Ian McEwan - Unschuldige

  • Originaltitel: The Innocent


    Inhalt:
    Leonard Marnham, Techniker des British Post Office, wird ins Berlin der Nachkriegszeit beordert, wo die West- und Ostmächte sich gegenseitig bespitzeln und ausspionieren. Als Engländer soll er die Amerikaner dabei unterstützen, einen Tunnel in den Ostsektor zu bauen, um dort Abhöranlagen zu installieren - ein streng geheimes Projekt, von dem nur Auserwählte Informationen haben.
    Leonard, ein unbedarfter junger Mann Mitte Zwanzig, stellt sein berufliches Können in den Dienst des Spionageprojektes und sich selbst in den Dienst seines amerikanischen Vorgesetzten. Bis er eines Tages einer deutschen Frau, Maria, begegnet, sich verliebt und seine ersten sexuellen Erfahrungen macht.


    Das Berlin der 50er Jahre mit seinen Trümmern, den Ruinen und dem Schutt ersteht in diesem Buch. Aus historischen Fakten und Fiktion mischt McEwan einen spannenden, mitreißenden Roman (das Tunnelprojekt der Amerikaner gab es tatsächlich).
    Leonard ist nicht unbedingt ein angenehmer oder sympathischer Protagonist; Sein Selbstbewußtsein ist nicht sonderlich ausgeprägt, mit seinem Einfühlungsvermögen ist es nicht weit her, und besonders schlau ist er auch nicht. Aber irgendwie hat er immer Glück und laviert sich durch Situationen, die andere Leute den Kopf kosten würden (oder sie zumindest ins Gefängnis bringen).


    Gefallen hat mir der ironische Ton des Autors, vor allem, wenn er die wahnsinnig wichtigen Geheimnisträger handeln lässt und ihre Hierarchie betrachtet. Heute, 50 Jahre später, ist es amüsant zu lesen, welche Verschwörungen man der Gegenseite andichtete und wie man sich davor zu bewahren glaubte, von ihr in die Tasche gesteckt zu werden.


    Das Buch wurde im Herbst 1989 fertiggestellt, als der Mauerfall (von heute gesehen) schon in Sicht war, ein Umstand, dem der Autor im letzten Abschnitt des Buches Rechnung trägt - auch wenn es im September 1989 eher prophetisch klingen mochte.


    Das Buch ist gut zu lesen, ab der Mitte sehr spannend (einige Seiten mit größerem Ekelfaktor), aber mein Lieblingsbuch von McEwan wird es nicht. Auch wenn es in der SZ-Krimibibliothek erschienen ist, würde ich es in diesem Genre nicht einordnen.


    Marie

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Nein, auch mein Lieblingsbuch von McEwan wird "Unschuldige" nicht werden, da ist die Konkurrenz des Autors einfach zu stark, "Unschuldige" in seiner Handlung ein bisschen zu konstruiert. Wie ich mich schon bei manchen Bänden der "Krimibibliothek" gewundert habe, sie unter diesem Genre zu finden, geht es mir bei diesem wie Marie: dies ist kein Krimi.
    Leider ist der Klappentext mal wieder zu explizit, und mir war klar, was passieren wird, auch wenn ich mir es nicht in dieser Härte vorgestellt habe - und ab da ist der Roman auch sehr spannend.
    McEwan beschreibt die Stimmung im besetzten, zerstörten Berlin (soweit ich das beurteilen kann) sehr genau, auch die zwischen den Besetzern, insbesondere den Amerikanern und Engländern, die das geheime Tunnelprojekt gemeinsam betreiben. Leonard fand ich eigentlich recht sympathisch in seiner Naivität und Unerfahrenheit, die er im behüteten Vorort von London nicht abzulegen gelernt hat.
    Den Nachschub des letzten Kapitels fand ich nur mäßig geglückt, nicht wegen seiner Beschreibung der Stimmung Berlins in den späten 80er Jahren, sondern wegen der Liebesgeschichte.


    Katia

  • Auch wieder so ein altersbedingter Fall von SUB-Demenz: Ich brachte das Buch (die Diogenes-Ausgabe) aus der Bücherei mit, obwohl ich die SZ-Ausgabe besitze. :uups:
    Deren Klappentext verrät nicht besonders viel.


    Leonard begann mir unsympathisch zu werden, als er


    Das Ende fand ich nicht schlecht, weil


    Marie

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


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  • Das stimmt schon, Marie,



    Nachvollziehbar und gut dargestellt fand ich sein Umherirren mit den schweren Koffern, da habe ich richtig mit ihm gelitten. (Ich schaue ungern Thriller an und lese auch keine, weil ich Szenen, wo jemand ertappt werden kann, nicht ertragen kann)


    Nochmal zum Ende: Du hast recht,




    Katia

  • @ Katia, ich stimme Dir völlig zu. Die Passagen mit dem Koffer waren auch für mich nur mit tiefem Durchatmen auszuhalten. Aber vermutlich hat genau dieser Teil mich durch das letzte Drittel des Buches "gejagt".


    Die von Dir beschriebenen Krimiszenen halte ich auch nur schwer aus. Meist decke ich mir ein Kissen vors Gesicht oder geh aufs Klo oder Kaffee kochen, bis die Szene vorbei ist.


    Marie

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


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  • Ich habe das Buch am Wochenende bei meiner Mam im Regal entdeckt und es sogleich zu mir entführt.
    Ich hatte mal wieder richtig "Appetitt" auf einen schönen Krimi, auf ein wenig Nervenkitzel. Für letzteres war es schon die richtige Lektüre, aber ich kann meinen Vorredern nur zustimmen, dass das Buch nicht in das Genre Krimi/ Thriller einzuordnen ist.


    Sicher war es in Berlin zu dieser Zeit ziemlich aufregend, aber durch die ironische Darstellung der Hierarchien, Abläufe im Tunnel, Einschätzung der "anderen" Besatzungsmächte ging für mich ein großer Teil an Spannung verloren.


    Irgendwie bin ich mir unschlüssig, wie ich das Buch bewerten soll; es war zwar spannend und interessant, aber vom Hocker hat es mich nicht gerissen. In Sternen ausgedrückt ***/*.


    LG,
    Casoubon.