Thomas Glavinic - Lisa

  • Inhalt:
    Lisa, eine Schwerkriminelle, begeht auf der ganzen Welt rätselhafte Verbrechen. Die Zeichen mehren sich, dass ein Mann ihr nächstes Opfer wird: Sie ist bereits in seine Wohnung eingebrochen. Doch sie bleibt unsichtbar, außer ihrer DNA gibt es keine einzige Spur. Verschanzt in einem verlassenen Landhaus, mit reichlich Whiskey und Koks, spricht der Mann jeden Abend per Internet-Radio zu einem virtuellen Publikum. Komisch bis zum bitteren Ende erzählt Thomas Glavinic aus Österreich vom unsichtbaren Grauen der virtuellen Welt. "Lisa" ist ein Meisterwerk zwischen Humor und Horror, ein Psychogramm des Grauens. Denn Lisa ist überall.(Quelle: HanserVerlag)


    Der Autor:
    Thomas Glavinic, 1972 in Graz geboren, lebt in Wien. 1998 erschien sein Debüt Carl Haffners Liebe zum Unentschiedenen. Es folgten Herr Susi (2000), Der Kameramörder (2001) und Wie man leben soll (2004). Bei Hanser erschien 2006 der Roman Die Arbeit der Nacht, der in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde, Das bin doch ich (2007) und Das Leben der Wünsche (2009). Zuletzt erhielt er den Literaturpreis 2010 des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft.(Quelle: Hanser Verlag)


    Erscheinungsdatum: 07.02.2011
    Fester Einband, 208 Seiten
    Preis: 17.90 € (D) / 26.90 sFR (CH) / 18.40 € (A)
    ISBN 978-3-446-23636-3
    Hanser Verlag


    Meine kurze Meinung:
    Meinen Namen verrate ich nicht. Nennt mich Tom. Das ist eine Idee von mir. Ich bin eine Idee von Tom."

    Glavinic lässt in seinem neuen Roman "Lisa" den Ich-Erzähler Tom einen Monolog führen. Tom hat sich mit seinem kleinen Sohn in einem Landhaus verschanzt und spricht über Internet-Radio zu einem unsichtbaren Publikum. Dabei raucht er wie ein Schlot, säuft und kokst.
    Tom hat Angst. In seine Wohnung wurde eingebrochen, und nun glaubt er, es sei die Schwerkriminelle, genannt 'Lisa'. Diese begeht auf der ganzen Welt rätselhafte und grausame Verbrechen, dabei bleibt sie selbst unsichtbar - hinterlässt nur eine DNA-Spur.
    Nun fühlt Tom sich verfolgt. Sein einziger Kontakt ist der Computer, so glaubt er sich über das Internet-Radio noch in Kontakt mit der Außenwelt.
    Aber sicher ist der Leser der einzige "Zuhörer", der den langen Monolog mitverfolgt.
    Unzensiert, ironisch und manchmal ganz schön böse ist Toms Redeschwall, seine Themen sind unter anderem Fernbeziehungen, Film, FPÖ, CSU, facebook, Menschen, die statt Paris Pariiiii sagen - stellenweise durchaus amüsant zu lesen.
    Zwischendurch liest man immer wieder von neuen Gräueltaten, die 'Lisa' begangen hat.
    Das Ende ist unerwartet und kann verwirren - auf jeden Fall muss man darüber nachdenken.
    Ohne zu belehren, wird uns ein Spiegel der heutigen Zeit und wohl auch von uns selber vorgehalten.
    Für mich gehört Thomas Glavinic mit zu den interessantesten deutschsprachigen Autoren und dies wird sicher nicht das letzte Buch sein, das ich von dem Autoren gelesen habe.


    Als Hörbuch könnte ich mir den Roman gut vorstellen, wenn er entsprechend gelesen wird.

  • Sehr schöne Rezi, Conor, danke!


    Wie ich im "Ich lese gerade"-Beitrag schon geschrieben habe, hat mich "Toms" Monolog auch sehr amüsiert. Diese teils sehr spitzen Bemerkungen über einiger unserer Zeitgenossen wurden schon gut gezielt abgefeuert, und dennoch verleidet mir der Schluss ein bisschen die Freude an dem Buch.


