Hanns-Josef Ortheil – Lesehunger

  • Kurzmeinung

    Maesli
    Von Geheimnissen, Träumen und Orte, die mit dem Lesen verbunden sind & der Schreibkunst im allgemeinen.
  • Ein Bücher-Menu in 12 Gängen


    Original: Deutsch, 2009


    ZUM INHALT :
    Ein opulent angerichtetes Fest des Lesens


    In »Lesehunger« erzählt Hanns-Josef Ortheil von seinen ausschweifenden Lese-Vergnügen, von den Ritualen und Geheimnissen des Lesens, von den Tageszeiten und Orten, die dem Lesen günstig sind, und vom lustvollen Verschwinden in und dem langsamen Wiederauftauchen aus Büchern. »Lesehunger« ist darüber hinaus aber auch ein verführerisch angerichtetes Lese-Menu, das von Hanns-Josef Ortheil mit vielen Buch- und Leseempfehlungen angereichert worden ist und das den Leser auf raffinierte Weise zum hemmungslosen und anarchischen Lesen abseits aller literarisch schmalspurigen Kanonangebote verführen will. (Quelle : Klappentext)


    BEMERKUNGEN :
    Das Buch ist in zwei eine Woche auseinander liegende Tage mit jeweils sechs Gängen eingeteilt. Eine namentlich nicht genannte « Besucherin » und Ortheil treffen sich jeweils im und am Haus des Autors an einem Hanggrundstück Stuttgarts. Dabei erscheint jene Dialogpartnerin wohl eher ein Kunstgriff als eine reale Person zu sein, die der Autor hinzuzieht, um sein Propos an den Leser zu kriegen ?


    In jedem Kapitel/Gang geht es meist um ein, zwei Grundthemen, zu denen sich der Autor sehr belehrt, und manchmal belehrend, doch auch oft sehr interessant, äußert. Dabei geht es unter anderem um Themen wie :
    Verortung des Lesens und Schreibens in konkreten Umgebungen, Räumen, Gärten... ; die Verbindung von Lektüren mit Jahreszeiten ; die Gestaltung des Arbeitstisches, der Lese- und Schreiborte ; Küchenlektüren (einschließlich Bücher zum Kochen und zum Feiern des Essens) ; Essays ; intensive Werke, die zum Herzen sprechen (fast « spirituelle, geistige » Lektüren ) ; Lifestyle-Bücher ; Reisebücher und -berichte ; Bücher über das Lesen ; ua...


    Dazu wird beispielhaft viel aus oft relativ unbekannten Werken zitiert, um das Thema anschaulich(er) zu machen. Die 12 Kapitel/Gänge schließen mit Quellenangaben der zitierten Büchern.


    Schaut man sich Titel, Untertitel und den Klappentext an, sind die Parallelen zu einem opulenten Essen nahe. Und so kommt das Buch auch daher ; nicht als einfache Bratkartoffeln, sondern in seiner Umsetzung auf das Lesen, in manchmal höheren Sphären. Es ist eine Vorgehensweise, ein Schreiben, das manchmal ästhetisierend herüberkommt, für mich manchmal mit einem Unterton gar von Snobismus. Vielleicht empfand ich auch etwas Neid, angesichts der zahlreichen Schreib- und Leseräume, ja der Gartenanlage mit -zig Häuschen und Eckchen, in denen es sich lesen und schreiben läßt ? Neid angesichts von Hunderten von Büchern, die dem Autor im Monat zur Verfügung stehen ?


    Nun, wie in einem Zwölfgängemenu wird man von der einen Speise mehr, von der anderen Speise weniger zu sich nehmen, jene begeisternd kosten, anderes nicht so schmackhaft finden. Ich selber fand einige Themen für mich und meine Interessen sehr anregend und bereichernd. Andere Gänge habe ich überflogen und einen Halt eingelegt, falls ich durch ein Stichwort, einen Autorennamen magisch angezogen wurde. Für andere mögen sich andere Leseerfahrungen mit diesem Buch ergeben.


    Nicht alles konnte mich gleich fesseln : von Begeisterung bis Langeweile ist hier vielleicht alles drin ? Insofern von zwei bis viereinhalb Sternen ebenso !


    ZUM AUTOR :
    Hanns-Josef Ortheil wurde 1951 in Köln geboren. Er ist Schriftsteller, Pianist und Professor für Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim. Seit vielen Jahren gehört er zu den bedeutendsten deutschen Autoren der Gegenwart. Sein Werk ist mit vielen Preisen ausgezeichnet worden, zuletzt mit dem Brandenburger Literaturpreis, dem Thomas-Mann-Preis, dem Georg-K.-Glaser Preis, dem Koblenzer Literaturpreis, dem Nicolas Born-Preis und jüngst dem Elisabeth-Langgässer-Literaturpreis. Seine Romane wurden in über zwanzig Sprachen übersetzt.


