Ian McEwan - Honig / Sweet Tooth

  • Klappentext:
    Serena Frome ist schön, klug und schließt gerade ihr Mathematik-Studium in Cambridge ab – eine ideale Rekrutin für den MI5, den britischen Inlandsgeheimdienst. Man schreibt das Jahr 1972. Der Kalte Krieg ist noch lange nicht vorbei, und auch die Sphäre der Kultur ist ein umkämpftes Schlachtfeld: Der MI5 will Schriftsteller und Intellektuelle fördern, deren politische Haltung der Staatsmacht genehm ist. Die Operation trägt den Codenamen ›Honig‹. Serena, eine leidenschaftliche Leserin, ist die perfekte Besetzung, um den literarischen Zirkel eines aufstrebenden jungen Autors zu infiltrieren. Zunächst liebt sie seine Erzählungen. Dann beginnt sie, den Mann zu lieben. Wie lange kann sie die Fiktion ihrer falschen Identität aufrechterhalten? Und nicht nur Serena lügt wie gedruckt. (von der Verlagsseite kopiert)


    Zum Autor:
    Ian McEwan, geboren 1948 in Aldershot (Hampshire), lebt in London. 1998 erhielt er für ›Amsterdam‹ den Booker-Preis und 1999 den Shakespeare-Preis der Alfred-Toepfer-Stiftung für das Gesamtwerk. Sein Roman ›Abbitte‹ wurde zum Weltbestseller und mit Keira Knightley verfilmt. Er ist Mitglied der Royal Society of Literature, der Royal Society of Arts und der American Academy of Arts and Sciences. (von der Verlagsseite kopiert)


    Allgemeine Informationen:
    Originaltitel: Sweet Tooth
    Erstmals erschienen 2012 bei Jonathan Cape, London
    Aus dem Englischen übersetzt von Werner Schmitz
    Aus der Ich-Perspektive von Serena Frome erzählt
    22 nummerierte Kapitel
    Mit Danksagung 462 Seiten


    Inhalt:
    Serena erzählt direkt im ersten Abschnitt, dass sie vor 40 Jahren eine geheime Mission für den britischen Geheimdienst zu erledigen hatte, der für alle Beteiligten in einem Fiasko endete.
    Sie war eine leidenschaftliche Schnellleserin und hätte gern Anglistik studiert, wandte sich aber, um ihren Eltern einen Gefallen zu tun, der Mathematik zu. Beim MI 5 ist sie zunächst ein kleines Licht und führt Hilfsdienst aus. Als ihre Chefs von ihrer Leseleidenschaft und Literaturkenntnis erfahren, rekrutiert man sie für einen Spezialauftrag und setzt sie auf einen jungen Schriftsteller an, damit dieser, unwissentlich bezahlt vom MI 5, einen Roman schreibt, der in das ideologische Konzept passt (pro England und USA, contra kommunistische Ostländer). Das Dumme: Serena verliebt sich. Der Autor auch. Aber sie kann ihm doch nicht beichten, wie die Beziehung zustande kam und was ihr eigentlicher Befehl ist. Zumal der Autor seine künstlerische Freiheit ausnutzt und ein Buch schreibt, das nicht ideologiekonform ist. Sie steckt in der Zwickmühle zwischen ihrer Liebe und ihrer Arbeit.


