Günter Grass - Beim Häuten der Zwiebel

  • Inhalt:
    Günter Grass erzählt von sich selbst. Vom Ende seiner Kindheit beim Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Vom Knaben in Uniform, der so gern zur U-Boot-Flotte möchte und sich hungernd in einem Kriegsgefangenenlager wiederfindet. Von dem jungen Mann, der sich den Künsten verschreibt, den Frauen hingibt und in Paris an der »Blechtrommel« arbeitet. Günter Grass erzählt von der spannendsten Zeit eines Menschen: den Jahren, in denen eine Persönlichkeit entsteht, geformt wird, ihre einzigartige Gestalt annimmt.


    Autor:
    Günter Grass (eigentlich: Günter Graß; * 16. Oktober 1927 in Danzig-Langfuhr) ist ein deutscher Schriftsteller, Bildhauer, Maler und Grafiker. Grass gilt als zentraler Vertreter des insbesondere von Nachkriegsautoren der Gruppe 47 vertretenen Paradigmas der littérature engagée. Im Jahr 1999 erhielt er den Nobelpreis für Literatur.


    Meine Meinung:
    Es gibt Bücher, die werden gelesen und dann reden alle darüber. Und dann gibt es Bücher, über die man redet, die aber nicht unbedingt auch gelesen wurden. Vorurteilen und Vorverurteilungen sind dann Tür und Tor geöffnet, ganz einfach, weil eigentlich nur über irgendwelche Gerüchte gesprochen und diskutiert wird, und jeder das weiter trägt was er woanders gehört oder gelesen, egal ob das jetzt den Tatsachen entspricht oder nicht.


    „Beim Häuten der Zwiebel“ ist ein solches Buch, ein Buch über das endlos geredet und debattiert wird, dass aber bisher nur von einer Minderheit der Debattierer gelesen wurde.


    Und es ist auch unfair, dieses Buch auf die Vergangenheit von Günter Grass bei der Waffen-SS zu reduzieren. Das ist zum einen unfair dem Autor gegenüber, aber auch dem Buch gegenüber ist es unfair.
    Gerade dieses Buch besteht aus so vielem mehr.


    Günter Grass unternimmt den Versuch sein Leben zu schildern, es dem Leser nahe zubringen. Aus jeder Zeile des Buches wird deutlich, dass auch Grass ein Suchender ist. Ein Suchender in den Tiefen der eigenen Vergangenheit. Er schreibt nicht einfach drauf los, vielmehr gewinnt man den Eindruck, viele Sätze hat er erst nach zähem Ringen mit sich selbst zu Papier gebracht. Man muss sogar den Eindruck gewinnen, dass er sich selbst die einzelnen Passagen wie Würmer aus der eigenen Nase gezogen hat. Dieses Buch zu schreiben, ist ihm garantiert nicht leicht gefallen. Er, der so unendlich polarisiert, der sehr oft mit dem erhobenen, moralischen Zeigefinger durch die Gegend läuft, er macht sich mit diesem Buch sehr angreifbar, zeigt er doch auch seine schwachen Seiten.


    Man hat nicht den Eindruck, dass Grass Wesentliches verschweigt. Er findet, sortiert, legt weg, holt wieder hervor, schreibt nieder, relativiert – er ist sich offensichtlich bei einigen Dingen nicht unbedingt sicher, schreiben oder nicht schreiben, entscheidet sich dann aber für die Offenheit, immer mit dem Vorbehalt des Irrtums behaftet.
    Verletzend ist er diesmal nicht der Günter Grass. Wenigstens nicht dritten Personen gegenüber, wenn er verletzend ist, dann vielleicht nur gegen sich selbst.


    Es ist schade, dass dieses Buch bisher fast nur auf sein Outing in Bezug auf die SS-Vergangenheit von Grass reduziert wurde. Er sucht in seinem Buch sicher auch nach Entschuldigungen, oder wie er es selbst sagt nach Ausreden. Und dann machte er diese Bemerkungen dazu:


    „Also Ausreden genug. Und doch habe ich mich über Jahrzehnte hinweg geweigert, mir das Wort und die Doppelbuchstaben einzugestehen. Was ich mit dummen Stolz meiner jungen Jahre hingenommen hatte, wollte ich mir nach dem Krieg aus nachwachsender Scham verschweigen. Doch die Last blieb, und niemand konnte sie erleichtern.“


    Grass war gerade mal sechs Jahre alt, als die Nazis die Macht in Deutschland übernahmen. Er war in diesem Alter genauso formbar und beeinflussbar wie alle anderen Kinder auch. Ihm nun daraus einen Vorwurf zu machen, ist scheinheilig, unseriös und unanständig. „Der, der ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein…..“.


