Olga Grjasnowa - Der Russe ist einer, der Birken liebt

  • Inhalt:
    Mascha ist jung und eigenwillig, sie ist Aserbaidschanerin, Jüdin, und wenn nötig auch Türkin und Französin. Als Immigrantin musste sie in Deutschland früh die Erfahrung der Sprachlosigkeit machen. Nun spricht sie fünf Sprachen fließend und ein paar weitere so "wie die Ballermann-Touristen Deutsch". Sie plant gerade ihre Karriere bei der UNO, als ihr Freund Elias schwer krank wird. Verzweifelt flieht sie nach Israel und wird schließlich von ihrer eigenen Vergangenheit eingeholt. Mit perfekter Ausgewogenheit von Tragik und Komik und mit einem bemerkenswerten Sinn für das Wesentliche erzählt Olga Grjasnowa die Geschichte einer Generation, die keine Grenzen kennt, aber auch keine Heimat hat.
    (Quelle: Verlagsseite)


    Die Autorin:
    Olga Grjasnowa, geboren 1984 in Baku, Aserbaidschan, wuchs im Kaukasus auf. Längere Auslandsaufenthalte in Polen, Russland und Israel. Absolventin des Deutschen Literaturinstituts Leipzig. 2011 erhielt sie das Grenzgänger-Stipendium der Robert Bosch Stiftung. Derzeit studiert sie Tanzwissenschaften an der FU Berlin.
    (Quelle: Verlagsseite)


    Hanser Verlag
    288 Seiten


    Meine Meinung:
    In ihrem Roman "Der Russe ist einer, der Birken liebt" lässt Olga Grjasnowa ein paar autobiographische Züge mit einfließen. Wie auch die Autorin stammt Mascha aus Aserbaidschan, hat einen jüdischen Hintergrund, musste immigrieren. Sie beherrscht mehrere Sprachen fließend, sogar "wie die Ballermann-Touristen Deutsch". und ist intelligent.
    Beruflich ist sie zielstrebig, doch in ihrem Privatleben scheint sie alles andere als zielorientiert zu sein. Ihr Gefühl der Heimatlosigkeit und Entwurzelung zeigt sich in ihren Reaktionen.
    Ihr Freund Elias, zu dem sie eine eher schwierige Beziehung hat, möchte ihr helfen. Sie lässt ihn aber nicht wirklich an sich ran Als Elias nach einer Fußballverletzung stirbt, fühlt sie sich verantwortlich für seinen Tod.
    Mascha trauert um ihren Freund, reagiert mit Antriebslosigkeit, Appetitlosigkeit und Depressionen.
    Sie schläft mit ihrem Professor, um als Übersetzerin nach Israel vermittelt zu werden.
    Aber auch dort hilft ihr nichts, sie bleibt depressiv und bekommt Albträume. Als Kind hat Mascha viel sehen müssen, was selbst einen Erwachsenen belasten kann.


    Ich bin etwas zwiegespalten im Urteil; einerseits lässt das Buch sich gefällig lesen und gibt gute Denkanstöße. Andererseits scheint der Roman mir ein wenig überfrachtet zu sein mit 'Schicksalsschwere".
    Manche Wendung empfand ich als eher unglaubwürdig.
    Warum sollte z.B. eine sehr gute, intelligente und emanzipierte Studentin mit ihrem Professor ins Bett gehen, um vermittelt zu werden?
    Anfangs erscheint Mascha noch eigenständig und selbstbewußt, scheint gar etwas überheblich zu sein. Im Laufe der Geschichte wird Mascha immer unselbständiger und lässt ihre Freunde für sie entscheiden. Mascha meldet sich z.B. nicht selbst bei der Dolmetscher-Prüfung an, das haben ihre Freunde für sie entschieden und erledigt. Sie fällt in die Rolle einer hilflosen, fremdbestimmten Frau zurück.
    Diese Wendungen erscheinen mir nicht so ganz nachvollziehbar. Dass der Tod von Elias sie so aus den Bahnen geworfen hat, kann ich mir schwer vorstellen.


    Mich würde doch sehr eine weitere Meinung interessieren, da mir, wie schon oben erwähnt, das Urteil nicht so leicht fällt.

  • Vielen Dank für deine Rezension, Conor!
    Auf die habe ich gewartet :)


    Bei der Zeit Online habe ich übrigens einen Artikel dazu gesehen.