    Eigene Meinung / Bewertung:
    London in den 1970er Jahren zu den Zeiten des Regierung Edward Heath, der Kalte Krieg ist auf dem Höhepunkt, auf beiden Seiten toben sich Politiker und Spione aus, um der Welt zu beweisen, dass ihre Weltanschauung die bessere, die einzig richtige ist. Doch nicht nur um den Gegner jenseits des Eisernen Vorhangs sorgt man sich beim MI 5, denn auch England selbst wird infiltriert von linken Gesinnungsgenossen, Gewerkschaftler, Streikenden. Dagegen muss man etwas unternehmen, zumal der große Bruder USA von jenseits des Großen Teichs missbilligend herüberschaut.
    Die Idee, die man unter dem Codenamen „Honig“ entwickelt, ist ebenso grandios wie durchtrieben und dumm: Unbekannten Schriftstellern, die sich schon einmal einschlägig geäußert haben, macht man ein finanzielles Angebot mit Geldern, die sich nicht zum Geheimdienst zurück verfolgen lassen. Dadurch gewährt man ihnen ein Leben ohne regelmäßigen Beruf mit viel Zeit und Muße, um sich ganz dem Schreiben von Texten zu widmen, die hoffentlich in das weltanschauliche Raster passen. Serena wird auf Tom Haley angesetzt, der bisher einige Kurzgeschichten veröffentlicht hat. Doch statt sich mit ihrem Auftrag zu profilieren, kommt die Liebe dazwischen. Dass das Ganze nicht gut ausgeht, weiß man von Beginn an, und dennoch schließt das Buch mit einer Pointe ab, so happy, dass man es erträgt, so schlecht, wie die Figuren es verdienen, und so offen, dass es passt.


    „Honig“ ist eine Erzählung, die von der Ironie lebt, auch von der Selbstironie (man vergleiche die Motive von Haleys Kurzgeschichten mit denen des Autors). Von den Figuren kann keine – typisch McEwan – als Sympathieträger gelten.
    Das Buch ist eine Liebesgeschichte, die auch Lesern gefallen wird, die in diesem Genre nicht zuhause sind. Und ein Spionageroman, in dem man sich nicht zwischen Agenten, Doppelagenten und umgedrehten Agenten verirrt. Vielleicht keine große Literatur wie frühere Bücher McEwans, aber ein herzerfrischend amüsantes, unterhaltsames Lesevergnügen, das man jedem empfehlen kann, der die Bekanntschaft mit dem Autor aufnehmen oder auffrischen möchte.


    Fazit:
    Ein kurzweiliges, vergnügliches Werk mit hohem Lesespaßfaktor.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Ach, da hast Du mich doch um Minuten geschlagen, denn gerade wollte ich auch diesen Roman hier besprechen. Da kann ich mir nun Klappe und Inhaltsangaben sparen und komme sofort zum Urteil:


    Der Naive, der in die Geheimdienstarbeit hinein gezogen wird, ist spätestens seit Graham Greenes „Unser Mann in Havanna“ eine relativ beliebte Figur im Agentenroman und Greene und LeCarré haben sich dieser Figur oft genug bedient. Serena – die wesentlich mehr hormonell gesteuert zu sein scheint, als ihre vielen literarischen Vorgänger – ist dabei sicherlich eine der naivsten Figuren, was es möglich macht einen literarischen Kniff einführen, wie ihn Serena selbst im Verlaufe des Romans mehrfach bei Autoren kritisiert – und der im Endeffekt dem Roman neben einigen der hierin vorgestellten Geschichten des hoffnungsvollen Autoren noch einen zusätzlichen literarischen Anstrich gibt. Das mag dem ein oder anderen gefallen – man könnte es aber auch bösartig als einen Versuch werten, eine mehr oder minder dahinplätschernde und von netten literarischen Einschüben unterbrochene Geschichte (die im Übrigen größtenteils an bestehende Werke, wie „Die Straße“ etc. erinnern) auf dem letzten Meter noch einmal aufzuwerten bzw. zu retten. Ich bin nicht wirklich davon begeistert. [-(

  • Die Freunde der Bücher von Ian McEwan haben lange auf seinen neuen Roman gewartet. Ich persönlich habe ihn mit Begeisterung gelesen und halte ihn für ein starkes Werk. Ein Roman, der im Geheimdienstmilieu der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts spielt und dennoch von Literatur und vom Literaturbetrieb handelt.