    Nachdem ich nun fast eine Woche Zeit hatte, es auf mich wirken zu lassen (und nach dem Austausch mit dir) erkenne ich zwar den Hintergrund und die Botschaft dahinter, aber trotzdem ging es mir zu schnell. Ich kann und kann mich nicht damit anfreunden.


    Dennoch: Es war sicher nicht mein letztes Buch von ihm. "Wie man leben soll" subt ja schon bei mir und ich bin sehr gespannt darauf.

  • Wieder so ein Buch, für das ich mir wünsche, dass es viele Leserinnen und Leser findet. Ich erzähle euch, was mir nach dem Zuklappen durch den Kopf gegangen ist:


    „Ich bin ja keiner, der Koksen schön redet.“


    Ich auch nicht. Wahrscheinlich noch viel weniger, als der Protagonist in Thomas Glavincs LISA. Im Gegensatz zu dem, der diesen Satz ziemlich zu Beginn des Romans ausspricht, fehlt mir zu diesem Thema auch die Erfahrung.


    Koks und Co war nie meins. Obwohl: wenn der Mann, der da im versteckten Waldhäuschen nächtliche Internetradiosessions abhält, während sein kleiner Sohn schläft, zwischendurch irrtümlich Parmesan schnupft – wer weiß was vielleicht irrtümlich schon mal auf meinen Spaghetti gelandet ist?


    Ich würde ihn gerne beim Namen nennen. Aber entweder hält er sich so geschickt bedeckt, dass er ihn wirklich den ganzen Roman lang nicht verrät, oder er tut es so leise, dass ich es überlesen habe.


    Ein guter Freund von ihm heißt Hilgert. Das kann man nicht überhören. Ihn bewundert er und gleichzeitig bangt er um ihn. Denn Hilgert ist Lisa auf der Spur. Und Lisa ist nicht zimperlich. Das wird deutlich, während wir Geschichten über Vorderfussgerichte, die Liebe und das Leben im Allgemeinen hören. Manchmal redet der temporäre Waldmensch über große Dinge, wenn er auf Sendung geht, manchmal über läppische Nebensächlichkeiten. Fast immer aber erzählt er pointiert, selten nimmt er sich ein Blatt vor den Mund und stets fühle ich mich gut unterhalten.


    Was Sprache angeht, bin ich wie Lisa in anderen Dingen: nicht zimperlich. Das ist an manchen Stellen des Textes wahrscheinlich hilfreich. Aber wenn der Roman in den Niederungen des für jedermann realen Alltages vorbeikommt, verliert er sich manchmal nahezu in Höflichkeitsfloskeln. Im Zusammenhang mit Usern von Foren, die ihr Gift in Tageszeitungen posten, wären mir wahrscheinlich noch andere Vokabeln als „Internet-Niedertracht, Heckenschützentum und eklig“, die im Buch verwendeten Liebkosungen, eingefallen. Den expliziten Hinweis auf die Poster, die sich im „Standard“ tummeln, empfinde ich in dem Zusammenhang als ein treffendes Beispiel.


    So viel kann man über Lisa ruhig verraten, ohne dem Lesegenuss die Spannung zu nehmen: „Lisa ist eine Spur anders als ihr und ich.“ Ein Satz aus der auflösenden Erklärung, wer Lisa ist. Aber das weiß man ohnehin schon das ganze Buch lang, das man selbst anders als Lisa und wahrscheinlich auch anders als der Erzähler ist. Dem aber vielleicht doch immer wieder mal ähnlich, denn wer verhält sich nicht manchmal seltsam, wenn es eng wird?


    „Komisches Ende“, mögen manche nach der letzten Seite sagen. Mir ist das Ende bei diesem Buch so egal, wie selten der Schluss einer Geschichte; irgendwie ist die ganze Zeit klar: irgendwann muss es vorbei sein, egal unter welchem fadenscheinigen Vorwand.


