Jack Kerouac - Doctor Sax

  • Kurzmeinung

    Jean van der Vlugt
    Beim Lesen auch am Hadern, danach wird es größer: Die Splitter ergeben mehr Ahnung des Ganzen als es eine Story könnte!
  • Jack Kerouac: Doctor Sax – Beat Roman
    OT: Doctor Sax


    Inhaltlich steht die Figur des ‚Doctor Sax' im Zentrum der bizarren Vision aus Jugenderinnerungen und –Traumata, die Jack Kerouac da in einem nicht enden wollenden inneren Monolog aufbaut. Die ‚Handlung' (wenn man darauf denn partout nicht verzichten möchte) entfaltet sich im Kopf des Lesers selbst, da geht der Autor keine Konzessionen ein: er schreibt wie in einer endlosen Litanei für sich selbst. Die Handlung puzzelt sich der Leser wie gesagt selbst zusammen, taucht ein in die Welt von schwülen Sommern im französischen Viertel von Lowell, Massachusetts, von Kinderängsten und –Enttäuschungen, von der wilden Reise durch die Nacht an der Hand des alptraumhaften ‚Doctor Sax'.


    Einem arglosen Käufer im Buchladen wird dieser Titel wohl eher selten in die Hände fallen – dass die AFAIK einzige deutsche Ausgabe mit einem ...mh...'szenenahen', für den normal-kunstsensitiven Menschen vielleicht einfach nur hässlichen, Cover und ansonsten nur durch die völlig Abwesenheit der dringend nötigen Fußnoten glänzt, hat die Verkaufszahlen über die Jahre aber sicher auch nicht konstant klettern lassen. Für den Eingeweihten ist dafür aber spätestens mit dem Namen des Autors klar, dass man es hier mit einem herausragenden Werk zu tun haben könnte. Na ja, egal mit welcher Vorbildung man nun an den Titel herangeht, enttäuscht wird auf jeden Fall niemand. ‚Doctor Sax' ist Beat-Literatur. Kompromisslose, harte Literatur, die partout keine Literatur mehr sein möchte. Der Schrei nach Mitteilung steht im Mittelpunkt, der verzweifelte Versuch, den ignoranten Mitmenschen des 60-er Jahre Amerikas die eigenen Gefühle ins Gesicht zu würgen, sich die Legitimation für eine völlig aus dem Rahmen fallende Lebensführung zu holen....und vielleicht geht es auch ein wenig um die reine Lust an der künstlerischen Provokation. Denn in ‚Doctor Sax' wird konsequent fortgeführt, was in manchen Passagen des Kerouac-Standardwerks ‚On The Road' nur angedeutet wird: Auflösung der Satzstruktur, die ‚innere Logik' verschwindet genau wie die Handlung selbst hinter der emotional aufgeladenen Atmosphäre, hinter bizarren Drogenvisionen, die nun ein für allemal in Druckbuchstaben gebannt sind, und Passagen, deren Herkunft der Autor selbst nur aus dem eigenen Unterbewusstsein erklären kann. ‚Doctor Sax' stellt genau wie Burroughs' ‚Naked Lunch' ein Werk dar, dass man lieben oder hassen kann, es ist einfach zu kompromisslos auf ein einziges Endziel ausgerichtet: Mitteilung um jeden Preis. Wer Teil haben möchte an den ganz persönlichen Alpträumen eines kleinen franco-kanadischen Jungen und gleichzeitig an den Träumen einer ganzen Generation von ‚Beatniks' im Amerika der 60er, der ist mit Kerouacs Gesellenstück gut bedient. Wer sich von Literatur dagegen noch Inhalt und Erbauung erwartet, der ist mit dem ‚Catcher In The Rye' oder vielleicht noch der gekürzten Fassung von ‚On The Road' besser dran – wenn man sich denn überhaupt mit einer sozialen Bewegung beschäftigen kann, ohne sich darauf einzulassen. ‚Doctor Sax' bietet aber genau hierfür beste Voraussetzungen, auch wenn es anders als ‚The Naked Lunch' oder Ginsbergs ‚Howl' kein Manifest der Beat-Bewegung ist, sondern ein ganz privater Aufschrei. Das Zuhören kann zu einer unvergesslichen Erfahrung werden.
    5 von 5 Sternen

  • Beim Lesen war ich zwar auch am Hadern mit dem Text, doch im Rückblick wird der Roman immer größer: Die Splitter ergeben mehr Ahnung des Ganzen als es eine gradlinige Story könnte! Wie Kerouac die für sich genommen noch recht geradeaus erzählten Kindheitserinnerungen (herumstromern in der Stadt und Umgebung, abhängen mit den Freunden) mit den sich mit dem Heranwachsen immer weiter wandelnden Ängsten verknüpft, wobei der dunkle Märchenwald der Kindheit sich immer mehr mit popkulturellen Buhmännern füllt - und das passiert dann in völlig drunter und drüber gehenden, assoziativen Abschnitten -, erscheint mir genau die richtige Methode, dem Leser die Gefühlswelt einer neuen Generation vor den Latz zu knallen. Keine Erbauungsliteratur, eher Bekenntnis! :thumleft:

    White "Die Erkundung von Selborne" (115/397)


    :king: Jahresbeste: Gray (2024), Brookner (2023), Mizielińsky (2022), Lorenzen (2021), Jansson (2020), Lieberman (2019), Ferris (2018), Cather (2017), Tomine (2016), Raymond (2015)

    :study: Gelesen: 59 (2024), 138 (2023), 157 (2022), 185 (2021), 161 (2020), 127 (2019), 145 (2018), 119 (2017), 180 (2016), 156 (2015)70/365)
    O:-) Letzter Kauf: Kuhl "Helenes Familie" (23.04.)

  • K.-G. Beck-Ewe

    Hat den Titel des Themas von „Jack Kerouac: Doctor Sax“ zu „Jack Kerouac - Doctor Sax“ geändert.