    Will man Günter Grass, diesen Menschen mit der obligatorischen Pfeife im Mundwinkel, etwas besser kennen- und vor allen Dingen verstehen lernen, dann sollte man dieses Buch lesen. Es ist kein „Altmännerbuch“, es kein Greisengegreine, es ist kein Manifest des Selbstmitleids, es ist ein Buch welches sich oftmals schonungslos mit vergangenen Lebensjahrzehnten beschäftigt. Manche seiner Protagonisten versteht man nun besser bzw. weiß, warum sie so und nicht anders geschildert wurden.


    Und es wunderbar wohltuend, endlich mal eine Autobiographie zu lesen, in der sich nicht pausenlos eigenhändig auf einen meterhohen Bewunderungs-Sockel gestellt wird.


    Das Buch „Beim Häuten der Zwiebel“ von Günter Grass wird nachdrücklich zur Lektüre empfohlen.

  • @ Voltaire,


    herzlichen Dank für die schön formulierte und interessante Rezension. :D Ich werde versuchen, das Buch in unserer Stadtbücherei zu bekommen.

    Liebe Grüße,
    Rita


    ~Ich wäre lieber ein armer Mann in einer Dachkammer voller Bücher als ein König, der nicht lesen mag.~
    Thomas Babington

  • Hallo Voltaire,
    danke für die schöne Rezi ... Das Buch steht auf meiner Wunschliste ... Es ist ja bald Weihnachten :santa: :wink:

    "Ein Leben ohne Hund ist möglich, aber sinnlos ..."

    (nach Loriot)

  • Hallo Voltaire,


    deine Rezension macht wirklich Lust auf das Buch. Besonders überzeugt mich der Satz: "Es ist kein „Altmännerbuch“, es kein Greisengegreine, es ist kein Manifest des Selbstmitleids, es ist ein Buch welches sich oftmals schonungslos mit vergangenen Lebensjahrzehnten beschäftigt. Manche seiner Protagonisten versteht man nun besser bzw. weiß, warum sie so und nicht anders geschildert wurden."


    Danke für das Vorstellen, ich werde mir die Grass-Memoiren nun auch bestellen. Vorher war ich skeptisch wegen des ganzen Medienrummels.


    Herzlichst,


    Charlotte

  • Hallo Voltaire!


    Deine Rezension war wirklich sehr schön und ehrlich, finde ich. =D>


    Ich habe das Buch eben erst angefangen, habe aber schon andere Bücher von ihm gelesen und auch Interviews mit ihm gesehen. Ich persönlich mag ihn und seine Bücher...


    Von daher gebe ich Dir jetzt schon Recht, dass man das Buch nicht auf die Vergangenheit bei der Waffen-SS reduzieren darf :!: Und erstrecht nicht, seit ich sein Interview mit Wickert gesehen habe. [-X


    Aber ich bin gespannt, was ich so alles zu lesen bekomme und werde dann natürlich auch hier posten. O:-)

    Liebe Grüße von Tanni

    "Nur noch ein einziges Kapitel" (Tanni um 2 Uhr nachts)


  • Ich habe gerade "Katz und Maus" von Grass gelesen und bin nun wieder frisch begeistert von seinem Erzähltalent. Gerade weil sein Stil sehr eigen ist, mag ich seine Werke.
    Diese wirklich schöne Rezension hat mich nun dazu verleitet, auch dieses Buch demnächst zu kaufen und zu lesen.
    Danke an Hermia für den Tipp mit der Taschenbuch-Ausgabe. Bis Mai kann ich noch gut warten.

  • Grass ist selbstbewußt, eitel und sich seiner eigenen Fähigkeiten und seines Könnens bewusst. Und niemand weiß das besser als Grass selbst. Daran ändern auch seine gelegentlichen Ausflüge in Richtung Bescheidenheit nichts.


