Andrei Makine - Die Liebe am Fluß Amur

  • Original : Au temps du fleuve Amour (Französisch, 1994)

    Deutsche Übersetzung : Sabine Müller


    ZUM INHALT :
    Der ferne Osten Russlands : In der Nähe des Flusses Amur (in der französischen Originalsprache also durchaus zweideutig) wachsen drei vierzehn- bis sechzehnjährige Jugendliche auf: Utkin «, der Poet », Samurai, « der Kämpfer » und Dimitri, der « Don Juan » und Ich-Erzähler. Hier scheint alles nur aus der Goldsuche, den Holzarbeiten und der Nähe zum Lager zu bestehen. Eine gewisse Verrohung, Alkoholismus, Abwesenheit von Unentgeltlichkeit und Grazie scheinen das unweigerliche Los aller zu sein. Doch sehnen sich diese Jugendlichen, gerade im erzählten kurzen Frühling und Sommer, dem langen Winter, nach dem inneren, eigenen Erwachen. Der eine mit seinem aus einem Unfall stammenden steifen Bein, der zweite in Verarbeitung eines Kindheitstraumas, der dritte in seiner sehnsuchtsvollen Erwartung einer « ersten » Liebe. Insbesondere der in der Nähe durchrauschende transsibirische Express und die dort gewähnten Westler sind Zeichen einer anderen Welt, in unerreichbarer Ferne... Eines Tages kommt ins Kinoprogramm der nahe liegenden Kleinstadt ein Film von Belmondo..., und jeder dieser wilden Taigabewohner scheint sich durch die aufeinander folgenden und mit Ausdauer immer wieder besuchten Vorstellungen langsam zu ändern : Ein Fenster auf eine andere Welt ist definitiv aufgetan.


    BEMERKUNGEN :
    Wie Makine hier erneut, noch eher am Anfang seines schriftstellerischen Werkes, in eindrücklicher Manier eine einerseits harte, manchmal dunkle Welt beschreibt und andererseits wahrhafte « Fenster » auf eine ungeahnte Welt hervorruft ist meines Erachtens ein Markenzeichen, wenn man es denn so ausdrücken will.
    Da ist die Natur in ihrer sibirischen Unerbitterlichkeit und ihrem gleichzeitigen Zauber : Kälte, Häuser einhüllender Schnee, wilde Tiere, die Wassermassen der Flüsse, die Weiten... Da sind die Menschen, die sicherlich oft ein « mehr » in ihrem Leben angestrebt hatten und doch manchmal im Trott des eintönigen, von Propaganda gezeichneten Lebens zu verrohen drohen.


    Und dann – für uns in Westeuropa, vielleicht noch mehr für die jüngeren Jahrgänge – diese fast unfaßbare Wirkung einiger Unterhaltungsfilme mit Belmondo. Wie Makine hier diese Filme auseinander legt und ihre Zeichenhaftigkeit, ihre Tiefe für den russischen, bzw. sowjetischen (!), Zuschauer beschreibt ist absolut erstaunlich. Mag sein, dass einige diese sehr langen Ausführungen einfach nicht nachvollziehen können und dann dieses Buch seltsam finden. Für andere läßt sich erahnen, wie Dinge, Worte, Gesten etc. in einem anderen Kontext eine umso nachhaltigere Wirkung erfahren können. Die Aufnahmefähigkeit der Kinobesucher ist bewundernswert und irgendwie dramatisch zugleich.


    Jeder der drei wird auf seine Weise die erwachten Träume zu leben suchen. Ein abschliessendes Kapitel gibt einen Ausblick auf die Zukunft.


    Erneut ist es eine Freude, Makine zu lesen und... weiterzuempfehlen !


    Trotz untenstehender offizieller biographischen Angaben gibt es Zonen der Unbestimmtheit im Leben Makines. So hat sich erst kürzlich herausgestellt, dass er zeitgleich als Gabriel Osmonde ebenfalls Werke herausgab. Makine gab bei dieser Bekanntgabe ebenfalls zu, dass „Makine“ nicht sein wahrer Name sei... So scheint es mir offensichtlich, dass jedes Buch Makines auf die ein oder andere Weise Aspekte oder Erkenntnisse seines eigenen Lebens offenbart. Gerade auch bei diesem in der Ich-Form erzählten Roman verspürt man einen leidenschaftlichen Ton, der an eine persönliche Einbeziehung denken läßt.


