Aharon Appelfeld - Badenheim

  • Original : Yr Nofes (Hebräisch/Israel, 1980)
    Übersetzung : Martin Kluger ins Deutsche 2013


    INHALT :
    1939. Und wieder wird es Frühling in Badenheim. Wieder steht das Kulturfestival des Impresarios Dr. Pappenheim bevor. Wieder finden sich die jüdischen Stammgäste in dem kleinen österreichischen Badeort ein – diesmal aber auch seltsame Inspektoren des Gesundheitsamtes. Während die Beamten die Gäste nachdrücklich auffordern, sich für eine Reise in „das gelobte Land Polen“ zu registrieren, und der einst mondäne Ort immer mehr einem Sperrgebiet gleicht, versuchen die Menschen die Normalität aufrecht zu erhalten: sie besuchen die Konzerte des müden Orchesters und lauschen den Rilke-Rezitationen der schwindsüchtigen Zwillinge aus Wien. Dann, eines Morgens, wird der Befehl zur Abreise gegeben …(amazon.de)


    BEMERKUNGEN :
    35 durchnumerierte Kapitel auf 179 Seiten, also durchschnittliche 5-6 Seiten pro Kapitel.


    Die französische Ausgabe (die ich selber gelesen habe) setzt dem fiktiven (?!) österreichischen Kurortsnamen im Titel direkt die Jahreszahl hinzu, und so ist in gewisser Hinsicht schon der Rahmen gesteckt (er wird in den ersten Abschnitten schon klar ausgeführt). Man steckt in der großen Erwartung einer neuen Saison mit ihrem Musik- und Künstlerfestival und langsam füllt sich das Hotel mit den altbekannten meist jüdischen Gästen, sei es Touristen, sei es Künstlern, von denen uns nach und nach einige vorgestellt werden.. Herrscht hier eine lockere Erwartungshaltung und Sorglosigkeit, so bricht manchmal plötzlich in diese fast idyllischen Beschreibungen eine andere Realität ein :
    Mit geradezu grotesker Abruptheit und Unerwartetheit wird dann in einem Satz, einem Abschnitt beschrieben, wie ein « Sanitätsdienst » zunächst freundlich, aber bestimmt, die Stadt immer mehr kontrolliert und schließlich unter Vorwänden der Quarantäne schließt, oder aber die bald anstehende phantastische Rückkehr ins Land der Väter, Polen, ankündigt. Und anscheinend ziehen viele Gäste mit ! Könnte man sich auch was anderes vorstellen ? Nein, mit zitternder Vorfreude erwartet man die Heimkehr ins « Gelobte Land », die Erfüllung aller Träume. Sicherlich hat schon alles so seine Richtigkeit mit der Aufnahme der Daten, der Trennung zwischen krank und gesund, oder der späteren Rückerstattung der Reisekosten etc.


    Kurzum : Appelfeld beschreibt ein Horrorszenario, eine langsam steigende Spannungskurve, ohne auf eventuell übliche Bilder dauernd rückgreifen zu müssen. Und dieses Schreckliche liegt gerade in der anscheinenden Unmöglichkeit, sich das Unmögliche vorzustellen, auszumalen. Der allgemein geltende Sinn kann einfach nicht die Tiefen des anstehenden Grauens verarbeiten, erfassen, aufnehmen. Bis hin selbst zur Verladung in die dreckigen Viehwagen findet man « Grund zur Hoffnung » und eine seltsame Art « Unschuld « und Illusion. Seltsamerweise hat man den Eindruck, dass es die « verrückte » Frau des Apothekers ist, die in ihrem Klagen sich der Situation vielleicht am Entsprechendsten verhält ?


    So wie die Eingriffe des Sanitätsdienstes und manch hoffnungslose Augenblicke manchmal unerwartet eingeschoben werden, so wechseln auch « Szenerien » mit wechselnden Personen einander ohne Vorankündigung ab. Das schafft den Eindruck von Einheit UND Dissonanz. Ich dachte hier manchmal an eine Appelfeldsche Selbstverständlichkeit in der Beschreibung des Absurden. Kein Wunder, dass er in diesem Sinne mit einem Kafka verglichen wird.


    Eine andere Weise, über das Geschehene zu schreiben. Kindlich naiv, und gleichzeitig realistisch. Eine eindrückliche Entdeckung.


    AUTOR:
    Aharon Appelfeld wurde 1932 als Erwin Appelfeld in der Bukovina, damals Rumänien, geboren. Er wuchs in einem gutbürgerlichen Haushalt in Czernowitz auf, das von ihm als Kultur- und Universitätsstadt wahrgenommen wurde. Mit seinen Eltern sprach er Deutsch (und spricht es nach einer Zeit der Verstummung heute erneut), mit seinen Großeltern Jiddisch, mit anderen Menschen oft Ukrainisch.