    Aber vor allem ist Grass eins: Ehrlich. Er stellt dar, mit wieviel Glück und Zufall er den Krieg überlebte, er spricht von Angst und Verzweiflung und gibt in seiner Autobiographie ein klares Bild vom Zustand Deutschlands nach dem 2. Weltkrieg. Offen spricht er seine Scham an, während der Nazidiktatur keine Fragen gestellt und sich sogar als Freiwilliger gemeldet zu haben.
    Er blättert sein Leben auf, Schicht für Schicht wie die titelgebende Zwiebel. Manchmal findet er auf der Zwiebel nichts, weil seine Erinnerung nichts bewahrt hat; er lässt den Leser entscheiden, ob er der Variante glaubt, die das unzuverlässige Gedächtnis sich zurechtgelegt hat. Erstaunlich ist die liebevolle Art, mit der der Zyniker Grass die Menschen, die ihm wichtig sind / waren, zeichnet.
    Das Buch endet 1959, dem Erscheinungsjahr der "Blechtrommel", denn, so sagt er, was danach kam, ist schon auf vielerlei Art von vielen anderen beschrieben worden und für jeden irgendwo nachzulesen.


    Für jemanden, der Bücher von Grass kennt, sind die Querverbindungen interessant: Er deckt auf, welche Personen / Situationen seines tatsächlichen Lebens in seine Literatur geflossen sind, wo er wen als Vorbild für welche fiktionale Figur verwendet hat, oder aus welchem Ereignis sich später Handlungsstränge seiner Romane entwickelt haben.


    Sprachlich läuft er in diesem Buch zur Höchstform auf. Er spielt mit dem Satzbau, den Worten, den Assoziationen, die diese Worte wecken, macht dadurch bewusst, wie vielfältig und bunt Sprache sein kann.


    Ich habe "Die Blechtrommel" nochmal hervorgekramt und werde sie demnächst, über 20 Jahre nach dem ersten Mal, wieder lesen.


    Marie

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Hallo


    Ich hab es mir heute gekauft und gleich angefangen zu lesen, es ist seine wunderbare Sprache die mich sofort wieder eingefangen hat, wahrscheinlich werde ich wieder nicht aufhören können.
    Marie; ja die Blechtrommel - besser gesagt die gesammte Danziger Trilogie zu der ja nicht nur "Die Blechtrommel" sondern auch "Katz und Maus" und "Hundejahre" gehören - ist bei mir wahrscheinlich auch schon zwanzig Jahre her und sollte wieder einmal gelesen werden, aber es gibt ja soviel Neues und ich komme gar nicht nach. Und es gibt schon wieder ein neues Buch von ihm "Die Box" das ist sozusagen die Fortsetzung der Zwiebel aber aus der Sicht seiner Umgebung, wurde letztens in einer Büchersendung (weiss nicht mehr welche) sehr gut besprochen.
    Ich melde mich wenn ich das Buch ausgelesen habe


    Mara

    :study: Ich bin alt genug, um zu tun, was ich will und jung genug, um daran Spaß zu haben. :totlach: na ja schön langsam nicht mehr :puker:

  • Dennis Scheck hat neulich in seiner Sendung „druckfrisch“ Günther Grass mitten auf einer bunten Blumenwiese zu seinem neuen Buch interviewt. Unser Nobelpreisträger ist ganz schön klapprig geworden, wirkte aber sehr entspannt und aufgeräumt (früher hat er ja meist finster über seine Brille geblickt). Scheck hat „Die Box“ als Grass’ heiterstes Buch bezeichnet.
    „Beim Häuten der Zwiebel“ möchte ich auch demnächst in Angriff nehmen. Vorher will ich aber noch die Erzählung „Das Treffen in Telgte“ lesen, in der Grass ein (fiktives) Treffen der deutschen Barockdichter 1647 in Telgte bei Münster schildert, die zusammengekommen sind, um aus ihren Werken zu lesen und über sie zu diskutieren. Im Anhang sind 43 Gedichte aus dem Barock abgedruckt. Darauf freue ich mich schon!


    Gruß mofre

    :study: Zsuzsa Bánk - Die hellen Tage

    :study: Claire Keegan - Liebe im hohen Gras. Erzählungen

    :study: David Abulafia - Das Mittelmeer
















  • Der Spiegelmag der Box unseres alten GG nicht uneingeschränkt applaudieren.
    - Ich denke, wir sollten Off-Topic beenden; jeder Grass-Roman hat eigentlich seinen eigenen Thread verdient. -