    Leserausch statt Giftrausch. Lisa lesen!

  • Die Sache mit dem Namen des Erzählers erklärst du mir glatzigem Blindhuhn eingangs ja dankenswerter Weise, Conor! Vielleicht erzählst du mir auf dem einen oder anderen Weg auch einmal deine Theorie, wohin das Ende der Geschichte weist - wenn du Lust hast!?

  • Danke wiedermal , @Jogl für Deine großartig unkonventionell formulierten Eindrücke! Wenn mir das Buch nur halb so gut gefällt, wie Deine Zeilen, dann bin ich schon zufrieden ..... :thumleft:

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
    Wenn das Schlachten vorbei ist - T.C. Boyle


    *Life is what happens to you while you are busy making other plans* (Henry Miller)

  • Die Sache mit dem Namen des Erzählers erklärst du mir glatzigem Blindhuhn eingangs ja dankenswerter Weise, Conor! Vielleicht erzählst du mir auf dem einen oder anderen Weg auch einmal deine Theorie, wohin das Ende der Geschichte weist - wenn du Lust hast!?


    @Jogl:
    Meine Theorie hatte ich schon im "Ich lese gerade...."- Thread gespoilert und auf deine Meinung gehofft. :wink:
    Und vielen Dank für deine schöne Rezension.


    Dann übertrage ich diese Theorie mal:


    Liebe Grüße

    So many books so little time.

    (Zappa)

    5 Mal editiert, zuletzt von Conor ()

  • Bei Tom, seinen wahren Namen will er aus Sicherheitsgründen
    nicht verraten, wurde schon vor einiger Zeit eingebrochen. Erst nach 1 ½ Jahren
    findet die Polizei einen Zusammenhang zwischen der Täterin hier und anderen
    Taten. Lisa scheint wirklich überall zu sein und deswegen versteckt sich Tom
    also in diesem angemieteten Landhaus. Jeden Abend erzählt er seine Geschichte,
    während er kokst und säuft als gäbe es kein Morgen mehr. Und trotzdem habe ich
    ihn schon nach kurzer Zeit sehr lieb gewonnen.

    Das gesamte Buch ist ein einziger Monolog, in mehrere Tage unterteilt. Und was da so alles ans Tageslicht
    kommt ist wirklich interessant. Zwischen den Geschichten über Lisa und dem
    Ermittler, schweift Tom immer wieder ab und gibt teils heitere, teils tragische
    Geschichten aus seinem Umfeld zum Besten.

    Ich habe „Lisa“ wirklich gerne gelesen. Es ist sehr locker und in seiner Art und Weise authentisch
    geschrieben. Als es auf die letzten Seiten zuging, wollte ich schon gar nicht
    mehr, dass es endet. Doch genau dieses Ende ist es auch was mich so zum grübeln
    gebracht hat, denn es hält noch einige Überraschungen für den Leser bereit.

    Ein Buch für jeden, der es etwas skurril mag, aber dennoch nicht auf anspruchsvollere Literatur verzichten
    möchte.

  • Lisa, eine Schwerkriminelle, begeht auf der ganzen Welt rätselhafte Verbrechen. Die Zeichen mehren sich, dass ein Mann ihr nächstes Opfer wird: Sie ist bereits in seine Wohnung eingebrochen. Doch sie bleibt unsichtbar, außer ihrer DNA gibt es keine einzige Spur. Verschanzt in einem verlassenen Landhaus, mit reichlich Whiskey und Koks, spricht der Mann jeden Abend per Internet-Radio zu einem virtuellen Publikum....(Klappentext)

    ♜♜♜♜♜


    "Es ist, als ob mir nichts passieren könnte, solange ich hier sitze und rede, rede, rede.
    Alles ist gut, solange ich durch dieses Gerät mit einem kleinen Ausschnitt der Welt kommuniziere.
    Zu dem du, mein Zuhörer, gehörst.
    Ich rede also um mein Leben."
    (S. 116)


    Ich bin an und für sich ein Fan des Autors Glavinic, "Das größere Wunder" und "Die Arbeit der Nacht" (was ich wieder einmal lesen und auch rezensieren sollte), sind hierbei meine absoluten Favoriten. Glavinic versteht es Tiefsinnigkeit und literarische Sprachgewalt in Stories zu packen, in denen nie alles so ist wie es scheint. Doch was er mit "Lisa" fabrizierte hat, ist meines Erachtens, einfach nur Mist.

