Christoph Hein – Willlenbrock

  • Im Berlin der Nachwendezeit ist Bernd Willenbrock als auf den ersten Blick erfolgreicher Gebrauchtwagenhändler tätig und wenn er in einer ersten Periode des Geschehens von sich als „rundum glücklichen Menschen“ spricht, so nimmt man ihm das auf dem ersten Blick mal ab: das Geschäft läuft; er hat eine attraktive Frau und hat doch gleichzeitig öfters mal ein Abenteuerchen...
    Nach und nach versteht man, dass er in der „DDR“ als Ingenieur arbeitete, aber aufgrund von Aussagen ehemaliger Kollegen von Auslandsreisen abgehalten wurde. Weitere Gründe werden später aufgedeckt. Doch dann geschehen in diesem zufriedenem Leben jene Dinge, die nach und nach den Seelenfrieden rauben: Autos verschwinden; der damals für die Verleumdung verantwortliche Kollege wird ihm bekannt und erinnert an eine leidliche Zeit; ein Raubüberfall auf sein Geschäft passiert; Eindringlinge überraschen ihn und seine Frau in ihrem Wochenendhaus am Stettiner Haff und bringen die Bedrohlichkeit und Ausgesetztheit in ihr Leben; ein etwas anruchiger russischer Geschäftsfreund bietet ihm zum Schutz eine Waffe an: Nichts ist mehr wie früher, etwas ist angeschlagen, verändert.


    In einer meist sehr nüchternen Sprache erzählt Hein meisterhaft das langsame Anwachsen des Gefühls der Ungesichertheit und der Bedrohung. Dabei verliert er nie – auch wenn es so scheinen sollte – eine Art Linie aus den Augen: da gibt es keine Schnörkeleien oder überflüssige Szenen, alles scheint irgendwie zum Ganzen beizutragen. Zwar handelt es sich natürlich nicht um einen Horrorroman oder einen puren Krimi, und doch erzeugte dieser Roman in seiner Beschreibung einer gewissen Unausweichlichkeit der Gefahr als auch der zu erfolgenden Gegenwehr in mir eine Art Unruhe und Beklemmung, die wiederum eher an andere Kategorien denken lässt. In dieser Spannungserzeugung, mit sehr nüchternen Mitteln, wurde mir allerdings auch anderweitig etwas unwohl zumute, da die hier beschriebene Bedrohung, sicherlich sehr bezeichnend für das Empfinden in den 90iger Jahren in Berlin, aus dem Osten zu kommen scheint: Kriminalität etc. Damit will ich Hein natürlich nicht irgendwelcher Vorurteile oder auch Mitschwimmertum bezichtigen, aber die Frage ist schon, ob man die Bedrohung so relativ eindeutig zuschreiben darf, bzw. in dieser Form wörtlich zu verstehen hat. Doch hierin ist Hein ohne Zweifel am Empfinden und Erleben vieler Deutscher in dieser Nachwendezeit und erzählt indirekt auch viel von der Befindlichkeit vieler Menschen, auch im Rahmen der deutsch-deutschen Vergangenheit.


    MIT diesem Fragezeichen versehen, doch ein ausgezeichnetes Buch!