    Das hängt damit zusammen, dass die ich-erzählende Serena Frome, behütet aufgewachsene Tochter eines anglikanischen Bischofs, nach einem von ihr ungeliebten Mathematikstudium und ersten eigenen Schreibversuchen den alten Tony Canning kennenlernt und mit ihm einen wunderbaren Sommer verlebt. Tony Canning war früher Mitarbeiter des Geheimdienstes und lehrt nun in Cambridge.


    Durch seine Vermittlung offenbar wird Serena als Mitarbeiterin für den MI 5 rekrutiert, wo sie in einem Projekt namens „Honig“ zunächst in untergeordneter Rolle tätig wird. Dem amerikanischen CIA nacheifernd, wollen die Chefs des MI 5 Einfluss gewinnen im Bereich der Kultur und der Literatur. Schon an dieser Stelle des Romans lässt Ian McEwan keinen Zweifel daran, wie er jedenfalls aus heutiger Sicht die Weltlage damals einschätzt – er lässt an den Linken nicht nur seines Landes kein gutes Haar, weil sie auf unterschiedliche Weise die Unterdrückung im Sowjetblock herunterspielen.


    Weil auch ein Romanschriftsteller bei „Honig“ mit dabei sein soll, wird Serena angesetzt auf den jungen Dozenten Tom Haley. Als sie ein Dossier mit Aufsätzen und Erzählungen des Autors liest, die Ian McEwan auch ausführlich beschreibt, ist die passionierte Leserin nicht nur von den Texten begeistert, sondern sie spürt schon, bevor sie den Mann kennenlernt, eine ihr zunächst unerklärliche Nähe.


    Es dauert nicht lange, da haben sie sich verliebt und Tom Haley hat Serenas als Stiftungsgelder getarntes Angebot der finanziellen Unterstützung durch den MI 5 angenommen. Immer wieder will sie in der Folge – Tom Haley schreibt unterdessen an einem großen Roman und ist mit einer Novelle, die noch kein Mensch kennt, für den Jane Austen Preis vorgeschlagen- ihm die Wahrheit gestehen, doch sie schafft es nicht.


    Innerhalb des MI 5 ist ihre Position wackelig, auch deshalb weil ihr Kollege und Vorgesetzter Max sich in sie verliebt hat, und ihre Beziehung mit Tom Haley beargwöhnt.


    Die Geschichte liest sich unterhaltsam, spannend , aber auch sehr informativ, entführt die Handlung den Leser doch in die siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts in ein Großbritannien, dass durch Wirtschaftskrise, Ölkrise und IRA-Terror am Abgrund steht. Ich selbst bin als Jugendlicher in dieser Zeit über mehrfach in England gewesen und fühlte mich bei der Lektüre in diese Zeit der „troubles“ und der unglaublichen Depression meiner Gastfamilie zurückversetzt.


    Als durch beispiellose Tricksereien seines bekannten Verlegers ein eher mittelmäßiger, düsterer Kurzroman von Tom Haley den Austen Preis gewinnt, ohne dass vorher auch nur ein Kritiker das Werk hatte lesen können (!), da spitzt sich die Lage innerhalb weniger Tage zu.


    Nun nimmt die Handlung dramatische Fahrt auf und Ian McEwan führt sie zu einem Ende, das ich nie für möglich gehalten hätte.


    Gute, spannende und informative Unterhaltung.

  • Honig ist mein erstes Buch von Ian McEwan und ich bin ein wenig
    enttäuscht. Wenn ich auf dem Klappentext Geheimdienst und literarische
    Mission lese, habe ich etwas glamouröseres und gefährlicheres
    erwartet. Die Tatsache, dass Serena Frome sehr belesen ist, war eigentlich gar nicht so sehr von Bedeutung, auch nicht dass sie Mathematik studiert hat. Hab erwartet, dass sie ihre Fähigkeiten für ihre Spionagetätigkeit einsetzt, aber leider war sie ziemlich normal. Es ging dann doch eher um eine junge Frau, die sich gleich in jeden Typen zu verlieben scheint, den sie kennenlernt. Dabei
    bahnt sich da aber nicht langsam eine Liebe an, der man sich trotz aller
    Professionalität nicht widersetzen kann, sondern hatte das Gefühl sie
    hat schon vorher beschlossen, dass sie ihre Zielperson gut finden wird.