    Von Ortheil wurden hier schon einige Werke besprochen. Dabei handelte es sich aber bislang um Romane: http://www.buechertreff.de/rez…sef%20Ortheil-index1.html



    Taschenbuch: 240 Seiten

  • Hanns-Josef Ortheil beschäftigt sich in seinem Buch „Lesehunger“ mit dem Leser. Er analysiert, erörtert und untersucht die Räumlichkeiten, in denen Lesen und auch Schreiben stattfinden, beschäftigt sich mit dem Erlernen des Lesens und des Schreibens, triftet ab in seine französische Lieblingsliteratur und komponiert daraus ein 12 Kapitel langes Gespräch, in denen er auf Fragen einer nicht namentlich genannten Besucherin antwortet, die ihn in seinem Anwesen in Stuttgart, auf einem großen, hoch angelegten Gartengelände mit Blick auf die Stadt für eine Woche lang besucht hat.


    Ähnelt eine solche Liste nicht einem Koch-Rezept? …: Man nehme und nehme und füge hinzu und nehme noch davon, man lese ein wenig hier und lese dort, man gehe ein wenig hinaus, man lese und komme auf dieses und jenes zurück …, und schon ereignet es sich, das schöne Gespräch …


    Meine persönlichen Leseeindrücke

    Leser sind Genussmenschen. Das steht schon in meinem Blog und deshalb gibt es dort auch ein paar Rezepten von Speisen, die ich ab und an für meine Familie koche. Das Buch „Lesehunger“ bestätigt in souveräner weise meine These.


    Man kann das Lesen sehr gut mit der Nahrungsaufnahme vergleichen, ja man kann sagen: Das Lesen ist die Befriedigung einer bestimmten Form von elementarem Hunger. … Lesen ist die Zuführung einer bestimmten Speise, und diese Speise ist nicht nur „geistiger Art“, wie man oft sagt, sondern immer auch etwas Sinnliches.


    Es geht von diesem Buch etwas unglaublich Anziehendes aus und ich möchte es gar nicht aus der Hand legen, so fasziniert bin ich mehr zu erfahren über etwas, das ich in der dargebotenen Intensität über Lesen und Schreiben bisher kaum beachtet habe und das mich vor manchem Leseleiden erlöst hätte.


    Ortheil erörtert in einem Gespräch mit einer nicht genannten Besucherin, das sich über einige Tage erstreckt, seine persönlichen Beziehungen zur Literatur. In 12 Gängen tischt er Gedanken und Ausführungen zum Lesen und auch Schreiben in verschiedenen Räumen und Zeiten auf, begründet seine Vorlieben, macht Abstecher zur französischen Literatur, die in seinen Jugendjahren seine Vorstellung vom Schreiben entscheidend geprägt hat. Er erklärt auch, was es mit dem Schreiben auf sich hat.


    Alles was der Autor nicht brauchte, um seine eigene Welt zu erfinden und darzustellen, wurde weggelassen, sodass eine inhaltliche wie sprachliche homogene entstanden ist, die uns gerade durch diese Homogenität fesselt und ihren Bann zieht.


    Seit ich die Bücher nach obigem Muster betrachte, kann ich meine Zuneigung oder auch Abneigung zu einem Werk verstehen und auch besser ausdrücken. Ich tu mich nun mit kritischen Bewertungen leichter, weil ich mit der obigen Aussage ein Werkzeug in der Hand habe, dass es mir ermöglicht, ein Werk so zu beurteilen, wie ich es empfunden habe. Ich habe also eine Ahnung, an was es liegen konnte, dass mir ein Buch besonders gefallen oder eben weniger zusagt hat.


    Der Zusammenhang mit Lesen und Schreiben war mir bekannt, wenngleich nicht in dieser Ausführung. Was ich aber bisher nicht wusste war, warum ich niemals zur Schriftstellerin taugen werde: Lesen ist für mich nichts Lebensnotwendiges, es ist purer Genuss!


    Fazit

    „Lesehunger“ ist eine literarische Überraschung! Eingepackt in ein Gespräch mit einer unbekannten Besucherin analysiert, erörtert und untersucht Hanns-Josef Ortheil Räumlichkeiten, in denen Lesen und auch Schreiben stattfinden, beschäftigt sich mit dem Erlernen des Lesens und des Schreibens, triftet ab in seine französische Lieblingsliteratur und komponiert daraus ein 12 Kapitel langes Gespräch.


    Man sollte, phantasiere ich, eine neue Rezensionsform einführen, Rezensionen aus wenigen, ganz aus dem Herzen kommenden Sätzen, die den Leser auf umwerfende Weise animieren, sich sofort ein bestimmtes Buch oder am besten gleich alle Bücher eines Autors zu kaufen.