    LG
    Emili

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    Adrian, Lara - Hüterin der Ewigkeit

  • Danke für die Rezi, Conor!


    Mich würde interessieren, in welcher Sprache das Buch verfasst wurde, und wie der Titel zu erklären ist, wenn Autorin und Titelheldin also Aserbaidschanerinnen sind? Hast Du eventuell einen Originaltitel? Ich finde das irgendwie merkwürdig..., oder?

  • Tom:
    Es ist ein deutsches Debüt; ich nehme an, die Autorin hat es auf deutsch verfasst. Lt. diesem link hat sie drei Jahre an dem Roman gearbeitet, den sie als Abschlussarbeit am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig begann.


    Der Titel spielt auf "Drei Schwestern" von Tschechow an.


    Am Anfang des Romans steht folgende Passage:
    (Zitat: )
    "Werschinin: Wie können Sie nur! Hier ist ein gesundes, slawisches Klima. Wald und Fluss... und dann gibt es auch Birken. Die lieben, bescheidenen Birken, ich liebe sie mehr als sonst alle Bäume. Gut ist es, hier zu leben. Seltsam bloß, dass der Bahnhof zwanzig Werst vor der Stadt liegt... Und keiner weiß, warum das so ist.
    Anton Tschechow
    Drei Schwestern"


    Liebe Grüße

  • Danke für die Antwort! Tschechow...: immer gut!


    Die Merkwürdigkeit sah ich weniger in der Grundaussage an sich: tatsächlich lieben die Russen ihre typischen Birkenwälder, wie ich bei Gesprächen und Besuchen in Russland feststellen konnte.


    Die Merkwürdigkeit sah ich eher in der Frage der Nationalität... , aber vielleicht gibt es da nichts Besonderes dran auszusetzen.

  • Ich habe das Buch diesen Sommer gelesen und finde es für einen Erstling nicht schlecht. Es liest sich leicht und flüssig und ist in großen Teilen des Plots schlüssig. Aber ich gebe Conor recht: es ist sehr schicksalsüberladen! Dabei kommt aber für mich immer auch die Aussage zum Tragen "es wiederholt sich alles" (sinngemäßes Zitat). Das schien mir in der Geschichte der Protagonistin und ihrer Familie eine der Hauptaussagen zu sein. Egal wo sie lebten und leben oder wohin sich Masche auch flüchtet, in unserer heute stark durch gewaltsame Konflikte geprägten Welt wiederholt sich die erlebte Gewalt immer wieder. Es ist fast wie eine self-fulfilling prophecy, sie entkommt diesem Thema ihrer Familiengeschichte nicht. Aber so ganz habe ich nicht nachvollziehen können, wie es das Buch auf die Longlist geschafft hat, so gut fand ich es nun auch wieder nicht. Außerdem fielen mir auch hier wieder Schwächen im Lektorat auf, liest denn heute ein Lektor nur noch Teile eines Buches?
    Grüße und trotzdem viel Spaß beim Lesen
    Squirrel

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • Das vorliegende Buch ist sicher eines der bemerkenswertesten Romandebüts dieses Jahres. Die 27- jährige, in Baku in Armenien geborene Olga Grjasnowa hat es geschrieben und mit der Hauptfigur des Buches auch viel von ihrem eigenen Leben erzählt und verarbeitet. Als Kind erlebte sie die blutigen Kämpfe zwischen Aserbaidschanern und Armeniern (Berg Karabach), kam als jüdischer Kontingentflüchtling mit ihren Eltern nach Deutschland und lebte dort in einer hessischen Kleinstadt in der Nähe von Frankfurt. Sie spricht mehrere Sprachen, hat schon viele Preise und Stipendien erhalten, ist Absolventin des Deutschen Literaturinstituts Leipzig und blickt auf längere Auslandsaufenthalte in Russland, Polen und Israel zurück.