  • Eigentlich könnte man den Roman ja als eine etwas langatmige Erfolgsgeschichte über einen im bundesdeutschen Kapitalismus erfolgreich angekommenen DDR-Bürger sehen, der mit seiner Vergangenheit abgerechnet hat und jetzt selbstbewußter Kleinbürger ("Mittelständler") ist, der unter der mangelnden Sicherheitsgarantie des Staates, für den er Unmengen an Steuern zahlt, leidet und von Räuberhorden aus dem Osten heimgesucht wird.
    Ich seh da eigentlich viel mehr darin. Zuerst die Verrohung im Kapitalismus, die Vermännlichung, der Machtgewinn. Erfolg, Sex und Sport drückt ja eher bescheidene Macht/Männlichkeit aus - die Gewalt, die Macht zum Zerstören, zum Töten bedeutet eine höhere Stufe, die so in der DDR nicht zu erreichen war. Die Fremdheit gegenüber dem neuen System findet sich noch in anderen Bereichen. So versucht Willenbrock immer betont kameradschaftlich und jovial gegenüber seinem polnischen Angestellten zu sein. Schämt sich aber dafür, dass er ihn ausgesperrt hat, weil er mit der Waffe spielt. Willenbrock wird laut, aggressiv, cholerisch, als sein neues Autohaus nicht so schnell fertig wird, wie er sich das wünscht. Und schämt sich dafür. Und trotz dieser alten Lasten dringt das neue Bewußtsein (denn das Sein schafft ja nun das Bewußtsein) immer weiter vor, breitet sich immer weiter aus. Und es ist Angst und Machtbewußtsein. Äußerlich dann repräsentiert durch die Waffe, mit der er immer öfter spielt und für die er immer mehr kauft und sorgt. Die gewissermaßen das Abbild seines neuen Selbst wird, sein neuer Gott.
    Hässliches Nebenprodukt sind die Ressentiments, die auch einen Willenbrock erreichen müssen. So überfordert den Kleinbürger die Transnationalisierung, so wird eben zurückgegriffen auf das alte Bild des Feindes, der aus dem Osten kommt. Willenbrocks halbherziger Widerspruch gegenüber dem Handwerker, der fand, dass unterm Adolf ja nicht alles schlecht war, der bewahrt ihn nicht so ganz vor der Infektion durch dieses schleichende Gift der Angst, der Verlustangst - denn nur wer hat, der kann auch verlieren.
    Das wiederum führt auch zur DDR und einen für ihn relevanten Unterschied zurück. Die Fürsorge der DDR, die (normalen) Berichte über ihn, die gaben ihm eine Sicherheit und vor allem eine Bedeutung, die ihm jetzt fehlt. Schließlich behandelt ihn die Polizei nachrangig und so auch die Staatsanwaltschaft. Er wird unbedeutend gemacht - während er in der DDR noch aus dem Segelflugverein wegen seines Bruders geworfen wurde und wegen des "heimlichen" Treffens mit ihm auch nicht ins Ausland reisen durfte.
    Dafür verantwortlich war der Kollege, der, nach eigener, unwidersprochener, Aussage dafür verantwortlich war die Berichte zu schreiben. Die betonte Gleichgültigkeit die er mit Bezug auf ihn anfangs noch zeigt, die wandelt sich in eine intensive Abneigung (parallel zur Männlichkeits-/Machtentwicklung mit der Waffe) und resultiert dann in einem körperlichen Angriff (und weitergeschrieben, weiterentwickelt, hätte er ihn auch erschiessen können. Wenn das nicht so hoffnungslos überreagiert wäre und das nicht einen Ausbruch aus der Normalität, des Realismus des Buches, bedeutet hätte). Gewissermaßen auch Ausdruck des Hasses auf die eigene Vergangenheit, auf den schwachen Willenbrock. Kein Verzeihen.


    Ein bewußtes Aufnehmen dieser Konflikte hindert einen recht erfolgreich daran, dass man das Buch als allzu langatmig wahrnimmt. Denn sensationeller literarischer Funkenflug fehlt. Es scheint eher düstere Realität zu sein. Da spukt einem auch das Bedrohungsszenario der "Asiatisierung" Russlands im Kopf herum und die Gefahr der möglichen Ausbreitung auf das bislang erfolgreiche bundesrepublikanische Deutschland. Der Verfall der Jugend, geradezu die Perspektivlosigkeit - so jedenfalls zu finden im in Polen lebenden Sohn seines polnischen Angestellten. Vollauf empfehlenswert, auch wenn der Funke nur allzu schwer auf einen selbst überspringt.

    Warum ich Welt und Menschheit nicht verfluche?
    - Weil ich den Menschen spüre, den ich suche.

    - Erich Mühsam