Klappentext
Hélène ist klein, zart, acht Jahre alt, nennt sich Joe und behauptet, zehn zu sein, damit sie den Job als Zeitungsausträgerin bekommt. Umgeben von drei Schwestern, einem Vater, der das Leben nur als melancholisch friedlicher Trinker erträgt, und einer Mutter, die sich mit drakonischer Strenge panzert, ist Joe manchmal etwas einsam, ganz wie Roger, der plötzlich im Garten des Nachbarhauses steht und flucht. Roger ist 80, ein begnadeter Grantler, dessen Flüche mit jeder Flasche Bier phantastischer werden. Beide, die gescheite Joe und der nörgelnde Roger, haben einen sehr präzisen Blick auf die Welt und schenken einander nichts.
Wie Joe den erklärt lebensmüden Roger ins Leben zurückholt und er zum Schutzpatron dieses seismographisch empfindsamen Mädchens wird, das sich mit großer Entschlossenheit in ihrem nicht immer einfachen Leben behauptet, ist wunderbar beschrieben.
Die Autorin
Marie-Renée Lavoie wurde 1974 in Québec-Stadt geboren. Sie unterrichtet Literatur am Collège de Maisonneuve in Montréal. Für ihren Debütroman wurde sie mit dem Prix Archambault ausgezeichnet.
Persönlicher Eindruck
Ich & Monsieur Roger war, um es mit einem Wort treffend zu beschreiben, vor allem ein sehr wunderliches Buch. Immer ein bisschen komisch, immer ein bisschen traurig, immer voller ausgefallener Beschreibungen für noch ausgefallenere und doch sehr lebensnahe Situationen. Immer voller sehr kreativer Flüche.
Hélène und Roger waren überaus liebenswerte Protagonisten, wenn auch Hélène einem als Erzählerin der Geschichte ein bisschen mehr ans Herz gewachsen ist. Die kleine Heldin spricht, denkt und agiert in keinem Moment, wie es für ihre zu Beginn der Geschichte acht Jahre angemessen gewesen wäre. Sie ist viel pfiffiger, viel erwachsener. Ich finde nicht unbedingt, dass das der Erzählung zum Nachteil gerät, ganz im Gegenteil:
Das macht sie aus, das macht Hélènes Wesen aus. Und wäre sie ihre tatsächlichen acht Jahre alt gewesen, hätte sie sich wohl nie so gut und frech mit dem immer fluchenden Roger anfreunden können, und ich als Leserin wäre um einige sehr schöne Gedanken gebracht worden.
So stirbt beispielsweise in einer Szene eine Kundin unserer kleinen Protagonistin und der plötzlich Einzug haltende Tod in der nicht mehr ganz unversehrten Kinderwelt rüttelt dann doch an ihr. Aber Hélène, ganz träumende Realistin, fängt sich schnell wieder, indem sie sich selbst und die Zeitung, die sie ausliefert, in das große Ganze eines riesigen Universums einfügt:
"Demnach dachte ich, ihr Zeitungsabonnement wäre, im Gegensatz zu dem, was man mich glauben machen wollte, Teil eines fein ausgeklügelten Plans: Vielleicht war ich ein Mittel gewesen, um Woche für Woche ihr Verschwinden hinauszuzögern.
Und das war doch eine schöne Rolle."
Gedanken wie diese waren es, die ich an der Geschichte und ihrer Helden am liebsten mochte - ein wenig traurig, ein wenig glücklich, sehr melancholisch, aber vor allen Dingen lebensbejahend. Marie-Renée Lavoie hat keinen Roman über das Leben geschrieben, sondern einen aus seiner Mitte heraus, und hat dafür einem kleinen, ganz besonderen Mädchen ihre Stimme geliehen, die sich ihre und dabei sehr kluge Gedanken über Freundschaft, Träume, Lebensziele und Entwürfe und die Suche nach dem Glück macht. Das ist ihr auf eine manchmal verwirrende, aber humor- und liebevolle Weise gelungen.