    Nun nimmt die Handlung dramatische Fahrt auf und Ian McEwan führt sie zu einem Ende, das ich nie für möglich gehalten hätte.

    Das passiert allerdings erst auf den letzten 50 Seiten. Den Rest der Handlung hast du hier eigentlich schon wiedergegegeben, da auch nicht allzu viel außergewöhnliches passiert. Und auch das Ende war, fand ich, irgendwie nur...



    Dennoch hat mich die Thematik auf eine Art gefesselt, so dass ich das Buch relativ schnell lesen konnte. Ich vergebe drei Sterne :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

  • Bei der Lektüre von Honig musste ich an Dieter Nuhr denken, wenn er manchmal ansetzt mit: „Das, was ich Ihnen jetzt erzählen werde, ist kein Scherz, das ist völlig wahr“, und er dann einen völlig kuriosen und abwegigen Fakt bringt, auf den das Publikum mit einem lauten Heiterkeitsausbruch reagiert, worauf Herr Nuhr mit „Da hat man als Komiker nichts mehr zu tun ...“ reagiert. Das fiel mir deshalb ein, weil ich, sobald Herr McEwan zum ersten Mal in seinem Buch das IRD erwähnte, den Begriff „Information Research Department“ auf wikipedia angeklickt habe und beim Durchlesen des kurzen Artikels in lautes Lachen ausgebrochen bin – bei diesen paar Fakten hätte ich jetzt gedacht, da hat so einer als Schriftsteller keine Arbeit mehr, noch irgendetwas erklären zu müssen ...
    Doch nicht so Herr McEwan, denn er erklärt diese Information haarklein und mehrfach auf 460 Seiten und weitet sie darin auf eine total lahme, weil einfach zu weit hergeholte und hinkende fiktive Analogie aus, in der er den MI5 einen Versuch zur Manipulation der öffentlichen Meinung durch einen Romanautor starten lässt. @Marie hat ja schon geschrieben, dass dieser Versuch dumm wirkt, und das nicht nur, weil der MI5 noch nicht einmal Einfluss auf den Inhalt des Romanprojektes nehmen will; ein solcher Versuch wäre ja auch schon deshalb jämmerlich, weil die breite Bevölkerungsschicht, die leicht beeinflussbar ist, solche Bücher doch gar nicht erst lesen würde. Die Gründe, warum man eine Tusse wie Serena überhaupt erst zwischenschalten muss, um einem Schriftsteller ein Angebot für ein Stipendium zu unterbreiten, fand ich auch nicht sonderlich einleuchtend. Der ganze Plot im Buch wirkt auf mich viel zu bemüht.


