Original: Slowenisch, 2022
INHALT:
Danijel weiß nicht, wem er es recht machen soll: dem Vater, der mit seinen Kameraden vom kommunistischen Kämpferbund permanent den Sieg über Nazideutschland feiert, oder der Mutter, die ihn trotz allem zum Religionsunterricht zu den Kapuzinern schickt? Staatlich verordneter Pioniereid da, Glaubensbekenntnis von Pater Aloisius dort.
Veränderungen kündigen sich an, als die junge Sekretärin Lena in die Erdgeschosswohnung einzieht und damit nicht nur Danijels Fantasie anregt, sondern den ganzen Stadtteil in Unruhe versetzt.
Meisterhaft erzählt Drago Jančar diese Geschichte aus dem Maribor der ausgehenden 1950er, Beginn der 1960er Jahre, in der sich die Widersprüche der slowenischen Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg spiegeln.
(Quelle: amaz.)
BEMERKUNGEN:
Jančar hat eine merkwûrdige Erzählperspektive: Die Geschichte wird aus Danijels Sicht her erzählt, doch da ist ein dazwischenstehender allwissender Ich-Erzähler. Diese Besonderheit klärt sich im letzten Abschnitt auf: da erzählt das alter ego von Jancar eben ihm selbst als Schreiber seine Geschichte. Dieses “Wort” steht am Anfang noch von einer ganz anderen “Geschichte”, wenn Jancar quasi seinen Roman mit einem Hinweis auf Johannes 1.1 schliesst: Am Anfang war das Wort! Ein befreiendes, das der Autor wohl nötig hat(te), um von dieser Übergangszeit zwischen Kindheit und Jugend zu sprechen.
Der Roman fängt mit dem Erscheinen auf der Bildfläche der kärtnerischen Slowenin Helena/Lena an. Anfangs beobachtet sie Danijel, ist vielleicht ein bisschen verliebt…, doch später wird sie ihren Pepi haben, einen Dachsteiger, etwas schwer im Leben, aber so leichtfüssig auf den Dächern! Erst misstrauisch betrachtet, dann ein Held. Doch Ljubo taucht auf, funkt dazwischen, lädt Lena zum Tanzen ein. Tja, dazu wäre Pepi nicht zu haben!
Der Vater Danijels hat in den 30igern in Deutschland gearbeitet und “Dolfi” gesehen. Doch wer konnte da schon wissen, dass… Tja, hätte er es aber doch gewusst, dann wäre es auch um Dolfi geschehen. Zurück im später dann besetzten Slowenien war er im Untergrund, bei den kommunistischen Partisanen. Dann war er im KZ, und kam abgemagert wieder. Dann das bis in die Erzähljetztzeit hineingehende Streiten, wer wohl wann die grösste Tat begangen hätte. Es geht weiter, wenn sie sich regelmässig zum Besäufnis und Schwelgen treffen… Und dann wird der Vater auch mal gewalttätig, ausfällig.
Da ist ein anderer, ferner Held: der ältere Halbbruder aus einer wilden Ehe des Vaters in den 30igern. Der “beste” Fussballer, der “beste” Tänzer, der tapferste “Marinesoldat…
Vater Aloisius ist der teils gestrenge, dann wieder den Glauben öffnende, Pfarrer. Vom Vater missachtet, von der gläubigen Mutter eher unterstützt. Wo stehe ich aber, könnte unser Prota sagen?
Und erst die geheimnisvolle Gestalt des Professors Fabijan, zu dem D. öfter geht, und wo er wie ein Fenster in eine weite Welt entdeckt…
Tja, unser Buch handelt von “Helden” und ihren Fehlern, von unseren Idealisierungen und den Illusionen. Beispielgebend dafür auch biblische Figuren wie David: wie klein haben sie doch auch manchmal gehandelt. “Sünde” und Falschheit seit Anbeginn der Welt?! Diese und andere biblische Themen und Zitate tauchen auf und geben dem Buch neben einer personnellen, eine quasi religiös-mythische Komponente.
Träume, Phantasien und Idealisierungenlassen den schlafenden oder spinnenden D. kaum greifbar in andere Welten hinübergleiten…
Ich lass diese Seiten in drei Tagen und konnte am Ende kaum mehr aufhören, las in die Nacht hinein. Da habe ich aber wirklich einen tollen Autoren (für mich) neu kennengelernt.
AUTOR:
Drago Jančar (* 13. April 1948 in Maribor, Jugoslawien) ist ein slowenischer Schriftsteller, Dramatiker, Essayist und Journalist. Er gilt als einer der bedeutendsten Akteure der zeitgenössischen slowenischen Literatur.
Nach der Matura an einem Gymnasium in Maribor begann Jančar ebendort an der Juristischen Fakultät ein Studium der Rechtswissenschaften, das er 1970 abschloss. Einen Beruf als Jurist trat Jančar jedoch nie an, sondern arbeitet im Anschluss an sein Studium, von 1971 bis 1974, als Redakteur der Mariborer Tageszeitung Večer. Diesen Job verlor er jedoch, als er 1974 nach Einfuhr und Weitergabe des Werks V Rogu ležimo pobiti („Im Graben liegen wir erschlagen“), in dem der Mord an einer Gruppe von Domobranci durch kommunistische Truppen beschrieben wird, wegen „Verbreitung feindlicher Propaganda“ zu einem Jahr Haft verurteilt wurde. Aus dieser wurde er zwar bereits nach drei Monaten wieder entlassen, kurz darauf aber in die jugoslawische Volksarmee eingezogen und nach Serbien geschickt. Nach seiner Rückkehr vom Militärdienst konnte er bei Večer jedoch nur mehr als Lektor und Übersetzer arbeiten, weshalb er 1979 beschloss, nach Ljubljana zu ziehen.
In Ljubljana lernte Jančar andere oppositionell gesinnte Intellektuelle und Künstler wie Edvard Kocbek und Boris Pahor kennen. 1979 arbeitete er für das Filmstudio Vrbafilm und schrieb zahlreiche Drehbücher. Nach Uneinigkeiten mit der Leitung des Filmstudios nahm Jančar 1980 eine Stelle als Redakteur beim Verlag Slovenska matica und gehört im selben Jahr zu den Mitbegründern der Zeitschrift Nova revija, die eine wesentliche Rolle in der slowenischen Unabhängigkeitsbewegung spielen sollte. Von 1987 bis 1991 übernahm er zudem den Vorsitz des slowenischen PEN-Zentrums. In dieser Funktion entwickelte sich sein politisches Interesse zu einem aktiven Engagement in den Bemühungen Sloweniens, ein selbstständiger Staat zu werden. Er betrachtete kritisch die Geschehnisse in allen Teilrepubliken des heutigen Ex-Jugoslawiens und prophezeite mitunter den Zerfall Jugoslawiens. 1998 organisierte er gemeinsam mit Gleichgesinnten der slowenischen Intelligenz die Dokumentationsausstellung Temna stran Meseca („Die dunkle Seite des Mondes“), die sich unter dem Titel einer Erzählung von Edvard Kocbek mit dem Totalitarismus in Slowenien von 1945 bis 1990 auseinandersetzte.
Jančar ist Mitglied des Slowenischen Schriftstellerverbands und lebt in Ljubljana.
(Quelle: wiki)
Publisher : Paul Zsolnay Verlag; 2nd edition (21 Aug. 2023)
Language : German
Hardcover : 272 pages
ISBN-10 : 3552073582
ISBN-13 : 978-3552073586
Original title : Ob nastanku sveta
Dimensions : 13.5 x 2.3 x 21 cm