    Marie

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Hallo


    ich habs jetzt fertiggelesen und doch länger gebraucht als ich dachte, hab dazwischen einigemale in die Blechtrommel hineingelesen und nachgesehen was nicht mehr in meinem Gedächtnis war, aber alles in allem habe Voltaire und Marie alles gesagt was es zu diesem Buch zu sagen gab. Es hat mich wie Grass es schon immer konnte angefüllt und jetzt bin ich für einige Zeit so Satt, im guten Sinne und werde etwas brauchen bevor ich wieder ordentliche Literatur lese, aber ein paar Krimis werden es in nächster Zeit auch tun. Das netteste Zitat daraus kann ich euch nicht vorenthalten und wenn ich Reich-Ranitzky auch mag ist er für mich nicht in allem massgeblich, besonders nicht in hinblick auf sein herumgehake an Günter Grass


    Ab Dann hielt ich mich von allen dogmatischen Einengungen fern, verlässterte alle Päpste, so später auch jenen, der medienwirksam erhöht den literarischen Himmel einzig nach seiner Elle vermessen wollte


    Mara

    :study: Ich bin alt genug, um zu tun, was ich will und jung genug, um daran Spaß zu haben. :totlach: na ja schön langsam nicht mehr :puker:

  • Ich habe das Buch geschenkt bekommen und hätte es, um ehrlich zu sein, nicht gelesen, wenn ich es eben nicht geschenkt bekommen hätte. Das rührt daher, dass wir Die Blechtrommel in der Schule bearbeitet haben und ich dieses Buch einfach nur furchtbar fand. (Ich weiß aber nicht, ob es vielleicht daran liegt, dass ich es eben in der Schule bearbeitet habe... :-? )


    Günter Grass erschien mir immer ein egozentrischer aber sehr intressanter Selbstdarsteller zu sein. Dass er eine Autobiographie herausgebracht hat, schien meinen Eindruck noch zu bestätigen.
    Aber: Wie ich jetzt gemerkt habe, hat der Mann ja tatsächlich so einiges zu erzählen! Und den Krieg und die Nachkriegsjahre aus einer solchen Perspektive erzählt zu bekommen (so individuell nah am Geschehen) war wirklich interessant.


    Ein Problem mit der Persönlichkeit Grass' habe ich irgendwie immer noch. Hinzu kommt, dass ich die Art, wie er schreibt, nicht angenehm finde. Irgendwie habe ich da eine Abneigung...


    Deswegen: :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: ,5

    Ich :study:
    J.M.Coetzee - Das Leben der Tiere
    Erzählungen von Franz Kafka
    Gedichte von Allen Ginsberg und Cummings

  • In dem Buch geht es nicht nur um die Zeit, in der Gras als Soldat diente. Man erfährt, das der kleine Günter für seine Mutter die Schulden eintrieb und so zu seinem Taschengeld kam.


    Später kam er dann die Hitlerjugend und zu gerne würde Grass schreiben, das er kritisch war. Aber das war er eben nicht, wie fast niemand.


    Man erfährt, wie er den Krieg überlebt hat - eigentlich nur durch Glück. Damit ist das Buch noch längst nicht zu Ende.


    Man merkt ihm wirklich an, das er oft lange in seinem Gedächtnis nach den Erinnerungen gesucht hat. Oft ist er sich auch nicht wirklich sicher, was den nun wirklich passiert ist. Was ist Einbildung, was wirklich geschehen? Schließlich ist viel Zeit vergangen.


    Das Buch endet 1959, dem Jahr, als "Die Blechtrommel" erschien und ihn schlagartig berühmt machte. Den alles, was danach passiert ist, sei eh überall schon aufgeschrieben.


    Außerdem werden einem in dem Buch auch viele Personen vorgestellt, die später als Vorlage in seinen Romanen dienten - allein das macht das Buch schon sehr interessant.

  • Die Rezensionen machen eindeutig neugierig. bis jetzt habe ich nur (und da auch erstmal nur erzwungenermaßen für ein referat in der Schule) "Die Blechtrommel" gelesen und mir hat sie gut gefallen. Auch wenn es nicht leicht zu lesen ist.
    Das werde ich eindeutig auf meinen Wunschzettel schreiben... :thumleft:


    PS: Mensch war ich gerade entsetzt, wie lange das Buch schon draußen ist. Ich hab noch die Diskussionen und Verrisse der Zeitungenvor Augen/ in den Ohren. :shock:

    Bücher lesen
    heißt wandern gehen
    in ferne Welten,
    aus den Stuben,
    über die Sterne.
    Jean Paul


    Books are a uniquely portable magic. - Stephen King