    Nun hat sie mit der Geschichte von Maria Kogon, auch Mascha genannt, ein deutlich autobiographisches Buch veröffentlicht, das sehr eigensinnig einen neuen literarischen Ton anschlägt und zu Recht von vielen Kritikern gelobt wurde. Maschas lebt als Dolmetscherin in Frankfurt. Sie lebt ein chaotisches Leben, ist selbst sehr beweglich und flexibel, hoch intelligent. Mascha ist eine junge Frau, die, obwohl sie sie sucht, Nähe kaum wirklich erträgt. Und so flieht sie durch ihr Leben, und kann weder bei ihrer Familie noch bei ihrem Freund einen Halt finden. Auch ihr Beruf befriedigt sie nicht. Eines Tages wird ihr Freund Elias beim Fußballsspielen schwer verletzt. Eine auf den ersten Blick normale Oberschenkelfraktur wächst sich zu einer quälend schmerzhaften Sache aus, und nach langen Wochen der Pflege stirbt Elias an einer Sepsis. Mascha ist verzweifelt. Sie wird von Schuldgefühlen geplagt, die zu den permanenten traumatischen Kindheitserinnerungen noch dazu kommen.


    Mascha flieht vor ihrer Vergangenheit nach Israel, um dort als Dolmetscherin zu arbeiten. Sie fährt ohne Illusionen dorthin und ist doch erschüttert von den Auseinandersetzungen und dem Hass zwischen Juden und Palästinensern. Sie trifft dort viele Menschen, macht Bekanntschaften und hat Affären, doch ihre innere Leere bleibt. Die Trauer über ihren Freund Elias ist übermächtig und überlagert alles. In Sami, einem früheren Freund hat sie einen Vertrauten, der immer zu ihr steht, und nach dem Tod von Elias die einzige wirkliche Konstante in ihrem wurzellosen Leben darstellt.


    Alle Figuren dieses Romans haben ähnliche Züge. Sie sind politisch engagiert, denken und fühlen multiethnisch und haben wie selbstverständlich ein kosmopolitisches Bewusstsein. Doch obwohl sie hochintelligent und extrem beweglich sind, schaffen sie es nicht, ihre Lebenskraft und Kreativität umzusetzen, irgendwo anzukommen und Wurzeln zu schlagen.


    Ich bin auf die nächsten Romane dieser außergewöhnlichen Frau gespannt. Gespannt darauf, wie sie weiter ihr Leben reflektiert und es in großer Prosa umsetzt.

  • Danke für die interessante Rezi!


    Das vorliegende Buch ist sicher eines der bemerkenswertesten Romandebüts dieses Jahres. Die 27- jährige, in Baku in Armenien geborene Olga Grjasnowa hat es geschrieben...


    Hier liegt wohl ein kleiner Fehler vor: Baku ist die Hauptstadt Azerbaïdjans (Erewan jene von Armenien). Allerdings gab es insbesondere bis zum Konflikt zwischen den beiden Regionen/Ländern eine große Minderheit Armenier in Baku. Schaust Du nochmals in den Quellen nach? Danke.

  • Ich habe mal etwas recherchiert, weil es mich jetzt auch interessiert hat. Ich bin zwar nicht Winfried, aber ich antworte mal trotzdem. Lt. Biographie des Hanserverlages wäre es denn so und das würde auch Sinn machen: Olga Grjasnowa, geboren 1984 in Baku, Aserbaidschan, wuchs im Kaukasus auf.


    Hier der Link zur Seite des Verlages.

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  • Maria Kogan – auch Mascha genannt – kommt aus Baku, von wo ihre Familie während der Unruhen flüchten musste. Nun, nach einem Leben in verschiedenen Ländern, bei dem sie allerlei Sprachen in sich aufgesaugt hat, studiert sie um Übersetzerin zu werden und sucht verschiedene Dinge in ihrem Leben. Eine Heimat, eine über sie hinaus reichende Identität und die Liebe.


    Ist Mascha nun auf der Suche nach einer eigenen Identität? Oder nur nach einem Weg aus dem Trauma ihrer Jugend um ihre bereits gefundene Realität besser realisieren zu können? Die Frage ist nicht unbedingt eindeutig zu beantworten und sollte es wohl auch nicht sein. Auf jeden Fall über-zeugt dieser Charakter sehr – genau wie viele ihrer Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter (wobei die Männer ein weniger schärfer gezeichnet sind) –und so ergibt sich insgesamt ein sehr überzeugender Roman über eine junge Frau, für die die weitestgehende Offenheit in den meisten Belangen gerade ein Identitätsmerkmal zu sein scheint. Kaum zu glauben, dass dies ein Debütroman ist. :thumleft:

  • Ich war sehr beeindruckt von dem Schreibstil dieser Autorin, prägnant, offen und nah, und mit ungewöhnlichen Bildern versetzt. Manchmal hatte ich das Gefühl, sie überspringt in Gedanken ein paar Absätze, aber trotzdem ist alles auf eine seltsame Weise schlüssig.
    Maschas Charakter dagegen hat mir einige Rätsel aufgegeben. Als gebildete junge Frau mit multikulturellem Hintergrund hat sie auf jeden Fall meine Sympathie. Jedoch ließ sie mich durch ihr Verhalten oft ungläubig die Augen aufreißen, vor allem wenn es um Männer geht. Sie ist stark und könnte ohne Probleme auf eigenen Füßen stehen, aber sie ist immer bestrebt, sich an einen Mann zu binden und die Verantwortung von sich zu schieben.


    An sich ein sehr stimmiges, ehrliches Buch. Trotzdem erscheint es mir irgendwie befremdlich. :-k


    Zum Titel: Mein Lieblingsbuchhändler hat mir dieses Buch empfohlen. Er hat eine Lesung besucht, und dort hat sie anscheinend gemeint, sie bereue den Titel inzwischen, seitdem sie mit einem Russen darüber gesprochen hat. Warum auch immer. :-s Ich kann mir ehrlich gesagt auch nicht so gut vorstellen, wie er mit dem Buch zusammenhängen könnte.

    Den Stil verbessern - das heißt den Gedanken verbessern und nichts weiter. Friedrich Nietzsche

  • Ich war sehr gespannt auf das Buch, das ich nun gelesen habe, und schließe mich eher Conor in ihrer Zwiegespaltenheit an :



    Ich bin etwas zwiegespalten im Urteil; einerseits lässt das Buch sich gefällig lesen und gibt gute Denkanstöße. Andererseits scheint der Roman mir ein wenig überfrachtet zu sein mit 'Schicksalsschwere". Manche Wendung empfand ich als eher unglaubwürdig.


    Mir selbst fiel auf, dass man quasi alle Begegnungen und auch innerhalb des Romans angeschnittenen Geschichten mit dem multiethnischen Hintergrund in Verbindung setzen kann. Alles, aber wirklich alles, steht hier in Bezug dazu, selbst das scheinbar Harmloseste oder Entfernteste. Dabei sagte ich mir : Was macht also unsere Identität aus, ob in der reinen positiven Bestimmung oder aber auch in einer Distanznahme zu unseren eigenen Wurzeln ? Wir bleiben davon bestimmt, quasi ob wir wollen oder nicht, und schleppen unsere Herkunft und unsere Geschichten mit uns herum. Dennoch sind all diese Stories hier schon etwas zu geballt. Es mag sein, dass die gewisse Unruhe und sogar innere Getriebenheit vieler Protagonisten eben gerade Folge von Verlust von Identität sind... Eine gewisse innere Haltlosigkeit empfinde ich dabei als nicht sehr aufbauend, aber so scheint es halt zu sein.


    Was diese Aussage anbetrifft, dass « die Russen die Birken lieben », so taucht dieser Satz ebenfalls in einem Dialog gegen Ende des Buches auf, in dem jemand einzelne Zugehörige etwas salopp einordnet. Diese Aussage träfe schon auf Mascha zu : sie erscheint also – um es für uns etwas schwerer zu machen – als Angehörige der russischen Gruppe im Aserbaidschan der Zeit der Auseinandersetzungen um Berg-Karabach und ihre Familie wird um die jüdische Identität kämpfen, damit sie derlei einfacher im Ausland Aufnahme finden werden... Wir lesen Erschütterndes über die harte Auseinandersetzung, die teils pogromartige Züge annimmt.


    Von mir gibt es drei bis dreieinhalb Sterne ! Ich kann mir vorstellen, dass ich dieses Buch später höher einschätzen könnte.

  • Dieses Büchlein wurde nun verfilmt und läuft zur Zeit in den Kinos.



    Was meint ihr?


    Ist es ein Buch was gut verfilmt worden sein kann?


    Beste Grüße :wink:

    :musik: Hörspiele und oder Podcasts um nebenbei einiges Erledigen zu können :wink:


    :study: Christian von Aster - "Schnitter, Gevatter und Sensenmann - Allerlei Geschichten zum Tod"


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