    Man ist gewohnt, dass in Romanen des Autors die Sprache auch einmal derb und direkt ist, dass darin gesoffen, gekokst und rumgehurt wird und, dass er es mit der Political Correctness nicht so ernst nimmt. Doch meist würde überhaupt nichts anderes zu der Story passen, da diese selbst schräg und abgefahren ist.

    In dem vorliegenden Buch gibt es jedoch irgendwie keine Story.


    Ein Vater hat sich mit seinem Sohn in einem Haus in der Pampa verschanzt. Nachdem bei ihm eingebrochen wurde und dies zur Anzeige gebracht wurde, stellte sich heraus, dass es sich bei der Täterin um eine international operierende Kriminelle handelt, welche auch vor Folter und Mord nicht zurückschreckt. Daraufhin bekommt der Vater Panik und versteckt sich.

    Das Internet-Radio ist sein einziger Kontakt zur Außenwelt, welcher er seine Geschichte erzählt. Dabei fließt reichlich Alkohol und das Koks wird sich reingezogen, als gäbe es kein Morgen.

    Tja, das war es auch schon. Das ist die ganze Story.


    "Jeden Abend schreibe ich meinen Namen mit Kokain auf den freien Schreibtisch, saublöde Angewohnheit, ich weiß,
    und jeden Abend ist schon um Mitternacht nichts mehr davon übrig,
    obwohl ich einen langen Namen habe und die Buchstaben sehr groß sind."
    (S. 9)

    Schnell ist klar, dass sich Glavinic hierbei eines bekannten Kriminalfalls bedient, welcher überhaupt keiner war. Dies war bereits nach nur wenigen Seiten ersichtlich. Trotzdem habe ich mich durch dieses Büchlein gequält, da ich es gewohnt bin von dem Autor, die Enden betreffend, immer wieder überrascht zu werden. Doch hier war einfach nichts.

    Und wenn ich sage nichts, dann meine ich nichts. Die Story war einfach zu Ende. Als würde jemand während des Erzählens Luft holen, man wartet was derjenige noch zu sagen hat und dieser dreht sich einfach um, geht und war nie mehr gesehen.


    "DNA-Spuren dieser Frau sind im Lauf vieler Jahre nahezu bei allen denkbaren Verbrechen gefunden worden. [.....]
    In Ungarn hat sie eine junge Frau entführt, gequält und mit ihren eigenen Haaren erwürgt,
    in Prag gab es diese Giftserie, bei der sie sicher sind, sie wars,
    in der Nähe von Warschau hat sie drei junge englische Adelige aufgehängt,
    in Genua einem Obdachlosen die Nieren herausgeschnitten und in München einen Journalisten die Eier,....."
    (S. 24)

    Was erwartet einem also auf diesen 200 Seiten, wenn es keine Story gibt? Das ich Euch sagen. Nämlich Früher-war-alles-besser-Mimimi, dann war es doch wieder nicht so toll. Erzwungene und aufgesetzte Komik, inklusive Möchte-gern-cool-rüberkommen-Sprüche. Der Protagonist mag diese Leute nicht und er mag jene nicht, alle doof außer ich und Sexgeschichten bis zum Erbrechen. Dabei zieht er sich Koks, Benzos und Alkohol rein, wie andere ihr tägliches Essen. Und dies von Anfang bis Ende...wobei es ja irgendwie kein Ende gibt. Da ist dem Autor wohl, wie dem Protagonisten auch, der Stoff ausgegangen.

    Kurz gesagt - to much of nothing.


    Fazit:

    Verschwendete Lesezeit, mehr gibt es von mir diesbezüglich nicht zu sagen. :bewertungHalb:


    © Pink Anemone (inkl. Leseprobe und Autoren-Info)