Klappentext/Verlagstext
Im Januar 2003 fand Anne Berests Mutter unter den Neujahrswünschen eine verstörende Postkarte mit nichts als den Namen ihrer vier Angehörigen, die in Auschwitz ermordet wurden; ohne Absender, ohne Unterschrift. Anne fragt nach und die Mutter erzählt ihr die tragische Geschichte der Familie Rabinowicz. Aber erst als ihre kleine Tochter in der Schule Antisemitismus erfährt, beschließt Anne, der Sache wirklich auf den Grund zu gehen. Mithilfe eines Privatdetektivs und eines Kriminologen recherchiert sie in alle erdenklichen Richtungen. Das Ergebnis ist dieser Ausnahmeroman. Er zeichnet nicht nur den ungewöhnlichen Weg der Familie nach, sondern fragt auch, ob es gelingen kann, in unserer Zeit als Jüdin ein »ganz normales« Leben zu führen.
Die Autorin
Anne Berest wurde 1979 in Paris geboren. Sie arbeitete als Schauspielerin, Regisseurin und gab eine Theaterzeitzschrift heraus, bevor sie 2010 ihren ersten Romanveröffentlichte, ›Traurig bin ich schon lange nicht mehr‹ . Es folgten ›Les Patriarches ( 2012), ein Buch über Francoise Sagan (2014) und ›Emilienne oder die Suche nach der perfekten Frau‹ (2015). Sie ist Co-Autorin des Bestsellers ›How to be a Parisian - Wherever you are. …‹, das in mehr als 35 Sprachen übersetzt wurde. 2017 schrieb sie gemeinsam mit ihrer Schwester Claire ein Buch über ihre Urgroßmutter: ›Ein Leben für die Avantgarde - Die Geschichte von Gabriële Buffet-Picabia‹. Mit ›Die Postkarte‹ gelang Anne Berest ein literarischer Coup - das Buch war auf der Shortlist sämtlicher großer Literaturpreise in Frankreich und steht dort seit Erscheinen im September 2021 auf der Bestsellerliste.
Inhalt
Nur durch einen Zufall wurde unter dem Briefkasten in Lélias Haus die Postkarte gefunden mit den Namen Ephraim, Emma, Noémie und Jacques. Anne Berests Urgroßeltern und die Geschwister ihrer Großmutter Myriam (*1919) waren 1942 im Konzentrationslager Auschwitz gestorben. Myriam hatte nie von der Odyssee ihrer Vorfahren aus Litauen über Polen und Palästina erzählt; ihre Tochter Lélia (*1948) wusste nichts über die Kindheit ihrer Mutter, ihre Tätigkeit in der französischen Résistance und über ihren eigenen Vater Vincente. Kurz vor der Entbindung ihres Kindes will Anne Berest nun endlich ihre Familiengeschichte hören. Die rätselhafte historische Ansichtskarte gibt der Suche eine zusätzliche Ebene; denn wer kann die genannten Personen gekannt haben und würde damit 60 Jahre später eine geheime Botschaft übermitteln wollen?
Die Spurensuche entpuppt sich als Teppich aus schier unglaublichen Geschichten, die durch zahlreiche Briefe, Dokumente und Biografien zu verifizieren sind. Ephraim, Emma und ihre Kinder waren formal staatenlose Palästinenser russischer Herkunft, die sich um die französische Staatsangehörigkeit bewarben; Noémie und Jacques Myriams Geschwister/Lélias Tante und Onkel. Als die Familie in einem normannischen Dorf einen Selbstversorger-Haushalt gründet und alle sich bemühen gute Franzosen zu sein, macht ihnen die Deportation französischer Juden jedoch deutlich, dass Juden nirgendwo erwünscht sind, ausländische wie sie noch weniger als französische. Für Ephraim ist das besonders bitter, weil er sich wie sein Bruder als Sozialist sah und die in weiblicher Linie weitergebene Religion nicht praktizierte. Als Anne später mit einem traditionell lebenden Juden zusammenlebt, wird ihr erst bewusst, welch religiöse Erziehung von ihr erwartet wird, weil sie formal Tochter einer Reihe jüdischer Ahninnen ist.
Anne Berest webt aus mehreren Handlungsebenen eine höchst spannende Spurensuche einer in alle Winde zerstreuten Familie, die bis in die Gegenwart antisemitische Diskriminierung erfährt. Außergewöhnlich ist dieser Roman durch die zahlreichen Namenswechsel. Mehrere Generationen nahmen landestypische Vornamen an, um ihren Willen zur Integration zu demonstrieren, ein Identitätswechsel, der Lélia und Anne bei ihrer Recherche manches Kopfzerbrechen bereitet. Myriams Bedürfnis, alle Fakten möglichst mehrfach belegen zu können, ließ mich lange über die Zusammenhänge grübeln. Die Rolle historischer Personen wie Beckett und Némirovsky, sowie die Memoiren weiterer Zeitgenossen schienen gleich mehrfach zu beweisen, dass Myriams Leben exakt so verlaufen sein musste, wie es sich ihrer Enkelin nun darbot.
Fazit
Die erzählten und notierten Erinnerungen, Zeitzeugenberichte und Dokumente verifizieren sich gegenseitig und zum Ende des Romans wartet die überraschende Erklärung, welche Bedeutung dieser Prozess für Myriam und Lélia lebenslang gehabt hat. Ein in jeder Hinsicht außergewöhnlicher Roman über die Kinder der Holocaust-Überlebenden.