


    :bewertung1von5: 2024: 5 :bewertung1von5:

  • Eine Sammlung von Kurzgeschichten.


    Inhalt und meine Meinung:
    Dieses Büchlein enthält eine Sammlung von ganz unterschiedlichen Kurzgeschichten, die im wesentlichen das „Alles“ thematisieren.


    Am besten hat mir gleich der erste Text mit dem Titel „Warum?“ gefallen.
    Eigentlich war diese Geschichte von allen die am schwersten Verständliche und machte mir somit den Einstieg in das Büchlein nicht leicht.
    Es wird ein Dialog geschildert, in dem eigentlich kaum etwas gesprochen wird.
    Und es geht auch aus den Dialogen kaum hervor, wer da mit wem spricht.
    Aber im Laufe des Textes klärt sich das Bild, so dass dies meiner Vermutung nach ein Patientengespräch einer Psychologin mit einem Jugendlichen ist, der eine Gewalttat begangen hat, in dem sie versucht das Motiv für diese Tat zu erfragen.
    Die begangene Gewalttat war, dass er genervt von einer brennenden Straßenlaterne jemanden mit einer herumliegenden Eisenstange zusammengeschlagen hat.


    Beispielzitat (S. 16):
    “Also bin ich nicht schuld?“
    „ ... Nein, eigentlich nicht … “
    “Du an meiner Stelle hättest das selbe getan?“
    „Äh … das weiß ich nicht … “
    „Du bist natürlich nie in meiner Situation gewesen. Aber mal angenommen …?“
    „Mal angenommen … Vielleicht ja … “
    „Du verstehst es also?“
    „ … “
    „Auf jeden Fall findest du es nicht merkwürdig, dass jemand in meiner Situation so was gemacht hat? […] Wenn man an die fehlenden Grenzen denkt, an das Licht der Straßenlaterne, den Rost der Eisenstange, dann ist es durchaus verständlich, dass ich das getan habe?“
    „ … Ja-a … “


    Diese Warum-Geschichte mit ihrem rudimentären Gespräch zeigt die Sprachlosigkeit und Hilflosigkeit von Tätern zu ihren Motiven.
    Und die immerwährende Güte und positive Grundhaltung, um nicht zu sagen „Verständnis“, von Psychologen gegenüber Gewalttätern, obwohl sie das zugrundeliegende Motiv nicht verstehen.


    Fazit: Die Texte sollen meiner Meinung nach nicht gefallen, sondern sie sollen berühren und zum Nachdenken anregen.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

  • Offenbar fehlt die Verknüpfung, es gab schon einen Thread zu diesem tollen Buch, in dem auch @Winfried Stanzick und ich bereits etwas dazu geschrieben hatten. :arrow:Hier ist er zu finden.

    "Imagination, rather than mere intelligence, is the truly human quality."


    "Chaos is found in greatest abundance wherever order is being sought. It always defeats order, because it is better organized."

    Terry Pratchett

    "The person, be it gentleman or lady, who has not pleasure in a good novel, must be intolerably stupid."

    Jane Austen


    :study:

    Alex Haley - Roots

    Andrew Jefford - Whisky Island

    Randale Munroe - What if 2


    :bewertung1von5: 2024: 5 :bewertung1von5: