Mathijs Deen – Der Retter / De Redder

  • Klappentext/Verlagstext
    Bei einem Spaziergang an der Küste Northumberlands stoßen niederländische Urlauber auf die Überreste einer Leiche. Eine alte Schwimmweste deutet auf eine Verbindung zu einem 21 Jahre zuvor geschehenen Unglück hin. Damals sank der Seeschlepper Pollux nördlich der Düneninsel Rottumerplaat. In einer komplizierten Mission der Seenotretter von Ameland und Norderney konnten alle Besatzungsmitglieder gerettet werden – bis auf den Kapitän. Handelt es sich bei dem geborgenen Skelett um den Vermissten? Kommissar Liewe Cupido, genannt »der Holländer«, will den Fall abgeben, ist er doch gerade mit seiner eigenen Vergangenheit beschäftigt: dem mysteriösen Verschwinden seines Vaters auf See. Doch als sein ermittelnder Kollege Xander Rimbach auf Norderney vergiftet wird, muss Cupido erneut seinen friesischen Spürsinn unter Beweis stellen.


    Der Autor
    Mathijs Deen, geboren 1962, ist Schriftsteller und Hörfunkautor. Er veröffentlichte Sachbücher, Romane, Kolumnen und einen Band mit Kurzgeschichten, der für den renommierten AKO-Literaturpreis nominiert war. 2018 wurde ihm für die literarische Qualität seines Werks der Halewijnpreis verliehen.


    Inhalt
    Die niederländische Ermittlerin Geeske Dobbenga sollte theoretisch längst die Uniform ausgezogen haben und ihre Brigade „Waddengebied“ in Delfzijl sollte aufgelöst sein. Als Urlauber an der Küste von Northumberland einen Toten in Rettungsweste finden, wird sie jedoch kurzfristig weiterbeschäftigt, um in Zivil gemeinsam mit deutschen Kollegen die Leiche zu identifizieren. Als sich eine Verbindung zum Untergang des deutschen Seeschleppers „Pollux“ in den 90ern andeutet, muss von Spezialisten durch DNA-Abgleich geklärt werden, ob der Tote Jacob Peiser ist, der Kapitän der Pollux, und warum er als einziges Besatzungsmitglied nicht gerettet werden konnte. Geeske mietet ein Ferienhaus auf Ameland und kann unbürokratisch Douwe Bomsma befragen, der 20 Jahre zuvor als Seenotretter die Aktion Pollux leitete. In Deutschland erinnert sich Liewe Cupido von der Bundespolizei See noch lebhaft an die Bergung der Besatzung der Pollux. Ihn berührt der Fall, weil er sich durch den Tod seines Vaters auf See leicht in Käptn Bomsma versetzen kann, dessen Mannschaft einen Mann nicht retten konnte. Schließlich spitzen sich die Ermittlungen auf die Frage zu, was man über den Kapitän der Pollux eigentlich weiß und warum die Aussagen Beteiligter an der Rettungsaktion sich widersprechen.


    Als damals die Pollux sank, hatte das Thema Seenotrettung die Bevölkerung von Norderney gespalten, weil ein finanzstarker Gönner aus Dankbarkeit Seenotrettern ein Denkmal setzen wollte. Aktive und pensionierte Retter fanden das Projekt ungehörig; als Besatzung eines Seenotrettungskreuzers fuhr man in Notfällen aus, packte an und sprach nicht weiter darüber – sicher auch aus Aberglauben.


    Mit Geeske Dobbenga, Liewe Cupido von der Bundespolizei See und dem jungen Team der Inselpolizei Norderney sind gleich mehrere Dienststellen mit dem Fall Pollux befasst; Geeske und Liewe kennen sich schon ewig. „Der Holländer“, Sohn einer deutschen Mutter und auf der Insel Texel als Sohn eines Fischers aufgewachsen, hatte schon immer eine sehr spezielle Dienstauffassung. Im aktuellen Fall treibt er es mit seiner Liewe-Haftigkeit auf die Spitze, als er offenbar unabgemeldet Privatangelegenheiten nachgeht, ohne sich um Xander Rimbach, den „Neuen“ seiner Abteilung zu kümmern, den er von einer früheren Ermittlung bereits kennt.


    Fazit

    Mehrere Schauplätze, ein Zeitabstand von 20 Jahren zwischen Ereignis und Ermittlung und Liewe Cupidos private Recherche zum Schicksal seines Vaters geben beim Fall Pollux zunächst ein gemächliches Ermittlungstempo vor. Mathijs Deen schildert seine Schauplätze – wie gewohnt – atmosphärisch, seine Figuren voller Empathie und überzeugt insgesamt mit der „Liewe-Haftigkeit“ seines Ermittlers.


    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

    :study: -- Damasio - Gegenwind

    :study: -- Naylor - Die Stimme der Kraken

    :study: -- Landsteiner - Sorry, not sorry

    :musik: --


    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • Mein Lese-Eindruck:



    „Was an Bord passiert, bleibt an Bord.“



    Schiffsnamen, ungewohnte friesische und niederländische Orts- und Personennamen, Ortswechsel und Perspektivenwechsel, verschiedene Polizei-Dienststellen, dazu ein Rückblick auf eine Havarie von 20 Jahren und ein mysteriöser Leichenfund im Norden Englands – das Lese-Wasser, um im Bild zu bleiben, ist für einen Landbewohner zunächst recht kabbelig. Aber die Dinge klären sich, als Leser gerät man in ein ruhigeres Fahrwasser und verfolgt gespannt den Gang der Ermittlungen.


    Im Zentrum steht der Kommissar Liewe Cupido, ein gebürtiger Holländer. Er ist ein eigensinniger und schweigsamer Mensch, der seine Landsleute kennt, und er kann Erfolge aufweisen. Aber er leidet unter dem frühen und ungeklärten Tod seines Vaters auf See, und er setzt alle Hebel in Bewegung, um Genaueres zu erfahren und den Schuldigen benennen zu können. Seine Traumatisierung weckt Mitleid beim Leser, das schon, aber ansonsten blieb er mir unsympathisch. Er wird in den Roman eingeführt, indem er zu einer angekündigten Sitzung mit großer Verspätung kommt, ohne Entschuldigung, ohne Kommentar. Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige, lieber Liewe! Auch ansonsten geriert er sich als genialischer Einzelgänger. Teamarbeit ist ein Fremdwort für ihn, und während seiner Dienstzeiten macht er, was er will. Kein Wunder, dass sein Vorgesetzter mit ihm Probleme hat.


    Die Ermittlungen werden erschwert weniger durch länderübergreifendes Kompetenzgerangel als durch die Schweigsamkeit der Beteiligten. Dennoch erhält der Leser interessante Einblicke in die Arbeit der Seenotretter, die alle ehrenamtlich arbeiten und jeden retten, der in Seenot gerät, ohne Ansehen der Person und vor allem ohne Ansehen der Ursache. Sehr lebendig entsteht vor dem Auge des Lesers die aufwändige Rettungsaktion, als nachts bei Wind und Wetter zwei Seenotrettungsschiffe auslaufen, um die Besatzung eines havarierten Seeschleppers zu bergen.


    Am Schluss werden die zunächst locker geführten Handlungsstränge zusammengezurrt. Ein viele Jahre zurückliegendes Verbrechen wird geklärt, und die schuldhaften Verstrickungen einiger Beteiligter kommen Schritt für Schritt ans Tageslicht.


    Der Roman ist der 3. Band einer Serie, die durch den Ermittler und seine traumatische Vergangenheit zusammengehalten wird, aber er lässt sich problemlos isoliert lesen.


    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).