    Sicherlich kann man einen Geheimdienst für doof erklären (manchmal muss man das gar nicht erst, wie der wikipedia-Artikel über den IRD zeigt ...), aber was ich absolut unverzeihlich seitens des Autors finde, ist diese Übereifrigkeit, dem Leser alles haarklein erklärt auszuschreiben, so als würde der Leser ohne seine Erklärungen gar nichts kapieren. Da ist alles so breit gewälzt, dass dem Leser überhaupt nichts mehr gedanklich überlassen wird. Man darf noch nicht einmal selbst entdecken, dass Serena Frome nicht die hellste ist, auch das wird einem wortwörtlich vorgeschrieben. Das macht die Lektüre extrem langweilig, weil man als Leser auf das Anschauen von Buchstaben, Wörtern und Sätzen limitiert wird, einem aber das selbstständige Begreifen des Kontextes nicht gestattet bzw. zugetraut wird. Da kommt mir Herr McEwan vor wie diese furchtbaren Menschen, mit denen man nur ein einziges Mal zusammen ins Kino geht, weil sie einem mit ihrem ständigen aufdröselnden Kommentaren von Pointen und Spannungsmomenten den gesamten Film verderben.
    Bestes Beispiel: da gibt es in Kapitel 15 / 16 eine Szene über das Ziegenproblem (Monty-Hall-Problem) aus der Stochastik, und wie der junge Schriftsteller Tom Haley dieses in einer Kurzgeschichte umsetzt – da habe ich Tränen gelacht, bis dahin war die Szene wirklich gut. Aber dann kommt McEwan und verdirbt wieder alles, indem er seine Serena Toms Fehler korrektiv umschreiben lässt. Da sehe ich innerlich förmlich vor mir, wie sich der Witz an der Situation grausam zu Tode röchelt.


    Der Schluss mit seiner Überraschung trägt für meine Begriffe, ähnlich wie für @dYna, eine zwar neue Erzählperspektive, diese aber wieder auf viel zu erklärte Weise in sich, auch hier empfinde ich das Buch deshalb als nicht sonderlich gut gelungen. Wäre es nicht vielleicht spannender gewesen, den zweiten Teil des Plots aus den zwei unvollständig beleuchteten Perspektiven von Serena und Tom lesen zu dürfen, sodass einem als Leser nach und nach ein Licht aufgeht, was da eigentlich passiert?


    Auch wenn Herr Scheck Ian McEwan u.a. mit Honig zum Nobelpreiskandidat erheben will (sh. Minute 34.40 in diesem Video), empfinde ich persönlich nach der Lektüre von Am Strand und Honig den Stil dieses Autors als wenig anspruchsvoll und noch weniger ansprechend (Naja, das wäre nicht das erste Mal, dass einem Autor der Literaturnobelpreis verliehen würde, der dem Leser mit breitgewalzten Erklärungen das innerliche „Selbsterlesen und –erleben“ verweigert).


    Vielleicht lese ich ja noch irgendwann McEwans Abbitte im englischen Original (Atonement), aber große Lust habe ich nach Honig nicht mehr darauf. Sein Stil schient nicht so mein Ding zu sein. Von mir gibt es nur :bewertung1von5::bewertung1von5: Sterne für dieses Buch.

    » Unexpected intrusions of beauty. This is what life is. «


    Saul Bellow, (1915-2005 ), U.S. author,
    in Herzog

  • "Honig" liegt bei mir noch auf dem SUB, aber Du solltest "Abbitte" unbedingt noch eine Chance geben. Dieses hier hat allgemein ziemlich schlechte Kritiken bekommen, selbst von eigentlichen McEwan-Fans.

  • "Honig" liegt bei mir noch auf dem SUB, aber Du solltest "Abbitte" unbedingt noch eine Chance geben. Dieses hier hat allgemein ziemlich schlechte Kritiken bekommen, selbst von eigentlichen McEwan-Fans.

    Gut zu wissen, Danke für die Info.

    » Unexpected intrusions of beauty. This is what life is. «


    Saul Bellow, (1915-2005 ), U.S. author,
    in Herzog

  • "Lesen war meine Methode, nicht über Mathe nachzudenken."


