Omri Boehm & Daniel Kehlmann - Der bestirnte Himmel über mir

  • Kurzmeinung

    Abroxas
    Anregendes, jedoch voraussetzungsreiches Zwiegespräch über Kants Werk ohne viele Platitüden
  • Kant also. Berufsphilosoph sowie Kant-Kenner Omri Boehm und Schriftsteller sowie einstiger Doktorand mit Kant-Thema Daniel Kehlmann treffen sich zum Gespräch über Immanuel Kant im Gartenhaus des Ullstein-Verlags und plaudern über den "Alleszermalmer" aus Königsberg. In acht lediglich nummerierte Kapitel gliedert sich diese nachbearbeitete Unterhaltung, diese sind weiter untergliedert in bestimmte Themen oder besser: Stichworte; eine Technik, die Raphaël Enthovens Team in der arte-Sendung "Philosophie" angewendet hat.


    An jene Sendung musste ich jedenfalls auch mit Entzücken denken, wenn sich die beiden ohne große Umschweife ans Eingemachte wagen. Dabei geht es trotz des Jubiläumsjahrs (300. Geburtstag) nicht darum, Kants Werk systematisch für ein interessiertes Laienpublikum aufzubereiten oder besserwisserisch der Frage nachzugehen, was ein Kant uns heute noch zu sagen hätte. Die beiden Diskutanten reden unmittelbar über Kants Denken und versuchen, hauptsächlich entlang der drei Kritiken (der reinen Vernunft, der praktischen Vernunft, der Urteilskraft), einige gewichtige Aspekte hervorzuheben oder im philosophiegeschichtlichen Diskurs einzuordnen. Kants Erkenntnistheorie wie auch Moralphilosophie werden ebenso besprochen wie Kants Freiheitsbegriff, seine Diskussion etwaiger Gottesbeweise oder sein Verhältnis zur Kunst. Nur gelegentlich kommt man auf einen Schlenker auf aktuelle Bezüge zu sprechen, auch Kants problematischer Rassismus wird im Rahmen seiner Werke kritisch besprochen. Der Natur eines Gesprächs folgend gibt es gelegentlich solche Abstecher, auch gibt es ein paar Wiederholungen, Rückzieher oder sogar einen Versprecher. Man merkt dem Gespräch zwar die Redaktion an, aber der Charakter einer Unterhaltung bleibt erhalten und macht auch den Reiz dieser Lektüre aus, der man einige Längen hier und einige zu knappe Einlassungen dort schon mal nachsieht.


    Das Gespräch ist durchaus anspruchsvoll. Beide greifen durchgängig auf kantische Begriffe zurück und setzen eine Textkenntnis insofern voraus, als dass nicht alle Aspekte nochmal von Grund auf nachvollzogen werden und die entsprechende Terminologie einigermaßen sitzen muss. Auf ein Glossarium hat man hierbei verzichtet, was schade ist, denn einem geneigten, aber nicht gerade sattelfesten Publikum hätte ein solches durchaus nützlich sein können.


    Bei dem Niveau ist es nicht verwunderlich, dass Boehm hier eher als die Autorität im Gespräch auftritt und Kehlmann häufiger Fragen und Stichworte bereitstellt, selten aber grundlegenden Widerspruch anmeldet. Das ist für sich genommen mit Genuss zu lesen, Kehlmann schlägt sich hier wacker und bleibt mit Boehm auf Augenhöhe, auch sind solche konstruktiven Gespräche auf ihre Weise fruchtbar. Aber ein anderes denkbares Konzept, nämlich dass sich zwei "hauptberufliche" Kantexperten mit unterschiedlichen Lesarten ein anregendes Streitgespräch liefern, hat man damit vermieden.



    Nichtsdestotrotz offeriert der Titel eine interessante Lektüre, die für den geneigten Leser nochmal einen weiteren Zugang zu Kants Werk öffnet, der mehr ans Seminargespräch gemahnt. Angenehm ist, dass sich die Diskutanten durchaus zu klaren Statements und verbindlich formulierten Deutungen, die hier und da auch anecken dürften, hinreißen lassen, anstatt sich hinter Allgemeinplätzen zu verstecken. Auf diese Art lässt sich das Buch als Einladung verstehen, sich selbst nochmal mit Kants Werk auseinanderzusetzen.