    ZUM AUTOR:
    Andreï Makine (* 10. September 1957 in Krasnojarsk, Sibirien) ist ein französischer Schriftsteller russischer Abstammung. Makine wächst in der Provinzstadt Penza auf, ca. 700 km südöstlich von Moskau. Seit seiner Kindheit ist er durch seine französische Großmutter mit der Kultur und Sprache Frankreichs vertraut. Schon als Junge schreibt er Gedichte in Französisch und in seiner Muttersprache Russisch. Er studiert in Twer und Moskau Philologie und lehrt kurze Zeit Philosophie in Novgorod. 1987 kommt er im Rahmen eines Lehreraustauschprogramms nach Frankreich. Dort entscheidet er sich zu bleiben, erhält politisches Asyl und entschließt sich, ein Leben als Schriftsteller in Frankreich zu führen; seitdem lebt er in Paris, anfangs in sehr ärmlichen Verhältnissen. Seine ersten in französischer Sprache verfassten Manuskripte - wie den Debütroman Tochter eines Helden (1990) - gibt er als französische Übersetzungen aus dem Russischen aus, um die Skepsis des Verlags zu zerstreuen, dass ein erst seit kurzem in Frankreich lebender russischer Emigrant in einer zweiten Sprache schreiben kann. Nach enttäuschenden Reaktionen auf seine beiden ersten Romane dauert es acht Monate, einen Verlag für seinen Roman Das französische Testament zu finden, mit dem er 1995 auf einen Schlag berühmt wird. Im selben Jahr erhält er als erster Schriftsteller gleichzeitig die beiden renommiertesten Literaturpreise Frankreichs, den Prix Goncourt und den Prix Médicis. 1998 erhält er den finnischen Eeva-Joenpelto-Preis und 2005 für sein Gesamtwerk den mit 15.000 Euro dotierten Literaturpreis der Stiftung Prinz Pierre von Monaco.
    (Quelle: ua Wikipedia)


    Ich darf eigentlich nichts zur deutschen Übersetzung sagen, da ich das Buch im französischen Original las.


    Taschenbuch
    Verlag: Btb (2001)
    Sprache: Deutsch
    ISBN-10: 3442728908
    ISBN-13: 978-3442728909

  • Hier noch eine Verlinkung zu einer französischen Ausgabe, also der Originalsprache des Romans (wegen des Preises wählte ich die TB-Ausgabe):

  • Hier meine Meinung zum Buch:


    Mein Einstieg in dieses Buch war nicht leicht. Mich störte anfänglich das -in meinen Augen- pubertäre Geschwätz über "Liebe machen". Eigentlich überhaupt diese Fixierung auf das eine Thema. Vielleicht bin ich da auch ein wenig prüde. Allerdings war doch diese, eher mehr als einfache, Ausdrucksweise doch auch das Produkt seiner Umwelt. Das wurde mir dann klarer als ich weitergelesen hatte. Richtig gut wurde es dann ab dem zweiten Teil des Buches. Das war schon mehr als ein Film, den sich die Jungs angeschaut haben. Da wurde die Tür zu einer anderen Welt aufgestossen. Das ganze Denken und Fühlen wurde erweitert. Das ihr Leben nicht im Hier und Jetzt - so wie es ist- endet, sondern das es noch weitere Möglichkeiten gibt. Und auch als Leser beginnt man sich zu fragen "Wer ist mein Belmondo? Wer oder was zeigt mir den Blick über den Tellerrand?"
    Ganz toll fand ich auch noch, dass ab da nicht die heile Welt beginnt. Sondern das auch erfüllte Träume ihre Tücken haben.


    Zitat

    Und doch alles nur ein Traum? Ich finde es wichtig, daß Träume Risse bekommen. Es geht doch auch um Realität. (S. 180 meiner Ausgabe)



    Erneut ist es eine Freude, Makine zu lesen und... weiterzuempfehlen !


    Es war echt eine Freude das Buch zu lesen -trotz meiner Anfangsschwierigkeiten! Danke für die Empfehlung! :thumleft:

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