Jenny Erpenbeck - Aller Tage Abend

  • Inhalt:
    Wie lang wird das Leben des Kindes sein, das gerade geboren wird? Wer sind wir, wenn uns die Stunde schlägt? Wer wird um uns trauern? Jenny Erpenbeck nimmt uns mit auf ihrer Reise durch die vielen Leben, die in einem Leben enthalten sein können. Sie wirft einen scharfen Blick auf die Verzweigungen, an denen sich Grundlegendes entscheidet. Die Hauptfigur ihres Romans stirbt als Kind. Oder doch nicht? Stirbt als Liebende. Oder doch nicht? Stirbt als Verratene. Als Hochgeehrte. Als von allen Vergessene. Oder doch nicht? Meisterhaft und lebendig erzählt Erpenbeck, wie sich, was wir »Schicksal« nennen, als ein unfassbares Zusammenspiel von Kultur- und Zeitgeschichte, von familiären und persönlichen Verstrickungen erweist. Der Zufall aber sitzt bei alldem »in seiner eisernen Stube und rechnet«.
    (Quelle: Verlagsseite)


    Die Autorin:
    Jenny Erpenbeck, geboren 1967, ist Regisseurin und vielfach preisgekrönte Schriftstellerin. Sie debütierte 1999 mit "Geschichte vom Alten Kind". Zuletzt feierte sie mit "Heimsuchung" einen großen, auch internationalen Erfolg bei Publikum und Kritik.
    (Quelle: Verlagsseite)


    Meine Meinung:


    Zitat

    "Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, hatte die Großmutter am Rand der Grube zu ihr gesagt. Aber das stimmte nicht, denn der Herr hatte viel mehr genommen, als da war - auch alles was aus dem Säugling hätte werden können, lag jetzt da unten und sollte unter die Erde"


    Jenny Erpenbeck lässt gleich zu Beginn die Protagonistin als Säugling den plötzlichen Kindstod sterben - und lässt sie mehrfach wieder auferstehen, verschiedene Leben leben und erzählt dabei nicht nur eine Familiengeschichte, sondern auch Geschichte des 20. Jahrhunderts.
    Aufgeteilt in 5 Kapiteln widmet sich jedes einem möglichen Leben. Zwischen jedem Kapitel findet sich ein Intermezzo. Der Roman stellt die Frage: "Was wäre wenn? Welche Konsequenzen gibt es?"
    Im ersten Kapitel, es ist 1902, zerbricht die Ehe der Eltern, nachdem das Kind den plötzlichen Kindstod gestorben ist. Die Ehe sollte die jüdische Mutter vor dem Antisemitismus retten, den Vater vor dem Schuldenberg - keine guten Voraussetzungen für eine glückliche Ehe.
    Am Ende des ersten Kapitels folgt ein Intermezzo, in dem das Baby mit einer Handvoll Schnee zum Leben erweckt wird und im zweiten Kapitel nun zur jungen Frau geworden ist. Es ist 1919, in Wien herrscht Armut und Hunger. Der erste Weltkrieg ist gerade vorbei. Auch am Ende dieses Kapitels stirbt die junge Frau.
    Im dritten Kapitel wird das Jahr 1938 geschrieben; die Frau lebt in Moskau in der stalinistischen Zeit und ist politisch engagiert. Doch sie wird verhaftet, landet im Lager und stirbt.
    Im vierten Kapitel lebt die Frau hochdekoriert in der DDR.
    Das letzte Kapitel spielt nach der Wende 1992. Die Frau lebt als 90-jährige in einem Heim.
    Sprachlich ist der Roman anspruchsvoll, gut konstruiert und emotional aufwühlend. Ich empfand den Roman als spannend und interessant zu lesen.
    Ein gewagtes Experiment ist die Autorin eingegangen und es ist ihr gelungen.
    Der Roman stand auf der longlist des Deuschen Buchpreises 2012

  • Nachdem ich bereits an anderer Stelle verkündet habe, dass dieses Buch eine Höchstwertung bekommen wird, kann ich jetzt sagen, dass es seine

    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: Sterne redlich verdient hat.


    Ich zitiere mich mal kurz selbst und ergänze noch ein, zwei Dinge

    Zitat

    (...)

    Der Roman hat keine Fantasy-Elemente und hat auch nichts mit Magischem Realismus zu tun, es handelt sich eher um Gedankenspiele. Was wäre, wenn? Wie verändert sich das Leben nach dem Tod eines nahen Angehörigen?


    „Am Abend eines Tages, an dem gestorben wurde, ist längst noch nicht aller Tage Abend.“

    ist daher ein häufig vorkommender Satz (...)


    Der Teil, der sich in Moskau abspielt, gefiel mir nicht so gut, dafür hätte ich den übrigen Abschnitten 5,5 Punkte gegeben, was per Saldo zu den fünf Sternen führt.


    Als ich das Buch heute Morgen beendet habe, musste ich tatsächlich ein bisschen weinen, weil es mich so berührt hat :cry:. Jenny Erpenbeck bringt ihren Charakteren eine große Wertschätzung entgegen, das merkt man allein dadurch, dass ihr ein Buch gelungen ist, das langsam gelesen werden will. Liest man schräg oder jagt durch die Geschichten durch, wird man einiges, was wesentlich ist, verpassen.


    Ein Buch zum Innehalten, ideal für den Herbst.