Friedrich Christian Delius - Die Zukunft der Schönheit

  • Autor: Friedrich Christian Delius
    Titel: Die Zukunft der Schönheit, erschien erstmals 2018
    Seiten: 96 Seiten
    Verlag: Rowohlt
    ISBN: 9783737100403


    Der Autor:
    Friedrich Christian Delius, geboren im Februar 1943 in Rom, aufgewachsen in Wehrda, Kreis Hünfeld, und Korbach in Hessen. Seit 1963 in Berlin, Studium an der Freien und Technischen Universität (Dr. phil. 1970). 1970 bis 1978 Lektor für Literatur in den Verlagen Klaus Wagenbach und Rotbuch. Prozesse, welche die Siemens AG (1972-76) und Helmut Horten (1979-82) gegen ihn führten, erfolgreich überstanden. Seit 1978 freier Schriftsteller, von 1978-80 in Beek bei Nijmegen/NL, von 1980-84 in Bielefeld. Georg-Büchner-Preis 2011. Übersetzungen seiner Bücher in 18 Sprachen. Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und der Akademie der Künste Berlin. FCD starb am 30. Mai 2022 in Berlin.


    Inhalt und Meinung:
    Die Geschichte ist, wie so oft bei Delius, stark autographisch: ein junger Schriftsteller wird im Frühjahr 1966 nach New York zu einem Kongress eingeladen und landet abends mit zwei musikbegeisterten Freunden in einem Jazzclub.


    Für den damals 23-jährigen Autoren aus der hessischen Provinz ist der Besuch der Bar im verrufenen Lower East Side und dem ersten Kontakt mit Free Jazz und Albert Aylers Auftritt eine «Offenbarung». Zunächst skeptisch und die übrigen Gäste beobachtend, gerät der Ich-Erzähler immer mehr in einen Sog, in einen Assoziationstaumel. Die fremdartigen, experimentellen Klänge passen so gar nicht zur Musik in der beschaulichen Heimat. Ähnlich wie bei «Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde», ist dieses sinnliche Erlebnis Grund für Reflektionen. Immer wieder wird Delius an etwas aus seiner Jugend erinnert, an seinen gestrengen Vater, der kürzlich verstarb und mit dem eine Aussprache nicht mehr möglich ist.


    Erinnerungen an vergangene Freundinnen, an seine ersten Schritte als Schriftsteller, aber auch inwiefern diese Art der Musik ein Statement zum Vietnamkrieg sein kann. Welchen Einfluss Free Jazz auf die Gesellschaft haben kann, ob solche Experimente auch im ländlichen Korbach ankämen, wo der freundliche Drogist im Ort noch ein paar Jahre zuvor als Stellvertreter Adolf Eichmanns agierte.


    Es gelingt Delius hervorragend, immer wieder zwischen dem experimentellen Free Jazz und der eigenen Jugend, seiner Selbstwerdung und dem damaligen Stand der Gesellschaft und ihrem Aufbruch hin und her zu springen. Und auch formal durchbricht der Text die Normen einer üblichen Erzählung auf: viele kurze Abschnitte, kaum eine Seite lang, in der Regel mit Gedankenstrichen endend und auf Punkte verzichtend, treiben den Text voran – lassen den Leser kaum verschnaufen und verbinden den Abend im Jazzclub mit den Gedanken des jungen Autoren.


    Wie so häufig hat mich Fredrich Christian Delius wieder begeistert, mit seiner ungewöhnlichen Art des Schreibens und mit seiner Kunst persönliche Erlebnisse mit den Höhepunkten der jüngeren deutschen Geschichte zu verbinden.

    Dennoch gebe ich gerne zu, dass diese Erzählung wohl eher etwas für Fans von Delius oder von Free Jazz ist: mir gefielen nämlich auch zahlreiche Passagen, die mich an andere Werke von Delius erinnerten – und diese Referenzen / Intertextualität entgeht Jenen, die sonst noch nichts von ihm gelesen haben.