    Als er acht Jahre alt war und die erste Klasse der Grundschule hinter sich hatte, wurde seine Mutter von rumänischen Antisemiten umgebracht und er gemeinsam mit seinem Vater in ein Lager in Transnistrien, damals östlichster Teil Rumäniens, verschleppt, wo er vom Vater getrennt wurde. Es gelang ihm zu fliehen, sich in den Wäldern versteckt zu halten und später als Gelegenheitsarbeiter auf rumänischen Bauernhöfen zu arbeiten. « Ich war blond und blauäugig », erinnerte sich Appelfeld, dem es gelang, seine jüdische Identität zu verbergen und sich als Ukrainer auszugeben. 1944 schloss er sich den westwärts vorrückenden Truppen der Roten Armee als Küchenjunge an und lernte dabei dann auch Russisch.


    Nach Kriegsende erreichte er 1946 mit anderen Flüchtlingen über Italien Palästina, wo er vorerst Hebräisch lernen und seine Hochschulreife erwerben musste. Dann studierte er an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Von 1975 bis zu seiner Emeritierung 2001 war Appelfeld Professor für hebräische Literatur an der Ben-Gurion-Universität des Negev in Beerscheba.

    Zum Ende der 1950er Jahre veröffentlichte er erste Erzählungen in hebräischer Sprache, in denen er Probleme der Überlebenden der Shoah beschreibt. Gleichzeitig verweigerte er sich stets, sich als deren Schreiber zu verstehen. Darüber hinaus findet die verlorene Welt seiner Kindheit immer wieder Eingang in seine Literatur. Seine hochgelobten Romane und Erinnerungen sind in vielen Sprachen erschienen, auf Deutsch zuletzt «Elternland», «Blumen der Finsternis» und «Katerina». Aharon Appelfeld, unter anderem Träger des Prix Médicis und des Nelly-Sachs-Preises, lebt in Jerusalem.

    International wurde Appelfeld mit dem Erscheinen der englischen Übersetzung seines Romans « Badenheim » (1980) bekannt, für « Der Eiserne Pfad » wurde er 1999 mit dem National Jewish Book Award ausgezeichnet.
    (Quellen und mehr : http://de.wikipedia.org/wiki/Aharon_Appelfeld; amazon.de ; Journal« Lire »)


    Taschenbuch: 160 Seiten

  • Die französische Ausgabe (die ich selber gelesen habe) setzt dem fiktiven (?!) österreichischen Kurortsnamen im Titel direkt die Jahreszahl hinzu,

    fiktiven (?!) ist wirklich fiktiv, in ganz Österreich gibt es keinen Ort dieses Namens, aber in Deutschland gibt es eine Stadt die so heisst. Und Transporte gingen hauptsächlich von den Städten aus, besonders viele von Wien.


    International wurde Appelfeld mit dem Erscheinen der englischen Übersetzung seines Romans « Badenheim » (1980) bekannt,

    Beim englischen Buch ist auch die Jahreszahl hinzugefügt.


    Wieder ein Buch für meine Wunschliste, dieses Leben reicht nicht um alles zu lesen, leider.

    :study: Ich bin alt genug, um zu tun, was ich will und jung genug, um daran Spaß zu haben. :totlach: na ja schön langsam nicht mehr :puker:

    Einmal editiert, zuletzt von Mara ()

  • fiktiven (?!) ist wirklich fiktiv, in ganz Österreich gibt es keinen Ort dieses Namens, aber in Deutschland gibt es eine Stadt die so heisst. Und Transporte gingen hauptsächlich von den Städten aus, besonders viele von Wien.


    Ich hatte dies auch nachgegoogelt und ein pfälzisches Badenheim gefunden, wollte aber nicht absolut sicher aussagen, dass es eben keines in Österreich gibt. Deswegen aus Sicherheitsgründen die einschränkende Klammer.


    Beim englischen Buch ist auch die Jahreszahl hinzugefügt.


    Ja, allerdings ist die Originalausgabe auf Hebräisch (siehe oben), und da heißt es - soweit mein Hebräisch ausreicht - sicherlich nicht Badenheim 39.

  • Ein Jahr nach dem Tode des Autors kommt nun eine Hommäge seiner Übersetzerin und engen Bekannten Valérie Zenatti heraus. Diese ist auch selber Schriftstellerin:


    Leur relation n'était pas seulement celle d'un romancier et de sa traductrice, c'était aussi celle de deux amis qui se parlaient sans cesse.

    De quoi parlaient-ils ? D'écriture, de langues, d'amour, d'animalité, d'enfance. De la terreur d'être traqué.

    Ils partageaient également quelques silences.

    Lorsqu'il disparaît en janvier 2018, la jeune femme ne peut se résoudre à perdre cette voix dont l'écho résonne si puissamment en elle. Après un temps de sidération, elle cherche à la retrouver, par tous les moyens. Sa quête la conduira jusqu'en Ukraine, à Czernowitz, la ville natale de l'écrivain. Il pourra alors prendre sa place, dans le faisceau des vivants.