Inger-Maria Mahlke - Unsereins

  • Kurzmeinung

    drawe
    Facettenreicher Gesellschaftsromanm sprachlich an "Buddenbrooks" angelehnt
  • Kurzmeinung

    Abroxas
    Vielschichtiges, szenisch geschriebenes Lübecker Gruppenporträit zur Kaiserzeit; Exzellent

  • Klappentext:


    Eine Lübecker Familie, protestantisch, konservativ, kaisertreu: die Lindhorsts. 1890 kommt Marthe in dem weitläufigen Patrizierhaus in der Königstraße zur Welt. Um sie eine Schar älterer Brüder, deren Freiheiten nicht ihre sein werden. Und doch ist es ein Leben mit glänzenden Aussichten. Bis ein Bestsellerroman, verfasst vom Sohn eines verstorbenen Bekannten, den respektablen Lindhorsts klarmacht, dass sie für ihr Umfeld auch nach zwei Generationen noch immer "die Jüdischen" sind. Unsereins ist der Roman einer Stadt und ihrer Gesellschaft, ihrer Bürger und Lohndiener, der Handwerker und, vor allem, ihrer Frauen. Ob Dienstmädchen, Hausfrau, Weißnäherin oder Schriftstellerin, ob manisch-depressiv wie Marthes Mutter, durchlässig wie Marthe selbst, die mit eigenen und fremden Erwartungen ringt. Inger-Maria Mahlke erzählt von Identität und Zugehörigkeit, von Geschlecht und Klasse, von Macht- und Liebesverhältnissen - von allem, was nicht nur Lübeck, den vormals "kleinsten Staat des Deutschen Reichs", formte und zusammenhielt.



    Mein Hör-Eindruck:


    „Und wäre dies das Ende eines Films, so würde die letzte Einstellung aus der Perspektive einer Drohne gedreht“, heißt es am Ende des Romans. Und genau so beginnt auch der Roman: mit der Perspektive einer Drohne. Da wird der Weg eines Regentropfens verfolgt, der sich von oben her dem „kleinsten Staat des Deutschen Kaiserreichs“ nähert und seinen Weg sucht und findet, nämlich das Haus des Rechtsanwaltes Lindhorst und seiner Familie. Und auch wie von oben werden weitere Figuren anvisiert und dann herangezoomt, die in einer Verbindung zu dieser Familie stehen. Mit diesen Nebenfiguren – sind es wirklich Nebenfiguren? – entfaltet die Autorin die sozialen, gesellschaftlichen und politischen Problemfelder der Zeit um die Jahrhundertwende: Sozialdemokratie, Antisemitismus, Homosexualität, Pauperismus, merkantile Krisen, Nationalismus, gesellschaftliche Umbrüche.


    Zugleich zoomt sie sich bis in das Innerste der Figuren hinein.


    Da ist z. B. Georg, Sohn eines Bankrotteurs, von den Klassenkameraden verachtet und isoliert. Hier erfährt der Leser etwas über die gesellschaftliche Rangordnung der Zeit: oben stehen die ostelbischen Großgrundbesitzer, dann das Patriziat der Hansestadt, und hinter jedem Schülernamen wird die Position des Vaters aufgeführt: Senator, Konsul oder doch zum mindesten Bürgerschaftsmitglied. Da ist für einen Jungen wie Georg kein Platz vorgesehen.


    Oder Ida, eine der weiblichen Figuren. Sie will ihrem Schicksal des Dienstmädchens entfliehen und zum Bürofräulein aufsteigen. In vielen Abendstunden lernt sie mühsam das Stenografieren, um dann zu erkennen, dass sie auch die Schreibmaschine beherrschen muss. Und als sie sich diese Kenntnisse angeeignet hat, wird sie ausgebremst durch ihre arthritischen Hände. Sie bleibt gefangen in ihrer Schicht, jeder Aus- und Aufstieg bleibt ihr verwehrt.


    Die Parallelen zu den „Buddenbrooks“ sind unübersehbar. Die Autorin ahmt den Ton sehr geschickt nach, und sie spielt mit dem bekannten Personal, das sie ausweitet auf die unteren Schichten. Sie spielt auch mit dem Roman „Buddenbrooks“ selber, der als eine Art gesellschaftliches Ratespiel in der Lübecker Bürgerschaft mit Häme und Schadenfreude entschlüsselt wird. Und hier macht die Autorin eine einfach überzeugende und sehr witzige Volte: denn genau dieses Entschlüsselungsspiel spielt auch der Leser mit ihrem Roman.

    Das Hörbuch wurde eingelesen von Julia Nachtmann. Von einer verwirrend falschen Betonung abgesehen ( Monàco statt Mònaco): eine rundum angenehme Stimme, ihr interpretierendes Vorlesen ist gut durchdacht.


    Fazit: ein facettenreicher Gesellschaftsroman.

    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Von einer verwirrend falschen Betonung abgesehen ( Monàco statt Mònaco):

    Mich stören falsch ausgesprochene Wörter auch sehr und bringen mich immer aus dem Takt. Und ich frage mich, welche Rolle der Hörspielregisseur spielt, wenn er sowas nicht unterbindet/unterbinden muss. Meiner Meinung nach kann man von den Sprechern auch verlangen, dass sie sich über die richtige Aussprache eines Wortes informieren.

    Julia Nachtmann mag ich als Sprecherin.


    Da die 'Buddenbrooks' eins meiner Lieblingsbücher ist, kommt dieses Hörbuch sofort auf meine Wunschliste

    Die Erfindung des Buchdruckes ist das größte Ereignis der Weltgeschichte (Victor Hugo).

  • Meiner Meinung nach kann man von den Sprechern auch verlangen, dass sie sich über die richtige Aussprache eines Wortes informieren.

    Das ist ja das Problem: sie war sich wohl sicher, dass das Monàco ausgesprochen wird und hat das nicht in Frage gestellt.

    Aber ich als Hörer kurz aus dem Takt: wieso Monaco? Habe ich etwas überhört?

    Aber deswegen wollte ich keinen Punktabzug machen, weil Julia Nachtmann (sonst) wirklich perfekt liest.

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • drawe Danke für deine schöne Rezension :) Das Hörbuch ist auf jeden Fall auf meine Wunschliste gelandet. Magst du noch deine Bewertung eintragen?

    Nimm dir Zeit für die Dinge, die dich glücklich machen.


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