    Ich denke, ich bin einer dieser Einzelfälle, denen Ian McEwan es unmöglich macht, dieses Buch nicht zu mögen. Egal wie pubertär sich seine Protagonistin jedem Mann an den Hals wirft, welch hohen Stellenwert der Sex für sie einnimmt und wie wenig Spannung in ihrer Geschichte auch steckt - sie studiert relativ erfolglos Mathe. Und damit hat der Autor mich, weil auf den ersten Seiten Serena bereits zu einer Leidensgenossin wird; weil ich ihr Dilemma verstehe. Dementsprechend kann ich McEwan auch viel verzeihen, was andere Leser kritisieren - unter anderem dem ganzen Rest von Serena.
    Die Geschichte fesselt nicht wirklich, auch wenn mir der Schreibstil gefällt, und "Geheimdienst" verspricht deutlich mehr, als dahinter steckt. Okay, vielleicht sind wir auch alle zu sehr mit James Bond sozialisiert worden und werden mit "Honig" und einfacher Geldschieberei auf den Boden der Tatsachen geholt.
    Aber für das Ende bekommt McEwan noch ein großes Lob. Damit hatte ich nicht gerechnet - also überhaupt nicht damit, dass es nochmal irgendwelche Wendungen in der Geschichte gibt. Und das Ende wird gut; zwar offen, aber befriedigend.
    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:

    "All we have to decide is what to do with the time that is given to us."

  • Serena Frome ist behütet als Tochter eines anglikanischen Bischofs aufgewachsen und hat, ihrer Leidenschaft für Literatur zum Trotz, auf den Wunsch ihrer Mutter hin in Cambridge Mathematik studiert. Einen Sommer lang hat sie eine Affäre mit einem viel älteren Mann, die den Weg für eine ganz unerwartete Karriererichtung ebnet - Serena steigt beim britischen Geheimdienst MI5 ein.


    Zunächst krebst sie auf der untersten Stufe der Karriereleiter herum - wir befinden uns in den frühen 70er Jahren, als es Frauen in Männerdomänen noch viel schwerer hatten als heute -, bis sie schließlich ihren ersten echten Auftrag im Rahmen des Projektes "Honig" (im Original "Sweet Tooth") erhält. Als vorgebliche Vertreterin einer Stiftung zur Förderung junger Schriftsteller nimmt sie Kontakt zu dem talentierten Tom Haley auf, der aufgrund seiner politischen Ausrichtung im Fokus des Geheimdienstes steht und den sie "führen" soll.


    Dumm nur, dass es schnell zwischen Serena und Tom zu knistern beginnt und sich gleichzeitig Toms Karriere in ungeahnter Richtung entwickelt, so dass Serena bald zwischen der Loyalität zu Tom und der zu ihrem Arbeitgeber hin- und hergerissen ist.


    McEwan versteht einfach wunderbar zu schreiben und zu schildern, ich mag seine wohlgesetzten Worte und seine Charakterzeichnungen sehr, die mit wenigen Pinselstrichen die Dynamik innerhalb einer Familie, einer Beziehung oder unter Kollegen einfangen. Auch die Zeit, in der das Buch spielt, wird rasch lebendig, eine Gesellschaft mitten im kalten Krieg, gebeutelt von sozialen Missständen und irgendwo zwischen dem Aufbruch der 68er-Bewegung und konservativen Idealen gefangen. Serena und ihre Kolleginnen haben es in der Männerwelt des Geheimdienstes alles andere als leicht, auch das zeigt McEwan sehr schön exemplarisch.


    Ein Problem, das ich mit diesem Buch hatte, war allerdings, dass er mich hinsichtlich Serenas Mission "Sweet Tooth" ziemlich schnell verloren hatte. Mir war über weite Strecken nicht ganz klar, was es genau damit auf sich hat und was der MI5 genau von Schriftstellern wie Tom erwartet bzw. ob das tatsächlich funktionieren kann (wobei es reale Vorbilder gibt). Wahrscheinlich bin ich einfach zu doof :uups:


    Gut gefallen hingegen haben mir die Passagen über den Literaturbetrieb jener Zeit und die relativ detailliert beschriebenen Plots der pointierten Kurzgeschichten, die Tom verfasst, und eine überraschende Wendung, die die ganze Konstellation, die man zu kennen glaubte, noch einmal kippen lässt.


    Alles in allem beileibe kein schlechtes Buch, aber irgendwie nicht mein Thema.